Freibrief für Fischerei in Meeresschutzgebieten
Schleswig-holsteinische Initiative ungerechtfertigt
Auf Initiative der schwarz-gelben Landesregierung Schleswig-Holsteins wurde auf der Herbst-Agrarministerkonferenz der Länder und des Bundes am 28. Oktober 2011 beschlossen, dass in den nach EU-Recht geschützten Natura-2000-Gebieten der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Deutschlands die Fischerei nur dann eingeschränkt werden solle, wenn diese einen erheblichen negativen Einfluss auf den Erhaltungszustand relevanter Habitate, Lebensräume und Arten hat. Die Naturschutzverbände NABU, Gesellschaft zur Rettung der Delphine GRD und Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere GSM kritisieren diesen Vorstoß als ungerechtfertigten Freibrief für die Fischerei.
Nach Auffassung der Verbände lässt sich die Nicht-Erheblichkeit von fischereilichen Eingriffen in den Natura-2000-Gebieten der Nord- und Ostsee nach der heutigen Datenlage kaum belegen. Es soll aber offensichtlich durch den Beschluss der heutige Zustand festgeschrieben werden, statt Anreize zur Verwendung alternativer Fischereimethoden in Schutzgebieten zu geben.
In der Ostsee verenden nach wissenschaftlichen Schätzungen jedes Jahr über 100.000 Seevögel in Fischereinetzen. Aus Totfunderhebungen bei Schweinswalen wird deutlich, dass allein in der deutschen Ostsee jedes Jahr mindestens 70 Schweinswale als unerwünschter Beifang in Grundstellnetzen sterben. Die betroffenen Natura 2000-Schutzgebiete nach der Fauna-Flora-Habitat- und Vogelschutzrichtlinie wurden bereits 2007 von der Europäischen Kommission anerkannt und dienen explizit dem Schutz bedrohter Arten wie Schweinswal, Stern- und Prachttaucher oder Eisente, allesamt durch den ungewollten Beifang oder die negative Auswirkungen der Fischerei auf ihren Lebensraum beeinträchtigt.
Den Vorschlag des von Thünen-Instituts (vTI), zum Schutz der Schweinswale Stellnetze mit Pingern auszustatten, lehnen die drei Naturschutzverbände dabei vehement ab. „Ein aktives Vertreiben von Schweinswalen unter Lärmeinsatz aus den für sie eingerichteten Schutzgebieten konterkariert hier die Ziele des europäischen Umweltrechts“, so Ingo Ludwichowski, NABU-Landesgeschäftsführer in Schleswig-Holstein.
Neue Fangmethoden anwenden
Bereits heute gibt es Fischfangmethoden, die weder Seevögel noch Schweinswale gefährden. NABU Schleswig-Holstein, GSM und GRD haben in ihrer Studie „Strategien zur Vermeidung von Beifang von Seevögeln und Meeressäugetieren in der Ostseefischerei“ entsprechende Vorschläge erarbeitet. In der Ostsee stellen beköderte Fischfallen, Jiggermaschinen oder Langleinen eine umweltverträgliche Alternative zur Grundstellnetzfischerei dar. Die Relevanz dieser Studie wird auch vom internationalen Kleinwalabkommen ASCOBANS anerkannt.
Forschung notwendig
Gegen die Forderung, neue wissenschaftliche Erkenntnisse einzubeziehen, ist generell nichts einzuwenden. Jedoch müssen die Länder dann auch entsprechende Forschungsmittel und -kapazitäten zur Verfügung stellen, um die Situation bewerten zu können. Derzeit wird nur ein Bruchteil der Schweinswal-Beifänge gemeldet, wie die hohe Zahl an Totfunden an Schleswig-Holsteins Küsten vermuten lasse. Eine Zuordnung der Strandfunde mit „Netzmarken“ zur Fischerei in oder außerhalb von Schutzgebieten ist überhaupt nicht möglich. Auch Vogelbeifang wird von den Behörden nicht systematisch erfasst. Unabhängige Beobachter an Bord der kleinen Kutter in der Küstenfischerei sind nicht vorgesehen und gegen eine Kameraüberwachung gibt es massive Vorbehalte.
Weiterhin fehlen Angaben zu Zeit und Häufigkeit der fischereilichen Nutzung innerhalb wie außerhalb von FFH- und Vogelschutzgebieten sowie zu Art und Menge der dabei verwendeten Fischereigeräte, wie Nachfragen des NABU im Ministerium ergaben. „Ohne Daten gibt es damit kein Problem und somit keinen Handlungsbedarf in den Fischereibehörden“, bringt Ingo Ludwichowski diesen Missstand auf den Punkt.
Fischer sind bemüht
„Aus unseren persönlichen Erfahrungen mit einigen schleswig-holsteinischen Fischern wissen wir, dass sie sehr bemüht sind, Beifänge von Enten und Walen zu vermeiden.“ Warum aber werden dann Beifänge einfach über Bord geworfen, statt sie zu melden? Mit Transparenz und gegenseitigem Vertrauen wäre es möglich, gemeinsam nachhaltige Fischereiformen für Naturschutzgebiete weiter zu entwickeln, die dem Anspruch von Fischern, dem Ministerium und Naturschützern gerecht werden.
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