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Jetzt Mitglied werden!NABU: Munition im Meer muss gehoben werden
Tickende Zeitbombe in Nord- und Ostsee
Vom 16. bis 18. November 2010 fand in Neumünster eine Experten-Konferenz zur Umwelt schonenderen Beseitigung von Altmunition im Meer MIREMAR statt. Ziel der dreitägigen Konferenz war es, einen Überblick über die aktuelle Situation und neue Entwicklungen bei der Beseitigung von nicht explodierter Altmunition zu gewinnen und ein Netzwerk von Experten zu schaffen. Die drei Veranstalter NABU, Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere GSM und Gesellschaft zur Rettung der Delphine GRD haben aus diesem Anlass eine umfassende Bergung und umweltschonende Beseitigung von Altmunition in Nord- und Ostsee gefordert. Von den versenkten Altlasten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg geht eine große Gefahr für Mensch und Meeresumwelt durch freigesetzte Giftstoffe aus. Konventionelle Sprengmethoden schädigen das sensible marine Ökosystem in erheblichem Maße.
Zwischen 400.0000 und 1,3 Mio. Tonnen konventioneller Munition sind in deutschen Küstengewässern während und nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg versenkt worden. Auf der von NABU, GRD und GSM organisierten Konferenz wurde deutlich, dass Altmunition, konventionelle Sprengstoffe sowie chemische Kampfmittel ein globales Problem in den Meeren sind und Tierwelt wie Menschen gleichermaßen gefährden.
Munition im Meer ist eine tickende Zeitbombe, die erhebliche Auswirkungen auf die Meeresumwelt, Fischerei, den Tourismus und die Schiffssicherheit hat. Der NABU hat anlässlich der Konferenz gefordert, dass Bund und Küstenländer mehr Anstrengungen unternehmen müssen, die betroffenen Meeresgebiete zunächst zu kartieren und darauf basierend eine Risiko-Analyse zu erstellen. In vielen Fällen wird Munition geborgen werden müssen. Alternative Bergetechniken, die in weiten Teilen der Welt (z. B. USA, China) bereits mit Erfolg eingesetzt werden, müssen auch aus Gründen des Umweltschutzes der gängigen Sprengung vorgezogen werden. Auch in der Ostsee werden heute nach Angaben des schleswig-holsteinischen Kampfmittelräumdienstes bereits mehr als 90 % der gefundenen Munition geborgen. Das bedeutet gleichzeitig aber auch, dass 10 % immer noch gesprengt werden, wodurch Meerestiere – wie auch die Vorträge zeigten - einem erheblichen Verletzungsrisiko ausgesetzt werden und giftige Substanzen im Meer verteilt werden.
Zustand der Munition bedingt Gefährdungspotential
Der Zustand von Munitionshüllen aus dem 1. und 2. Weltkrieg ist dabei sehr unterschiedlich. Manche sind noch intakt, andere bereits fast vollständig zersetzt. Generell gilt, dass unter Sauerstoffabschluss die Eisenhüllen länger erhalten bleiben, als wenn diese großen Mengen im Wasser gelösten Sauerstoffs ausgesetzt sind. Gerade im Flachwasser und in Strandnähe herrscht diese gute Sauerstoffversorgung, so dass die dort offen liegenden Hüllen in der Regel in schlechtem Zustand sind und die Munition bei ihrem Zerfall hoch toxische Sprengstoffe, deren Abbauprodukte und weitere sprengstofftypische Begleitstoffe frei setzen kann. Bei starken Stürmen können Partikel auch mit der Strömung und dem Wellenschlag insbesondere auf sandigem und kiesigem Boden ‚wandern‘ und bis an den Strand gespült werden, wie sich mehrfach u.a. in der Lübecker Bucht für Munitionsteile gezeigt hat. Auch wenn dies in der Regel unbemerkt geschehen dürfte, ist eine Gefahr für Strandbesucher nicht auszuschließen.
Sprengstoffe wie TNT und Hexanitrodiphenylamin sind nicht nur explosiv, sondern auch Leber toxisch, Krebs erregend und Erbgut schädigend. Eine Grenzwertdiskussion macht in diesem Fall keinen Sinn, da viele der Substanzen als Partikel vorliegen. Gemittelt auf die Wassermenge in der Umgebung werden Grenzwerte zwar möglicherweise eingehalten, der einzelne Partikel, der z. B. von Kindern am Strand angefasst wird, kann aber zu einer Resorption einer schädigenden Dosis führen, da die giftigen Substanzen gut über die Haut aufgenommen werden. Die Akkumulation von Sprengsubstanzen im Körper ist von Arbeitern in Munitionsbetrieben bekannt. Für TNT gibt es keinen maximalen Grenzwert am Arbeitsplatz (MAK-Wert), weil TNT als Krebs auslösend eingestuft wird. Es ist laut Verordnung der EG Nr. 1272/2008 auch mit kumulativer Wirkung als giftig für Wasserorganismen eingestuft. Die Freisetzung in die Umwelt ist zu vermeiden.
Nach Auffassung von NABU, GSM und GRD handelt es sich bei jedem einzelnen Sprengkörper im Meer daher um eine potentielle punktförmige Verschmutzungsquelle. Auch Vertreter der Meeresschutzabkommen HELCOM und OSPAR haben sich mittlerweile - nicht zuletzt durch die Aktivitäten von NBU, GRD und GSM- entsprechend positioniert, wie die MIREMAR- Konferenz und das Treffen der Munitionsexperten (HELCOM-MUNI) in Neumünster im Vorfeld der Tagung deutlich gemacht haben. Untersuchungen des Instituts für Toxikologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel haben sprengstofftypische Verbindungen zudem in Miesmuscheln nachgewiesen. Um ein vollständiges Bild des Bio-Akkumulationspotentials zu erhalten, sind aus Sicht der drei Umweltverbände zukünftig weitere Untersuchungen nötig, etwa an standorttreuen (langlebigen) Fischen wie Aalmuttern, Seeskorpionen oder Plattfischen z. B. im Munitionsversenkungsgebiet Heidkate.
Kieler Munitionsräumer gehen voran
NABU, GRD und GSM begrüßten die Initiative des Kieler Innenministeriums, bei bislang notwendigen Sprengungen in dem mit Altmunition belasteten Urlaubsgebiet an der Ostseeküste vor Heidkate in der Kieler Bucht verpflichtend Blasenschleier einzusetzen. Mittels dieser technisch erzeugten Luftblasen unter Wasser wird der Explosionsdruck deutlich abgeschwächt. Der Blasenschleier hat – wie die Wehrtechnische Dienststelle WTD 71 der Bundeswehr hier berichtete - in den Versuchen vor der Küste der Probstei dabei seine Effektivität bewiesen. Der Gefahrenradius, in dem bei Meeressäugetieren mit schweren Verletzungen zu rechnen ist, sinkt durch die Abmilderung der Schockwelle von etwa 4 km auf 400 m. Dennoch bleibt ein Restrisiko für Säuger, Fische und Seevögel, insbesondere für Hörschäden, die auch in größeren Entfernungen noch auftreten können. Auch die toxischen Konsequenzen der Sprengungen sind nicht gelöst bzw. weitgehend unbekannt. Es verbleiben z. T. über 25 % der Sprengstoffe nach Sprengungen Wasser gesättigter Altmunition im Meer.
Daher sprechen sich die Verbände für den Einsatz und die Weiterentwicklung von die Umwelt schonenderen Techniken aus, wie sie mit der Roboterbergung und anschließender Bestrahlung mit UV-Licht oder Wasserstrahlschneidtechnik in Verbindung mit mobilen Detonationskammern bereits existieren und eingesetzt werden. Sprengungen in Verbindung mit dem Blasenschleier sollten daher nur dort durchgeführt werden, wo derzeit verfügbare alternative Technologien zur Bergung von Altmunition aus Gründen der Sicherheit nicht eingesetzt werden können, und dies nur solange, bis alternative Techniken verfügbar sind. Welche Technik eingesetzt wird, entscheidet der Einzelfall. Oftmals wird es auch eine Kombination der Techniken sein. Ein Verbleiben in den Meeren ist für den Großteil der Munition keine Option.
Bundesregierung in der Pflicht
Ein schwedischer Minenexperte brachte es mit seinem Vortragstitel auf den Punkt: „Je mehr wir wissen, um so schlimmer wird es“. Die Verbände fordern, Munitionsaltlasten in den deutschen Gewässern der Nord- und Ostsee systematisch über Informationen aus Archiven, von Fischern, Militärs usw. zu erfassen. Auf dieser Basis gilt es eine Risikoanalyse zu erarbeiten, die Auskunft darüber gibt, welche Munition zuerst geborgen werden muss. Kriterien dabei sollten der Zustand der Munition (Korrosion), die Lage sowie die Gefährdung von Mensch und Umwelt sein, insbesondere für Fischer, Schifffahrt und Strandbesucher.
Nach Meinung von NABU, GRD und GSM muss sich auch die Bundesregierung mit allen relevanten Ministerien und ihre Fachbehörden aus den Bereichen Umwelt, Verkehr, Wirtschaft und Verteidigung stärker ihrer Verantwortung stellen und entsprechende finanzielle Mittel bereitstellen, um alternative Techniken weiter zu entwickeln und in Nord- und Ostsee zur Anwendung zu bringen. Noch sind die Küstenländer mit der Problematik weitgehend allein gelassen. NABU, GRD und GSM appellierten deshalb an Bundesverkehrsminister Ramsauer, sich bei der Behandlung von Altmunition im Meer nachhaltig für die Einführung einer risikoärmeren Entsorgung einzusetzen.
Stärkere Zusammenarbeit notwendig
Die Grundvoraussetzung für einen umweltgerechten Umgang mit Munitionsaltlasten ist eine globale Vernetzung und der internationale und regionale Informationsaustausch. Nur so können innovative und weiterentwickelte Bergetechniken und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse schnell verfügbar gemacht und zur Anwendung gebracht werden. Die Konferenz hat sicher dazu beigetragen, ein Netzwerk von Institutionen und Personen aufzubauen, die an der Problematik der Altmunition interessiert sind oder bereits daran arbeiten, um sich gemeinsam dieser zunehmenden Bedrohung zu stellen.
Kontakt
Sven Koschinski
Meeresbiologe
24326 Nehmten
Tel. 04526-380808
sk@meereszoologie.de
Ingo Ludwichowski
NABU-Landesgeschäftsführer
Färberstr. 51
24534 Neumünster
Tel. 04321-53734
Ingo.Ludwichowski@NABU-SH.de
Dr. Kim Cornelius Detloff
NABU-Meeresschutzexperte
Charitestr. 3
10117 Berlin
Kim.Detloff@NABU.de
Presseinformation: Munition im Meer ist tickende Zeitbombe
Risiko für Mensch und Natur
17. November 2010 -
Der NABU, die Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere GSM und die Gesellschaft zur Rettung der Delphine GRD haben eine umfassende Bergung und umweltschonende Beseitigung von Altmunition in Nord- und Ostsee gefordert. Von den versenkten Altlasten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gehe eine große Gefahr für Mensch und Meeresumwelt durch freigesetzte Giftstoffe aus. Die konventionellen Sprengmethoden schützten das sensible marine Ökosystem nicht ausreichend. Das teilten die Verbände im Rahmen einer dreitägigen Experten-Konferenz zur umweltschonenderen Beseitigung von Altmunition im Meer in Neumünster mit.
„Die Munition im Meer ist eine tickende Zeitbombe, die erhebliche Auswirkungen auf die Meeresumwelt, Fischerei, den Tourismus und die Schiffssicherheit hat. Bund und Küstenländer müssen mehr Anstrengungen unternehmen, die betroffenen Meeresgebiete zu kartieren und darauf basierend eine Risiko-Analyse erstellen“, forderte Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des NABU Schleswig-Holstein.
Zwischen 400.0000 und 1,3 Millionen Tonnen konventioneller Munition sind in deutschen Küstengewässern während und nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg versenkt worden. Sowohl die konventionellen Sprengstoffe sowie auch chemische Kampfmittel sind ein erhebliches Risiko für Mensch und Natur.
NABU, GRD und GSM begrüßten die Initiative des Kieler Innenministeriums, bei Sprengungen in dem mit Altmunition belasteten Urlaubsgebiet an der Ostseeküste vor Heidkate in der Kieler Bucht nur noch Blasenschleier einzusetzen. Mittels dieser technisch erzeugten Luftblasen unter Wasser wird der Explosionslärm deutlich eingedämmt.
„Bei aktuell notwendigen Sprengungen müssen Blasenschleier verpflichtend zum Einsatz kommen, allerdings nur in Verbindung mit vorangehender Vergrämung durch akustische Signale. Denn Sprengungen können noch in 4 Kilometer Entfernung massive oder gar tödliche Verletzungen bei Schweinswalen, Seevögeln und Fischen verursachen“, so Sven Koschinski, Meeresbiologe und Experte für Unterwasserschall.
Unabhängig vom Einsatz schalldämmender Blasenschleier sehen die Verbände Munitionssprengungen nach wie vor kritisch. „Blasenschleier sollten nur als Übergangslösung und damit echte Brückentechnologie dienen, bis die anderen bereits bestehenden alternativen Beseitigungstechniken universell einsetzbar sind. Bei Sprengungen verbleiben erhebliche Mengen des TNT und seiner Abbauprodukte im Wasser und können in der Nähe von Badestellen an den Strand gespült werden. Die Stoffe werden in der Nahrungskette angereichert, die Auswirkungen auf Meeresorganismen sind bislang kaum erforscht“, so NABU-Meeresschutzexperte Kim Detloff.
Daher sprechen sich die Verbände für den Einsatz und die Weiterentwicklung von umweltschonenderen Techniken aus, wie sie mit der Roboterbergung und anschließender Bestrahlung mit UV-Licht oder Wasserstrahlschneidtechnik in Verbindung mit mobilen Detonationskammern bereits existieren und eingesetzt werden. NABU, GRD und GSM appellierten an Bundesverkehrsminister Ramsauer, bei der Altmunitionsentsorgung seiner Verantwortung gerecht zu werden und sich für die Einführung einer risikoärmeren Entsorgung einzusetzen.
Noch bis zum 18. November treffen sich in der Stadthalle Neumünster rund 150 Vertreter aus den Ost- und Nordsee-Anrainerstaaten, Kanada, den USA und Italien. Ziel der dreitägigen Konferenz ist es, mit der Hilfe internationaler Experten einen Überblick über die aktuelle Situation und neue Entwicklungen bei der umweltschonenderen Beseitigung von nicht explodierter Altmunition zu gewinnen und ein Netzwerk von Experten zu schaffen.
Kontakt
- Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer NABU Schleswig-Holstein, mobil 0160-96230512.
- Dr. Kim Detloff, NABU-Meeresschutzexperte, mobil 0152-09202205.
- Sven Koschinski, Meeresbiologe und Experte für Unterwasserschall und Meeressäugetiere, Tel. 04526-380808