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Granaten-Treibsätze am Ostseestrand von Klein Waabs und Schönhagen gefunden
Am 27. Oktober 2013 gab es zunächst an der Ostseeküste Schleswig-Holsteins einen weiteren Fund einer gefährlichen Hinterlassenschaft des Zweiten Weltkrieges, nun in Klein Waabs am nördlichen Ufer der Eckernförder Bucht (RD), 500 Meter vom Campingplatz Jordan in Richtung Langholz. Am 23. Dezember 2013 gab es einen erneuten Fund derselben Sorte am Strand von Schönhagen (RD). Am 14. Januar 2014 gab es am Strand von Hohenfelde (PLÖ) zudem einen gefährlichen Fund von weißem Phosphor, der zu schweren Verletzungen eines Steinesammlers führte.
Martin Elsler aus Neumünster fand am 27. Oktober 2013 bei stark ablandigem Wind mit niedrigem Wasserstand der Ostsee zwischen größeren Steinen einen 11 Zentimeter langen 'Stab'. Dieser erinnerte entfernt an den Donnerkeil eines Belemniten, eines fossilen Kopffüßlers. Doch Konsistenz und Form des Objektes passten nicht wirklich, wie mehrere hinzugezogene Experten für Strandfunde anhand der vom Finder übermittelten Fotos anmerkten. Der Finder beschloss schließlich nach mehreren vergeblichen Identifikationsversuchen, dem Ratschlag eines Bekannten zu folgen. Mit unerwartetem Ausgang, wie er selbst anschaulich berichtet:
"Ich habe anscheinend einen Bombenfund gemacht. Der Hinweis mit der Feuerzeugflamme war goldrichtig, wenn auch auf eine Art, die keiner von uns in Betracht gezogen hat. Ich habe gestern Abend ein Feuerzeug an das gebrochene Ende des „Fossils“ gehalten und im Bruchteil einer Sekunde gab es eine 30 cm lange Stichflamme, die auch durch Wedeln nicht aus zu bekommen war. Geistesgegenwärtig sprintete ich 4 Meter zum Ofen, wo eine Zinkwanne für Feuerholz steht (die Gott sei Dank fast leer war) und warf das feurige Teil hinein. Leider saß ich ja in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa, als ich zündelte. Nach insgesamt 5 Sekunden war das Spektakel vorbei: die Flammen aus und das „Fossil“ hatte sich in nichts aufgelöst. Es war einfach weggebrannt. Bis auf einen höllischen Gestank und das Fehlen meiner Körperbehaarung am Unterarm ist nichts weiter passiert."
Der brisante Fund bestand - wie sich nun zeigte - aus Nitrozellulose, einem Treibladungspulver ähnlich wie Schießpulver, das nur länger brennt. Es wurde früher in Stangenform in Granaten verwendet, damit die Geschosse eine höhere Geschwindigkeit erreichten. Die aktuelle Fundstelle liegt in der Nähe der ehemaligen Flugabwehr-Batterie Booknis Eck, (Marine Flak Abt. 211) und des Wracks einer Marinefährprahm, eines Landungsbootes der deutschen Kriegsmarine während des Zweiten Weltkrieges. An dieser Stelle haben nach Daten des Kampfmittelräumdienstes bei Kriegsende 2.038 Patronengranaten Kaliber 10,5 cm gelegen, über deren Verbleib bislang nichts bekannt ist. Der Marinefährprahm als Träger einer Flak war mit einer 8,8 cm Kanone und max. 200 Granaten bestückt gewesen. Solche Granaten wurden vom Kampfmittelräumdienst des Landes bereits mehrfach in dieser Gegend gefunden und beseitigt. Da das unbekannte Fundobjekt am Wasser gefunden wurde, handelt es sich wahrscheinlich um den brisanten Rest einer 8,8 cm-Granate.
Auch wenn der Vorfall noch einmal glimpflich verlaufen ist und nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Thematik der Munitionsbeseitigung von Großkampfmitteln wie Minen, Bomben und Torpedos steht, macht er deutlich, wie wichtig auch heute noch eine Aufklärung von Ostsee-Besuchern über unbekannte Fundobjekte am Strand ist, von denen nicht nur eine Gefahr für Menschen, sondern auch für die Umwelt ausgehen kann.
Erneuter Fund in Schönhagen
Am 23. Dezember 2013 erfolgte ein weiterer Fund am Strand von Schönhagen nördlich von Damp (RD). Zwischen Donnerkeilen befand sich ein etwa 8 cm langes, viel dünneres Gebilde, welches die Finder in Kenntnis der NABU-Webseite sofort an den Fund vom 27. Oktober 2013 erinnerte. Ein "Anzündtest" bestätigte die Vermutung, wie Mario Finkel dem NABU berichtete. Der NABU rät allerdings dringend davon ab, verdächtige Objekte am Strand auf ihre Brennbarkeit zu testen!
Granaten-Treibsatz am 23. Dezember 2013 in Schönhagen (RD)
Dramatisch verlief ein Fund von weißem Phosphor. Ein Mann wurde am 14. Januar 2014 schwer verletzt, als er sich am Strand von Hohenfelde (PLÖ) das "Bernstein" in die Tasche steckte.
ILu akt. 19. Februar 2015
Weitere Sprengstoff-Funde an der Kieler Förde
NABU fordert Gefahrenabwehrbehörde erneut zum Handeln auf
Gehören Sprengstoffe bald zum Alltag von Strandbesuchern? Nach den Funden hochgiftiger Inhaltsstoffe von Weltkriegs-Munition im August 2012 und im Mai 2013 an den Stränden von Heidkate und Kalifornien wurden dem NABU jetzt auch alarmierende Nachweise aus der Region Schwedeneck / Eckernförder Bucht bekannt. Zwei neue Sprengstoff-Funde belegen, dass es sich nicht – wie vom zuständigen Landeskriminalamt dargestellt - um ‚seltene Einzelfälle‘ handelt, sondern die Gefahr akut existiert.
Ein Strandbesucher aus Neumünster hatte – wie erst jetzt bekannt wurde – bereits im April 2013 zwischen Dänisch-Nienhof und Surendorf ein ‚interessant aussehendes‘, ziegelsteinartiges Objekt aufgehoben und mitgenommen. Die gelben Verfärbungen an der Hand führten nach eigenen Recherchen des Finders auf die Internetseiten des NABU Schleswig-Holstein, die u.a. von der Kontamination eines kleinen Jungen in Heidkate berichten. Mittlerweile hat der aufmerksame Sammler im Oktober 2013 das gleiche Material auch am Strandabschnitt zwischen Stohl und Bülk gefunden. Nach Informationen des NABU ergab die vom Kampfmittelräumdienst in Auftrag gegebene kriminaltechnische Analyse des zweiten Fundes als Inhaltsstoffe TNT, Hexanitrodiphenylamin, Ammoniumnitrat und Aluminiumpulver, allesamt explosiver Bestandteil von Großmunition wie Minen, Torpedos oder Wasserbomben. Tückisch ist, dass diese Sprengstoffe auch hochgiftig und krebserregend sind. Ein Hautkontakt ist unbedingt zu vermeiden.
Der NABU sieht sich durch die erneuten Funde in seiner Forderung bestätigt, zunächst mindestens die küstennah versenkte Altmunition zu bergen, um eine Gefahr für Mensch und Umwelt abzuwenden. Sonst könnten sich die zunehmenden Funde zukünftig auch zu einer erheblichen Gefahr für die Tourismuswirtschaft an der Ostsee entwickeln.
Aus diesem Grunde ist für den NABU ein strategisches Umdenken beim Umgang mit Munitionsaltlasten im Meer dringend erforderlich: Die nach den beiden Weltkriegen in Nord- und Ostsee versenkten Munitionskörper beginnen sich durch Korrosion im salzigen Meerwasser aufzulösen. Die Folge: Die lecken, eisernen Munitionsbehälter geben ihre hoch giftigen Inhaltstoffe frei. Suche und Ortung der gefährlichen Hinterlassenschaften aus Kriegszeiten sind dann jedoch mit den heute verfügbaren Ortungsmethoden nicht mehr möglich, weil das Aufspüren auf der Detektion magnetischer Anomalien der eisernen Munitionskörper basiert. Sprengstoffklumpen ohne Hülle sind demgegenüber nicht mehr auffindbar – bei einer in Nord- und Ostsee versenkten Menge von rund 1.6 Millionen Tonnen eine sich zuspitzende Bedrohung. Die Lösung des drängenden Problems zu verschieben war zwar in der Vergangenheit für Behörden und Politik zunächst die einfachste Variante, für zukünftige Generationen erweist sie sich jetzt aber als die schlechteste. Noch besteht die Möglichkeit, die sich anbahnende Umweltkatastrophe abzuwenden. Aus diesem Grunde bekräftigt der NABU einmal mehr seine Forderung, schnellst möglichst den Einstieg in die Sanierung belasteter Flächen zu beginnen.
Hintergrundinformationen
Seit 2012 wurden bei der gezielten Munitionssuche von Bundesmarine und Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord (WSD) im bekannten Munitionsversenkungsgebiet ‚Kolberger Heide‘ rund 4.000 Großsprengkörper gefunden. Das Versenkungsgebiet liegt vor dem beliebten Badeort ‚Heidkate‘ an der Kieler Außenförde. Ob der nun am Strand gefundene Sprengstoff aus diesen überwiegend dünnwandigen und schnell durchrostenden Munitionskörpern stammt oder gar aus anderen, bisher unbekannten Versenkungsstellen, ist unbekannt. Der Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Munition im Meer“ weist für das Gebiet ‚Kolberger Heide‘ vor Heidkate die Nachkriegs-Versenkung von bis zu 8.000 Torpedoköpfen, Wasserbomben und bis zu 10.000 Seeminen aus (Bericht-Bezugsquelle: www.Munition-im-Meer.de). Nur ein Teil wurde geborgen oder durch die Bundesmarine und den Kampfmittelräumdienst anlässlich der Segelolympiade 1972 gesprengt, ein weiterer Teil nun wiedergefunden. Die genaue Position jedes einzelnen Sprengkörpers mit je ca. 100 bis 500 kg hochgiftiger Schießwolle ist heute bekannt.
Nach Ansicht des NABU bieten diese Bedingungen die Chance, heute zur Verfügung stehende, moderne Bergungstechnologien vor Ort zu testen und weiterzuentwickeln. Schleswig-holsteinische Firmen haben dazu bereits erhebliche Vorarbeiten in der Entwicklung und Umsetzung geleistet. Konzepte für Bergungstechnologien werden auf www.Miremar.de dargestellt, basierend auf den Expertenvorträgen eines 2011 vom NABU veranstalteten internationalen Symposiums.
21. November 2013
Erneuter Sprengstoff-Fund
Neuer Nachweis in "Kalifornien"
Am 9. Mai 2013 hat es erneut einen Sprengstoff-Fund an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste gegeben. Eine Familie aus Niedersachsen fand am Schönberger Strand im Abschnitt "Kalifornien" im Sand am Fuße einer Mole einen ziegelstein-großen Klumpen Schießwolle. Weitere Fundstücke geringerer Größe sollen sich dort befunden haben. Der Sprengstoff stammt aus alten Munitionsbeständen, die nach dem zweiten Weltkrieg vor Heidkate im Meer versenkt und deren Inhaltsstoffe nun an den Strand gespült wurden. Erst durch den Bericht des NABU auf seinem Internetportal unter www.NABU-SH.de über einen ähnlichen Vorfall am 28. Juli 2012 am selben Strandabschnitt, bei dem ein Junge aus Baden-Württemberg einen ähnlich großen Klumpen Schießwolle gefunden hatte, ist die eigene Recherche der Familie über den merkwürdigen „Stein“ in die richtige Bahn gelenkt worden. Polizei und Kampfmittelräumdienst haben den explosiven Fund bestätigt und sichergestellt.
Der NABU hat immer wieder darauf hingewiesen, dass bei sogenannten ‚Vernichtungssprengungen‘, die in den vergangenen Jahren vor Heidkate erfolgt sind, die Munition nicht vollständig zersetzt, sondern weit verteilt wird, auf diese Weise an die Küste gelangt und damit eine Gefährdung für Strandbesucher besteht. Auf mehreren Symposien hat der NABU stattdessen wenn irgend möglich die gefahrlose Hebung der Munition gefordert. Schon bei der Vorbereitung der Segelolympiade 1972 in Kiel wurden Großsprengkörper gefunden und zerstört. In der Folge kam es zu Anspülungen von im Wasser treibenden Sprengstoff und in der Folge zu Reinigungsaktionen des Strandes. Angesichts von rd. 1,6 Millionen Tonnen konventioneller, oftmals korrodierender Munition, die allein in deutschen Küstengewässern vermutet werden, wird ein Kontakt mit den hochgiftigen Sprengstoffen in Zukunft immer wahrscheinlicher, da diese vermutlich ebenfalls den Sprengstoff frei setzen, der dann angespült werden kann.
Zwei Substanzen im Sprengstoff, Hexanitrodiphenylamin und Trinitrotoluol TNT, sind schon bei Berührung mit bloßer Haut extrem giftig. Im akuten Fall war der Stein nach dem Berühren erst durch die typische gelbe Hautabfärbung des auch „Kaisergelb“ genannten Hexanitrodiphenylamin aufgefallen. Leberschäden und Veränderung von Blutkörperchen sind als Folge des Hautkontaktes möglich. Die Explosivstoffe gelten darüber hinaus als krebserregend, reproduktionstoxisch und erbgutschädigend.
Der NABU warnt davor, unbekannte Gegenstände oder Substanzen am Strand zu berühren. Innenministerium in Kiel wie auch die Bundes- und betroffenen Landesministerien sind erneut aufgefordert, eine realistische Einschätzung der Gefährdungssituation vorzunehmen. Betroffene Strandabschnitte einschließlich der vorgelagerten Flachwasserbereiche sind regelmäßig und gründlich auf Munitionsreste zu untersuchen. Munitionssprengungen zur Vernichtung sind zukünftig auf akute Gefährdungslagen zu beschränken. Neue, umweltschonendere Methoden der Munitionsbeseitigung müssen zur Regel werden. Eine offene Aufklärung und sachgerechte Information der Öffentlichkeit über ein bestehendes Risiko ist dringend notwendig. Ob die Gefährlichkeit von Fundstücken am Strand richtig beurteilt wird, darf zukünftig nicht mehr allein dem Zufall überlassen bleiben.
ILu 15. Mai 2013
Aufklären statt verharmlosen
NABU kritisiert Stellungnahme des LKA zum Sprengstoff-Fund am Schönberger Strand
7. August 2012: Zur Pressemitteilung des Landeskriminalamtes LKA zum Munitionsfund am Schönberger Strand vom 6. August 2012 erklärt der NABU: Die Einschätzung des LKA, dass „keine akute Gefahr“ bestand, ist aus Sicht der Verbände fahrlässig. Nach Einschätzung von Kampfmittelexperten neigt Schießwolle - wie auch vom weißen Phospor bekannt - nach der Trocknung etwa bei Verwahrung in einem aufgeheizten Auto zur Selbstentzündung und kann im Extremfall auch explodieren. Der Kampfmittelräumdienst des Landes Schleswig-Holstein lagert daher aus gutem Grund entsprechende Fundstücke grundsätzlich feucht und vermeidet es, größere Mengen zusammen zu transportieren.
Wird von Außen zudem etwa mit einem Gasbrenner Energie zugeführt, können durch eine dann mögliche Detonation auch größere Personen- und Sachschäden auftreten. Der Vater des sechsjährigen Jungen, der am 28. Juli 2012 den Fund machte und dann seinem Geschwister zeigte, bestätigte gegenüber dem NABU, dass man in den drei Tagen, in denen sich niemand fand, der Auskunft zur Substanz geben konnte, zur Klärung der Stoffart auch die Brennbarkeit des "Steins" prüfen wollte. Wie Aufnahmen des Kampfmittelräumdienstes (s.u.) zeigen, ist dem Fund seine Gefährlichkeit nicht anzusehen. Die Struktur ist kristallin, die Oberfläche außen dunkelgrau, innen gelblich gefärbt. Markant ist nur das Färbeverhalten.
Ob – wie vom LKA behauptet - der Sprengstoff von einem Taucher an den Strand gebracht wurde, bleibt reine Spekulation. Immerhin geht damit das LKA davon aus, dass die Schießwolle öffentlich zugänglich ist und auch Taucher nicht über ausreichend Informationen über die Gefährdungslage verfügen. Konkret findet sich zudem im BUND-Länder-Messprogramm für die Meeresumwelt von Nord- und Ostsee - „Munitionsbelastung der deutschen Meeresgewässer – Bestandsaufnahme und Empfehlungen" (Anlage 10.2, Stand 2011, S. 69) ein spezieller Hinweis zu früheren Funden am Schönberger Strand: „Zur Vorbereitung der Segelolympiade 1972 in Kiel - Schilksee suchten Kampfmittelräumdienst und Bundesmarine die Regattastrecken systematisch ab. Damals wurde eine erhebliche Anzahl von Großsprengkörpern gefunden und zerstört. Dabei kamen Vernichtungssprengungen und so genannte Ansprengungen als sprengtechnisches Zerstörungsverfahren zum Einsatz. In der Folge wurde auch eine Anspülung relevanter Mengen im Wasser treibenden Sprengstoffs (TNT) verzeichnet. Am Strand von Schönberger Strand wurde eine größere Reinigungsaktion der Behörden notwendig" (Quelle: www.munition-im-meer.de; Download Dokument s. u.). Sprengstoff kann dabei auch in folgenden Jahren in flaches Wasser oder an den Strand gelangen, wenn die Stoffe etwa im Winter durch Sturm oder Eisgang verdriftet werden. Im o. g. Bericht findet sich zudem die Einschätzung: "Eine bisher unbemerkte Verlagerung unter Wasser darf für den Nahbereich des ursprünglichen Versenkungsgebietes angenommen werden."
Der NABU fordert das Innenministerium in Kiel wie auch die Bundes- und betroffenen Landesministerien erneut auf, eine realistische Einschätzung der Gefährdungssituation vorzunehmen. Wieder nur Nebelkerzen zu werfen schafft kein Vertrauen und gefährdet die Sicherheit von Touristen und Einheimischen. Munitionssprengungen zur Vernichtung müssen zukünftig auf akute Gefährdungslagen beschränkt werden. Neue umweltschonendere Methoden der Munitionsbeseitigung müssen zur Regel werden. Eine offene Aufklärung und sachgerechte Information über ein vielleicht seltenes, aber bestehendes Risiko durch die Verantwortlichen ist dringend notwendig.
ILu, akt. 8. August 2012
Weitere Informationen ...
- Pressemitteilung des LKA vom 8. Juni 2012
- Dokument Anlage 10.2 aus "Munition im Meer" (pdf)
- Munition im Meer
Junge an der Ostsee mit Sprengstoff kontaminiert?
Appell an Badegäste: Unbekannte Strandobjekte meiden!
Schönberg, 6. August 2012: Naturschutzverbände warnen davor, unbekannte Gegenstände oder Substanzen am Strand zu berühren. Anlass ist der Sprengstoff-Fund am 28. Juli 2012 durch einen Jungen am Ausgang der Kieler Förde und die Entdeckung eines Torpedosprengkopfes durch einen Urlaubsgast auf Wangerooge vor zwei Wochen. Munitionsaltlasten stellen nicht nur in deutschen Küsten- und Binnengewässern eine latente Gefahr dar. Durchgerostete Munitionsteile geben mittlerweile ihre hochgiftigen Inhalte frei. Sprengungen zur Munitionsbeseitigung führen offensichtlich zur weiträumigen Verteilung von Munitionsteilen, statt zu ihrer vollständigen Vernichtung. Nach Ansicht von NABU, Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere (GSM) und Gesellschaft zur Rettung der Delphine (GRD) muss in Zukunft auf Sprengungen verzichtet werden. Alternative Bergungsverfahren sind anzuwenden, die heute bereits technisch entwickelt sind.
Beim Strandbesuch während seines Urlaubs in ‚Kalifornien’ bei Schönberg fand ein sechsjähriger Junge aus Baden-Württemberg am 28. Juli 2012 einen unbekannten „Stein“ von der Größe eines Ziegels, den er mit in den Garten der Ferienwohnung nahm. Der Vater des Jungen berichtete dem NABU, dass sich anschließend Hände, T-Shirt, Jacke und Hose orange verfärbten und sich die Farbe nicht entfernen ließ. Es folgte langes Rätselraten und Befragen von Rettungsschwimmern, Kurverwaltung und Polizei. Erst das Ordnungsamt kam der Substanz schließlich auf die Spur und verständigte den Kampfmittelräumdienst. Dieser bestätigte der Familie am 31. Juli 2012, dass es sich um Schießwolle handelt, ein Gemisch u. a. aus TNT und Hexanitrodiphenylamin. Die beiden Substanzen sind schon bei Berührung mit bloßer Haut extrem giftig. Leberschäden und Veränderung von Blutkörperchen sind möglich. Die Explosivstoffe gelten darüber hinaus als krebserregend, reproduktionstoxisch und erbgutschädigend. Eine erste Blutuntersuchung des Jungen an der Uniklinik in Kiel lässt jedoch hoffen, dass der Kontakt für ihn glimpflich verlaufen ist.
Naturschutzverbände warnen
Wiederholt hatten NABU, GSM und GRD davor gewarnt, dass aufgrund der küstennahen Lage einiger Versenkungsgebiete hochbrisante und extrem giftige Munitionsteile an die Stränden gespült werden. Eine Detonation des gefährlichen Fundstücks in der Schönberger Ferienhaussiedlung hätte sicher drastische Auswirkungen gehabt.
Auf zwei Symposien der Verbände im Jahr 2007 und 2010 wurden Methoden zur umweltfreundlicheren Beseitigung vorgestellt. „Der aktuelle Fall sollte Anlass genug geben, das Abwiegeln zu beenden und endlich zu handeln“, fordert Ingo Ludwichowski vom NABU Schleswig-Holstein. Laut Bund-Länder Arbeitsgruppe „Munition im Meer“ soll „... eine Gefährdung strandnaher Küstenbereiche … aufgrund der Strömungsverhältnisse in Nord- und Ostsee unwahrscheinlich“ sein. „Der Vorfall macht amtlicherseits aber eine komplette Neueinschätzung notwendig“, ergänzt Ludwichowski.
Keine Warnung durch die Behörden
Der Fund belegt eine akute Gefährdungslage. Ungeklärt ist, warum das Innenministerium in Kiel nicht die Bevölkerung über den Vorfall informierte. In diesem Zusammenhang noch offene Fragen: Gibt es eine Gefährdungsbeurteilung und zu welchem Schluss kommt diese? Wurden Strandsperrungen erwogen? Werden zudem Erkenntnisse aus der gezielten Munitionssuche im März vor Heidkate unterdrückt? Praktiziert das Land deshalb jetzt eine Abkehr von der transparenten Informationspolitik zu Munitionsaltlasten im Meer?
Angesichts von rd. 1,6 Millionen Tonnen konventioneller, oftmals korrodierender Munition, die allein in deutschen Küstengewässern vermutet werden, wird ein Kontakt mit den hochgiftigen Sprengstoffen in Zukunft immer wahrscheinlicher. Zuletzt wurden im März 2012 sechs Minen vor Heidkate / Ostsee gesprengt, im April eine Mine vor Ahrenshoop / Ostsee und im Juli zwei Minen bei Borkum / Nordsee. Dort sind zudem aktuell drei weitere Sprengungen geplant. Bei Sprengungen wird der Sprengstoff jedoch nicht vollständig zerstört. Giftige Substanzen und Sprengstoffpartikel werden im Meer weit verteilt.
Verstärkte Aufmerksamkeit, aber kein Urlaubsverzicht
Nach Auffassung der Verbände besteht jedoch kein Anlass dazu, generell auf einen Urlaub an der Küste zu verzichten. Mit Altmunition ist auch an Land zu rechnen. Urlauber sollten jedoch ausdrücklich durch die Behörden auf die besonderen Risiken hingewiesen werden. Dazu sind auch die Mitarbeiter im Tourismus entsprechend zu sensibilisieren und zu schulen, bekannte Belastungsbereiche sind zu erkunden und zu bewerten. In den gefährdeten Gebieten sind entsprechende Bergungsarbeiten vorzunehmen. NABU, GRD und GSM fordern speziell die Entwicklung und Anschaffung von Bergungsrobotern zur Hebung alter Munition, da sich deren Zustand weiter verschlechtert. Diese wären auf Jahrzehnte hinaus beschäftigt, wie auch jüngste Munitionsfunde bei Vorbereitungsmaßnahmen zur Kabelverlegung für Offshore-Windparks gezeigt haben.