Seemine - Foto: Ingo Ludwichowski
Gefährliche Funde am Strand
Muntion: das unheimliche Erbe der Weltkriege
Ferien am Meer – für viele ist das der Inbegriff von Urlaub. Und in der Tat haben auch die deutsche Nord- und Ostseeküste für Erholung suchende eine Menge zu bieten: Wattenmeer-Nationalparks, in denen „Natur Natur sein darf“, größere Schutzgebiete an der Ostsee sowie traditionelle Badeorte oder Tourismuszentren mit beliebten Badestränden locken Gäste aus ganz Deutschland an. Zu einer verbreiteten Freizeitbeschäftigung im Urlaub gehört es dabei, Spülsaum und Strand auf spannende Funde abzusuchen. Doch manch unheilvolle Überraschung lauert für Steine-Sammler zwischen Fossilien und eiszeitlichem Geschiebe als gefährliches Erbe der Weltkriege: In den deutschen Gewässern der Nordsee liegen schätzungsweise 1,6 Mio. t, in der deutschen Ostsee ca. 300.000 t konventionelle Munition. Darunter versteht man Munitionsteile von Gewehrpatronen bis Minen, Raketen und Torpedos. Sie wurden u.a. in Kampfhandlungen der Weltkriege ausgebracht, auf dem Rückzug von deutschen Truppen oder nach Kriegsende im Auftrag der Alliierten versenkt. Zusätzlich gelangten ca. 170.000 t chemischer Kampfstoffmunition („Giftgas“) in die Nordsee und bis zu 65.000 t in die Ostsee. Alle diese Hinterlassenschaften werden heute zur Gefahr nicht nur für die labilen Ökosysteme, sondern latent auch für deren menschliche Besucher. Doch dies ist kein allein deutsches Problem: Weltweit besteht an vielen Stränden die Möglichkeit, auf Munition zu stoßen. Wie ein Symposium des NABU im Jahr 2010 gezeigt hat, ist nicht nur in deutschen Gewässern, sondern europa- und weltweit Munition im Meer in unvorstellbaren Mengen versenkt oder bei kriegerischen Handlungen ausgebracht worden. Ob Dänemark, Belgien oder Italien, Kanada, Puerto Rico oder Hawaii, auch andere renoumierte Tourismusgebiete sind betroffen.
„…Ich habe gestern Abend ein Feuerzeug an das gebrochene Ende des „Fossils“ gehalten und im Bruchteil einer Sekunde gab es eine 30 cm lange Stichflamme, die auch durch Wedeln nicht aus zu bekommen war. Geistesgegenwärtig sprintete ich 4 Meter zum Ofen, wo eine Zinkwanne für Feuerholz steht (die Gott sei Dank fast leer war) und warf das feurige Teil hinein. … Nach insgesamt 5 Sekunden war das Spektakel vorbei: die Flammen aus und das „Fossil“ … war einfach weggebrannt. Bis auf einen höllischen Gestank und das Fehlen meiner Körperbehaarung am Unterarm ist nichts weiter passiert.“
Finder einer Nitroglyzerin-Zellulose-Stange (Treibladung eines Geschützes) in Klein Waabs
November 2013
Munitionsteile sind nicht leicht als solche zu identifizieren. Jahrzehntelanger Kontakt mit Salzwasser hat Spuren hinterlassen. Viele Granaten, Wasserbomben oder Minen bröckeln auseinander und Sprengstoffe wie die in großen Mengen verwendete "Schießwolle" werden an den Strand gespült. Die unheimliche Gefahr ist bis heute präsent: So fand ein sechsjähriger Junge aus Baden-Württemberg beim Strandbesuch in ‚Kalifornien’ bei Schönberg am 28. Juli 2012 einen unbekannten „Stein“ von der Größe eines Ziegels, den er mit in die Ferienwohnung nahm. Der Vater des Jungen berichtete dem NABU, dass sich Hände, T-Shirt, Jacke und Hose orange verfärbten und die Farbe nicht entfernen ließ. Nach dem Fund folgte zunächst ein tagelanges Rätselraten bei Rettungsschwimmern, Kurverwaltung und Polizei. Erst das Ordnungsamt kam der Substanz schließlich auf die Spur und verständigte den Kampfmittelräumdienst. Dieser bestätigte der Familie, dass es sich um Schießwolle handelte.
Bitte Funde melden!
Notwendig zum eigenen Schutz
Vorsicht!
Verdächtige Objekte sollten keinesfalls selbst geborgen, sondern unverzüglich der Polizei (über 110) gemeldet werden. Wer bereits einen Fund in Besitz genommen hat, sollte ebenfalls die Behörden informieren.
Sprengstoffe wie Schießwolle, ein Gemisch aus Hexanitrodiphenylamin, TNT und weiteren Zusätzen, sind nicht leicht im Spülsaum als solche zu identifizieren. Ihre Zusammensetzung wurde in den Kriegsjahren mehrfach verändert, so dass ihr Anblick völlig unterschiedlich sein kann. Auch haben sich Aussehen und Konsistenz im Laufe der Zeit durch chemische und physikalische Vorgänge gewandelt. Sie vermitteln eher das Erscheinungsbild eines interessanten, teilweise wegen beigemengten Aluminiums glitzernden „Steines“, so dass sie wohl häufiger von Touristen mitgenommen werden und als unbestimmtes Souvenir in manchem Wohnzimmer liegen. Eine erste, skeptische Aufmerksamkeit erregt oftmals die bei Kontakt gelbe Verfärbung der Haut. Akut kann das Berühren zu Blasenbildung oder gar großflächigen Ablösung ganzer Hautpartien sowie Leberschäden führen. Dramatisch werden kann es, wenn mit den unbekannten Fundstücken herumexperimentiert wird (s. Zitat).
Besonders gefährlich ist weißer Phosphor, der Bernstein zum Verwechseln ähnlich sieht. Da sich weißer Phosphor bei Austrocknung selbst entzündet, kommt es regelmäßig zu schwersten Verbrennungen bei Strandbesuchern, die sich Phosphorklumpen als vermeintliche Bernsteine in die Tasche gesteckt haben. Daneben ist er extrem giftig.
Phosphor und Bernstein
Besonders gefährlich ist weißer Phosphor, der Bernstein zum Verwechseln ähnlich sieht. Da sich weißer Phosphor bei Austrocknung selbst entzündet, kommt es regelmäßig zu schwersten Verbrennungen bei Strandbesuchern, die sich Phosphorklumpen als vermeintliche Bernsteine in die Tasche gesteckt haben. Daneben ist er extrem giftig. Die 1.300° C heiße Flamme lässt sich mit Wasser nicht löschen. Man kann lediglich versuchen, sie mit nassem Sand zu ersticken. Darüber hinaus ist weißer Phosphor extrem giftig. Unfälle mit aus Brandbomben stammenden weißem Phosphor werden regelmäßig von Usedom (v. a. Bereich Peenemünde, Karlshagen, Trassenheide) und Liepaja (Lettland) gemeldet. Er kann jedoch überall an der Nord- und Ostseeküste vorkommen. Auch die typischerweise in der Marine eingesetzten Markerfackeln, die manchmal am Strand angeschwemmt werden, können weißen Phosphor enthalten.
Munition im Meer ist eine tickende Zeitbombe, die auch erhebliche Auswirkungen auf die Meeresumwelt, die Fischerei, den Tourismus und die Schiffssicherheit hat. Schießwolle enthält kreberregende und erbgutverändernde Substanzen, die auch für Meeresorganismen giftig sind. In verschiedenen Untersuchungen wurde gezeigt, dass Meeresorganismen wie Würmer, Muscheln oder Fische sprengstofftypische Substanzen zum Teil in hohen Konzentrationen aufweisen können. Aus Sicht des NABU sind in Munitionsversenkungsgebieten weitere Untersuchungen an standorttreuen und langlebigen Fischen wie Aalmuttern, Seeskorpionen oder Plattfischen sowie filtrierenden Organismen wie Miesmuscheln nötig, die TNT-Partikel leicht in größeren Mengen aufnehmen können. Nach Auffassung des NABU handelt es sich bei jedem einzelnen Sprengkörper im Meer um eine punktförmige Verschmutzungsquelle. Auch Vertreter der Meeresschutzabkommen HELCOM und OSPAR haben sich - nicht zuletzt durch die Aktivitäten des NABU motiviert - entsprechend positioniert.
Dass Sprengstoffe am Strand weit verteilt vorkommen, hat mehrere Gründe: Zum einen korrodieren Sprengkörper nach langer Lagerung im Salzwasser und geben den gefährlichen Inhalt frei. Wellen spülen ihn an den Strand. Zum anderen wird bei der lange Zeit üblichen Beseitigung von Großkampfmitteln durch Sprengung nicht der ganze Sprengstoff umgesetzt, sondern z. T. großräumig in der Wassersäule verteilt. Bei der Vorbereitung der Segelolympiade 1972 in Kiel wurden viele Großkampfmittel in der Nähe der Wettkampfbahnen gefunden und zerstört. In der Folge kam es zu Anspülungen von im Wasser treibenden Sprengstoff und größeren Reinigungsaktionen der Strände.
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Schießwolle - Foto: NABU Archiv
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Schießwolle - Foto: Kampfmittelräumdienst Schleswig-Holstein
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Grundmine mit TNT - Foto: Dr. Stefan Nehring
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Schießwolle - Foto: Frank-Rudolph
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Stangenpulver - Foto: Martin Elsler
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Stangenpulver - Foto: Peter Franz
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Phosphorkanister - Foto: Line Hähnelt
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Phosphorkanister - Foto: Line Hähnelt
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Munition - Foto: Ingo Ludwichowski
Gefährliche Funde am Strand
Die Zahl der Sprengstoff-Funde ist leider weiterhin nicht bekannt. Der Forderung des NABU nach Einrichtung einer zentralen Meldestelle auf freiwilliger Basis sind die deutschen Behörden zwar 2012 nachgekommen, doch bei einem Vergleich der Daten aus dem Jahr 2013 mit dem NABU vorliegenden Angaben aus anderen Quellen wird deutlich, dass noch lange nicht alle Ereignisse mitgeteilt werden. Grundlage ehrlicher Informationen für die Öffentlichkeit kann aber nur einer vollständige Liste sein.
Nach Information der Öffentlichkeit durch den NABU meldeten mehr Menschen solche Funde an den Stränden von Schleswig-Holstein, darunter auch solche mit brennbarem und gesundheitsschädlichem Treibladungspulver aus offenbar durchgerosteten Granatenhülsen. Trotzdem besteht kein Grund zur Panik, ein Urlaub an der Küste bleibt empfehlenswert! Es ist ein seltenes Ereignis, auf Munitionsreste zu stoßen und selbst ein Fund bleibt weitgehend harmlos, wenn notwendige Regeln beachtet werden.
In Zusammenarbeit mit dem Kieler Innen- und Umweltministerium und dem Kampfmittelräumdienst hat der NABU an den Küsten tätige Multiplikatoren wie Rettungsschwimmer, Touristiker, Verwaltungsmitarbeiter und Naturschutzvertreter über die Gefahrenlage und ihre Bedeutung im Rahmen einer Veranstaltung des Bildungszentrums für Natur, Umwelt und ländliche Räume aufgeklärt. Bis heute ist es aber schwierig, Touristiker zu einem offenen Umgang mit dem Thema zu bewegen. Best-practice-Beispiele für eine offene Information der Bevölkerung fehlen bundes- und europaweit. Verantwortliche vor Ort sind derzeit weitgehend auf sich selbst gestellt. In Schleswig-Holstein gibt es aber erste Initiativen, die auf eine stärkere Aufklärung drängen und Informationsbroschüren an Urlaubsgäste verteilen.
Der NABU fordert einen offensiven und tranparenten Umgang mit dem Thema. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern müssen sich zu einer umweltfreundlichen Bergung und Beseitigung der Altlasten im Meer bekennen. Sprengungen sind auch zum Schutz von Schweinswalen und anderen Meerestieren keine Lösung, sondern vergrößern das Problem. Heute besteht noch die Möglichkeit, Munition zu finden. Doch wenn erst die metallischen Hüllen vollständig zersetzt sind, ist der Sprengstoff nicht mehr über die heute bekannten Detektionstechnologien auffindbar, das Problem wird dann nahezu unlösbar.
SKo, ILu akt. 19. Februar 2015