Das Landesnaturschutzgesetz von 2006
NABU-Kritik an Entwurf und verabschiedetem Gesetz
Der NABU hat im Rahmen der vorgeschriebenen Verbandsbeteiligung den Gesetzentwurf durchgearbeitet und dazu ausführlich Stellung genommen. Sein Fazit: Der Novellierungsvorschlag, der in weiten Bereichen zu geltendem Recht erhoben wurde, wirft den Naturschutz im Lande um Jahrzehnte zurück. Entgegen der Koalitionsvereinbarung, das Niveau des Naturschutzrechts zu wahren, signalisiert der Gesetzentwurf einen teilweise erheblichen Abbau von Naturschutzstandards. So sind beispielsweise die Bestimmungen zum Schutz der Knicks rigoros zusammengestrichen worden, obwohl unsere Wallhecken bereits jetzt durch unsachgemäße Bearbeitung gefährdet sind. Getreu den Wünschen der Agrarlobby soll nunmehr selbst die Beseitigung von Knicks erleichtert werden.
Nur das Bundesnaturschutzgesetz als verbindliches Rahmengesetz, dessen Vorgaben formal nicht unterschritten werden dürfen, hat eine noch weitergehende Erosion des schleswig-holsteinischen Naturschutzrechts verhindert. Andererseits ist den Anregungen und Möglichkeiten des Bundesrechts, über seinen Minimalstandard hinausgehende, landesspezifische Regelungen zugunsten von Natur und Landschaft zu treffen, so gut wie gar nicht gefolgt worden.
Minister v. Boetticher lobt sich, das Landesnaturschutzgesetz erheblich "verschlankt" zu haben. Doch die radikalen Verkürzungen gehen zu Lasten der rechtlichen Exaktheit, so dass jetzt etliche Passagen weit interpretierbar geworden sind. Zudem sind konkret gehaltene Auflistungen z. B. von genehmigungspflichtigen Handlungen (sogenannte "Eingriffe in Natur und Landschaft"), bislang zur Orientierung für die Naturschutzbehörden gedacht, der "Verkürzung" zum Opfer gefallen. Mit dem Credo, "der Verwaltung sachgerechte und sinnvolle Handlungsspielräume zu ermöglichen", wird auch das schöngeredet. In der Praxis allerdings wird der weitgehende Rückzug auf allgemeine Vorgaben bei Naturschutzverwaltungen und Antragstellern zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen. Um in ihren Entscheidungen rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, werden die Fachbehörden sich bei der Auslegung des Gesetzes an dessen unterstem Rand bewegen müssen. Auch das führt zur Aufweichung des Schutzes von Natur und Landschaft.
Kritikresistenz
Die auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte angesiedelten unteren Naturschutzbehörden, denen die Umsetzung der allermeisten Gesetzesparagrafen obliegt, haben entsprechende Kritik bereits in ihrer dem NABU vorliegenden Stellungnahme Punkt für Punkt vorgebracht. Doch die Bedenken und Anregungen gerade der Arbeitsebene, die vor Ort am intensivsten mit dem Naturschutzrecht zu tun hat, sind fast gänzlich beiseite gewischt worden.
Der Gesetzentwurf und Umsetzung lassen zudem ein geschlossenes Bild des geltenden Naturschutzrechts vermissen, da er sich an vielen Stellen mit Verweisen auf Paragrafen des Bundesnaturschutzgesetzes begnügt, anstatt die Rechtsvorschriften selbst wiederzugeben. Wer wissen möchte, was das Landesnaturschutzgesetz nun eigentlich meint, wird also noch das Bundesnaturschutzgesetz daneben legen müssen. Der Fachverwaltung mag man das abverlangen können. Landwirten, Gemeindevertretern oder naturinteressierten Bürgern sollte eine derartige Paragrafenfuchserei aber nicht zugemutet werden. Selbst die "Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege", nach dem Bundesnaturschutzgesetz auch für die Ländergesetze als § 1 und damit quasi als Präambel vorgegeben, werden nur mit dem Hinweis auf die entsprechenden Paragrafen des Bundesgesetzes abgetan. Ein Gesetz, dessen Zielsetzungen man zu nennen vermeidet - deutlicher lässt sich das ministerielle Desinteresse am Naturschutz wohl nicht demonstrieren!
Flut an ministeriellen Regelungen
Darüber hinaus erwartet das Land eine Flut an Verordnungen, Erlassen und Richtlinien, mit denen das Ministerium etliche Gesetzespassagen überhaupt erst anwendungsfähig werden lassen muss. So beim § 25 zum Biotopschutz, der sich im Gegensatz zu den jetzigen Biotopschutzparagrafen 15a und 15 b gar nicht erst um die nötige Differenzierung bemüht. Und nicht nur hier verfolgt der Minister die Strategie, dem Parlament allenfalls das Skelett eines Naturschutzgesetzes zur Abstimmung vorzulegen, die Entscheidung über wesentliche inhaltliche Ausformungen aber sich selbst vorzubehalten - denn beim Erlass einer Verordnung bleibt das Parlament als Legislative außen vor. So lässt sich die "Gesetzesverschlankung" auch als Taktik sehen, einseitig zugunsten der Naturnutzer vorgesehene Rechtsbestimmungen an der SPD-Fraktion vorbeizuschmuggeln, wie es sich bereits bei den gänzlich misslungenen Kormoran- und Landesjagdzeitenverordnungen aus Sicht des Ministers "bewährt" hat.
Konfusion in der Verwaltung
Während die Ministerialverwaltung Jahre brauchen wird, um all die notwendigen Ausführungsbestimmungen zu erstellen, werden die unteren Naturschutzbehörden rätseln dürfen, was das Naturschutzgesetz nun eigentlich meint ... Denn auch der dem Entwurf beigefügte Begründungstext gibt nichts Aufschlussreiches her.
Folglich wird das neue Naturschutzgesetz nicht nur den Schutz von Natur und Landschaft auf ein deutlich geringeres Niveau reduzieren, sondern unserem Land auch einen Wust an Bürokratie und Verwaltungskonfusion bescheren, angesichts dessen sich Behörden und betroffene Bürger bald wohl nach den präzisen Formulierungen des bisherigen Naturschutzgesetzes sehnen werden.
Vor diesem Hintergrund hatte der NABU - vergeblich - an das Kabinett appelliert, den Entwurf zurückzuziehen und sich bei einer Überarbeitung des Landesnaturschutzgesetzes auf das EU-rechtlich Notwendige zu beschränken. Es bestand objektiv kein pragmatischer Anlass für Änderungen. Erst recht besteht kein Grund, ein als vorbildlich geltendes Gesetz - schließlich wurde aus dem EU-weit richtungsweisenden schleswig-holsteinischen Landesnaturschutzgesetz von 1993 auch das Bundesnaturschutzgesetz von 2002 entwickelt - in einem derartigen Umfang der Erosion preiszugeben, wie es der Landwirtschaftsminister und sein Ministerpräsident zugunsten der Landnutzerlobby vorhaben.
16. Mai 2006