Wiesenschafstelze: Selbst anpassungsfähige Arten sind in der Kulturlandschaft auf dem Rückzug. - Foto: Christoph Bosch
Öko „top“, konventionell „flopp“
Art der Landwirtschaft beeinflusst Bestände von Singvögeln
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Weizenanbau in einer ausgeräumten Landschaft in Ostholstein - Foto: Ingo Ludwichowski
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Pestizide werden großflächig durch Fahrzeuge mit Sprühaufsatz verbreitet - Foto: Helge May
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Ökologische Landwirtschaft mit Säumen und weiterer Fruchtfolge - Foto: Ingo Ludwichowski
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Ökologische Landwirtschaft arbeitet verzahnt mit natürlichen Strukturen - Foto: Ingo Ludwichowski
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Die ökologische Landwirtschaft lässt größere Randbrachen zu - Foto: Ingo Ludwichowski
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Über Drainageschächte gelangen Pestizide auch in Oberflächengewässer - Foto: Thomas Behrends
Auf dem Weg zum „stummen Frühling“
Wer mit offenen Augen und Ohren durch unsere Landschaft wandelt, dem fällt immer mehr auf, wie wenig Leben auf vielen Flächen der konventionell-intensiven Landwirtschaft zu finden ist: ein Weizenacker – oftmals weitgehend steril. Normalerweise sollten sich hier wenigstens zum Ende der Erntezeit Pflanzenarten wie die Kamille und andere Ackerkräuter vor allem in Fahrspuren oder an Kahlstellen ausbreiten – doch keine Spur davon. Der Boden: nackt, allein die Getreidepflanzen dominieren das Bild. Erst wenige Meter vor einem Knick mag etwas Klettenlabkraut wachsen, eine Handvoll Kratzdisteln und etwas Ackerschachtelhalm. Die ursprünglich typischen Vogelarten der Feldflur wie Rebhuhn, Feldlerche, Wachtel oder an Brachstellen auch das Braunkehlchen sind kaum noch zu finden. Die Schafstelze, die als einzige Vogelart lange Zeit mit der sich immer mehr verschlechternden Situation noch zurecht zu kommen schien, ist ebenfalls auf dem Rückzug (siehe Kasten).
Das Bild wiederholt sich an vielen Stellen. Gerade Weizenfelder wirken im Frühsommer wie ein undurchdringlicher, eintöniger Teppich: Ist dies die vom Bauernverband gepriesene „Kulturlandschaft“ – oder nicht bereits die von Ökologen gefürchtete „Agrarwüste“? Auch auf Maisflächen sieht es nicht besser aus. Die hohen Pflanzen bieten Feldvögeln keinen Lebensraum mehr. Raps mag optisch noch Touristen bestechen und eine „blühende Landschaft“ vorgaukeln, ökologisch betrachtet ist er insbesondere außerhalb der kurzen Blütezeit nahezu tot.
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Echte Kamille - Foto: Helge May
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Klatschmohn - Foto: Helge May
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Kornblume - Foto: Christoph Kasulke
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Ackerstiefmütterchen - Foto: Helge May
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Hirtentäschelkraut - Foto: Helge May
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Ackervergissmeinnicht - Foto: Helge May
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Ackerwinde an Weizen - Foto: Helge May
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Ackerkratzdistel - Foto: Helge May
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Vogelwicke - Foto: Helge May
Typische Ackerwildkräuter - Anzeiger ökologischer Vielfalt auf dem Acker
Der Befund
Doch woran liegt es , dass viele einst typische Pflanzenarten nun in den Schlägen kein Auskommen mehr finden? Offensichtlich wird mittlerweile auf unseren Äckern so intensiv gewirtschaftet und mit Pestiziden gespritzt, dass jedes sonstige Leben beseitigt wird - und dabei mutmaßlich auch kein Samenvorrat mehr im Boden steckt, aus dem sich neue Wildpflanzen rekrutieren können. Dieser hat sonst das Potential, dort mehrere Jahrzehnte zu überleben. Die Samenkörner ergreifen dann ihre Chance zum Keimen, wenn sie etwa durch Umpflügen ans Licht kommen. So entstand nicht nur auf manchen Störstellen auf den Nutzflächen, sondern insbesondere auch im Randbereich eines Ackers früher die typische Spontan-Vegetation, die an die Nutzung angepasst ist und sich bis vor einigen Jahren auch auf den Äckern behaupten konnte.
Das nunmehr vielfach zu beobachtende, weitgehende Fehlen jeder dieser angepassten Pflanzenarten hat dabei für ursprünglich die landwirtschaftlichen Nutzflächen besiedelnden Tierarten drastische Folgen: Es gibt nichts zu fressen! Keine Nahrung für Insekten, und damit auch für Vögel, die sich ggf. zudem an den Samen der Wildkräuter gütlich tun. Auch die einstmals typischen, räuberisch lebenden großen Laufkäfer, die hier nach krabbelnder Nahrung auf Jagd gingen, sind schon seit langem weitgehend Geschichte. Und wenn doch einmal etwas Wildpflanzenbewuchs aufkommt, dann häckseln viele Landwirte die Wildkrautbestände vor allem an den Ackerrändern schnell wieder klein. Keine Chance für Kornblume und Ackerstiefmütterchen!
EU-Mittelzufluss - Leistung ohne Gegenleistung
In Schleswig-Holstein gibt es 990.500 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche (Stand: 2013). Für jeden Hektar fließen von der EU 340 € „Flächenprämie“, für die der Landbewirtschafter bezüglich einer Natur angepassten Bewirtschaftung nicht mehr machen muss, als diese „nach guter fachlicher Praxis“ zu führen – und selbst gegen die wird in einigen Fällen verstoßen, da ihre Einhaltung kaum wirksam überprüft wird. Über 300 Mio € Steuergelder der EU kommen somit jedes Jahr nach Schleswig-Holstein, die zum größten Teil an konventionell wirtschaftende Betriebe weitergereicht werden – je größer der Betrieb, desto höher in der Regel die Subvention.
Agrarumweltprogramme in Schleswig-Holstein, die etwa Ackergrünstreifen fördern und so den Nahrungsmangel in der Ackerlandschaft lindern könnten, sind mit wenigen 100 T € / Jahr ausgestattet, und damit angesichts der allgemeinen „Subvention ohne effektive Gegenleistung“ ein Tropfen auf dem heißen Stein und in der Fläche kaum wirksam.
Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Vogelartenschutz im Biolandbau
Anders sieht es auf vielen Flächen von Öko-Betrieben aus. Im ökologischen Landbau hat schon allein der Ausschluss von Pestiziden und in den Betrieb eingeführten synthetischen Düngemitteln einen deutlichen Vorteil gegenüber der konventionellen Landwirtschaft. Es gibt aber weitere Faktoren, die für einen Vogelartenschutz auch im Ökolandbau eingehalten und Bestandteil der guten fachlichen Praxis werden müssen. In den Richtlinien zum Ökolandbau sind aber bislang keine Vorgaben zum Vogelschutz enthalten. Auch der Ökolandbau kann zukünftig unter einen verstärkten Anpassungsdruck mit einer zunehmend intensiveren Bewirtschaftung geraten. Zu den positiven Aspekten des Biolandbaus für den Vogelschutz gehören:
* Vielfalt der Feldfrüchte (Fruchtfolge)
Im Ökolandbau werden gegenüber der stark verengten konventionellen Landwirtschaft (mit oftmals nur Weizen und Raps im Wechsel mit geringem Gerstenanteil oder Futterbau mit Mais-Ackergras im Wechsel) erheblich mehr Feldfrüchte angebaut, die benachbart zueinander vorkommen und hohe Grenzlängen ergeben. Dazu gehören Kleegras, verschiedene Getreidesorten und Hülsenfrüchte. Sie unterscheiden sich jeweils strukturell und phänologisch und bieten dadurch in der Brutzeit ein abwechslungsreiches, über einen langen Zeitraum gestrecktes Nahrungsangebot.
* Saumstreifen
Die Anlage von Saumstreifen beeinflusst die Zugänglichkeit zu den Flächen und das Nahrungsangebot zur Brutzeit sowohl direkt über das verstärkte Samen- als auch indirekt über das Insektenangebot. Saumstreifen sollten entlang aller Wege und zwischen den Kulturen vorhanden sein, teilweise mit Einsaat, teilweise als Spontanbegrünung aus der Samenbank.
* Ackerbegleitvegetation
Positiv ist im Ökolandbau das Zulassen einer ausgeprägten Segetalflora, die nicht mit Herbiziden abgespritzt, sondern nur mechanisch bearbeitet wird, um für die Kulturpflanzen einen Wachstumsvorteil zu schaffen. Das Striegeln zur mechanischen Beikrautbekämpfung muss aus Naturschutzsicht jedoch in der Vegetationszeit so früh wie möglich erfolgen, da sie vermutlich zu stärkeren Gelegeverlusten führt.
* Anwendungsverbot für Insektizide
Der Verzicht auf Insektizide im Biolandbau ermöglicht ein erheblich höheres Nahrungsangebot für die Tierwelt, insbesondere in der Zeit der Jungenaufzucht. Vorteilhaft wäre es auch, Herbststoppeln nach der Ernte des Getreides möglichst lange stehen zu lassen, da diese für Vögel sehr nahrungsreich sein können.
Selbstverständlich sollten sich auch konventionell wirtschaftende Betriebe an diesen Vorgaben orientieren und so ihren Beitrag zum Erhalt der Biodiversität in unserer Kulturlandschaft leisten.
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Grauammer: Einst u.a. auf Fehmarn weit verbreitet, heute dort wie in vielen anderen Regionen ausgestorben. - Foto: Frank Derer
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Goldammer, ein typischer Bewohner der Knicklandschaft. - Foto: Frank Derer
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Die Feldlerche, einst allgegenwärtiger Feldvogel, hat weite Bereiche heute geräumt. - Foto: Lothar Sielmann
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Die Dorngrasmücke belebt die Knicks und sucht die Nahrung auch auf dem Acker. - Foto: Oscar Klose
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Lange konnte sich die Wiesen-Schafstelze behaupten, doch heute ist sie ebenfalls auf dem Rückzug. - Foto: Frank Derer
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Manche Kiebitzküken schlüpfen auf Äckern, doch ohne angrenzendes Grünland ist ihr Schicksal schnell besiegelt. - Foto: Frank Derer
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Das Braunkehlchen mag Brachflächen - Foto: Frank Derer
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Die Wachtel fliegt in manchen Jahren verstärkt nach Schleswig-Holstein ein. Der Bruterfolg in der Agrarsteppe ist ungewiss. - Foto: Thomas Munk
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Neuntöter-Männchen - Foto: Frank Derer
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Rohrammer-Männchen - Foto: Frank Derer
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Schwarzkehlchen-Männchen - Foto: Christoph Bosch
Brutvogelarten der Agrarlandschaft – stark bedroht!
Beispiel: Wiesen-Schafstelze
Noch in der letzten Roten Liste Schleswig-Holsteins und im zweiten Brutvogelatlas bescheinigten Ornithologen der Schafstelze in Schleswig-Holstein eine positive Bestandsentwicklung und Ausbreitung in der Ackerlandschaft – entgegen dem gegenläufigen Trend vieler weiterer Arten der Agrarlandschaft, die schon seit längerem drastische Rückgänge bei den Brutpaarzahlen verzeichneten.
Im Jahr 2014 bemerkte man auf Fehmarn und im Raum südlich von Kiel jedoch eine starke Konzentration von Schafstelzen auf Gerstenfelder – bei einer gleichzeitigen deutlichen Abnahme bis hin zur Meidung von Weizen und Raps. Auf Fehmarn war die Schafstelze noch im Jahr 2005 eine der auffälligsten Arten der Agrarflächen. Im Jahr 2015 gibt es demgegenüber im Nordwesten zwischen Bojendorf-Westermarkelsdorf-Altenteil-Wenkendorf sowie um Albertsdorf im dominierenden Weizen kein Vorkommen mehr. Auf andere Feldfrüchte und Nutzungen verteilen sich die wenigen Rest-Paare: Raps: 2 Reviere Flügger Geestinsel, Gerste: 2 Rev. bei Bojendorf, 5 Rev. östlich des Fastensees, diese fliegen zur Nahrungssuche aber zum Fastensee-Deich; Deich/Vorland Fastensee: 3 Rev., Naturschutz-Grünland: 3 (Altenteil: 1, Wallnau: 2), Weideland Wallnau-Dorf (nördl. vom NSG): 4 Rev., auf einer Brache: 1 bei Albertsdorf. Das ist nicht nur außergewöhnlich wenig. Die Verteilung auf die Lebensräume und die Wahl der Nahrungsflächen lässt auch hier offenkundig werden, dass in der normal-konventionellen Agrarlandschaft keine hinreichenden Lebensbedingungen mehr bestehen. Wie auf anderen Flächen ist auch hier ein überwiegend auf den Einsatz von Pestiziden verursachter Nahrungsmangel anzunehmen.
Dasselbe im Jahr 2015 im Kreis Lauenburg: Die normal-konventionell genutzte Agrarlandschaft wird großteils gemieden. Die Bestände konzentrieren sich nur noch auf die Biolandbauflächen. Eine Kontrollerhebung von Ornithologen ergab: Auf rund. 3.000 ha mit ca. 10 % Waldanteil wurden in diesem Jahr rd. 30 Schafstelzen-Reviere erfasst: 27 auf Biolandbauflächen, aber nur drei auf konventionell intensiv-bewirtschafteten Feldern. 22 Reviere auf 160 ha Flächen des Ökolandbaus ergaben eine Siedlungsdichte von 1,3 Revierpaar je 10 ha. Auf ca. 1.900 ha konventionell bewirtschafteten Flächen bestanden nur 3 Reviere (d.h. 0,02 Revierpaare je 10 ha)!
Selbst diese ursprünglich als anpassungsfähig geltende Art zieht sich also weiter zurück. Andere Ackervögel treten auf konventionellen Flächen praktisch gar nicht mehr auf. Wo intensiv-konventionell genutzte Agrarflächen große Flächenanteile einnehmen und ggf. zur Nahrungssuche geeignete Flächen wie Gewässerufer oder Weideland fehlen, hat auch die Schafstelze keine Chance mehr!
ILu nach Daten BKo 3. September 2015
Zudem finden sich auf ökologisch bewirtschafteten Flächen auch zahlreiche den Acker begleitende Kräuter. Die wichtigste Ursache für den Unterschied in der Wertigkeit für den Naturschutz zwischen Ökolandbau und konventioneller Landwirtschaft ist wahrscheinlich das Nahrungsangebot, das von diesen Flächen bereit gestellt wird. Auf Biolandbauflächen besteht ab dem Mai über viele Wochen ein sehr großes Blütenangebot mit entsprechendem Insektenvorkommen, was Feldlerchen und Wiesen-Schafstelzen zu nutzen wissen. Kommen Hecken, Gehölzgruppen und andere Biotopelemente hinzu, schafft dies Lebensraum für viele weitere, Insekten verzehrende Singvögel. Auf konventionell bewirtschafteten Flächen dagegen ertönt Vogelgesang nur aus den Knicks. Es gibt, abgesehen von der nur kurzen, dreiwöchigen Rapsblüte weitgehend vor der Fütterungszeit, keinen Blütenhorizont mehr. Folglich ist kein Insektenangebot als Jungvogelnahrung vorhanden – und somit keine Lebensmöglichkeiten für Insekten fressende Vögel gegeben. Besucht man Ökolandbauflächen, so fällt auf, dass auch Schwalben in großer Zahl über den Flächen jagen - sie stammen von den Dörfern der weiteren Umgebung.
Dass sich in der konventionellen Landwirtschaft seit längerem drastische Veränderungen in der Naturausstattung vollziehen, macht im Folgenden eine Betrachtung des Pestizid-Einsatzes deutlich.
Drastisch gestiegener Pestizidverbrauch
Ursache für den Bestandsrückgang vieler Arten?
Der Absatz von Pestiziden hat sich in Deutschland von rund 35.000 t Wirkstoff jährlich in den Jahren 1995 bis 2005 auf rund 44.000 t im Jahr 2013 erhöht (Quelle: UFZ-Newsletter 10/2014). Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht, wie auch eine Ankündigung des Bauernpräsidenten auf dem Deutschen Bauerntag 2015 zeigt: „Er sage selbstbewusst ja zu Massentierhaltung und Pestiziden, die so wichtig sind wie Medizin“ (FAZ 25.6.2015: „Selbstbewusst ja zu Pestiziden“). Für besonders umstrittene Pestizid-Wirkstoffe stehen aber Ende des Jahres 2015 in Europa wichtige Entscheidungen an: Die Verlängerung der Zulassung des Totalherbizids Glyphosat und die Prüfung des zweijährigen Anwendungsverbotes der Neonikotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam.
Auch in Schleswig-Holstein sind Auswirkungen des Pestizid-Einsatzes messbar. In einem Bericht zu Pestizid-Rückständen in Gewässern führt die Landesregierung im Jahr 2015 dazu aus:
Die Nachweise von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen und deren Abbauprodukte in Oberflächengewässern deuten darauf hin, dass ihr Vorkommen neben hydromorphologischen Veränderungen und diffusen Nährstoffeinträgen die Lebensgemeinschaften in den Fließgewässern ebenfalls belastet und zur Nichterreichung der Umweltziele der Wasserrahmenrichtlinie beiträgt.
Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung vom 10. April 2013 zur nachhaltigen Anwendung von Pestiziden wird in einem F+E Projekt des Umweltbundesamtes ein biologischer Index zur Beurteilung der ökotoxikologischen Auswirkungen von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen weiter entwickelt. Erste Abschätzungen mit Hilfe dieses Indexes für die Fließgewässer in Schleswig-Holstein deuten auf eine erhebliche ökotoxikologische Beeinträchtigung der Gewässerbiologie durch Pflanzenschutzmittel hin.
Die Ergebnisse sind auch im Detail besorgniserregend: In den Jahren 2010 bis 2014 wurden an insgesamt 327 Messstellen des reduzierten Gewässernetzes 1717 Wasserproben auf Pflanzenschutzmittel untersucht. An 298 Messstellen (91%) wurden Pflanzenschutzmittelwirkstoffe nachgewiesen. Auch Seen wurden 2012 auf Pflanzenschutzmittelwirkstoffe untersucht. In sechs Seen wurde insgesamt 21 Mal Glyphosat nachgewiesen. Das Abbauprodukt AMPA wurde in 20 Seen insgesamt 57 Mal nachgewiesen.
Der ungebremste und zunehmende Einsatz von Insektiziden führt dabei zu einem Rückgang nicht nur vieler Insektenarten, sondern auch zu einem massiven Einbruch bei der Gesamtinsektenbiomasse. Gerade für Insekten fressende Vogelarten des Feldes wie Schwalben, Stelzen oder Feldlerchen ist dies jedoch hoch problematisch. Neonikotinoide und Glyphosat, zwei besonders gern genutzte Pestizide, zerstören ganze Ökosystemketten und tragen damit wesentlich zum Biodiversitätsverlust bei. Außerdem gefährden sie als vermutlich krebserregende Stoffe die Gesundheit der Menschen.
Pestizide - Gift auf dem Acker
Neonikotinoide
... sind rund tausendmal giftiger als DDT. Die tödliche Wirkung auf Bienen ist mehrfach nachgewiesen. Aber auch andere Insekten sind betroffen, so dass davon auszugehen ist, dass der dramatische Rückgang der Insektenmasse um 70 bis 80 % wesentlich durch die Ausbringung von Neonikotinoiden im Zusammenhang mit der Ausweitung von Maisanbauflächen, vor allem für die Biogas-Erzeugung, verursacht wird. Dadurch wird die Ökosystemkette Boden-Pflanze(Wildkräuter)-Insekt -Vögel gestört bzw. zerstört. Die negative Wirkung auf Vögel ist in verschiedenen Studien nachgewiesen. Belastungen u.a. der Gewässer kommen hinzu. Die EU hat ein zweijähriges Moratorium für einige Neonikotinoide ausgesprochen, das jedoch am 31. Dezember 2015 ausläuft.
Glyphosat
Weltweit der Verkaufsrenner unter den Herbiziden ist der Wirkstoff Glyphosat, der für eine Vielzahl von Kulturen und für den Einsatz in der sog. pfluglosen Bodenbearbeitung propagiert wird, sei es im Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft oder im Siedlungsbereich. Die Weltgesundheitsorganisation und die Krebsforschungsagentur IARC stuften Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend an. Im Sommer 2015 wurde eine bis zu vierfach erhöhte Konzentration gegenüber den für Trinkwasser geltenden Grenzwerten in Muttermilch-Proben festgestellt. In vielen Studien wurden die schädlichen Wirkungen auf Insekten, auf Amphibien, das Grundwasser usw. belegt. Im Jahr 2015 zeigte eine Studie auch negative Auswirkungen auf Aktivität und Reproduktion von Regenwürmern.
Forderungen des NABU
Die Bundesregierung und die EU-Kommission werden vom NABU aufgefordert, Neonikotinoide zu verbieten, hilfsweise das bestehende Moratorium (2015) unbegrenzt zu verlängern. Gleichzeitig müssen die bisher ausgesprochen schwachen Zulassungsverfahren für Pestizide im Sinne des Artenschutzes insgesamt verändert werden. Die Risikobewertung der Pestizide ist eine Schlüsselstelle im gesamten Prozess. Artengruppen wie Amphibien werden bei der Risikobeurteilung gar nicht berücksichtigt. Noch weniger bekannt sind die Auswirkungen des Pestizid-Cocktails auf die Bodenlebewesen. Statt der Konzentration auf die direkte Wirkung von Pestiziden müssen auch die indirekten, negativen Wirkungen auf Wildpflanzen sowie die terrestrische und aquatische Tierwelt berücksichtigt werden. Der NABU fordert den Bund, die Bundesländer und die Kommunen auf, den Einsatz von Pestiziden im eigenen Betrieb und auf eigenen Liegenschaften (z. B. auch in den Pachtverträgen) zu unterbinden.
Forderungen des NABU an Bundes- und Landesregierung
- Das Ausbringen der Neonikotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam sowie von Glyphosat und ähnlich gefährlicher Pestizide in der konventionellen Landwirtschaft muss dauerhaft verboten und dieses Verbot auch auf der Ebene der Europäischen Union beantragt und durchgesetzt werden.
- Bis dahin müssen die Anwendungsbestimmungen für Glyphosat deutlich verschärft werden, indem sämtliche Propyhlaxe-Maßnahmen wie Vorerntebehandlung oder routinemäßige Stoppelbehandlung zur Unkrautbekämpfung verboten werden.
- Ein echtes Pestizidreduktionsprogramm muss aufgelegt und wirkungsvoll umgesetzt werden mit dem Ziel, bis zum Jahr 2020 die Aufwandmenge chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel sowie deren Umweltrisiko zu halbieren.
- Der Verkauf von Glyphosat an Privatpersonen im Baumarktbereich und im Internet muss unverzüglich verboten werden.
- Der Anteil des ökologischen Landbaus muss bundesweit drastisch erhöht werden. In die Richtlinien zum Ökolandbau sind auch Vorgaben zum Vogelschutz aufzunehmen.
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Literatur (Auswahl)
- GARRIGUES, D. et all. (2015): Ein Überblick über die direkten und indirekten Auswirkungen der Neonicotinoide und Fipronil auf die Wirbeltierwelt (engl.). Environmental Science and Pollution Research 22, S. 103-118.
- KOOP, B. (2015): Die Entwicklung der Brutvogelwelt auf Hof Ritzerau im Jahr 2014 - Ornithologisches Monitoring zu Bestandsentwicklung und Bruterfolg von Brutvögeln in Agrarhabitaten. In: Projekt Hof Ritzerau: Zwischenbericht des Forschungsvorhabens für das Untersuchungsjahr 2014.
- LANDESREGIERUNG SCHLESWIG-HOLSTEIN / MELUR (2015): Pestizidrückstände in Gewässern. Drucksache Schleswig-Holsteinischer Landtag, 18 / 3319 (18 / 3165 neu).
- UMWELTBUNDESAMT (2014, Hrsg.): Das Schutzgut Biodiversität in der Umweltbewertung von Stoffen – Konzept für das Management des Risikos für freilebende Vögel und Säuger aus der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln unter Berücksichtigung indirekter Wirkung (Nahrungsnetz-Effekte) und besonders geschützter Arten.
BKo, ILu akt. 5. Oktober 2015