Beschluss der BVV 2015: Schluss mit den Gefälligkeitsgutachten!
Ökologische Gutachten zur Bewertung von Eingriffen bei Planungen vom Einfluss der Vorhabensträger lösen
Der NABU Schleswig-Holstein hat über seinen Delegierten Hermann Schultz einen Beschlussentwurf an die Bundesvertreterversammlung des NABU 2015 in Dresden übermittelt. Dieser wurde einstimmig verabschiedet.
Beschluss der Bundesvertreterversammlung BVV vom 8. November 2015 in Dresden
Bei Planungen und Vorhaben, die eine naturschutzrechtliche Prüfung erfordern, dürfen die dafür notwendigen ökologischen Gutachten nicht länger von den Planungs- bzw. Vorhabensträgern selbst in Auftrag gegeben werden. Stattdessen sind die Gutachten zukünftig von den für die Prüfung zuständigen Fachbehörden des Naturschutzes in Auftrag zu geben. Die Finanzierung der Gutachten haben wie bisher die Planungs- bzw. Vorhabensträger zu übernehmen.
Der Bund und die Länder werden aufgefordert, unverzüglich die dafür notwendigen rechtlichen Änderungen vorzunehmen.
Der NABU bereitet dieses Thema unter der Leitung des Bundesverbandes als politische Kampagne auf und bildet hierbei ggf. eine Allianz mit anderen Umweltverbänden.
Begründung
Von Grünordnungsplänen über FFH-Verträglichkeitsprüfungen und artenschutzrechtliche Prüfungen bis hin zu für mit Planfeststellungsverfahren einhergehenden Umweltverträglichkeitsprüfungen - die dafür zur Erfassung notwendigen ökologischen Gutachten werden ausnahmslos von den Vorhabensträgern (d.h. Träger der Baumaßnahmen, Investoren) bzw. Planungsträgern (z.B. bei der kommunalen Bauleitplanung, wenn noch kein Investor vorhanden ist) - und damit von den an der Durchsetzung des Projektes Interessierten - in Auftrag gegeben. Anhand dieser Gutachten entscheiden anschließend die Fachbehörden über eine Genehmigung bzw. Auflagen.
Nach den Erfahrungen des NABU Schleswig-Holstein, aber auch vieler der mit Prüfung solcher Gutachten befassten Mitarbeiter der Naturschutzbehörden, kommen die Gutachten selbst bei ökologisch brisanten Situationen in den weitaus meisten Fällen zum Ergebnis der Verträglichkeit des Eingriffs bzw. zu einer Möglichkeit der Kompensation - ganz im Sinne der Investoren bzw. Planungsverantwortlichen. Die meisten Gutachten vermitteln äußerlich durchaus einen fachlich profunden Eindruck, nicht selten durch viel belangloses Material 'aufgepumpt'. Nur bei akribischer Prüfung zeigen sich häufig eklatante Schwachpunkte in Bearbeitungstiefe, Methodik, Datenwiedergabe, fachlicher Interpretation etc., die von den Fachbehörden aufgrund personeller Überlastung oder fehlender spezieller Fachkenntnisse oft nicht aufgedeckt werden können. Nicht selten interpretieren die Gutachter ihre Ergebnisse auch gleich rechtlich, selbst in den vielen Fällen, bei denen dies nicht ihre Aufgabe ist. Unterziehen sich die Fachbehörden der Mühe einer dezidierten Überprüfung der aus ihrer Sicht problematischen Ergebnisdarstellungen und anderer Schwachpunkte und gelangen sie zu anderen Schlüssen als die Gutachter, sind langwierige Auseinandersetzungen mit diesen und ihren Auftraggebern die Regel. Da fast alle der betroffenen Vorhaben im (wirtschafts)politischen Trend liegen und eine politischen Protektion erfahren, resignieren nicht wenige der ohnehin stark belasteten Naturschutzbehörden.
Die Gutachter verfahren nach dem Motto: "Wessen Brot ich ess', dessen Lied ich sing'." Wer in seinem Gutachten zu Ergebnissen gelangt, die sich negativ auf die Planung auswirken und dadurch die Realisierung des Vorhabens gefährden oder ausschließen würden, kann schnell auf eine informelle 'Schwarze Liste' der Investoren bzw. Planungsträger gesetzt werden, d.h. er erhält zukünftig keine Aufträge mehr. Dieser Druck bewirkt, dass in erheblichem Umfang Gefälligkeitsgutachten erstellt werden. Bestimmte Büros werben sogar direkt damit, besonders heikle Projekte mithilfe ihrer gutachterlichen Tätigkeit durchsetzen zu können oder treten offen als fachliche Interessenvertreter der wirtschaftlichen Lobbyvereinigungen auf.
Überdies sind nicht wenige Gutachter für die zu bearbeitenden Aufgabenstellungen nicht oder ungenügend qualifiziert, wobei den Auftraggebern die Kompetenz fehlt, die tatsächliche Qualifikation nachzuprüfen.
Aktuell wird die Abhängigkeit der naturschutzfachlichen Gutachter von den wirtschaftlichen Interessen ihrer Auftraggeber bei Verfahren zur Ausweisung von Standorten für Windkraftanlagen stark deutlich, hier besonders im Zusammenhang mit artenschutzrechtlichen Prüfungen (Auswirkungen auf streng geschützte und durch WKA gefährdete Vögel wie Rotmilan, Seeadler, Schwarzstorch sowie Fledermäuse). Gutachten werden hier bis hin zur Unterdrückung bzw. Manipulation von Daten ergebnisorientiert 'hingebogen'. Da die Ergebnisse der dazu notwendigen feldbiologischen Untersuchungen bei den sehr mobilen Arten, hier deren Flugbewegungen im Untersuchungsraum, im Nachhinein nicht überprüfbar sind und die Fachbehörden selbst bei massiven Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der übermittelten Daten in der Regel weder Zeit noch finanzielle Möglichkeiten zur Erstellung eines eigenen Gutachtens haben, müssen sie die Ergebnisse als Grundlage ihrer artenschutzrechtlichen Genehmigung akzeptieren. Da es bei WKA-Projekten in der Regel zum immense Gewinne bei Betreibern, Grundeigentümern und Kommunen geht und den Ergebnissen der artenschutzrechtlichen Prüfung häufig eine Schlüsselposition bei der Genehmigung zukommt, ist der Druck auf die Gutachterbüros hier besonders hoch.
Engere Vorgaben zu Untersuchungsparametern und Methodik können dieser Problematik nicht entscheidend entgegenwirken, da den Möglichkeiten zur Überprüfung Grenzen gesetzt sind.
Deshalb bleibt als effektive Möglichkeit, solchen Gefälligkeitsgutachten - und damit letztlich Umwelt und Natur schädigenden Vorhaben - wirksam entgegentreten zu können, nur die Auflösung der Interessenverquickung, d.h. die Entkoppelung von Gutachter und Vorhabens- / Planungsträger. Als entscheidender Schritt müssten die Auftragsvergabe und die abschließende Abnahme bei allen naturschutzrechtlich erforderlichen Gutachten über die für das naturschutzrechtliche Genehmigungsverfahren zuständige Fachbehörde erfolgen. Auch wenn Fachbehörden des Naturschutzes nicht immer gegen den Einfluss wirtschaftlicher Interessen gefeit sind, sollte ihnen grundsätzlich keine interessengesteuerte Beeinflussung der externen Gutachter unterstellt werden.
Die diesbezüglichen Zuständigkeiten sind vermutlich wesentlich in Naturschutz- und Baurecht, möglicherweise aber auch anderweitig geregelt. Welche Rechtsvorschriften entsprechend zu ändern wären, müsste eruiert werden. Dieses sollte der NABU-Bundesverband übernehmen, um dann gezielt an die politischen Entscheidungsträger heranzutreten. Für dieses naturschutzpolitische Projekt ist 'ein dickes Brett zu bohren', da mit erheblichem Widerstand aus den Reihen der Wirtschaft und deren politischer Interessenvertreter zu rechnen ist. Deshalb ist die angestrebte Änderung des Vergabeverfahrens möglicherweise nur als konzertierte Aktion mit anderen Verbänden wie WWF und BUND durchzusetzen.
ILu, Text: FHey, HSch 10. November 2015
Weitere Informationen
Pressemitteilung des NABU vom 19. November 2014: Gutachter bagatellisieren Artenschutzkonflikte