Diskussion um das Jakobskreuzkraut
Offener Brief an Umweltminister Dr. Robert Habeck
Sehr geehrter Herr Minister Dr. Habeck,
mit Ende des Sommers ist auch die Diskussion um das Jakobskreuzkraut (JKK) abgeebbt. Das gibt Zeit für einen unserer Auffassung nach dringend notwendigen, kritischen Rückblick. Denn die Art und Weise, mit der die Debatte um das JKK vor Ort, aber auch in Ihrem Hause geführt worden ist, bereitet uns ernsthafte Sorgen. Im kommenden Jahr wird die Auseinandersetzung mit Sicherheit wieder aufflammen. Bis dahin sollte unbedingt reflektiert werden, ob die von Ihnen gewählte Nachgiebigkeit als Strategie tatsächlich lösungsorientiert und naturschutzpolitisch tragfähig ist - wir haben da als NABU unsere Zweifel!
Dem NABU geht es weniger um das Wohl und Wehe des JKK. Die Pflanze ist robust, wird alle Bekämpfungsmaßnahmen auch in seiner Verbreitung überstehen und wahrscheinlich irgendwann von selbst zurückgehen. Unsere Befürchtungen richten sich vielmehr auf die mit den Bekämpfungsmaßnahmen einhergehenden 'Kollateralschäden' sowohl unter dem Aspekt des Eingriffs in ökologisch bedeutsame Lebensgemeinschaften, als auch unter naturschutzpolitischen Gesichtspunkten. Hier zeigt sich ein weitgehend missglücktes, auf Aktionismus im Vorgehen und Opportunismus in der Grundeinstellung gepoltes Management, das keinesfalls zur Beruhigung der handelnden Kreise und zur dringend gebotenen Versachlichung führt. Diese Kritik, von der wir das bei der Stiftung Naturschutz gebildete JKK-Kompetenzzentrum ausdrücklich ausnehmen, erscheint hart, muss aber mal ausgesprochen werden.
Was das Vorgehen auf Naturschutzflächen anbelangt, bedeuten die der Stiftung Naturschutz von Ihnen abverlangten Maßnahmen im Hinblick auf die bei der Flächenentwicklung ursprünglich verfolgten Ziele einen echten Rückschritt. Über die ökologischen Auswirkungen haben sich NABU und andere Naturschutzfachkräfte hinreichend geäußert; das muss hier nicht wiederholt werden. Deshalb beschränken wir uns auf den Hinweis, dass eine Mahd bzw. ein Mulchen auf 1.200 ha oder mehr an Naturschutzflächen, die sich gerade ohne Mahd und ähnliche Eingriffe entwickeln sollen, eine massive Störung zu Lasten der Biodiversität bedeutet. Zumal sie mitten in der Vegetationsperiode stattfindet, wenn auf den Wilden Weiden 'das Leben tobt'. In so manchem FFH- und EU-Vogelschutzgebiet dürfte sich der mit flächenhafter Mahd verbundene Eingriff in die Biodiversität weder mit dem Verschlechterungsverbot noch mit dem Entwicklungsgebot vereinbaren lassen, so dass Zweifel auch an der rechtlichen Zulässigkeit einiger dieser Maßnahmen angebracht sind.
Widersprüchliches Vorgehen
Das Vorgehen ist allein schon unter Naturschutzaspekten in höchstem Maße widersprüchlich: Der Naturschutz beklagt den Rückgang an bunten Wiesen und deren Insektenvielfalt - um die ihm verbliebenen artenreichen Flächen dann auf Geheiß des grünen Umweltministers abmähen zu müssen. Arten- und strukturreiches Grünland soll - richtigerweise - unter Schutz gestellt werden, wobei mit dem bunten Bild des Blütenreichtums geworben wird. Zweifelsohne gehören zu dieser Gebietskulisse aber auch viele mit JKK bestandene Flächen, d.h. ein erheblicher Teil der Halboffenen Weidelandschaften wird in diese gesetzliche Biotopschutzkategorie fallen. Für solche Flächen als oberste Naturschutzbehörde eine Mahd zur 'ökologischen Unzeit' anzuberaumen, basierend auf dem Gedanken, damit einige aufgebrachte Gemüter beruhigen zu wollen, ist ein völlig falsches Signal nicht nur bezüglich Wert, Schutz und Pflege solcher Blumenwiesen, sondern auch im Hinblick auf die Vorbildwirkung der öffentlichen Hand.
Der Bauernverband reibt sich indes die Hände. Hat er es doch geschafft, dem Naturschutz öffentlichkeitswirksam nicht nur erneut eine ‘Verlodderung’ seiner Flächen anzudichten, sondern ihn sogar als Gefahrenquelle für die Umgebung, wenn nicht für das gesamte Land, darzustellen. In letzter Zeit hat die Gesellschaft zunehmend genervt auf die Klagen des Bauernverbands über den Naturschutz reagiert. Doch nun halten nicht wenige Menschen die Behauptungen für bestätigt, weil der grüne Naturschutzminister den überzogenen Forderungen nicht etwa entgegen tritt, sondern sie durch seine Nachgiebigkeit sogar bekräftigt.
Vertreter des Bauernverbands konnten ungehindert über Verstöße gegen den Tierschutz schwadronieren, obwohl die auf den Extensivweiden gehaltenen Rinder ein ungleich artgerechteres und meistens auch längeres Leben als die in Intensivhaltung genutzten Tiere führen. Zwei unbestätigte Verdachtsfälle auf JKK-Vergiftung wurden zu einer unverantwortlichen Vernachlässigung des Tierwohls hochstilisiert, begangen durch die Stiftung Naturschutz, die dem Bauernverband ja ohnehin ein Dorn im Auge ist. Dass sich zeitgleich Hunderte andere Extensivrinder auf JKK-bestandenen Flächen pudelwohl gefühlt haben, wurde natürlich ebenso ausgeblendet wie die Tatsache, dass konventionell geführte Landwirtschaften mit dem JKK überhaupt keine Probleme haben, selbst wenn die Rinder flächendeckend in unmittelbarer Nachbarschaft stehen. Hier wären ein paar klare Worte des Ministers notwendig gewesen, um dieses vom Bauernverband konstruierte, verlogene Katastrophenszenario auf den Boden der Tatsachen herunter zu holen!
Durchsichtige Strategie
Die durchsichtige, aber anscheinend trotzdem erfolgreiche Strategie des Bauernverbandes verfolgt den Zweck, die Stiftung als angeblichen Flächenkonkurrenten im Besonderen und die extensive Weidewirtschaft als vermeintlichen Konkurrenten bei den Agrarsubventionen im Allgemeinen durch Imagebeschädigung zu bekämpfen. Dass Extensivlandwirtschaft in ihren Augen keine 'echte' Landwirtschaft und damit nicht prämienberechtigt sei, haben deren Vorstandsmitglieder mehrmals betont. So zelebriert der Bauernverband mit seinen örtlichen Protagonisten beispielsweise in Angeln oder Ostholstein eine regelrechte Betroffenheitskultur, obgleich kaum eines seiner Mitglieder wirklich selber Probleme mit dem JKK hat. Zudem sind die Extensivbeweider dem Bauernverband großteils gar nicht beigetreten.
Als weitere Problemgruppe kann man die Pferdehalter wahrnehmen. Einerseits schaffen sie jedoch selbst durch Überbesatz auf ihren Koppeln ideale Ansiedlungsbedingungen für das JKK, andererseits trägt die Sorge um das Wohlergehen ihrer vierbeinigen Lieblinge nicht selten groteske Züge. Da aber auch Pferde, solange sie nicht stark hungern, die Pflanze auf der Weide stehen lassen und das Heu meist von konventionell genutztem Grünland gewonnen wird, lässt sich auch auf diese Gruppe argumentativ einwirken. Die Aufregung unter den Pferdehaltern scheint sich auch deswegen zu legen, weil man allen Unkenrufen zum Trotz weit und breit keinen definitiv auf JKK zurückzuführenden Todesfall ausmachen konnte. Dennoch versuchen Bauernverband und sein Umfeld weiterhin, die Reiter für ihre Kampagne einzuspannen. So wird in Ermangelung dramatischer Vorfälle vor Ort auf drei Todesfälle in Österreich verwiesen. Leider kommt Ihr Haus auch im Hinblick auf verunsicherte Pferdehalter nicht auf den Gedanken, schlicht anhand der Statistik zur Anzahl der in Deutschland und Österreich gehaltenen Pferde die Verhältnisse gerade zu rücken.
Imker lassen sich instrumentalisieren
Die dritte Problemgruppe stellen Imker dar, von denen sich einige instrumentalisieren lassen, obgleich die vom Bauernverband verfochtene hochintensive Landwirtschaft eigentlich ihr allergrößtes Problem bildet und eher etwa der Einsatz von Neonicotinoiden als Insektizid einen sicher um Potenzen drastischeren Einfluss auch auf die Imkerei hat. Auch hier wieder eine vergleichbare Situation: Ein verschwindend kleiner Anteil des selbst produzierten Honigs ist mit PA über die Grenze der Verzehrfähigkeit hinaus belastet, was mit wenigen Verhaltensänderungen in der Imkerei abzustellen wäre, wie es viele Imker selbst betonen. Zwar sind in einer Pressemitteilung des Ministeriums die Relationen mit exakten Daten zu den Analyseergebnissen der Honigproben deutlich dargestellt worden. Dennoch zeigen Sie betroffene Miene und postulieren, heimischer Honig als Inbegriff von Naturreinheit und Gesundheit dürfe nicht PA-belastet sein. Dass Honig keineswegs absolut 'naturrein' ist, sondern manchmal auch Rückstände von Pflanzenschutzmitteln enthält (die im Hinblick auf die geringen Verzehrmengen ebenfalls nicht überbewertet werden sollten), bleibt unerwähnt. So hinterlassen Sie mit Blick auf den Honig den Eindruck, als sei eine weitere, dem JKK zuzuschreibende Gefahrenquelle ausgemacht worden, die nun tatsächlich Maßnahmen erforderlich machen würde.
So richtig zum 'gefährlichen Problemkraut' deklarieren Sie das JKK jedoch durch die für Stiftungsflächen anberaumte JKK-Bekämpfung. Denn jetzt hat es auch Lieschen Müller verstanden: 'Wenn auch der grüne Minister erklärt, JKK muss eingedämmt werden und allerorts zum gemeinsamen JKK-Ausreißen aufgerufen wird, dann muss da ja was dran sein!'
Fazit
Statt sich der bewussten Panikmache mit energischen Worten entgegen zu stellen und die Untersuchungsbefunde in aller argumentativen Deutlichkeit in die Waagschale zu werfen sowie offen die Ineffektivität flächiger Bekämpfungsmaßnahmen anzusprechen, lassen Sie die Sache nicht nur weiter vor sich hintreiben, sondern befeuern die Angstmacherei noch durch Ihre medienwirksamen Bekämpfungsaufrufe.
Vielleicht habe Sie noch nicht erkannt, von welcher Welle der Irrationalität Sie sich da haben mitziehen lassen. Deswegen ein paar Beispiele zur Veranschaulichung, was sich so alles in den Köpfen mancher Menschen abspielt:
- Aus der Stadt Schwentinental fragte eine bewegte Mutter den NABU, wie sie am besten alle JKK-Pflanzen aus dem weiteren Umfeld des Kindergartens entfernen könnte. Obgleich sie ja um den Nutzen des JKK für Insekten wüsste, müsse doch zum Schutze der Kinder gehandelt werden.
- In der Gemeinde Scharbeutz zertrampelten die Mitglieder des Umweltausschusses (!) einen schmalen Dünengürtel und rissen in Gegenwart der Presse die gelb blühenden Pflanzen heraus, um die Strandbesucher vor dem JKK zu schützen, wie sie erklärten. Allerdings 'erwischten' sie nicht das JKK, sondern das Frühlingsgreiskraut.
- Während eines Ortstermins am NSG Barkauer See (Kreis Ostholstein) verkündet einer der angeblichen Naturschutzexperten aus der Anti-JKK-Liga, dass JKK seiner Feststellung nach auch für ein Vogelsterben verantwortlich sei, da Meisen und andere Vögel die auf JKK spezialisierten und PA-haltigen Raupen des Blutbären-Falters fressen und sich an ihnen vergiften würden. Deshalb habe er bei seinem Gang über die Fläche die Raupen getötet.
In Quintessenz solch hysterischer Anwandlungen wird denn auch eine Melde- und Bekämpfungspflicht für JKK-Vorkommen gefordert - als ob es sich um eine schwere Tierseuche oder einen gefährlichen Chemieunfall handeln würde.
"Eine Verfügbarkeitskaskade ist eine sich selbst tragende Kette von Ereignissen, die vielleicht mit Medienberichten über ein relativ unbedeutendes Ereignis beginnt und zu öffentlicher Panik und massiven staatlichen Maßnahmen führt. Manchmal zieht ein Medienbericht die Aufmerksamkeit eines Teils der Öffentlichkeit auf sich, die dadurch aufgerüttelt und beunruhigt wird. Diese emotionale Reaktion wird selbst zu einer Geschichte, die ihrerseits weitere Berichte in den Medien auslöst, was noch größere Besorgnis und Engagement hervorruft. Dieser Kreislauf wird manchmal gezielt von 'Verfügbarkeitsunternehmern' beschleunigt; das sind Einzelpersonen oder Organisationen, die daran arbeiten, einen beständigen Fluss beunruhigender Nachrichten aufrechtzuerhalten. Die Gefahr wird in dem Maße überzeichnet, wie die Medien um reißerische Schlagzeilen konkurrieren. Wissenschaftler und andere, die versuchen, die wachsende Angst und Abscheu zu dämpfen, finden wenig Beachtung, und die meiste davon ist feindseliger Natur: Jeder, der behauptet, die Gefahr werde übertrieben, wird der Beteiligung an einer 'ruchlosen Vertuschung' verdächtigt. Die Sache gewinnt politische Bedeutung, weil sie die Öffentlichkeit umtreibt, und die Reaktion des politischen Systems wird von der Intensität der öffentlichen Stimmung determiniert. Die Verfügbarkeitskaskade hat jetzt die Prioritäten neu festgesetzt."
Diese hier von dem Psychologen Daniel Kahnemann zusammengefassten, gesellschaftlichen Mechanismen, die Ihnen als Profi im politischen Geschäft sicherlich bekannt sind, zeigen sich im aktuellen Naturschutzgeschehen nicht nur beim Thema Wolf, sondern auch beim Thema JKK. Während Sie und Ihre MitarbeiterInnen die Auseinandersetzung um den Wolf diesbezüglich gut händeln und damit die Panikmacher in Schach halten, droht die Debatte um das JKK aus dem Ruder zu laufen.
Klares Gegensteuern notwendig
Klares Gegensteuern seitens der staatlichen Autorität, als die nun mal das zuständige Ministerium und dessen nachgeordnete Fachverwaltung in Angelegenheiten des Umweltschutzes und der Landwirtschaft von der Öffentlichkeit empfunden wird, hätte diese künstlich aufgebauschte Diskussion zumindest entschärfen und den dahinter stehenden Protagonisten den Wind aus den Segeln nehmen können. Doch das Gegenteil ist geschehen: Mit Ihren hemdsärmligen Medienauftritten in Sachen JKK-Bekämpfung haben Sie die Anti-JKK-Liga in ihrem Tun und Denken sogar noch bestätigt.
Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie eindringlich, Ihren Kurs zu ändern! Dies bedeutet, Besonnenheit zu demonstrieren, keine Bekämpfungsmaßnahmen mehr zu proklamieren und mit unmissverständlichen Worten auf die tatsächlichen Verhältnisse hinzuweisen!
Mit freundlichen Grüßen
Hermann Schultz
NABU-Landesvorsitzender
Im Namen von Vorstand und Geschäftsführung
23. September 2015