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Jetzt Mitglied werden!Die sogenannte „gute fachliche Praxis“
Wenn Grundsätze nicht eingehalten werden...
Geht es in Diskussionen mit dem Bauernverband um die Kritik an landwirtschaftlichem Handeln, stolpert man immer wieder über den Begriff der „guten fachlichen Praxis“, die nach Aussage der landwirtschaftlichen Interessenvertreter jeder Landwirt – von bedauerlichen Einzelfällen abgesehen - selbstverständlich einhält. Wie ein Schutzschild wird damit gegenüber Laien und Journalisten jede Kritik an großflächigem, erkennbarem Fehlverhalten in der Praxis abgewehrt. Zurecht?
Die Landwirte in Deutschland beweisen täglich, dass sie aufgrund ihres hohen Ausbildungsstandes und eines intensiven Informations- und Beratungsangebotes die gute fachliche Praxis beherrschen und auch in der betrieblichen Praxis umsetzen. Die gute fachliche Praxis ist aber nicht die „StVO der Landwirtschaft“. Eine Auslegung im Sinne von Betreiberpflichten, was einer Bevormundung der Landwirte gleich zu setzen wäre, ist daher nicht möglich und auch nicht gewollt. Im Übrigen haben die Landwirte ein stark ausgeprägtes Eigeninteresse an der Beachtung der guten fachlichen Praxis, da sie den Rahmen für den ökonomischen Erfolg bildet.
Dies beteuern Vertreter des Bauernverbandes nicht erst seit November 1997, als auf einem Fachsymposium des NABU auf Gut Sunder das Thema erörtert wurde, wie mehr Umwelt- und Naturschutz in die Landwirtschaft integriert werden kann. Nicht nur Ökolandwirte sehen allerdings seit langem in den Richtlinien des ökologischen Landbaus eine wesentlich tauglichere Zielvorgabe als in denen der guten fachlichen Praxis.
Dass die Praxis in vielen Fällen vor Ort anders aussieht, ist dabei augenscheinlich, hinreichend belegt und fällt auch denen auf, die sich heute mit offenen Augen in unserer ehemals artenreichen, ursprünglich vielgestaltigen Kulturlandschaft bewegen. Die zunehmende Industriealisierung der landwirtschaftlichen Nutzung, deren Unterstützer gerade auch der Bauernverband ist, hinterlässt deutliche Spuren, messbar am Artenschwund und einer zunehmenden Belastung von Oberflächengewässern wie auch des Grundwassers mit Düngemitteln und Pestiziden.
Doch was verbirgt sich hinter dem wohlklingenden Begriff der „guten fachlichen Praxis“ und welche Konsequenzen drohen, sollte sich ein Landwirt doch nicht an die als Mindeststandard definierten Vorgaben halten? Schließlich ist die gute fachliche Praxis in der Landwirtschaft unter anderem im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) benannt, für den jeweiligen Geltungsraum spezifiziert und liefert laut Bundesamt für Naturschutz „einen Beitrag zur Bestimmung für eine aus Sicht des Naturschutzes und der Landschaftspflege tolerable Landbewirtschaftung“.
Definition
Als „gute fachliche Praxis“ wird im deutschen Recht allgemein zunächst die Einhaltung von Grundsätzen des Tier- und Umweltschutzes in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft bezeichnet. Sie gilt als Handlungsrahmen und beinhaltet Maßnahmen, die
- in der Wissenschaft als gesichert gelten,
- aufgrund praktischer Erfahrungen als geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind,
- von der amtlichen Beratung empfohlen werden und
- sachkundigen Anwendern bekannt sind.
- Bei der landwirtschaftlichen Nutzung muss die Bewirtschaftung standortangepasst erfolgen und die nachhaltige Bodenfruchtbarkeit und langfristige Nutzbarkeit der Flächen gewährleistet werden.
- Vermeidbare Beeinträchtigungen von vorhandenen Biotopen sind zu unterlassen.
- Die zur Vernetzung von Biotopen erforderlichen Landschaftselemente sind zu erhalten und nach Möglichkeit zu vermehren.
- Die Tierhaltung hat in einem ausgewogenen Verhältnis zum Pflanzenbau zu stehen und schädliche Umweltauswirkungen sind zu vermeiden.
- Auf erosionsgefährdeten Hängen, in Überschwemmungsgebieten, auf Standorten mit hohem Grundwasserstand sowie auf Moorstandorten ist ein Grünlandumbruch zu unterlassen
- Die natürliche Ausstattung der Nutzfläche (Boden, Wasser, Flora, Fauna) darf nicht über das zur Erzielung eines nachhaltigen Ertrages erforderliche Maß hinaus beeinträchtigt werden.
- Eine schlagspezifische Dokumentation über den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln ist nach Maßgabe des landwirtschaftlichen Fachrechts zu führen.
Dass nun von den oben genannten Regeln – die allerdings unkonkret gehalten sind, einen großen Interpretationsspielraum zulassen und viele unbestimmte Rechtsbegriffe beinhalten – nicht nur in Ausnahmefällen, sondern in großer Regelmäßigkeit abgewichen wird, machen unterschiedliche Beobachtungen deutlich:
Grünlandumbruch
Am auffälligsten sind Verstöße gegen die gute fachliche Praxis am massiven Grünlandverlust festzumachen. Nach Angaben der Landwirtschaftsverwaltung in Kiel wurden in den letzten Jahren viele tausend ha Grünland auf Moorböden bzw. grundwassernahen Standorten umgebrochen. Der NABU hat dies immer wieder deutlich kritisiert: Mit dem Umbruch geht nicht nur der Lebensraum von zahlreichen Tierarten wie Kiebitz und Feldlerche verloren. Der Niedermoortorf zersetzt sich auch bei Entwässerung und folgendem Sauerstoffkontakt und entlässt dabei große Mengen an klimaschädlichem Methan (CH4), Lachgas (N2O) und Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre.
Das MELUR hat versucht, über Erlasse und Verordnungen den Grünlandverlust – teils über den Schutz von Wiesenvögeln begründet – zu stoppen, dabei jedoch kaum Erfolg gehabt. Nunmehr soll zumindest „mesothrophes Grünland“ über das geplante neue Landesnaturschutzgesetz gesichert werden. Schleswig-Holstein findet sich aber nach wie vor in der Spitzengruppe der Bundesländer mit dem größten Grünlandschwund wieder. Längst ist landesweit die Schwelle der 8-Prozent-Vorgabe der EU überschritten, nach dem das Land über ein Verbot aktiv werden musste. Drohende finanzielle Sanktionen greifen hier nicht, da Landwirte wegen der derzeit hohen Gewinne beim Anbau von Agrarmais leicht auf EU-Prämien verzichten können.
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Gülleausbringung
Das Ausbringen von Gülle auf abgeernteten Maisäckern ist nur dann erlaubt, wenn der Boden anschließend bearbeitet wird, um die Nährstoffe einzuarbeiten. Doch allzu oft hält man sich nicht an diese und weitere Vorgaben der Düngeverordnung des Bundes, mit der Konsequenz, dass die unter anderem fischschädliche Gülle in Oberflächengewässer abgeschwemmt wird. Auch das Ausbringen auf gefrorenem Boden ist nicht nur nach der Düngeverordnung nicht zulässig, sondern verstößt ebenso gegen die Grundsätze der guten fachlichen Praxis. Geahndet werden derartige Vergehen aber nur in Ausnahmefällen, erst in den letzten Jahren ist das Land dagegen verstärkt vorgegangen. Selbst Anzeigen bei der Umweltpolizei hatten zumindest in den vergangenen Jahren aber keine Konsequenzen. Teils wurde eine Verfolgung mit der – rechtlich falschen – Begründung abgelehnt, sie seien zulässig, beziehungsweise entsprechende Ausnahmegenehmigungen seien erteilt worden.
Strukturvielfalt
Nach der guten fachlichen Praxis sind Beeinträchtigungen von Knicks, Kleingewässern und anderen Landschaftselementen in der Kulturlandschaft nicht zulässig. Erschwert wurde eine Kritik am Verhalten von Landwirten jedoch dadurch, dass nach der Streichung des Erlasses Knicks selbst mit ministerieller Genehmigung in ihrer Funktion für den Naturhaushalt erheblich beeinträchtigt werden durften. So war im Jahr 2005 der Ein-Meter-Schutzstreifen für diesen wichtigen Lebensraum der Kulturlandschaft aufgehoben worden. Knicks wurden durch das erlaubte Schlegeln ab dem Knickfuß erheblich verschmälert und zu Wallhecken degradiert. Nur wenig überspitzt formuliert leistete das damalige MLUR hier mindestens Beihilfe zum Verstoß gegen die gute fachliche Praxis. Die Konsequenzen sind heute überall zu erkennen - unser Knicksystem befindet sich in einem desaströsen Zustand. Erst vor kürzerer Zeit ist der Knickschutz wieder deutlich verbessert worden.
Bodenerosion
Äcker mit einer Neigung von mehr als 7 Prozent sollten nur unter besonderen Bedingungen landwirtschaftlich bewirtschaftet werden. Eigentlich schließen Hanglagen eine Nutzung als Acker aus, nur entsprechende Grünlandflächen dürften als solche genutzt werden. Die Realität sieht aber auch bei uns in vielen Fällen anders aus. An vielen Stellen lassen sich Beispiele dafür finden, dass auch Hanglagen mitgepflügt werden. Teils großflächige Abtragungen von Humusböden sind die Folge. Mit ihnen werden auch Nährstoffe in die Oberflächengewässer eingespült.
Verstöße bleiben ohne Konsequenzen
Doch welche Konsequenzen hat es, sollte sich ein Landwirt nicht an dem Regelwerk orientieren? Zunächst einmal ist hier nur festgelegt: „Mit diesen Regeln wird ein Beitrag zur Klarstellung der Betreiberpflichten geleistet und unter Einbeziehung der in der EU-Agrarpolitik verankerten Cross Compliance- Bestimmungen die Schwelle bestimmt, ab der naturschutzkonforme Agrarförderung beginnen kann“, lautet hierzu die sperrige Auskunft des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) auf seiner Internetseite. Dies bedeutet, für eine Nutzung einer Fläche in der guten fachlichen Praxis definierten Intensität kann das Land berechtigterweise keine zusätzlichen Fördermittel bereitstellen. So will die EU verhindern, dass für angebliche Selbstverständlichkeiten die Mitgliedstaaten Geldzahlungen leisten und es so zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Was passiert, wenn man sich nicht an die Vorgaben hält, ist nur über Cross-Compliance-Einschränkungen fassbar. Im Falle eines Verstoßes können Fördermittel der EU eingeschränkt werden – Sanktionen sind aber so gering und die Kontrollen so dürftig, dass hierdurch kein nennenswerter Einfluss auf die Praxis ausgeübt wird.
Und bei konkreten Verstößen außerhalb von Förderkürzungen? Die erstaunliche Antwort lautet: Keine! Denn weder starke Bodenerosion, Grünlandumbruch auf Moorböden oder die Beeinträchtigung von wertvollen Lebensräumen sind allein aus dem Verstoß gegen die Regeln der guten fachlichen Praxis heraus mit Strafen sanktioniert. Auch das Umweltministerium hat dies auf Nachfrage bestätigt.
NABU-Forderung
Der NABU fordert vor diesem Hintergrund, die gute fachliche Praxis stärker auszuformulieren und Verstöße stärker zu sanktionieren.
ILu akt. 7. August 2015
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