Halboffene Weidelandschaften vor dem Aus?

Weil sie nicht dem Bild konventioneller Landwirtschaft entsprechen...

Bekanntlich wird jede landwirtschaftliche Bodennutzung aus dem Agrarhaushalt der EU subventioniert: Basis ist eine pro Hektar bewirtschafteter Flächeneinheit gezahlte Prämie, mit der das frühere produktionsorientierte Subventionssystem abgelöst wurde. Dabei wird für Grünland mit etwa 200 € / ha zur Zeit noch weniger gezahlt als für Ackerland; ab 2013 wird die Prämie aber einheitlich sein. Anspruch darauf besteht nach dem Willen der EU für jede Bewirtschaftungsform und -intensität, also auch für sehr extensiv beweidete Flächen.

Selbst geringe Spuren einer Bewirtschaftung genügen. Sogar das Mulchen, d.h. ein bloßes Abmähen, Liegenlassen und Verrotten des Aufwuchses, wird hierbei als landwirtschaftliche Leistung anerkannt. So besteht auch für sämtliche extensiv beweidete Flächen ein Anspruch auf die sogenannte Agrarbeihilfe, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 14. Oktober 2010 entschieden hat, selbst „wenn deren Nutzung zwar auch landwirtschaftlichen Zwecken dient, der überwiegende Zweck aber in der Verfolgung der Ziele der Landschaftspflege und des Naturschutzes besteht“.

Denn „der Umweltschutz, der eines der wesentlichen Ziele der Europäischen Union ist, (ist) als ein Ziel anzusehen, das auch Bestandteil der gemeinsamen Agrarpolitik ist“. Die Landwirtschaftsministerien und andere landwirtschaftliche Verwaltungsorgane der Bundesländer, letztlich zuständig für die Gewährung der EU- Agrarbeihilfen, wollen dies aber ganz anders sehen.

Praxisferne und Widersprüchlichkeiten
So hat das damalige Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (MLUR) des Landes Schleswig-Holstein die Prämienfähigkeit von naturnah bewirtschafteten Flächen an eine ganze Reihe einschränkender Bedingungen geknüpft, die mit den ökologischen Zielsetzungen halboffener Weidesysteme nicht im Einklang stehen.

Beispielsweise durfte nach einer 2011 geltenden Vorgabe eine beihilfeberechtigte Fläche zu nicht mehr als 25% von Büschen und Bäumen bedeckt sein. Andererseits wird ein Mindestbesatz von nur 0,1 Großvieheinheiten je Hektar vorausgesetzt, d.h. es genügt, auf jeweils 10 ha eine Kuh grasen zu lassen. Diese würde aber niemals die aufkommenden Gehölze so weit zurückbeißen können, dass das Offenland nicht im Laufe der Jahre zu Wald werden würde. Schon gar nicht vermag ein so geringer Tierbesatz, die Gehölzbestockung wie 2011 verlangt auf höchstens 25% zu begrenzen.

Damit wollen die Autoren keinesfalls gegen die Möglichkeit einer für Trockenrasen angebrachten sehr niedrigen Beweidungsintensität votieren; auch könnte durchaus mal ein durch Rinder- oder Pferdemaul ganz eigen geformter, unter Naturschutzaspekten hochinteressanter Wald entstehen. Doch weshalb trotzdem lediglich ein Viertel des Bodens von Büschen und Bäumen eingenommen werden durfte, entzieht sich der Logik.

Zumal das Weidevieh liebend gerne deren Blätter frisst und Gehölze ebenso wie krautige Pflanzen eine willkommene, für die Tiergesundheit wichtige Abwechslung zum Gras bilden. Nicht von ungefähr müssen am Rand von Intensivviehweiden stehende Knicks mit Zäunen geschützt werden – sonst würde das Vieh deren Sträucher bald abgefressen haben. Zudem gehören zum tierischen Wohlbefinden über die Weide verteilte Schattenbereiche zur Flucht vor der Sommerhitze ebenso wie ein Wetterschutz vor kalten Winden und eisigen Hagelschauern. Überdies kann sich bei geringer Viehdichte auch unter Baumkronen eine dichte Grasnarbe halten, wie gut gemanagte halboffene Weidesysteme zeigen. Dabei kann der Baumbestand weit mehr als die erlaubten 25% einnehmen.

In 2012 ist die Regelung noch praxisferner geworden, denn jetzt müssen alle Einzelbüsche und Gehölzgruppen, sofern sie weniger als 100 qm einnehmen, vermessen und zu ihrer Gesamtfläche aufaddiert werden. Beträgt diese mehr als 6 % der Parzellenfläche, muss sie von dieser als nicht beihilfefähig abgezogen werden (siehe Kasten "So wiehert der Amtsschimmel" weiter unten).

Und was sagt dazu die EU selbst?

Eine mit Bäumen bestandene Parzelle gilt als landwirtschaftliche Parzelle im Rahmen der flächenbezogenen Beihilferegelungen, sofern die landwirtschaftlichen Tätigkeiten (...) unter vergleichbaren Bedingungen wie bei nicht baumbestandenen Parzellen in demselben Gebiet möglich sind.

Nach Art. 34 Abs. 4 der EU-Verordnung 1122/2009

Folglich dürfte es keine Zweifel an der Prämienberechtigung geben, weil der Baumbestand die Extensivbeweidung nicht behindert. Von dieser Aussage zeigen sich die Landwirtschaftsvertreter im Ministerium sowie im Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) allerdings unberührt.

Zumal deren Auflagen noch weiter gehen. So darf die Pflanzendecke auf förderfähigen Parzellen nicht mehr als zu 25% aus Heiden, Moosen, Brombeeren oder Schilf bestehen. Nun ist gerade für weitläufigere Heideflächen die Beweidung v.a. mit Schafen und Ziegen, die nicht nur aufkommende Gehölze und überwachsende Gräser kurz halten, sondern auch das Heidekraut durch Verbiss regenerieren, die effektivste Methode zur Erhalt dieses wertvollen Biotoptyps. Dennoch sollen nach dem Willen der Verwaltung selbst nur teilweise mit Heidekraut, weit überwiegend aber mit Gräsern bewachsene Bereiche nicht mehr prämienfähig beweidet werden.

Pikanterweise bezog sich das anfangs angeführte EuGH-Urteil aber gerade auf die Beweidung einer Heidefläche, für die die zuständige Landwirtschaftsverwaltung der Schäferin die Zahlungsansprüche streitig machen wollte – und verlor. Allein schon, dass sich das schleswig-holsteinische Landwirtschafts- und Umweltministerium mit seinen Restriktionen darüber hinweggesetzt hat, obgleich der EuGH in seiner Urteilsbegründung die naturschutzbezogenen Intentionen der EU-Agrarpolitik explizit hervorgehoben hat, ist paradox.

Gleichfalls nicht nachvollziehbar ist, dass ausgerechnet Schilf auf die Negativliste des MLUR geraten ist, obwohl es vor allem mit seinen jungen Sprossen ausgesprochen gerne gefressen wird. Die extensive Beweidung von Feuchtflächen ist das einzige Mittel zur Auflockerung wüchsiger Landschilfbestände, um damit der Begleitflora wie z.B. Sumpfdotterblumen das benötigte Licht zu geben. Dass dagegen selbst für kräftige Rinder unzugängliche Brombeerdschungel nicht beihilfefähig sind, mag ja noch zu verstehen sein. Nicht zu begreifen ist allerdings, dass eine gesamte Parzelle aus der förderfähigen Kulisse selbst dann herausgenommen werden müsste, wenn ihr weit größerer Teil mit Futterpflanzen bestanden wäre und die 25% Brombeergestrüpp nachweislich als Habitat für Laubfrosch, Neuntöter und Grasmücken dienen.

Bleiben noch die ebenso unter die 25%-Obergrenze fallenden Moose. Hier hat sich die geradezu groteske Praxisferne des ministeriellen Ausschlusskatalogs bei einer Kontrolle vor Ort bewiesen, nämlich auf dem großflächig als halboffene Weidelandschaft entwickelten ehemaligen Truppenübungsplatz Schäferhaus bei Flensburg. Dort hat sich in einem Bereich am Grund einer Grasflur eine Moosschicht gebildet – wie es mancher Gartenbesitzer von seinem Rasen kennt. Die Rinder hatten genüsslich Gras und Kräuter abgeweidet, bevor die Prüfer zur Inspizierung kamen. Also sahen diese viel Moos und wenig Gras und haben aufgrund ihres momentanen Eindrucks die Parzelle für nicht beihilfefähig erklärt. Hätte ihre Besichtigung einige Wochen früher oder später stattgefunden, wäre die Moosschicht vermutlich gar nicht aufgefallen.

Auch für die Beweidung von Trockenflächen enthielt das ministerielle Regularium für 2011 einen Stolperstein. Denn „mindestens 75 % des Bodens müssen durch Pflanzenbestandteile (nicht nur durch Stängel) abgedeckt sein“. Bei Beweidung sandig-trockener Standorte, die, sofern nicht aufgedüngt, häufig ohnehin nur eine schüttere Vegetation tragen, tun sich zu niederschlagsarmen Zeiten offene Bodenstellen schnell in größeren Umfang auf. Wenn dann noch eine Rotte Wildschweine die Fläche umbricht, bleibt von der Pflanzendecke nicht mehr viel übrig, schon gar nicht die geforderten 75%.

Weil auf diesem Wege aber lichtbedürftige und gegenüber wüchsigen Gräsern konkurrenzschwache Arten der Magerrasenflora eine Chance erhalten, ist die teilweise Freilegung des Bodens naturschutzfachlich durchaus positiv zu sehen. Zumindest diese unglückliche Vorgabe ist 2012 entfallen. Aber wer weiß, welche Finessen die Landwirtschaftsverwaltung für 2013 plant?

Konventionelle Landwirtschaft als Leitbild
Offensichtlich orientierte sich das MLUR bei seinen „Regeln zur Nutzung beihilfefähiger Hektarflächen“ am Erscheinungsbild von herkömmlichem Intensivgrünland: eine möglichst schiere, dichte und wüchsige Grasdecke, in der andere Pflanzen für das auf Hochleistung getrimmte Vieh als wirtschaftlich unproduktiv betrachtet werden.

So richtet sich das MLUR in dem Papier nach an einer der konventionellen Landwirtschaftslehre entliehenen Einordnung als „herkömmliche Grünfutterpflanzen“. Dazu zählen allerdings auch u. a. Binsen, Großseggen und Rohrglanzgras. Doch trotz deren Einstufung als Futterpflanzen dürfen diese nicht über 50% der Fläche einnehmen. Mit dieser Bestimmung wird die Prämienberechtigung vieler der nach § 30 Bundesnaturschutzgesetz geschützten seggen- und binsenreichen Nasswiesen verneint, obgleich deren Beweidung für den Erhalt ihrer Artengemeinschaft unerlässlich ist und deshalb in der Biotopschutzverordnung des Landes ausdrücklich als Pflegemaßnahme erwähnt wird.

Wer das Fraßverhalten von Robustrindern beobachtet hat, wird feststellen, dass gerade die auf vielen feuchten Naturschutzflächen als problematisch eingestuften Flatterbinsen im Winter von den Tieren ausgesprochen gerne kurzgefressen werden.

Weiterhin ist vom MLUR vorgeschrieben worden, dass eine beihilfefähige Fläche „zumindest im überwiegenden Teil des Vegetationszeitraumes eine ausreichende Trittfestigkeit für die Weidetiere aufweisen“ muss. Auch diese Maßgabe orientiert sich an der konventionellen Koppelhaltung, bei der schon aus Tierschutzgründen vermieden werden sollte, dass sich das Weidevieh im tiefen Matsch bewegen muss.

Dagegen ist bei Weidelandschaften die Durchweidung auch der feuchten und nassen und damit nicht trittfesten Flächenanteile naturschutzfachlich gewollt und unter Tierschutzaspekten unbedenklich. Denn zu den Managementgrundsätzen gehört, dass die Tiere ihre Aufenthaltsbereiche selbst wählen können. Obwohl ihnen genügend trockenere, trittfeste Böden zur Verfügung stehen, suchen sie immer wieder gerne Feuchtgebiete mit weichen Böden auf, um dort an Schilf, Binsen und Erlen zu knabbern. Bei den geringen Besatzdichten von durchschnittlich 0,3 – 0,5 Tieren / ha ist ein flächiges Schwarztreten jedoch selbst für feuchte Bereiche nicht zu erwarten.

Alle diese drastischen Einschränkungen der Prämienfähigkeit widersprechen den Erfahrungen aus der extensiven Weidewirtschaft mit Robustrassen. Geradezu betriebsblind nimmt das Beihilfe-Regelwerk die auf hohe Erträge durch eiweißreiche Futtergräser, intensive Flächenpflege und empfindliche Hochleistungsrassen aufgebaute konventionelle Grünlandbewirtschaftung zum Maßstab. Es droht damit die Chancen zunichte zu machen, die sich aus einem großflächig extensiven Beweidungsmanagement für die landwirtschaftliche Pflegenutzung von teilweise Grenzertragsstandorten ergeben.

Diese restriktiven, widersprüchlichen und praxisfernen Beihilferegelungen sind nicht nur fürs Papier entwickelt worden. Vielmehr werden die Beihilfeanträge der in Weidelandschaftsprojekten engagierten Extensivhaltungsbetriebe intensiven Vor-Ort-Kontrollen unterzogen. Im Focus stehen dabei nicht nur Landschaftselemente wie Gewässer und geschlossene Feldgehölze. Sie müssen bei einer Größe von mehr als 2.000 qm schon seit langem als nicht zuwendungsfähig herausgerechnet werden. Das ist vor dem Hintergrund, dass sie faktisch nicht landwirtschaftlich nutzbar sind, durchaus verständlich.

Doch nach den Vorgaben des MLUR werden ganze Flächenkomplexe komplett als nicht beihilfefähig eingestuft, obwohl sie von den Weidetieren deutlich erkennbar genutzt werden. Das betrifft in der Praxis hauptsächlich das „Markenzeichen“ vieler Weidelandschaften, nämlich weitläufig mit aufgewachsenen Bäumen und Sträuchern durchsetzte Gebiete, bei denen der Gehölzanteil häufig über den niedrigen Toleranzgrenzen liegen kann. Folglich gehen Prämien für erhebliche Flächenkontingente verloren, teilweise für bis zu einem Drittel der gesamten Wirtschaftsfläche.

Dieses ist für die Tierhalter ökonomisch nicht zu verkraften. Denn deren Einnahmen erwachsen weit überwiegend aus den Prämienzahlungen. Aus der Fleischvermarktung lässt sich bei den niedrigen Tierzahlen dagegen kein tragfähiger Erlös erzielen. Zudem sind die veterinärmedizinischen Untersuchungen, das Einfangen zur Erfüllung der Kennzeichnungspflicht (Ohrmarken), zu Verkauf oder Schlachtung etc. bei in großen, unübersichtlichen Gebieten gehaltenen Tieren mit hohem Aufwand verbunden.

Zwar besteht die Möglichkeit, nach der jetzigen Regelung problematische Gebiete als „nicht landwirtschaftlich genutzte Flächen“ im Prämienantrag anzugeben, sofern diese in Natura 2000- oder Wasserrahmenrichtlinien-Gebieten liegen. Doch erstens befindet sich ein erheblicher Teil der „wilden Weiden“ außerhalb dieser Kulisse. Und zweitens wäre Bio-Betrieben (dazu zählen die meisten der Extensiv-Rinderhalter) dann der Bezug der Ökolandbau-Prämie verwehrt – weil die Weideflächen ja angeblich nicht mehr einer landwirtschaftlichen Nutzung unterliegen.

Fatale Folgen für den Naturschutz

Sollte sich also bei der Prämienregelung nicht bald Entspannung zeigen, dürfte ein Rückzug aus mehreren Gebieten die Folge sein. Eine Aufgabe der Extensivbeweidung hätte für den Naturschutz fatale Folgen. Die betroffenen Gebiete würden mit der Zeit zuwachsen, damit ihre Strukturvielfalt einbüßen und erheblich an Biodiversitätsqualität verlieren. Obgleich die Flächenentwicklung als „Wildnis“, d.h. ohne lenkende Eingriffe und damit auch ohne Beweidung, zweifelsohne ebenfalls eine wichtige Naturschutzaufgabe darstellt, dürfen deshalb dafür nicht Gebiete der halboffenen Weidelandschaften in Anspruch genommen werden.

Ebenfalls nicht im Sinne des Naturschutzes wäre der Versuch, durch Steigerung der Nutzungsintensität – oder gar mit dem Schlägelmähwerk – die nach den Beihilferegelungen des MLUR missliebigen Gehölz-, Binsen-, Seggen- oder Heidekrautbestände auf im „sicheren Bereich“ liegende Flächenanteile zurückzudrängen.

Über solche Folgen einer rigoros restriktiven Beihilfepolitik kann aber auch eine Landesregierung selbst gehörig ins Stolpern geraten. Denn die halboffenen Weidelandschaften stellen – gerade wegen ihrer hohen Anteile an nach dem Regelwerk des MLUR als nicht beihilfefähig abqualifizierten Strukturelementen – einen erheblichen Teil der FFH- und EU- Vogelschutzgebiete Schleswig-Holsteins. Verantwortlich für den europarechtlich geforderten „guten Erhaltungszustand“ dieser Lebensräume und der daran gebundenen Arten ist letztendlich die mit sehr geringer Viehdichte durchzuführende Beweidung.

Folglich würde deren Aufgabe oder deutliche Intensivierung diesen Erhaltungszustand gefährden. Wie problematisch sich das in der Artenschutzpraxis auswirken kann, offenbart sich unter anderem am Beispiel des Neuntöters. Dieser hauptsächlich von Großinsekten und Mäusen lebende Singvogel ist in Anhang 1 der EU-Vogelschutzrichtlinie gelistet und verpflichtet damit zu besonderen Schutzmaßnahmen. Deswegen hätte das Land für den Neuntöter eigentlich besondere Schutzgebiete ausweisen müssen. Es konnte aber geltend machen, dass mit dem über Schleswig-Holstein verteilten Netz an „wilden Weiden“ mit ihrem hohen Anteil an über die Flächen verteilten Dornengebüschen die Habitatansprüche dieses Vogels zielgerichtet erfüllt werden. Tatsächlich sind angesichts der heutigen intensiv genutzten Agrarlandschaft die Neuntötervorkommen fast sämtlich auf strukturreiche Extensivweiden beschränkt.

Auch beispielsweise Braun- und Schwarzkehlchen, Bekassine oder die wenigen Sperbergrasmücken des Landes finden ihre bevorzugten Lebensraumstrukturen in den „wilden Weiden“. Der größte Teil der Rotbauchunkenvorkommen konzentriert sich auf in Weidelandschaften gelegene Flachgewässer und Feuchtbereiche. Müssen sich Tierhalter aus der Beweidung aus finanziellen Gründen zurückziehen, drohen diesen Arten starke Bestandseinbrüche – und daraufhin dem Land Schleswig-Holstein heftige Sanktionen seitens der EU. Denn diese lässt deutliche Verschlechterungen beim Erhaltungszustand der europarechtlich geschützten Arten nicht zu, schon gar nicht, wenn dieses Problem „hausgemacht“ ist.

Im Dschungel der Landwirtschaftsbürokratie
Diese fachlichen und rechtlichen Naturschutzerfordernisse scheinen die Agrarbürokratie allerdings nicht zu berühren. Die Landwirtschaftsabteilung des LLUR als zuständige Behörde nimmt sich einen Extensiv-Tierhalter nach dem anderen vor, um sie systematisch anhand ihres Regelwerks bei ausgiebigen Vor-Ort-Kontrollen abzuprüfen. Besonders heftig betraf es Bunde Wischen, einen für die Beweidung von Naturschutzflächen gegründeten Verein, der als anerkannter landwirtschaftlicher Bio-Betrieb auf über 1.000 ha, darunter ehemalige Truppenübungsplätze, Galloways, mancherorts auch Koniks und Heidschnucken, als vierbeinige Landschaftspfleger einsetzt.

Jede der zum Prämienbezug beantragte Fläche wurde begutachtet. Obgleich die Parzellen bei einer Kontrolle im Jahr 2008 vom LLUR für förderfähig befunden wurden, ist im Bescheid auf den Prämienantrag 2011 für zahlreiche der gleichen Flächen der Prämienanspruch aberkannt worden. Meistens begründete das LLUR seine Entscheidungen formelhaft mit dem ihm zu hohen Bestockungsgrad an Büschen und Bäumen – obwohl die betroffenen Parzellen flächig beweidet werden. Dass Galloways Gehölze ausgesprochen gerne befressen und auch unter ihnen genügend Gras und Kräuter finden, hat nicht interessiert. Als Ergebnis erhielt Bunde Wischen vom LLUR einen Bescheid über Prämienabzüge in einer wirtschaftlich nicht mehr zu verkraftenden Dimension, dazu sind finanziell massive Rückforderungen für in den Vorjahren erhaltene Beihilfen angekündigt.

Fakt ist, dass die EU per Verordnung Kontrollen der in den Agrarbeihilfe-Anträgen angeführten Flächen verlangt, die zweifelsohne grundsätzlich notwendig sind. Toleriert ein EU-Mitgliedsstaat offenkundigen Subventionsmissbrauch, drohen ihm heftige Sanktionen. Dennoch stellt sich die Frage, weshalb der Kriterienkatalog Schleswig-Holsteins derart praxisfern und weit restriktiver gehalten ist, als es die EU verlangt.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich offenbar auch die EU-Verwaltung widersprüchlich äußert und bezüglich der von der EU-Kommission gemachten Vorgaben ein gewisses „Eigenleben“ pflegt. Dieses zeigen allerdings auch die Mitgliedsstaaten und, in einem förderalistisch organisierten Staat wie der Bundesrepublik, die Bundesländer. Die deutsche Landwirtschaftsbürokratie ändert ihre Regeln und deren Auslegung ständig, gerade auch im Hinblick auf die „nicht beihilfefähigen Flächen (NBF)“.

Hier bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern. So geht man in Bayern (wo sich der CSU-Politiker Goppel in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Deutschen Verbandes für Landschaftspflege sehr für die Extensivbeweidung engagiert) viel offener mit der Beihilfefähigkeit naturnaher Landschaftselemente auf Weideflächen um als in Schleswig-Holstein.

Wie schwer man sich hierzulande mit einer nachvollziehbaren und leicht anwendbaren Regelung tut, zeigt die aktuelle Fassung der „Erläuterungen und Hinweise zum Sammelantrag 2012“ des MLUR. (Beim „Sammelantrag“ handelt es sich um ein zum Erlangen der Agrarsubventionen auszufüllendes Formular.) Die dortigen Formulierungen zum Umgang mit den NBF auf „naturnah bewirtschafteten Flächen“ sind in ihrer Kompliziertheit und Praxisferne wohl kaum zu übertreffen (siehe Kasten).

Demnach müssten die Bewirtschafter halboffener Weidelandschaften die Fläche jedes einzelnen Busches vermessen, was in der Praxis schlicht nicht leistbar ist. Hier wird aber auch deutlich, dass solche bürokratischen Ergüsse nicht aus objektiver Notwendigkeit entstanden sind, sondern sehr wohl stark subjektive Züge tragen. Denn eine beispielsweise mit einzelnen Büschen strukturierte Weide als „mit kleinen NBF verseuchte Fläche“ zu bezeichnen, ist alles andere als wertfrei: Hier werden Bäume und Sträucher auf Viehweiden quasi als „Pestbeulen“ abqualifiziert.

Darf auf diesem Niveau über den Anspruch auf Beihilfe und damit über das Einkommen von Landwirten entschieden werden?

Des weiteren ist nicht nachvollziehbar, warum gerade im Bereich der extensiven Grünlandbewirtschaftung eine so überaus intensive und strenge Prüfung erfolgt. Denn für die Kontrolle der ebenfalls für den Prämienbezug relevanten Cross-Compliance-Regeln werden jedes Jahr lediglich 3%, nämlich das Mindesterfordernis, der Betriebe kontrolliert. Ob die Landwirte sich im Umgang mit Landschaftselementen wie Knicks und Kleingewässern tatsächlich naturschutzrechtlich konform verhalten, wie es nach Cross Compliance verlangt wird, bleibt dabei unbeachtet, weil nicht überprüft.

Darüber hinaus hat das Landwirtschaftsministerium keine Gelegenheit ausgelassen zu betonen, dass man bei den CC-Überprüfungen nicht zu „pingelig“ sein wolle. Auch bei vermuteten Verstößen gegen das von der EU geforderte Grünlandumbruchsverbot lässt das LLUR Engagement vermissen.

Neid und Verteilungskampf als Motiv?
Welche Hintergründe lassen sich für dieses restriktive Vorgehen vermuten? Weshalb werden ausgerechnet die Bewirtschafter der „wilden Weiden“ so hart angefasst? Zustimmung dürfte dieses Vorgehen jedenfalls beim Bauernverband gefunden haben. Dieser hat unverhohlen erkennen lassen, dass er in der Extensivbeweidung keine eigentliche Land wirtschaft sähe und diese damit auch keinen Anspruch auf Agrarbeihilfen habe. Dahinter steckt vermutlich die berechtigte Annahme, dass für die deutsche Landwirtschaft ab 2014 insgesamt weniger Geld für Direktzahlungen in Form von Flächenprämien zur Verfügung steht.

Denn dann wird die EU nicht umhin kommen, den bisher mit viel niedrigeren Beihilfen abgespeisten Landwirten aus den osteuropäischen neuen Mitgliedsstaaten höhere Sätze zuzugestehen. Da aber die EU ihren Agrarhaushalt nicht weiter aufblähen kann, muss sie dafür bei den bislang größten Profiteuren – dazu zählt Deutschland – die Beihilfen kürzen. Werden 2013 noch rund 350 € je ha gezahlt werden, wird ab 2014 eine Hektar-Prämie von ‚nur‘< etwa 250 € zu erwarten sein. Plastisch ausgedrückt: Wenn der Kuchen kleiner wird, versucht man einige Esser vom Tisch zu drängen, damit für die verbleibenden die Stücke nicht kleiner werden. Da Bio-Landwirte, insbesondere sich in Naturschutzprojekten engagierende Tierhalter, dem Bauernverband ohnehin suspekt sind, müssen sie im Verdrängungskampf halt als erste die Opferrolle einnehmen...

Die neue Regierung wird ihre Agrarpolitik hoffentlich weniger einseitig an den Wünschen der Intensivlandwirtschaft ausrichten, sondern sich ergebende Chancen eines produktiven Miteinanders von Landwirtschaft und Naturschutz nutzen wollen. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die EU die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Landnutzung aktuell so deutlich wie nie zuvor als Leitlinie ihres Handelns und damit auch ihrer Subventionsvergabe betont hat.

Für Schleswig-Holstein muss das unter anderem bedeuten, dass die Landwirtschaftsbürokratie in Sachen Beihilfefähigkeit von Weidelandschaften ihren Ermessensspielraum nutzt und ihren gleichermaßen unnützen wie schädlichen „Kleinkrieg“ gegen naturschutzorientierte Landnutzungsformen einstellt.

Fritz Heydemann
NABU Landesvorstand
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Gerd Kämmer
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8. Oktober 2012