Mit Kabelbinder gegen einen Kormoran
NABU bringt Tierquälerei zur Anzeige
Neumünster, 7. August 2017: Das staunt Familie Fehlandt aus Kiel zunächst nicht schlecht: Auf ihrer Veranda sitzt plötzlich ein junger Kormoran. Doch die Begeisterung über den ungewöhnlichen Anblick schlägt bei näherer Betrachtung des Vogels schnell in blankes Entsetzen um: Der Schnabel des Vogels ist mit einem schwarzen Kabelbinder verschnürt, offensichtlich um das Tier an der Nahrungsaufnahme zu hindern und es so dem Hungertod preiszugeben. Eine schreckliche Tierquälerei, die ohne ein Eingreifen des Menschen den sicheren Tod des Tieres bedeutet: Die Geschichte einer Rettung.
Familie Fehlandt ist naturbegeistert, und so freut sie sich am Nachmittag des 2. August 2017 über einen allerdings eher ungewöhnlichen Gast auf ihrer Veranda - keine Meisen oder Finken, auch keine Tauben oder gar ein Sperber lässt sich hier blicken. Statt dessen sitzt unvermutet ein noch nicht ausgefärbter, junger Kormoran in ihrem Garten in der Nähe des Nord-Ostsee-Kanals in Kiel. Er ist sicher erst seit wenigen Tagen flügge und nun heraus aus der Brutkolonie, wo er geschlüpft ist, auf dem ersten Streifzug in die Umgebung. Fehlandts kennen und schätzen diese Tiere, die jedoch bei Fischern und Anglern einen eher schlechten Ruf haben. Zu Unrecht, denn die jedes Jahr wieder neu behaupteten, gravierenden volkswirtschaftlichen Schäden für die Fischerei bleiben bis heute unbelegt. Kormorane sind jedoch wesentlicher Bestandteil des Ökosystems vieler größerer Oberflächengewässer.
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Der junge Kormoran mit Kabelbinder. Zu erkennen: Der Vogel kann den Binder nicht selbst übergestreift haben. - Foto: NABU / Susanne Fehlandt
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Ein Abstreifen des Kabelbinders und Öffnen des Schnabels zur Nahrungaufnahme ist nicht mehr möglich. - Foto: NABU / Susanne Fehlandt
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Mit einem Seitenschneider wird der Kabelbinder vorsichtig gekappt. - Foto: NABU / Susanne Fehlandt
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Der Schnabel ist frei, der Kormoran kann ihn zur Nahrungsaufnahme wieder öffnen. Schäden bleiben keine zurück.- Foto: NABU / Susanne Fehlandt
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Der junge Kormoran erhält einen Ring der Vogelwarte Helgoland. So lässt sich ggf. sein Schicksal verfolgen. - Foto: NABU / Susanne Fehlandt
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Nach dem Abflug aus der Hand schwimmt der Kormoran wieder auf dem Nord-Ostsee-Kanal. - Foto: NABU / Susanne Fehlandt
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Auf diesem Teich im Garten war der Kormoran gelandet und flog dann auf die Veranda. - Foto: NABU / Susanne Fehlandt
Das Drama eines Kormorans
Am Morgen des 3. August 2017 ist der Vogel erstaunlicherweise immer noch da. Bei einem genaueren Blick ergreift sie dann aber das blanke Entsetzen: Um den Schnabel gewickelt befindet sich ein schwarzer Kabelbinder!
Dringende Hilfe notwendig!
Schnell rufen sie den NABU und zudem ein in der Nähe wohnendes Mitglied der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft für Schleswig-Holstein und Hamburg (OAG) hinzu. Offen ist: Was soll mit dem Vogel passieren, wie kann man den noch leidlich agilen Vogel retten? Der NABU rät dazu, schnell einen beherzten Fangversuch zu unternehmen, um das Tier zur weiteren Behandlung in die Hand zu bekommen. Das gelingt zur großen Erleichterung aller, denn konditionell ist der Vogel bereits nicht mehr fit. Zudem kann ein geschwächter Kormoran nur schwer vom Boden auffliegen. Hans-Dieter Martens von der OAG ist dann der erste am Fundort, der den Kormoran entgegen nimmt und und das Tier genauer untersucht.
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Kein Unfall!
Die In-Augenscheinnahme offenbart, dass der Kabelbinder nicht, wie zunächst vermutet, vom Kormoran versehentlich übergestreift worden ist. So passiert es u.a. mit Netzresten, Plastiktüten und Angelschnüren, in die sich die Tiere bei ihren Tauchgängen verfangen können. Die Art und Weise, wie der Kabelbinder platziert ist - hinter der verdickten Schnabelspitze - lässt schließlich nur einen Schluss zu: Dem Kormoran wurde der Schnabel bewusst zugebunden. Eine Nahrungsaufnahme ist so unmöglich, dem Vogel droht ohne weitere Hilfe der sichere Hungertod - also eine bewusste Tierquälerei. Zudem ist der Kabelbinder abgeschnitten, wodurch die grausame Misshandlung auf Distanz erst auf den zweiten, genaueren Blick sichtbar wird. Ohne menschliche Einwirkung ist diese Manipulation - so die einhellige Meinung der nun befragten Experten - nicht erklärbar.
Fragen und Antworten
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Warum benennt der NABU einen "Angler" als möglichen Täter?
Der NABU hat einen 'Angler' als eine auf Grund der Bedingungen mögliche, aber natürlich nicht belegte Tatperson bezeichnet. Ähnlich verhält sich die Polizei, wenn sie den Täterkreis bei einem Vergehen eingrenzt, um den Erfolg von Ermittlungen, die auf der Mithilfe aus der Bevölkerung fußen, zu steigern („Der Täter wird im näheren Bekanntenkreis vermutet", „…hat vermutlich einen islamistisch-terroristischen Hintergrund“, „dürfte aus dem Milieu der Prostitution kommen“). Auch hier wird eingegrenzt, ohne dass selbstverständlich damit jeder Bekannte, jeder Ausländer oder jede Prostituierte als kriminell bezeichnet wird.
Was sind die Gründe dafür, einen "Angler" als Täter zu vermuten?
Die Auswahl der Tätergruppe "Angler" gründet sich auf folgende Sachverhalte:
1.) Motiv: Es ist hinreichend bekannt, dass Kormorane nicht zu den von Anglern besonders beliebten Tierarten gehören. Wer Angelforen auch nur sporadisch und oberflächlich sichtet, findet immer wieder entsprechende Äußerungen.
2.) Gelegenheit: Kormorane sind als flugfähige, und dann nicht gehandicapte Individuen auch wegen ihrer Scheu und des Misstrauens nur sehr schwer zu fangen. Es ist aber belegt, dass Wasservögel - und damit auch Kormorane - immer wieder mit Angelleinen und -haken in Kontakt kommen. Deshalb hat die Gruppe der Angler unter allen Teilen der Bevölkerung am ehesten die Möglichkeit und die Mittel, die Tat auszuführen. Zudem sind Angler im Umgang mit Tieren (zumindest Fischen) geübt, was für einen Großteil der Bevölkerung ebenfalls nicht zutrifft.
Die Argumentation ist damit logisch und nachvollziehbar.
Können nicht auch Ornithologen als 'Täter' in Frage kommen, wenn ihnen ein Kormoran 'entwischt'?
Vermutet wird, dass der Kormoran auch einem Ornithologen ("Beringer“) entwischt sein könnte. Auch das wurde vom NABU erörtert. Dagegen spricht jedoch, dass Kormorane ausschließlich als längst noch nicht flügge Jungtiere in deren Kolonien markiert werden, wie dem NABU u.a. durch Olaf Geiter, Technischer Leiter des Instituts für Vogelforschung (IfV), der 'Vogelwarte Helgoland', in Wilhelmshaven, auf Nachfrage bestätigt wurde. Geiter ist selbst Angler und war über längere Jahre Verbandsfunktionär.
Es gibt derzeit in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein und mindestens in ganz Mitteleuropa kein Beringungprogramm für ältere, flugfähige Tiere dieser Art, vor allem auf Grund der oben skizzierten Schwierigkeiten, flugfähige Tiere überhaupt 'in die Hand' zu bekommen. Dies bestätigen auch die Statistiken der europ. Beringungszentralen, in denen der Anteil als flugfähig beringter Kormorane verschwindend gering ist.
Zudem ist der Einsatz von Kabelbindern zur Fixierung von Tieren lt. Geiter „auszuschließen“, da Beringer die Tiere auf andere Weise händeln können. Die Beringung erfolgt routinemäßig zudem vor der Untersuchung, so dass ein entkommenes Tier zumeist schon markiert ist.
Warum wurde der Kabelbinder erst nach der Anfertigung von Fotos entfernt?
Der Kabelbinder ist nicht deswegen ein Tierschutz-Problem, weil er das Tier direkt quält (der Schnabel war erkennbar auch unversehrt), sondern weil er den Kormoran an der Nahrungsaufnahme hindert. Ein vorheriges Fotografieren vor der Beseitigung des Kabelbinders war daher vertretbar und zur Dokumentation des Sachverhaltes wie zur Beweissicherung für die Anzeige bei der Polizei auch zwingend notwendig. Die Fotos stammen jedoch nicht vom NABU, sondern wurden von der Familie zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Bei der Gesamtaktion war kein offizieller Vertreter des NABU anwesend. Der NABU wurde telefonisch und per E-Mailaustausch über die Vorkommnisse informiert.
Wehrhafter Vogel
Martens selbst ist erfahrener Beringer des Instituts für Vogelforschung, der 'Vogelwarte Helgoland'. Seit Jahrzehnten kennzeichnet er für die Wissenschaft Vögel mit speziellen Fußringen. So ist er auch in der Lage, mit dem durchaus wehrhaften Vogel fachgerecht umzugehen. Der ungeübte Tierquäler wird dagegen Dank des scharfen, hakigen Schnabels mit einiger Sicherheit deutliche Verletzungen an Armen und Händen aufweisen. Doch wie bekommt man einen Kormoran in die Hand, um sich daran so zu vergehen?
Vorstellbar und mehrfach belegt ist, dass etwa Angler Fischfresser wie Kormorane, aber auch Haubentaucher oder Enten 'an der Angelleine' haben können. Häufiger reißt die Schnur dann ab, und führt auch auf diese Art zum siechenden Tod der Tiere. Der Täter konnte in diesem Falle aber wohl den Kormoran lebend bergen, ihn selbst nicht töten und zog statt dessen einen Kabelbinder um den Schnabel. Ob ihm dabei klar war, dass dies einen drastischen Verstoß gegen rechtliche Vorgaben, die das tierschutzwidrige Quälen eines zudem durch die EU-Vogelschutzrichtlinie geschützten Vogels bestraft, darstellt?
Martens kann mit Unterstützung von Familie Fehlandt den Kabelbinder mit einem Seitenschneider auftrennen. Gott sei Dank hat der Schnabel bei der vorherigen Beeinträchtigung keinen größeren Schaden genommen. Nach der Markierung mit einem Fußring der Vogelwarte Helgoland entlassen die Akteure den Vogel wieder im Nord-Ostsee-Kanal in die verdiente Freiheit.
Inakzeptables Verhalten
NABU und OAG verurteilen gemeinsam in einer ersten Stellungnahme das verabscheuungswürdige Verhalten des Täters. Sich so an wehrlosen Geschöpfen wegen angeblicher Beeinträchtigungen ihres Hobbys zu rächen ist auch moralisch verwerflich. Dr. Wilfried Knief, Stellv. Vorsitzender der OAG: "Kormorane sind natürliche Bestandteile unserer Vogelwelt. Kaum eine Vogelart ist wissenschaftlich so gut untersucht, ihr Nahrungsverhalten gut dokumentiert. Für eine derartige Verfolgung gibt es keine fachliche Grundlage." Der Geschäftsführer des NABU Schleswig-Holstein, Ingo Ludwichowski, ergänzt: "Wer sich so abstoßend verhält, der lässt jegliches Mitgefühl mit unserer Tierwelt vermissen. Dies ist auch eine Folge der Jahrzehnte andauernden Progaganda von Interessenvertretern. Der NABU wird Anzeige bei der Polizei erstatten, um alle Möglichkeiten zu nutzen, den Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Zugleich setzen wir eine Belohung von 500 € für den entscheidenden Hinweisgeber aus, wenn der Tierquäler gefasst wird!" NABU und OAG bitten dazu um sachdienliche Hinweise an die Polizei.
ILu akt. 10. August 2017