Eiderstedt ist EU-Vogelschutzgebiet
Fakten belegen hohe Bedeutung für den Vogelschutz
Welche auf Eiderstedt lebenden Vogelarten geschützt werden sollten: Der NABU stellt Daten und Fakten über das EU-Vogelschutzgebiet Eiderstedt dar. Mehr →
Der Streit um eine angemessene Ausweisung des EU-Vogelschutzgebietes auf der Halbinsel Eiderstedt dauerte über zehn Jahre. Erkannte die rot-grüne Landesregierung noch die fachliche Notwendigkeit an, rd. 20.000 ha nach Brüssel zu melden (was jedoch nicht erfolgte), verkleinerte die neue CDU-SPD-Regierung die Kulisse auf nur noch rd. 2.800 ha. Nach einem Mahnschreiben der Kommission wurden dann rd. 7.000 ha ausgewiesen.
Die Ministeriumsspitze war zu Beginn ihrer Amtszeit in weiten Teilen nicht über die Verhältnisse auf Eiderstedt im Bilde und wohl auch fachlich mit einer Bewertung überfordert. Offensichtlich selbst getäuscht durch die Propaganda des Landtagswahlkampfs 2005, die vor allem die von der rot-grünen Landesregierung zur Meldung vorgesehene große Gebietskulisse auf Eiderstedt als `Ausgeburt grüner Phantasien' darstellte, wurden die fachlichen und rechtlichen Erfordernisse einer Meldung gegen ausdrückliche Bedenken der Fachabteilung des eigenen Ministeriums weit in den Hintergrund gedrängt.
Bei den Verhandlungen ausschließlich mit erklärten Gegnern einer Ausweisung ging das Ministerium daher beim Vorhaben, eine von der Kommission akzeptierbare Größe des Schutzgebietes zu erreichen, äußerst dilettantisch vor. Im Zuge der Akteneinsicht konnte das teils haarsträubende Vorgehen des Ministeriums vom NABU dokumentiert werden: Immer mehr der für die Ausweisung wertgebenden Arten Kiebitz, Uferschnepfe und Nonnengans wurden auf Druck der Schutzgebietsgegner aus der Kulisse 'herausdefiniert`, d. h. bei der Ausweisung des Gebietes EU-rechtswidrig nicht berücksichtigt. Massive Drohungen des damaligen nordfriesischen Landrats Bastian bewirkten, dass selbst beitrittswillige Landwirte nicht in die Gebietskulisse aufgenommen wurden. Dieses völlig unzureichende, weil viel zu kleinflächige Ergebnis wurde schließlich vom Minister gebilligt.
Mitte 2007 wurde die Absicht der EU bekannt, vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der auch nach Ansicht der Kommission unzureichenden Meldung von EU-Vogelschutzgebieten u.a. auch auf Eiderstedt Klage zu erheben.
Im April 2008 teilte die Kommission zudem erneut in einem Schreiben an die Bundesrepublik mit, dass bei der bisher gemeldeten Kulisse auf Eiderstedt wie in der Eider-Treene-Sorge-(ETS-)Region deutlich nachgebessert werden müsse.
Damit rückte für Schleswig-Holsteins damaligen Landwirtschaftsminister von Boetticher das für ihn politisch hoch brisante Thema wieder in den Vordergrund. Die SPD hatte sich, fußend auf einem 'Non-paper' des Bundesumweltministeriums, im Kabinett 2006 von dem Vorhaben distanziert, die Gebietskulisse deutlich zu reduzieren.
Damit lag die politische Verantwortung für eine weitere Verfolgung durch die EU beim Minister.
Der Vorgang zeigt deutlich das Dilemma des Ministers auf: Einerseits sollen - auf 'Freiwilligkeit' fußend - EU-rechtlichen Vorgaben erreicht werden. Andererseits stoßen diese bei Interessenverbänden auf entschiedenen Widerstand und zwingen letztlich wegen drohender EU-Sanktionen zur Anwendung staatlicher Maßnahmen. Verschärft wird die Situation dadurch, dass derzeit auf Eiderstedt wegen der intensiven Entwässerung und des großflächigen Grünlandumbruchs selbst in der zunächst zur Meldung anvisierten kleinräumigen Fläche der Bestand der Trauerseeschwalbe massiv zurückgeht.
Über adäquate Mittel, den andauernden Konflikt zwischen den Naturschutz- Anforderungen der EU einerseits und der Totalverweigerung der Eiderstedter Großbauern andererseits zu bewältigen, verfügt der Minister, gebunden an seine den Eiderstedter Lobbyisten gegebenen Versprechungen, offensichtlich nicht.
Seine zaghaften Vorstöße auf Bundes- und EU-Ebene, ggf. die Richtlinien hierfür zu ändern, liefen ins Leere. Wohl wegen des Widerstands der SPD enthielt sich die Landesregierung bei einer entsprechenden Abstimmungsinitiative von u. a. Hessen und NRW im Bundesrat der Stimme. Wegen des fortgeschrittenen Stadiums der Meldung in anderen Ländern wäre dieses Vorgehen für Eiderstedt auch erfolglos geblieben.
Massive wirtschaftliche Interessen einiger weniger, einflussreicher Ackerbauern auf Eiderstedt wie auch die direkte Nachbarschaft des mit der Region stark verwobenen Ministerpräsidenten dürften das Vorgehen des Ministers in weiten Teilen mitbestimmen. Die Lage auf Eiderstedt hat sich neuerdings aber dadurch verändert, dass sich eine Mehrheit von Grünland bewirtschaftenden Betrieben von der gegen eine Vogelschutzgebiet- Ausweisung agierenden, mittlerweile kaum noch agierenden Interessengemeinschaft "Pro Eiderstedt" distanziert, und nun beginnt, in einer größeren Schutzgebietskulisse auch die eigenen ökonomischen Vorteile zu sehen.
Eine Mehrheit von zumeist auf traditionelle Weise kleinere Flächen bewirtschaftenden Grünlandbauern steht damit gegen wenige große Ackerbauern. Diese setzen bei ihrer Bewirtschaftung auf die Entwässerung und den Grünlandumbruch, was jedoch mit den Schutzzielen unvereinbar ist, vom Ministerium aber dennoch toleriert wird.
Der Minister spielte im Falle Eiderstedt auf Zeit. Zwar fanden mehrfach Gespräche des Staatssekretärs Ernst-Wilhelm Rabius, des für die Wasserwirtschaft im Ministerium zuständigen Abteilungsleiters Dietmar Wienholdt und des Landesnaturschutzbeauftragten Klaus Dürkop mit Akteuren auf Eiderstedt statt, bei denen die fachlichen Notwendigkeiten nochmals deutlich wurden.
Ein akzeptables Gesamtkonzept ist daraus jedoch bis heute nicht entstanden. Dies verstärkt weiter die Zweifel an der Absicht, das Ziel wirklich erreichen zu wollen. In der Zwischenzeit sinken die Bestände bedrohter Wiesenvogelarten auch in den Rumpfflächen des Schutzgebietes teils dramatisch ab. Die wertgebende Trauerseeschwalbe droht hier in Kürze auszusterben.
Der NABU und eine wachsende Zahl von Grünlandbauern sind in die Suche nach Lösungen nach wie vor nur unzureichend eingebunden.
In der Öffentlichkeit gab sich Landwirtschaftsminister von Boetticher in Sachen Eiderstedt bis zum Eintreffen des Briefes aus Brüssel ahnungslos: "Er begrüße das Mahnschreiben der EU vom 28. April 2008, biete es ihm doch die Möglichkeit, zu erfahren, welche Kulisse der Kommission nunmehr vorschwebe", so lautet seine Linie, mit der er das eigentliche Dilemma, seine EU-Naturschutzpolitik ggf. vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt zu sehen, zu verschleiern sucht.
Bundesländer wie Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben dagegen unmittelbar nach der Klageankündigung der EU-Kommission noch fehlende große Gebiete nachgemeldet, um ihren unstrittigen Verpflichtungen nachzukommen. Einzig Schleswig-Holstein sah sich dazu im Vorwege nicht in der Lage.
Pikantes Detail: Der Umweltminister rückt mit seiner vorgetragenen "Unkenntnis" stillschweigend von seiner Anfang 2006 vor Medienvertretern auf einer Pressekonferenz getroffenen Aussage ab, er selbst habe das Miniaturgebiet von rd. 2.800 ha von der EU-Kommission bereits im Vorwege absegnen lassen. Vor diesem Hintergrund also erstaunlich, dass die EU-Kommission nun doch erhebliche Nachforderungen stellt und Minister von Boetticher nunmehr eine Kulisse von rd. 7.000 ha zur Meldung vorbereitet.
Naturschutzfachlich wie ökonomisch ist er auch mit diesem Meldevorschlag jedoch noch längst nicht "aus dem Schneider", sollte vom MLUR wirklich auch ein effektiver Schutz angestrebt werden: Sollen in dieser Kulisse die Bestände der anspruchsvollen Zielarten Trauerseeschwalbe sowie Kiebitz und Uferschnepfe dauerhaft gesichert werden, so müssen die Bewirtschaftungsauflagen für Landwirte eher hoch angelegt sein. Es ist nun mal schwieriger, auf relativ kleiner Fläche dieselben Vogelbestände zu erhalten wie in einem großen Gebiet. Dadurch sind jedoch ggf. nachteilige wirtschaftliche Auswirkungen für die Landwirte zu erwarten, die überwiegend in diesem Gebiet wirtschaften.
Die große Kulisse von rd. 20.000 ha hätte neben der besseren Berücksichtigung von Schutzaspekten für die bedrohten Vogelarten auch für die Landwirte den Vorteil gehabt, ökonomisch tragfähiger zu sein, da die notwendigen Auflagen bei Bewirtschaftung, aber auch die Fördermittel, breiter verteilt werden könnten.
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