NATURA 2000
Der lange Weg zum Netz europäischer Schutzgebiete
Was steckt eigentlich hinter dem NATURA 2000-Programm? Wie sieht das Ganze in Schleswig-Holstein aus? Der NABU informiert und bietet einen kleinen Überblick. Mehr →
Die Geschichte von NATURA 2000 begann in Schleswig-Holstein sehr zögerlich: Obwohl die Vogelschutzgebiete eigentlich bereits bis 1981 gemeldet werden sollten, hatte das Land bis 1989 erst zwei Gebiete benannt. In anderen Bundesländern sah es allerdings ähnlich aus. Als der NABU daraufhin eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission einreichte, kamen bis 1992 einige weitere Gebiete hinzu.
Erst im Zuge der Erarbeitung von Vorschlägen für FFH-Gebiete - die eigentlich bis 1995 hätten vorliegen müssen - meldete Schleswig-Holstein 1996 ein größeres Kontingent von 75 EU-Schutzgebieten. Dabei machte es sich das Land zunächst einfach und benannte fast ausschließlich Flächen, die schon als Naturschutzgebiete oder Nationalpark ausgewiesen waren.
EU-rechtlich muss der Ausweisung von NATURA 2000 Flächen aber ein wissenschaftliches Konzept zu Grunde liegen, das in der Lage ist, die in den Richtlinien der EU besonders benannten Arten und Lebensräume in ausreichender Zahl und Repräsentanz zu schützen. Da viele Arten und Lebensräume aber nicht in Schutzgebieten leben, war dieser Ansatz - vom NABU mehrfach bemängelt - von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Nicht besser verhielt es sich dann in den Jahren 1999 und 2000, als sich der damalige erste grüne Umweltminister Rainder Steenblock daran machte, dem stärker werdenden Druck von EU-Kommission und Naturschutzverbänden nachzugeben. Zwar war nunmehr ein Konzept bei der Ausweisung der von den Richtlinien geforderten »zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete« erkennbar.
Doch in den heftig geführten Kämpfen innerhalb der Landesregierung und mit Vertretern von Grundbesitz, Jagd, Fischerei und Landwirtschaft schmolz die vom Landesamt für Natur und Umwelt LANU erarbeitete Gebietskulisse schneller dahin als »Schnee in der Sonne«. Resultat: Der Vorschlag traf auf kaum mehr Akzeptanz bei den Betroffenen, selbst wenn sie meinten, der Ausweisung zunächst »entkommen« zu sein.
So brachte es die Gebietskulisse für die terrestrischen 73 EU-Vogelschutzgebiete auf magere 4,2 % der Landesfläche. Gemessen an der Bedeutung Schleswig-Holsteins und dem, was auch andere dichtbesiedelte Länder gemeldet hatten, blieb es weit hinter dem Notwendigen zurück.
Noch dürftiger sah es bei den 123 FFH-Flächen aus: Gerade einmal 2,0 % wollte das Land ursprünglich melden. In einer 86-seitigen Stellungnahme hatte der Arbeitskreis NATURA 2000, bestehend aus Vertretern von NABU, BUND, LNV und WWF, die Schwachpunkte der Gebietskulisse im Zuge der Anhörungen herausgearbeitet.
Daraus ging schließlich die »Sonnenliste« hervor. Sie benannte die aus der Sicht der Naturschutzverbände naturschutzfachlich notwendigen Flächen. Diese Liste wird auch heute noch von der EU-Kommission als Referenz den staatlichen Meldungen gegenüber gestellt.
Erst im Zuge der Erstellung der 3. Tranche beauftragte das damalige Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft MUNL unter Minister Klaus Müller das Michael-Otto-Institut im NABU damit, Datenlücken für einige Gebiete wie Eiderstedt zu schließen, für die eine hohe Bedeutung aus zahlreichen allerdings nicht flächendeckenden Erhebungen anzunehmen war.
Das Institut erfüllt dafür fachlich die besten Voraussetzungen, da es bereits für den NABU bundesweit in der Koordinierung der Vogelschutzbelange tätig ist und sich in dieser Funktion einen herausragenden Ruf geschaffen hat.
NATURA 2000 bezeichnet die Verpflichtung für die Staaten der Europäischen Union, auf der Basis der Vogelschutz-Richtlinie und der Flora-Fauna-Habitate-Richtlinie (FFH-Richtlinie) ein zusammenhängendes Netz von Schutzgebieten aufzubauen.
Mit den NATURA 2000 Gebieten sollen die biologische Vielfalt der Pflanzen- und Tierarten in Europa und deren Lebensräume als Naturerbe geschützt und für künftige Generationen erhalten werden. Die Vogelschutz-Richtlinie wurde 1979 zum Schutz der Vögel verabschiedet, wodurch jedoch der Schutz der Vielfalt europäischer Arten nicht gewährleistet war. Es folgte 1992 in einem zweiten Schritt die Verabschiedung der FFH-Richtlinie. In beiden Richtlinien ist die Ausweisung von geeigneten Flächen als Lebensräume vorgesehen.
Nach der FFH-Richtlinie sollen diese als kohärentes (zusammenhängendes) ökologisches Netz ausgewiesen werden und alle Lebensraumtypen der europäischen Landschaften in repräsentativem Umfang enthalten. Die ausgewiesenen Flächen beschränken sich nicht nur auf ausgewiesene Naturschutzgebiete.
Auch Flächen der genutzten Kulturlandschaft gehören zu NATURA 2000, wenn sie eine Bedeutung als Lebensraum für geschützte Arten besitzen. Sie erhalten durch die Ausweisung nicht automatisch den Rechtsstatus eines Naturschutzgebietes. Sie müssen jedoch in dem durch die bisherige Nutzung entstandenen Zustand erhalten werden, d.h. auch weiter genutzt werden, um den dort vorkommenden geschützten Arten weiterhin ihren Lebensraum zu erhalten. Eine weitere Intensivierung der Nutzung und die damit verbundene Verschlechterung der biologischen Situation ist nicht möglich.
Unter den von den Naturschutzverbänden genannten Flächen waren 2004 zahlreiche Gebiete, die sich im 3. Anlauf der Landesregierung, EU-Recht umzusetzen, wiederfanden. Die Vorstellung, mit der 2. Tranche »durchzukommen«, zerplatzte spätestens im April 2003 mit dem von der Europäischen Kommission angestrengten zweiten Vertragsverletzungsverfahren, mit der die Kommission nochmals unmissverständlich deutlich machte, dass auch Schleswig-Holstein noch wesentliche Hausaufgaben in Sachen FFH zu erledigen habe. Auch wegen unzureichender Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie hat die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren in die zweite Runde gebracht.
In Sachen FFH-Nachmeldungen läuft derzeit die Frist ab, mit der die EU dem Naturschutz-Nachzügler Deutschland letztmalig erlaubte, eine abschließende Gebietskulisse zu melden. Unter dem Druck der Kommission wurden vor kurzem u.a. die Ästuare der Elbe und der Trave vom neuen CDU-Landwirtschaftsminister Dr. Christian von Boetticher nachgemeldet - aus gutem Grund.
Werden nicht ausreichend Gebiete nachgemeldet, droht dem beklagten Land eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Da die Bundesrepublik bereits wegen unzureichender Meldung von FFH-Gebieten im September 2001 vom EuGH verurteilt worden war, ständen gemäß dem Maastrichter EU-Vertrag mit einer weiteren Verurteilung Strafgeldzahlungen in Höhe von bis zu 800.000 € pro Tag ins Haus - rückwirkend ab Herbst 2001, die die Bundesrepublik wegen deren Zuständigkeit für den Naturschutz auf die Länder abwälzen wird. Schon wegen der angespannten Haushaltslage Schleswig-Holsteins ist ein solche Verurteilung eine Drohung mit hoher Brisanz.
Ende des Jahres 2004 hatte der ehemalige grüne Umweltminister Klaus Müller vor, die EU-Vogelschutzgebiete abschließend zu melden. Mit der großflächigen Meldung der Halbinsel Eiderstedt als EU-Vogelschutzgebiet wäre ein deutlicher Fortschritt erzielt worden. Damit griff Umweltminister Müller eine wesentliche Forderung des NABU zum Vogelschutz auf.
Eiderstedter Ackerbauern, die sich im Falle einer Ausweisung benachteiligt sahen, schürten auf Kosten der Grünlandbauern den Widerstand gegen diese Gebietskulisse auf Eiderstedt, wie auch in der Eider-Treene-Sorge-Niederung. Mit ihrer Klage vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig kamen sie jedoch nicht durch. Die Klage vor dem Oberverwaltungsgericht ist derzeit ausgesetzt.
Der neue Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher hat nunmehr die Gebietskulisse nach einer Diskussion in mit Eiderstedter Lobbyisten und dem Landrat des Kreises Nordfriesland besetzten "Kungelrunde" auf nur noch rd. 15 % der ursprünglich fachlich notwendigen Größe zusammengestrichen - kaum der Diskussion würdig.
Ähnliches steht nach Berichten der Medien auch der ETS-Region bevor. Damit wird die Region jedoch von wesentlichen Fördermitteln der EU abgeschnitten. Da die Flächen weiterhin "Faktische Schutzgebiete" (IBAs) sind, bestehen zudem für gelanten Vorhaben erhebliche Rechtsunsicherheiten.
Schon mit 7,9 % der Landfläche vorgeschlagen als FFH-Gebiet - geringfügig vergrößert durch die 2005 nachgereichten Meldungen - und nunmehr kaum 5 % als EU-Vogelschutzgebiet bewegt sich das Land europaweit an der untersten Grenze. Es liegt nunmehr ausschließlich an der EU-Kommission, noch weitere Meldungen einzufordern.
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