Fragen und Antworten zum EU-Vogelschutzgebiet Eiderstedt

Das Wichtigste in Kürze (Stand: 31. Januar 2006)

Umwelt- und Landwirtschaftsminister von Boetticher hat am 18. Januar 2006 angekündigt, die Fläche des für Eiderstedt vorgesehenen EU-Vogelschutzgebietes von 19.800 ha auf etwa 2.800 ha reduzieren zu wollen. Karten mit der Abgrenzung der Gebiete und Zahlen, in welchem Maße die relevanten Schutzgüter in der Gebietsmeldung enthalten sind, wurden jedoch bislang nicht veröffentlicht.

Die Entscheidungskriterien für die drastische Reduzierung der Gebietsmeldung wurden bislang nur oberflächlich erläutert. Im Wesentlichen werden als Gründe angeführt, dass

• bei der Gebietsmeldung nur die Trauerseeschwalbe als relevante Art herangezogen werden muss,
• dass weitere Arten nicht berücksichtigt werden brauchen, da Eiderstedt kein Feuchtgebiet internationaler Bedeutung sei und,
• dass eine kleine Gebietskulisse der Landwirtschaft nützt.

Frage: Sind im Gebietsvorschlag alle relevanten Vogelarten berücksichtigt?

Nein! Außer für die Trauerseeschwalbe ist Eiderstedt auch das bedeutendste Vorkommensgebiet in Schleswig-Holstein für Kiebitz und Uferschnepfe (Bedrohte Zugvogelarten) sowie für den Goldregenpfeifer (Anhang I der VSchRL). Auch für die Nonnengans ist Eiderstedt eines der wichtigsten Gebiete in Schleswig-Holstein.

Frage: Ist Eiderstedt ein IBA und ein Feuchtgebiet internationaler Bedeutung?

Ja! In der Vogelschutzrichtlinie (VSchRL) verpflichten sich die Mitgliedsstaaten der EU, die in ihren Territorien lebenden Wildvogelarten zu schützen. Die Einrichtung von EU-Vogelschutzgebieten ist dazu ein wichtiges Instrument. Der Schutz von Feuchtgebieten internationaler Bedeutung wird hier besonders hervorgehoben. Das wichtigste Kriterium zur Auswahl eines Feuchtgebietes internationaler Bedeutung gemäß Ramsar-Konvention ist das sogenannte 1%-Kriterium.

Es besagt, dass regelmäßig mindestens ein Prozent des Gesamtbestandes einer Wat- oder Wasservogelart in dem entsprechenden Gebiet vorkommen muss. Explizit werden in den Kriterien für ein Feuchtgebiet internationaler Bedeutung auch die für Eiderstedt charakteristischen Feuchtwiesen - der typische Lebensraum u.a. für Kiebitz, Uferschnepfe und Trauerseeschwalbe - benannt: "Ein Feuchtgebiet im Sinne dieses Übereinkommens sind Feuchtwiesen, Moor- und Sumpfgebiete oder Gewässer, die natürlich oder künstlich, dauernd oder zeitweilig, stehend oder fließend, Süß-, Brack- oder Salzwasser sind, ... . ", heißt es dort in der Definition.

Frage: Gibt es neue Daten, die für eine Reduzierung der Gebietsmeldung sprechen?

Nein! Die von der vorherigen Landesregierung vorgeschlagene Gebietsabgrenzung für ein EU-Vogelschutzgebiet auf Eiderstedt beruht auf umfangreichen Bestandserfassungen und Gutachten, die von anerkannten Fachleuten erstellt wurden. Die Gutachten zeigten, dass die schutzwürdigen Flächen auf Eiderstedt weit über die Abgrenzung des IBA von 1999 (13.000 ha) hinausgehen. Die Daten und Gutachten sind öffentlich zugänglich. Der Minister hat demgegenüber bis heute keinerlei Daten vorgelegt, die den Aussagen dieser Gutachten widersprechen und eine andere Gebietsabgrenzung sachlich begründen könnten.

Frage: Berücksichtigt der Gebietsvorschlag die geeignetsten Gebiete auf Eiderstedt?

Nein! Der reduzierte Gebietsvorschlag des Umweltministers berücksichtigt nur etwa 10% der Grünlandfläche auf Eiderstedt. Der Nachweis, dass die ausgewählten Flächen geeigneter sind als die restlichen Flächen, ist bislang nicht erfolgt. Die Vorkommen aller auf Eiderstedt relevanten Arten erstrecken sich über wesentlich größere Flächen. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass die nicht berücksichtigten Flächen nicht weniger geeignet sind, ist zum einen die Verteilung der Vertragsnaturschutzflächen sowie die der Flächen, die die "Stiftung Naturschutz" für Naturschutzzwecke auf Eiderstedt aufgekauft hat: Der größte Teil liegt außerhalb der vorgeschlagenen Gebietskulisse.

Da die Verträge genau den Schutz der für eine Gebietsmeldung relevanten Arten Trauerseeschwalbe und Wiesenvögel beinhalten, ist leicht ersichtlich, dass diese in der Meldung außen vor gebliebenen Flächen keinesfalls weniger geeignet sind als die nun vorgeschlagenen Bereiche. Die Gebietsabgrenzungen müssen - soweit bekannt - damit als willkürlich und nicht im Einklang mit der Vogelschutzrichtlinie bezeichnet werden. Sie spiegeln eher den Wunsch nach Minimierung als eine fachgerechte Beurteilung der Eignung Eiderstedts wider. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass das Kölner Büro für Faunistik 1999 in einem von der IG Eiderstedt in Auftrag gegebenen Gutachten feststellt, dass die ausgewählten Flächen keinesfalls schutzwürdiger als die umliegenden Flächen sind.

Frage: Wird das Mahnschreiben der EU-Kommission berücksichtigt?

Nein! Das Mahnschreiben der EU-Kommission vom Dezember 2002 bemängelt die nach 25 Jahren immer noch unzureichende Umsetzung der EU-Vogelschutzrichtlinie in Deutschland und kritisiert die gemeldeten Schutzgebiete als unzureichend. Explizit für Eiderstedt wird die Berücksichtigung der wandernden Arten Kiebitz und Uferschnepfe bei der Ausweisung eines Schutzgebietes gefordert. Indem allein die Trauerseeschwalbe als relevante Art für die Abgrenzung des Schutzgebietes herangezogen wird, setzt sich der Umweltminister klar über das Mahnschreiben hinweg und provoziert unnötiger Weise einen Konflikt mit der Kommission.

Frage: Besteht für die nicht berücksichtigten Gebiete keine flächenmäßige Eignung?

Nein! Der Umweltminister beruft sich in seiner Begründung für die Reduzierung der Gebietskulisse darauf, dass eine flächenmäßige Eignung der weiteren Gebiete nicht gegeben sei. Die Auslegung des Begriffes "flächenmäßige Eignung" ist dabei ein nordfriesisches Kuriosum und europaweit ohne Beispiel. Das "nordfriesische" Argument sagt, dass landwirtschaftliche Flächen nicht als Schutzgebiet geeignet sind, da ihr Wert für bedrohte Arten von der Landbewirtschaftung abhängt. Das ist zwar bzgl. des Zusammenhangs von Wertgebung und notwendiger Flächenbewirtschaftung richtig, kann aber nicht als Argument für die Nichtausweisung gelten.

Die Formulierung der "flächenmäßigen Eignung" in Artikel 4 der Vogelschutzrichtlinie zielt vielmehr in Einklang mit Artikel 3 darauf ab, eine ausreichende Flächengröße der Schutzgebiete zu sichern. Diese müssen demnach nicht allein die Brutgebiete, sondern auch Rast- und Nahrungsgebiete beinhalten, um den Fortbestand der Bestände zu sichern. Die EU-Kommission hat oft betont, dass landwirtschaftliche Flächen wie andere Flächen in das Netz Natura 2000 aufzunehmen sind. In Deutschland sind demzufolge bereits mehrere hunderttausend Hektar landwirtschaftlicher Fläche in das europäische Schutzgebietssystem aufgenommen worden.

Frage: Kann man den Bestand von Trauerseeschwalbe und anderen Arten auf 2.800 ha erhalten?

Nein! Der Gebietsvorschlag umfasst nur etwa 10% der schutzwürdigen Grünlandfläche Eiderstedts. Eine Beschränkung des Vogelschutzgebietes auf die gegenwärtigen Vorkommensgebiete der Trauerseeschwalben ist unzureichend. Die Art siedelte in früherer Zeit in fast ganz Eiderstedt. Auch seit dem Inkrafttreten der VSchRL (1979) brüteten Trauerseeschwalben weit außerhalb des jetzt festgelegten Gebietes. Die Art wechselt regelmäßig ihre Koloniestandorte, so dass der Fortbestand der Population in dem derzeit besiedelten Gebiet nicht gesichert werden kann.
Die derzeit diskutierte Gebietskulisse deckt wegen ihrer geringen Größe nur einen geringen Bruchteil der Rast- bzw. Brutbestände von Nonnengans, Goldregenpfeifer, Uferschnepfe und Kiebitz ab.

Es ist fachlich nicht nachzuvollziehen, weshalb einige Vorkommensgebiete der genannten Arten innerhalb, der größte Teil der Vorkommensgebiete jedoch außerhalb des Vogelschutzgebietes auf Eiderstedt liegen sollen.
Die EU-Vogelschutzrichtlinie verlangt von den Mitgliedsstaaten eine ausreichende Flächengröße der Vogellebensräume zu erhalten oder wiederherzustellen (Art. 3). Die vorgeschlagene Gebietsabgrenzung ist dazu ein krasser Widerspruch.

Frage: Ist die reduzierte Gebietsmeldung von Vorteil für die Landwirtschaft?

Nein! Die reduzierte Gebietskulisse nimmt dem Land die notwendige Flexibilität bei der Ausgestaltung von Schutzmaßnahmen. In einem kleinen Gebiet wird zwangsläufig die Umsetzung von Schutzmaßnahmen auf 100% der Fläche notwendig. In einem größeren Gebiet kann man sich auf ggf. wechselnde Teilflächen mit unterschiedlicher Schutzintensität beschränken.

Die reduzierte Gebietskulisse führt jetzt dazu, dass Schutzmaßnahmen von Betrieben umzusetzen sind, die dafür nicht geeignet sind, während Betriebe, die sich dafür anbieten, vom Naturschutz ausgeschlossen werden. Andere Bundesländer wie Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern haben landwirtschaftlich genutzte Schutzgebiete von jeweils mehreren zehntausend Hektar Größe ausgewiesen, da dies die notwendige Flexibilität bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen liefert.

Frage: Hat die Gebietsmeldung negative Konsequenzen für den Vertragsnaturschutz?

Ja! Der Minister hat angekündigt, den Vertragsnaturschutz künftig auf die Natura 2000 Gebiete konzentrieren zu wollen. In den kleinen Schutzgebieten von Eiderstedt und ETS muss er bestrebt sein, möglichst alle Flächen komplett unter Vertrag zu nehmen, wenn er denn überhaupt etwas für die bedrohten Vogelarten tun will. Die Gelder werden dann außerhalb der Schutzgebiete fehlen.

In der Praxis bedeutet dies, dass der Minister in Zukunft die Landwirte, die bislang keine Verträge abschließen konnten oder wollten, weil ihre Betriebe anders ausgerichtet sind, in den Vertragsnaturschutz drängen muss, während für diejenigen, die dies auf eigene Initiative bereits unternommen haben, das Geld fehlen wird. Dies schadet sowohl Naturschutz wie Landwirtschaft.

Frage: Drohen Schleswig-Holstein Konsequenzen durch eine unzureichende Gebietsmeldung?

Ja! Geldstrafen aufgrund unzureichender Gebietsmeldungen müssen in Deutschland von den Bundesländern getragen werden, die es versäumen, ihre geeigneten Gebiete zu melden. Angesichts der Nicht-Berücksichtigung des EU-Mahnschreibens für Eiderstedt und die Eider-Treene-Sorge-Niederung wird Schleswig-Holstein bei einer Fortführung des Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU direkt in die Pflicht genommen werden.

Frage: Bleibt Eiderstedt ein Faktisches Vogelschutzgebiet?

Ja! Solange die EU-Kommission die deutschen Gebietsmeldungen nicht als ausreichend anerkannt hat, behalten alle Flächen, für die begründete Schutzgebietsvorschläge vorliegen, den Status eine Faktischen Vogelschutzgebietes. Sie sind bei der Durchführung von Plänen und Projekten so zu behandeln, als wären sie Schutzgebiete. Der Schutzstatus der Faktischen Schutzgebiete ist durch Rechtssprechung des EuGH dabei schärfer als für gemeldete Gebiete, da keine Ausnahmeregelungen möglich sind. Faktische Schutzgebiete unterliegen damit quasi einer Veränderungssperre. Diese Sperre wird für Eiderstedt wie auch für die Eider-Treene-Sorge-Niederung gelten.

Fazit

Der Vorschlag von Minister von Boetticher zur Reduzierung eines künftigen EU-Vogelschutzgebiets auf Eiderstedt ist fachlich nicht begründbar und hat wenig Aussicht, von der EU-Kommission akzeptiert zu werden. Die Umsetzung des Vorschlags würde auch den Konflikt zwischen Naturschutz und Landwirtschaft auf Eiderstedt nicht lösen, da die Verpflichtung zum Schutz der bedrohten Vogelarten nun zwar auf eine kleinere Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe abgewälzt wird, diese dadurch aber ungleich stärker belastet werden, als dies ein großräumig geschnittenes Schutzgebiet, wie es auch sachlich erforderlich ist, notwendig machen würde.