Kein Aufweichen von Umweltstandards!
NABU und Landesnaturschutzbeauftragter zur aktuellen agrarpolitischen Diskussion
In einem offenen Brief an den Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther, den zuständigen Fachminister Jan-Philipp Albrecht sowie an Abgeordnete des schleswig-holsteinischen Landtags haben sich der Landesnaturschutzbeauftragte und Vorsitzende des Landesnaturschutzbeirates, Prof. Holger Gerth, sowie der NABU-Landesvorsitzende Hermann Schultz gegen den im Zuge der Ukraine-Krise vorgebrachten Vorstoß gewandt, Standards im Agrarbereich aufzuweichen.
Der Brief im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Minister,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
angesichts einer infolge des Ukrainekriegs befürchteten Verknappung an vor allem Weizen und Futtermittel ist seitens der Agrarwirtschaft, aber auch von Teilen der Politik, die Aufweichung von für die Landwirtschaft bereits bestehenden bzw. vorgesehenen Umweltstandards gefordert worden. Insbesondere solle die von der EU geplante Flächenstilllegung, die verstärkte Förderung des Ökolandbaus sowie Beschränkungen der Gülleausbringung zumindest vorerst ausgesetzt werden, um kriegsbedingte Ernteausfälle in der Ukraine zu kompensieren, so die aktuellen Forderungen.
Was auf den ersten Blick verständlich sein mag - wer wüsste nicht um die großen fruchtbaren Ackerbaugebiete der Ukraine? -, erweist sich auf den zweiten Blick jedoch als extrem kurzsichtige Betrachtung. Denn einerseits wäre die dadurch erreichbare Steigerung unserer Ernteerträge absolut marginal. Andererseits würde damit der nun endlich eingeleitete Weg einer Transformation zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft erneut torpediert. Konkret auf Schleswig-Holstein bezogen würde eine Umsetzung der von den landwirtschaftlichen Interessenverbänden erhobenen Forderungen gravierende Einschnitte für den Schutz der Biodiversität mit sich bringen. Ob es sich um das Insektensterben, den Rückgang von Feldlerche und Rebhuhn oder den Schwund an blütenreichen Feldrainen handelt - der Verlust von biologischer Vielfalt findet am stärksten in der Agrarlandschaft statt.
Deswegen hat das kürzlich einhellig von Landesregierung und Parlament beschlossene Programm 'Kurs Natur 2030' einen deutlichen Schwerpunkt bei der Landwirtschaft angesetzt. Dazu gehört als zentraler Punkt die Umwandlung eines kleinen Anteils der Äcker in Brache, hier zum Beispiel als breite Randstreifen an Knicks, Wäldern und Gewässern, also ohnehin meist wenig produktiven Bereichen. Das Vorhaben der EU, dafür vier Prozent der Ackerfläche als Vorrangfläche für den Naturschutz vorzugeben, ist ein erster wichtiger Schritt zugunsten der biologischen Vielfalt und unterstützt somit die bundesweit vorbildliche Biodiversitätsstrategie Schleswig-Holsteins in besonderem Maß. Diese Umweltmaßnahme darf ebenso wenig wie die gleichfalls mit der Biodiversitätsstrategie vorgesehene Erweiterung des Ökolandbaus einem voreiligen und einseitig interessengesteuerten Aktionismus zum Opfer fallen!
Ebenso absurd ist die Forderung, die in der Düngeverordnung verankerte Reglementierung der Gülleausbringung aufzuweichen. In weiten Teilen Schleswig-Holsteins wird ohnehin erheblich zu viel gegüllt, was zu starken Beeinträchtigungen des Grundwassers, der Seen, Bächen sowie der Nord- und Ostsee führt.
Im Übrigen ist die Behauptung, aus Gründen der Ernährungssicherung der Weltbevölkerung dürfe kein Ackerland extensiviert oder gar als Brache belassen werden, schon vor dem Hintergrund unglaubwürdig, dass allein in Schleswig-Holstein gut 100.000 Hektar für die Biogaserzeugung verschwendet werden: dies mit höchst nachteiligen Auswirkungen für Natur und Umwelt, aber ohne wesentliche positive Effekte für den Klimaschutz. Seit Jahrzehnten sind Politik und Gesellschaft fundierte Expertisen zur umweltgerechteren Umgestaltung der Landwirtschaft vorgelegt worden, darunter auch von renommierten Wissenschaftlern der CAU Kiel. Davon umgesetzt wurde bisher wenig: erhebliche Defizite beim Arten-, Gewässer- und Klimaschutz sind die Folge. Hier sogar noch Rückschritte ins Auge zu fassen, kann auf kein Verständnis stoßen!
Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie, sich allen Bestrebungen um ein Rollback bei bestehenden oder geplanten Agrarumweltmaßnahmen entschieden entgegenzustellen. Leitschnur für eine auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit ausgerichtete Agrarpolitik sollten dagegen die - übrigens im Konsens mit den Agrarverbänden erarbeiteten - Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft sein, nicht jedoch ein Rückfall in eine rein produktionsintensive, umweltgefährdende und zugleich hoch subventionierte Agrarwirtschaft.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Holger Gerth, Naturschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein
Hermann Schultz, Landesvorsitzender NABU Schleswig-Holstein
FHey, HS, HGe, 14. April 2022