Sieht so eine grüne Zukunft aus?
NABU zum Koalitionsvertrag CDU / GRÜNE in Schleswig-Holstein
Landwirtschafts- und Umweltministerium getrennt
Die Herauslösung des Landwirtschafts- aus dem Umweltministerium ist ein deutlicher Rückschritt, nicht nur für die Umsetzung von Naturschutzzielen in der Fläche, sondern auch für eine fortschrittliche Gestaltung der Agrarpolitik, in der das Land bislang bundesweit klima- und naturschutzorientiert führend war. Der NABU begrüßt zunächst, dass nun Finanzmittel für die Umsetzung der auch vom NABU unterstützten, flächenwirksam angelegten Biodiversitätsstrategie zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese war in der letzten Legislaturperiode beschlossenen worden, um auf die massive Krise durch den weiter voranschreitenden Verlust von Arten und Lebensräumen zu reagieren.
Allerdings bleibt fraglich, wie die Umsetzung angesichts der nun zu erwartenden Aufsplitterung der Kompetenzen zwischen der (den Zustand der Natur am drastischsten negativ beeinträchtigenden) Landwirtschaft und dem Umweltministerium noch gelingen soll. Mit der Trennung sind auch die Zuständigkeiten für Wald, Jagd und Fischerei dem Umweltministerium entzogen worden. Der NABU fordert den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther deshalb auf, den zu erwartenden, immensen Flurschaden so weit wie möglich zu begrenzen.
Soweit zum Zeitpunkt der Endredaktion ersichtlich, stehen umfangreiche organisatorische Umstrukturierungen an. Das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) wird bis zum 31. Dezember 2022 aufgespalten. Eine zentrale, flächige Steuerung von Zielen des Naturschutzes erscheint jedoch so kaum mehr möglich zu sein. Wie u.a. mit dem Landesbetrieb für den Küstenschutz und den Nationalpark (LKN) sowie dem Bildungszentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume (BNUR), die bislang dem Umweltministerium zugeordnet waren, umgegangen wird, ist offen. Damit dürften die rückwärtsgewandten CDU-Agrarvertreter*innen in der Koalition ihr Ziel einer institutionellen Schwächung des Naturschutzes erreicht haben. Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Heftes waren entsprechende Entscheidungen erst teilweise getroffen.
Die Zusammenlegung von Landwirtschaft- und Umweltministerium war – neben organisatorisch-finanziellen Vorteilen – auch wegen einer besseren Abstimmung von übergeordneten Zielen wie dem Schutz von Natur und Umwelt bislang parteiübergreifend begrüßt worden. Der zur ‚Prüfung‘ erst Mitte der Legislaturperiode anstehende, geplante „Nationalpark Ostsee“ wird deshalb wohl schon zum erwartbaren Opfer von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Umwelt und Fischerei, wenn wie vorgesehen letztere in die Zuständigkeit des Landwirtschaftsministeriums wechselt. Von Gebieten ohne Nutzung – so genannte Nullnutzungszonen, wie sie eigentlich zu jedem Nationalpark gehören und die auch von der Ostsee-weiten HELCOM-Konvention gefordert werden – wird vor diesem Hintergrund kaum noch die Rede sein. Ob die geplante ‚Modellregion Flensburger Förde‘ darüber hinaus noch eine naturschutzbezogene Wirksamkeit entfalten wird, kann unter diesen Bedingungen ebenfalls stark bezweifelt werden.
Keine Naturverträglichkeit beim Ausbau der Windenergie
Der NABU bekennt sich zu einem naturverträglichen Ausbau von erneuerbaren Energien zur Erreichung der Klimaziele. Doch beim vorgesehenen massiven Ausbau der Windenergie ist vom Postulat der „Naturverträglichkeit“ im Koalitionsvertrag fast nichts mehr zu erkennen: Der Durchmarsch der Windkraftbrache - ohne Rücksicht auf äußerst gravierende naturschutzfachliche wie -rechtliche Erfordernisse - tritt überall deutlich hervor. Deren wirtschaftliche Interessen werden zuvorderst bedient, nicht zuletzt auch auf Kosten auch einer zu erwartenden, deutlichen Abnahme der Planungssicherheit wegen erheblicher Rechtsunsicherheiten.
So haben die GRÜNEN den intensiven Ausbau der Windenergie in den Mittelpunkt ihrer Verhandlungsstrategie gestellt - und im Gegenzug bei den meisten Naturschutz- und Landwirtschaftsthemen nachgegeben. Das Groteske dabei ist bloß, dass sie das gar nicht nötig gehabt hätten. Denn schon vor der Landtagswahl war klar, dass der Bund als Gesetzgeber den Windenergieausbau in die Hand nehmen und dabei Schleswig-Holstein ein Flächenziel verordnen würde, das fast der von den GRÜNEN in Kiel ausgehandelten Größenordnung entsprechen würde.
Der NABU sieht damit die nach mehrjähriger, konfliktreicher Planungszeit erst kürzlich aufgestellte landesweite Windenergieplanung als zerschossen und den dabei mit vielen Kompromissen erreichten 'Windfrieden' als aufgekündigt an. Die auch von der Landesregierung in Kauf genommenen Rechtsprobleme werden nun nur noch durch Klageverfahren zu klären sein: Vor allem der bisher geltende Schutz kollisionsgefährdeter Arten wie Seeadler oder Rotmilan wurde in erschreckender Weise reduziert. Erschreckend ist auch die Ankündigung, die Errichtung von WKA-Anlagen im Küstenmeer zu prüfen, ist doch die immense Bedeutung dieser Bereiche für den Schutz und den Erhalt von Schweinswalen und Meeresenten längst hinreichend untersucht.
Planungsbeschleunigung absurd
Völlig absurd ist eine beabsichtigte „Mitwirkungsverpflichtung für Naturschutzverbände“ bei Planungsverfahren: Die Mitwirkung als staatlich und vertraglich geregeltes Recht wird beim NABU vor allem von ehrenamtlich Tätigen getragen. Werden diese nun vom Land dienstverpflichtet? Und löst diese beabsichtigte Verpflichtung eine angemessene „Entschädigung“ für die Gutachten-gleichen Leistungen des NABU in großen Eingriffsvorhaben aus, die - gerichtlich erzwungen - kritische Planungen im Sinne von Gesellschaft und Natur deutlich verbessert haben? Stellt dies nun eine neue Ausrichtung von B‘90 / Die GRÜNEN bei der Förderung der Zivilgesellschaft und ihres ehrenamtlichen Engagements dar, indem eine unsinnige Forderung der FDP auf Landes- und Bundesebene umgesetzt werden soll?
Verkehrspolitik: Kein Gestaltungswille
Dass auch in der Verkehrspolitik in der großen Linie – abgesehen von Verbesserungen im Detail – keine relevanten Änderungen erfolgen, zeigt auch die Festlegung auf die Plantrasse der A20. Es ist äußerst befremdlich, dass die GRÜNEN hier überhaupt keinen eigenen Gestaltungswillen bei bestehenden Projektplanungen und deren teils gravierender Problemlagen mehr zeigen. Im Abschnitt 3 und 4 der A20 bei Bad Segeberg ignorieren auch sie, dass es Alternativen gibt, die viel besser geeignet sind, Rechtssicherheit für das Vorhaben herzustellen. Eine Vorab-Festlegung auf ‚geplante Trassen‘ verschließt zudem von vornherein jeden Weg für ggf. notwendige Verhandlungen mit Kritikern. Der NABU nimmt die so vollzogene Abwehr jeglicher diesbezüglicher Diskussionsmöglichkeiten in diesen Planungsverfahren erstaunt zur Kenntnis!
Chaos: Veto! - oder doch nicht?
Das Verhältnis vom Landwirtschafts- zum Umweltministerium wurde durch eine Dampfplauderei des Vize-Präsidenten, Klaus-Peter Lucht, in einem – dann schnell wieder gelöschten – Youtube- und Facebook-Video des Bauernverbandes zum großen Thema. Denn darin behauptete er, man habe im Zuge der Koalitionsverhandlungen ein einseitiges Veto-Recht des Landwirtschaftsministeriums ausgehandelt. Der NABU hat in einer dringlichen E-Mail an Funktionsträger*innen bei GRÜNEN und CDU deshalb um sachliche und inhaltliche Klärung gebeten.
Der zu diesem Zeitpunkt designierte grüne Umweltminister Tobias Goldschmidt erklärte daraufhin mehrmals, es gäbe demgegenüber ein gegenseitiges Veto von beiden Seiten der Ministerien. Später wurde auf dem Parteitag bekannt gegeben, es gäbe überhaupt kein Veto. In der Praxis ist diese Aussage zumindest unpräzise, denn jedes Kabinettsmitglied hat entsprechend den politischen Gepflogenheiten die Möglichkeit, unliebsame Vorhaben eines anderen Ressorts mit seinem Widerspruch zu Fall zu bringen, da Beschlüsse nur gemeinsam und dann übereinstimmend getroffen werden. Davon dürfte Landwirtschaftsminister Werner Schwarz bei jedem kritischen Sachverhalt nun statt eines Vetos zwischen den Ministerien Gebrauch machen können. Der NABU wird aufmerksam verfolgen, wie sich die GRÜNEN in solchen Konfliktlagen verhalten werden!
Politische Bewertung
Der NABU ist als Verein parteipolitisch unabhängig und neutral. Er sieht sich aber gerade dann zu einer kritischen Prüfung veranlasst, wenn eine Partei sich selbst als "GRÜN", d.h. den Belangen von Umwelt- und Naturschutz verpflichtet, erklärt. Die GRÜNEN haben sich jedoch mit diesem Koalitionsvertrag vom Naturschutz sachlich und politisch weitgehend verabschiedet. Man lobt sich bis heute dafür, in der Verhandlungsrunde zu „Umwelt und Landwirtschaft“ alles ohne größere Konflikte, die das Einschalten der Spitze der Verhandlungskommissionen erfordert hätte, geregelt zu haben: Durchaus im Gegensatz zu anderen Themen, die deutlich strittiger gestellt waren. Die CDU – vertreten vor allem durch hochrangige Landwirtschaftslobbyisten – gab in dieser Runde deutlich den inhaltlichen und politischen Kurs vor (s. Kasten). Bezeichnenderweise waren Natur- und Umweltschutz auch auf dem Koalitionsparteitag der GRÜNEN praktisch kein relevantes Diskussionsthema mehr, trotz zuvor deutlichen Grummelns an der Basis.
Vorrangig geht es den GRÜNEN heute auch in der öffentlichen Darstellung nur noch um den Klimaschutz, statt auch die Biodiversitätskrise als solche gleichgewichtig wahrzunehmen und dabei zu klugen Abwägungen zu kommen. Entsprechend wird vielfach nur noch vom Klima- und nicht mehr vom Umwelt- und Naturschutzministerium gesprochen: der Sprachgebrauch spiegelt die neue Orientierung klar wider.
Trotz starken Gewinnen auch der GRÜNEN bei der Landtagswahl konnte Wahlsieger und CDU-Ministerpräsident Günther diese mit dem deutlichen Hinweis, die FDP als – wenn auch stark geschrumpften - kleinen Koalitionspartner zu wählen, unter Druck setzen. Dabei ist Günther sicher klug genug, die GRÜNEN auch bei Konflikten zu bevorzugen und einzubinden, statt im Landtag einer großen Opposition bestehend aus GRÜNEN und SPD gegenüberzusitzen, die in dieser Rolle (weiter oder wieder) erstarken und ihm mittel- und langfristig viel stärker politisch gefährlich werden könnten.
Innerhalb der GRÜNEN scheint es zumindest partiell noch Widerstand zu geben: So trat der GRÜNE Kreisvorsitzende Rainer Borcherding aus Protest gegen die naturschutzfeindliche Politik des grünen Bundeswirtschaftsministers Dr. Robert Habeck, in dessen Wahlkreis er amtierte, von seinem Posten zurück. In der Fraktion der GRÜNEN vertritt nach wie vor nur eine Abgeordnete Natur- und Umweltschutz als Arbeitsschwerpunkt. Die anderen Fraktionsmitglieder scheinen zu diesen ‚urgrünen‘ Themen wenig Bezug zu haben.
Wie sich das Kieler Umweltministerium zukünftig in den zahlreich zu erwartenden Konfliktlagen verhalten wird, wird ganz entscheidend auch die Wahrnehmung und Bewertung der GRÜNEN in der Öffentlichkeit und bei Naturschutzverbänden wie dem NABU prägen: Schließlich genießt der Schutz der Natur nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert. Nur ein starkes, die Belange von Klimaschutz UND Naturschutz ausgleichend wahrnehmendes Handeln verbunden mit einem klaren und öffentlichen Bekenntnis zum Schutz auch unserer Biodiversität mag den angerichteten Flurschaden noch begrenzen können.
Vorstand und Geschäftsführung NABU Schleswig-Holstein
ILu akt. 4. August 2022
Ansprechpartner
Ingo Ludwichowski
GF NABU Schleswig-Holstein
Tel. 0160-96230512