Pressefoto: Entensterben (Reiherenten) - Foto: NABU / Carsten Pusch (1.36 MB)
Geflügelpest in Schleswig-Holstein
Vor allem Reiherenten betroffen
UPDATE 5. DEZEMBER 2016
Aktueller Sachverhalt:
Nach dem Fund von verendeten Wasservögeln an verschiedenen Gewässern in Schleswig-Holstein haben Untersuchungen die Geflügelpest als Ursache bestätigt. Bereits ab dem 2. November 2016 wurden erste kranke oder tote Reiherenten, die einen Großteil der Opfer ausmachen, an den Ufern des Großen Plöner Sees gefunden. Das Friedrich-Löffler-Institut (FLI) - nationales Referenzlabor für aviäre Influenza - wies am 8. November 2016 erstmals Erreger des Subtyps H5N8 in einer hoch infektösen Form nach.
Nachweise H5N8
In Schleswig-Holstein gibt es bislang Nachweise der Geflügelpest bei Wildvögeln und Hausgeflügeln aus allen Kreisen und kreisfreien Städten. Im Kreis Steinburg wurde zuletzt eine infizierte "Möwe" sowie zwei weitere "Wildvögel" gefunden (Stand: 1. Dezember 2016) gefunden. Auch in Kronshagen bei Kiel wurde der hochpathogene Erreger H5N8 bei einer "Wildgans" festgestellt. Erstmals wurde am 4. Dezember 2016 in Nordfriesland bei einem Wildvogel der hochpathogene Geflügelpesterreger H5N8 bei einer Nonnengans in Aventoft festgestellt.
In Deutschland sind neben Schleswig-Holstein auch Niedersachsen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie das Bodensee-Gebiet betroffen. Mittlerweile liegen weitere Geflügelpest-Nachweise aus mindestens sieben Ländern Europas, so aus Dänemark, die Niederlande, Polen, Ungarn, Österreich und die Schweiz, vor.
Seeadler - Bleivergiftung muss ausgeschlossen werden
In den Tagen vor dem 25. November 2016 wurde im Kreis Segeberg ein geschwächter Seeadler aufgegriffen, der getötet und dann positiv auf H5N8 getestet wurde. Der Vogel zeigte aber laut der Beurteilung einer Wildtierärztin der Projektgruppe Seeadlerschutz Symptome eine Bleivergiftung. Leider wurden Organe und Blut des Vogels jedoch nicht auch auf diese mögliche Beeinträchtigung untersucht. Nachgewiesen wurde der hochpathogene Erreger H5N8 am 1. Dezember 2016 auch bei einem verendeten Seeadler nahe Bordesholm im Kreis Rensburg-Eckernförde. In einem weiteren Verdachtsfall bei einem Seeadler im Kreis Rendsburg-Eckernförde liegen noch keine Ergebnisse des FLI vor. Er war tot an der Schlei aufgefunden worden. Ob es sich um den hochpathogenen Erreger H5N8 handelt, ist noch nicht geklärt.
Nach Beobachtungen des NABU nehmen sich Aas verzehrende Vögel wie Adler, Mäusebussarde oder Rabenkrähen der toten Wildvögel an. Rabenkrähen scheinen in der Folge aber nicht infiziert zu werden, wie deren nach wie vor häufiges Auftreten zeigt. Am Großen Plöner See und umliegenden Seen wurden bei einer umfangreichen Kontrolle durch Ornihologen in den letzten Tagen keine weiteren toten Reiherenten gefunden.
Zu den in Schleswig-Holstein betroffenen Vogelarten zählen nach Angaben des MELUR neben Reiher- auch noch Stock- und Eiderente, "Säger", Graugans, "Schwan" und Graureiher. Eine Übersicht über akute Fälle der Geflügelpest in Deutschland bietet das FLI hier. Diese differenziert jedoch für eine genaue Analyse artlich und zahlenmäßig nur unzureichend. Gemessen an der großen Zahl von Wildvögeln, die in Schleswig-Holstein durchziehen oder überwintern, ist die Zahl der Nachweise eher gering.
Nachweise in Geflügelhaltungen
Mittlerweile gibt es aus Schleswig-Holstein fünf Nachweise von Geflügelpest-Viren aus Geflügelhaltungen, nach Angaben des NDR zum einen aus einem kleinen Betrieb in Lübeck-Ivendorf. Dort waren 18 Puten verendet. Alle weiteren fast 100 Tiere wurden getötet. Zum anderen ist H5N8 vom FLI für eine geschlossene Hühnerhaltungsanlage mit rund 30.000 Tieren im Kreis Schleswig-Flensburg nachgewiesen. An beiden Standorten war der hoch-pathogene H5N8-Virus der Anlass für die Tötung der Tiere.
Der niedrigpathogene Typ von H5 wurde am 19. November 2016 in Dithmarschen in einem rd. 1.800 Gänse haltenden Betrieb festgestellt. An einem zweiten Standort desselben Betriebes mit 7.000 Gänsen wurde ebenfalls H5 nachgewiesen. Alle Gänse werden getötet. In einer Hobbygeflügelhaltung in Dithmarschen ist das niedrigpathogene Aviäre Influenza-Virus H5 festgestellt worden (2. Dezember 2016). Hier wurden die knapp 100 aufgestallten Tiere (Hühner, Gänse und Enten) auf Anordnung der Veterinärbehörde des Kreises getötet.
Stellungnahme des NABU:
Der NABU bedauert den Tod der vielen Wildvögel. Deren Infektion mit dem hochpathogenen H5N8 stellt eine akute Bedrohung für die Vogelwelt dar. Vom Sterben dürften wegen der hohen Dunkelziffer sicher hunderte Tiere betroffen sein. Mittlerweile klingt am Großen Plöner See die Sterberate bei Wildvögeln aber deutlich ab, auch wenn sich die Nachweise infizierter Vögel in Schleswig-Holstein und bundesweit räumlich - mit deutlich geringeren Fundzahlen - ausweiten. In den letzten Tagen wurden etwa von Beobachtern am Großen Plöner See trotz Tausender gleichzeitig anwesender Enten kaum noch tote Wasservögel gefunden. Wahrscheinlich zieht sich das Sterben in der Wildvogelpopulation noch einige Zeit hin und breitet sich wegen Bestandsverlagerungen räumlich auch aus.
Insgesamt zeigt aber die Erfahrung, dass H5N8 und andere Geflügelpest-Virentypen in ihrer hochpathogenen Form nicht lange in Wildvogelbeständen ausharren können. Bei vergangenen Ausbrüchen waren vor allem Geflügelfarmen von der hoch pathogenen Form der Geflügelpest betroffen, in denen sich diese wegen der hohen Haltungsdichte der Vögel bevorzugt aus niedrig-pathogenen Stämmen entwickeln kann. Die niedrig pathogene Form ist latent in geringem Umfang in Wildvögeln vorhanden.
Geflügelbestände untersuchen
Das Vorkommen des H5-Virus an zwei verschiedenen Standorten desselben Betriebes in Dithmarschen zeigt, dass der Verbreitung der Geflügelpest über den Handel mit Tierprodukten etc. bei der Analyse der Eintragungswege insgesamt deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Eine gleichzeitige, äußere Infektion unterschiedlicher Standorte mit demselben H5-Typus ist extrem unwahrscheinlich, der Eintrag über eine gemeinsame, 'interne' Quelle wesentlich naheliegender.
In Südkorea kam es bereits im Winter 2013 zu größeren, von H5N8 hervorgerufenen Massensterben von Wildvögeln jeweils erst dann, nachdem in der Umgebung ein Nutzgeflügelbetrieb von H5N8 befallen war. Dort waren Wildvögel die Opfer der Vogelgrippe-Ausbrüche in Nutzgeflügelbeständen, nicht die Verursacher, die das Virus übertragen haben. Der NABU fordert daher, umfassend zu untersuchen, wie ein Austrag des Virus aus Nutzgeflügelbeständen in die Wildvogelpopulationen möglich ist. Dazu sollten alle Geflügelhaltungen in Gewässernähe auf das Auftreten von Geflügelpest überprüft werden. In Ungarn wurde H5N8 in einem Truthahn-Bestand nachgewiesen - möglicherweise eine Quelle für die Ansteckung. Reiherenten aus östlichen Gebieten fliegen nach Funden markierter Tiere im Herbst und Winter aus Brutgebieten in Russland über die baltischen Staaten und Polen nach Westeuropa ein, so auch nach Schleswig-Holstein.
NABU fordert ergebnisoffene, breite Untersuchung
Untersucht werden müssen nach Ansicht des NABU die internationalen Handelswege von Nutzgeflügel sowie deren Produkte einschließlich Vogelkot, wie auch verschiedene Futterstoffe, die als Überträger in Frage kommen. Da aktuell (21. November 2016) vier Fälle von Geflügelpest in Haltungen bekannt geworden sind, fordert der NABU umfangreiche Untersuchungen zur Herkunft des Virus und eine aktuelle Kontrolle aller relevanten Bestände. Es ist dabei offen, wer für die Infektion der Wildvögel verantwortlich ist. Eine Übertragung des Virus von Wildvögeln auf Geflügelbestände im Stall ist an keiner Stelle eindeutig belegt. Auch der Fund von H5N8 in einem gegenüber der Außenwelt nahezu abgeschlossenen Geflügelbestand im Kreis Schleswig-Flensburg stützt diese These. Bislang geht aber das FLI in seinen Stellungnahmen - ohne dafür jedoch beweiskräftige Belege vorlegen zu können - immer von einer H5N8-Infektion auch dieser Bestände durch Wildvögel aus. Ein direkter Kontakt mit H5N8 infizierten Wildvögeln wie Reiherenten mit Nutzgeflügel in abgeschlossenen Haltungen erscheint aber für Kenner wegen der dem entgegenstehenden Lebensweise extrem unwahrscheinlich.
ILu akt. 5. Dezember 2016
Hintergrundwissen zur Geflügelpest
Die hoch-pathogene aviäre Influenza (HPAI) entstand nach Ansicht aller Experten unbestritten immer in der Geflügelwirtschaft. Im Fall von H5N8 lag der Ursprung im Jahr 2010 in China.
Uneinigkeit mit dem Friedrich-Löffler Institut (FLI) besteht in der Frage, wie das Virus von den Hausgeflügelbeständen Ostasiens (oder Ägyptens, wo es ebenfalls dauerhaft in bei Hausgeflügel auftritt) nach Europa kommt. Das FLI behauptet immer wieder, die Verbreitung erfolge ausschließlich über sibirische Zugvögel. Kritiker wie der NABU halten dies für höchst unwahrscheinlich und sehen den Eintrag vor allem über die Geflügelwirtschaft nach Europa. Zwei sehr gute Argumente sprechen dafür:
- Das Muster des Auftretens bei Wildvögeln am Anfang des aktuellen Ausbruchs: Das gleichzeitige Auftreten zahlreicher erkrankter Reiherenten an drei Orten in Mitteleuropa lässt eher vermuten, dass es eine Ansteckungsquelle in Osteuropa gab, von der die Enten während der kurzen Inkubationszeit der Krankheit auf dem Weiterzug nach Westen die hiesigen Rastgebiete erreichten. Aufgrund der aktuell besonderen Betroffenheit der Reiherente wären zum Beispiel mit Geflügelkot gedüngte Fischteiche – beliebte Rastgebiete dieser Art – denkbar, auch wenn diese Praxis zumeist verboten ist. Wäre das Virus dagegen bei sibirischen Zugvögeln weit verbreitet, hätte man bereits über einen längeren Zeitraum an vielen verschiedenen Orten infizierte Wildvögel unterschiedlicher Arten finden müssen.
- Die Virus-Genetik: Anders als das FLI behauptet, ist das aktuelle Virus zwar mit den im Juni 2016 in Sibirien an der Grenze zur Mongolei gefundenen Viren bei Wildvögeln verwandt, aber es ist kein Abkömmling dieses Virus, sondern ein "Geschwistervirus" mit gemeinsamen Vorfahren, von dem sich die beiden Linien im Frühjahr 2016 getrennt haben müssen. Damit hätten sich die sibirischen Vögeln kurz vorher angesteckt. Das aktuelle HPAI H5N8 Virus kommt damit wahrscheinlich direkt aus China (und dann sicher nicht durch Wildvögel) und nicht über sibirische Wildvögel nach Europa.
Offen ist die Frage, wie das Virus beim aktuellen Ausbruch übertragen wird. Hier ist unbestreitbar, dass auch Wildvögel Überträger sein können, solange das Virus in der Wildpopulation kursiert. Uneinigkeit besteht darin, dass das FLI diesen Infektionsweg als einzige Übertragungsmöglichkeit ansieht. Kritiker sagen aber, dass dieser Weg aber gerade bei Hochsicherheitshaltungen sehr unwahrscheinlich ist. Bei akuten Ausbrüchen - mindestens bei Großhaltungen - ist die Übertragung durch die Geflügelwirtschaft wesentlich wahrscheinlicher. Solange das FLI aber die Stoffströme der Geflügelwirtschaft nicht untersucht, kann es auch nicht beweisen, dass diese nicht die Quelle sind. Es ist nach Ansicht des NABU dabei grob fahrlässig, diese Möglichkeit nicht genauestens zu untersuchen.
Wildvögel - Verursacher oder opfer?
Das aktuelle Vogelgrippe-Virus fand seinen Weg wahrscheinlich über den Handel aus der Geflügelwirtschaft in China nach Europa – ohne die Hilfe von Wildvögeln. Das zuständige Friedrich-Loeffler-Institut ignoriert die Indizien jedoch. Mehr →
Der NABU warnt davor, sich bei der Bekämpfung der Vogelgrippe ausschließlich auf Wildvögel zu konzentrieren. „Die Ursachenforschung zur Ausbreitung der Geflügelpest darf nicht in eine Sackgasse geraten“, fordert NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Mehr →
Nach zweijähriger Pause tritt seit November 2016 die ursprünglich aus Ostasien stammende H5N8-Variante der Geflügelpest, eines hoch pathogenen Vogelgrippevirus, wieder in Deutschland auf. Der NABU fordert, dringend nach den Quellen der Viren in der Geflügelwirtschaft zu suchen und diese auszuschalten, da sie eine Gefahr für Wildvögel sind. Mehr →
Hier finden Naturfreunde Informationen zur Vogelgrippe aus Sicht des Naturschutzes. Der NABU bemüht sich, den jeweils aktuellsten Wissensstand wiederzugeben, kann aber für die Angaben keine Gewähr übernehmen. Mehr →
Hintergrund: Entensterben an Gewässern der Ostholsteinischen Seenplatte
Seit 5 Tagen mehren sich auffallend Funde von toten Reiherenten und wenigen weiteren Wasservögeln auf der Plöner Seenplatte. Stichprobenhafte Uferkontrollen erbrachten am 6. November 2016 über 80 tote Reiherenten, und je einen Höckerschwan, Silber- und Mantelmöwe sowie ein Blässhuhn. Die Funde der Reiherente konzentrieren sich auf jene Gewässer, die von der nachtaktiven Vogelart als Tagesschlafplatz genutzt werden (z.B. Schöhsee) und den Großen Plöner See, der als zentrales Nahrungsgewässer fungiert. Die Reiherente ist Brutvogel in Schleswig-Holstein, für skandinavische Vögel sind die Gewässer vor allem aber Winterquartier. Seit ca. 25-30 Jahren liegt der Winterbestand im Lande bei rd. 50.000 - 80.000 Vögeln. Etwa 30.000 überwintern nach den Ergebnissen der Wasservogelzählungen der vergangenen Jahre auf der Seenplatte des Kreises Plön.
Infektion als Ursache?
Die genaue Ursache für das Sterben ist bislang unbekannt. Als Ursache der unnatürlichen Häufung der Funde ist möglicherweise von einer Infektion auszugehen. Da vor allem die Reiherente betroffen scheint - aber weniger andere, ebenfalls zahlreich an den Gewässern auftretende Arten wie Stockente, Haubentaucher, Graugans oder Blässhuhn - ist bislang von einer eher artspezifischen Infektion auszugehen, vergleichbar mit dem Usutu-Virus, welches vor allem Amseln trifft. Da die Vögel je nach Wind und Störungen zwischen verschiedenen Gewässern wechseln, können auch an anderen Seen tote Enten auftauchen.
Funde melden
Funde mögen mit Datum, Anzahl, Art, Fundort und ggf. Ringnummern von Kennzeichen an die NABU Landesstelle Wasser in Plön, Tel. 04522-2173, Carsten.Pusch@NABU-SH.de, mitgeteilt werden. NABU und örtliche Ornithologen und Wasservogelzähler der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft werden die Entwicklung weiterhin aufmerksam verfolgen. Über Neuigkeiten zum Sterben wird auf dieser Internetseite aktuell berichtet werden.
Kritische Konzentration von Wasservögeln
Einmal mehr zeigt sich, wie kritisch es ist, wenn sich die Restnatur des Landes auf die wenigen als Schutzgebiete ausgewiesenen Fläche konzentrieren soll. Was sich für Brutvögel an den Küsten in den viel zu kleinen Schutzgebieten bereits negativ entwickelt hat, weil die verblieben Brutvögel ohne Ausweichmöglichkeit unter starker Fuchs- und Marderprädation leiden, ist auch für Wasservögel kritisch, wenn Störungen und andere Beeinträchtigungen viele Gewässer entwerten und sich die Wasservögel auf immer weniger Fläche konzentrieren müssen. Hier können dann Infektionen möglicherweise besonders schnell zum Tragen kommen. Da kann ein kleines Ereignis erhebliche negative Folgen für die Bestände nach sich ziehen.
Kontakt
Carsten Pusch, Mobil 0171-5246115
Weitere Infos des NABU zur Vogelgrippe finden Sie hier.
BKo, ILu akt. 9. November 2016