Hintergrund: OVG und 'landesspezifische Gründe'
Vorwand für jagdpolitischen Rückfall
Wer eine fachliche oder politische Argumentation scheut, versteckt sich gerne hinter angeblich felsenfesten Gerichtsurteilen. So auch Umweltminister v. Boetticher (CDU) in seiner Begründung zur Änderung der Landesjagdzeitenverordnung. Dem Minister geht es darum, das relativ fortschrittliche schleswig-holsteinische Regelwerk zugunsten einer unmittelbaren Geltung der völlig antiquierten Bundesjagdzeitenverordnung weitestgehend abzuschaffen. Damit sollen zum einen die in Schleswig-Holstein geltenden ganzjährigen Schonzeiten für Mauswiesel, Möwen, Höckerschwan und andere Arten, für deren Bejagung wohl Niemand einen triftigen Grund nennen kann, gestrichen, d. h. diese Tiere wieder der Flinte ausgesetzt werden. Für die anderen Tiere der Liste der jagdbaren Wildarten sollen die bisher landesspezifisch formulierten Schonzeiten zum Teil drastisch auf das in der Bundesjagdzeiten-VO festgelegte Maß reduziert werden, für einige Arten sollen die Schonzeiten sogar darüber hinausgehend verringert werden.
Minister versteckt sich hinter einem Urteil
Der Minister begründet dieses rigorose Vorgehen mit den "Hermelin- und Blässrallen-Urteilen" des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (Az. 1KN 24/03, Az. 1KN 27/03) vom August 2004. Der Hintergrund: Auf Klagen zweier Jäger gegen die 2002 mit der damaligen Novellierung der Landesjagdzeiten-VO vom früheren Umweltminister Müller (Grüne) beschlossenen ganzjährigen Schonzeiten für Hermelin und Blässralle entscheidet das OVG, dass der dafür vom Land angeführte Grund, nämlich die geringe Verwertbarkeit beider Tiere als Jagdbeute, formalrechtlich nicht haltbar sei. Eine derart allgemeine Begründung stünde nur dem Bund mit seiner Bundesjagdzeiten-VO bzw. Bundesjagdgesetz zu. Das Land könne zwar gegenüber der Bundesjagdzeiten-VO weitergehende Schonzeiten und auch Vollschonung erlassen, müsse dafür aber landesspezifische Gründe anführen, wie es § 22 Abs. 1 Bundesjagdgesetz gebiete. Folglich sei die in Schleswig-Holstein erlassene Vollschonung für Hermelin und Blässralle nicht normgerecht formuliert worden und sei deshalb zugunsten der von der Bundesjagdzeiten-VO gewährten Bejagungsmöglichkeiten aufzuheben. Soweit das OVG Schleswig.
Fakten übersehen
Wenn der neue Umweltminister jedoch daraus ableitet, dass das Land sich nun mit seinen Jagd- und Schonzeiten vollständig den in der Bundes-VO genannten Zeiträumen anpassen muss, übersieht er Einiges an Fakten und Möglichkeiten und "schüttet das Kind mit dem Bade" aus:
1. Für die meisten Schonzeiten sind im Begleittext zur bisherigen Landesjagdzeiten-VO durchaus die geforderten landesspezifischen Begründungen genannt worden, so für die Vollschonung von Spieß- und Tafelente, Saatgans und Türkentaube deren Seltenheit bzw. Bestandsrückgang.
2. Den OVG-Richtern war die Begründung "geringe Verwertbarkeit" zu pauschal. Andere ebenfalls eher allgemein formulierte Gründe wie "Verwechslungsmöglichkeiten mit anderen Arten" oder "Störwirkung der Bejagung" haben sie - entgegen der Behauptung des Ministers (siehe Begründung zum Entwurf der Landesverordnung , S. 1) - nicht bemängelt. Sie waren wohlweislich auch nicht Gegenstand der Klagen, weil die Kläger damit wahrscheinlich eine Abfuhr erteilt bekommen hätten. Denn diese Kriterien lassen sich sehr wohl wie gefordert landesspezifisch konkretisieren. Schleswig-Holstein als Drehscheibe des Vogelzugs vor allem für Wasservögel, darunter auch etliche seltene Arten, trägt eine besondere Verantwortung zum Erhalt u.a. nord- und nordosteuropäischer Populationen von Enten, Gänsen und Schwänen, muss also deren Störungen während der Rastzeit (in welche die Jagdzeiten hineinfallen) minimieren und Verwechslungen geschützter mit jagdbaren Arten vermeiden. Diese Situation unterscheidet sich deutlich von der anderer Bundesländer.
3. Die OVG-Urteile dürften in allen Bundesländern zur Kenntnis genommen worden sein. Doch kein weiteres Land hat deswegen seine Jagdzeiten-VO der Bundesregelung angepasst, selbst nicht bezüglich Hermelin oder Blässralle, die auch in einigen anderen Bundesländern, ohne dass dort für diese beiden Arten eine gegenüber Schleswig-Holstein grundsätzlich unterschiedliche Situation vorliegt, Vollschonung genießen. So ist vielen Ländern eines gemeinsam: Sie haben im Vergleich mit der Bundesjagdzeiten-VO ihre Jagdzeiten verkürzt und ihre Schonzeiten verlängert - wie es bislang auch in Schleswig-Holstein der Fall ist. Sie sehen die Bundesjagdzeiten-VO als dass an, was das Bundesjagdgesetz in § 22 Abs. 1 diesbezüglich zum Ausdruck bringt, nämlich als Rahmenregelung.
4. Die OVG-Urteile sind nicht so unstrittig, wie der Minister einem glauben machen will. Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 Bundesjagdgesetz "können (die Länder) die Jagdzeiten abkürzen oder aufheben" - ohne dass das Bundesjagdgesetz dafür besondere Kriterien festlegt. Dagegen werden im gleichen Satz für die Aufhebung von Schonzeiten (der Bundesjagdzeiten-VO) "besondere Gründe" (von denen die bedeutendsten anschließend angeführt werden) gefordert. Hätte der Bundesgesetzgeber auch für Schonzeitenverlängerungen oder Vollschonung konkrete Gründe verlangt, hätte er sie sicherlich in § 22 Abs. 1 dargestellt. Folglich haben sämtliche Länder nach eigenem Ermessen Jagdzeiten abgekürzt, etliche sie sogar für die eine oder andere Art gänzlich aufgehoben, ohne dass dafür derart landesspezifische Gründe benannt worden wären, dass sie nicht auch für das Nachbarland trotz dessen abweichender Jagdzeitenregelung hätten gelten können. - Vor diesem Hintergrund ist auch zu kritisieren, dass das schleswig-holsteinische Umweltministerium nach den Urteilen nicht die Zulassung der Revision beantragt hat.
5. Das OVG übersieht mit seiner Kritik an der angeblich zu allgemein gehaltenen Begründung der "geringen Verwertung", dass das Landesjagdgesetz, dessen Einbeziehung das OVG explizit fordert, in § 1 Abs. 2 u.a. ausdrücklich das Nutzen - d.h. das Verwerten - des erlegten Wilds als Ziel einer "naturnahen Jagd" i.S.d. Gesetzes vorgibt. Die Verwertung gehört also nach Vorstellung des Gesetzgebers elementar zum Grundverständnis der Jagd. Hermelin, Mauswiesel, die Möwenarten, Türkentaube und Blässralle werden in der Jagdpraxis aber weder mit ihrem Balg noch mit ihrem Fleisch genutzt, sondern nach dem Töten weggeworfen oder vergraben. Die Jagd auf diese Arten findet entweder aufgrund rein sportlicher Natur ("Lustgewinn"), im Glauben an eine Regulationsnotwendigkeit (die wegen ökosystemarer Selbstregulation bei diesen Arten aber nicht gegeben ist), aus jagdlichem Konkurrenzdenken (gegenüber den beiden Wieselarten) oder wegen subjektiv empfundener Belästigung (durch Möwen) statt. Derartige Motive sind aber seitens des Landesjagdgesetzes nicht gedeckt, wie § 1 unmissverständlich zu entnehmen ist.
6. Die Bundesjagdzeiten-VO ist bald 30 Jahre alt und seither dem sich kontinuierlich gewandelten Verständnis von Jagd und Artenschutz nur in wenigen Punkten angepasst worden. Sie gibt den jagdpolitischen Ausfluss einer Zeit wieder, die vom Grundgedanken einer jagdlichen Regulierung zum Erhalt der Artengemeinschaft und Gewinn reicher Jagdbeute beseelt war, die noch deutlich zwischen schützenswerten und verfolgungsnotwendigen Arten unterschied und ökologische Erkenntnisse wie komplexe Räuber-Beute-Beziehungen nur sehr begrenzt aufzunehmen bereit war. Spätere Bundesregierungen und fortschrittlichere Länderregierungen haben jedoch wenig Motivation für eine grundsätzliche Änderung der in der Bundesjagdzeiten-VO dargestellten Jagdzeiten gesehen, weil die Länder dies für ihre Jagdzeiten-VO in konsequenter Befolgung von § 22 Abs. 1 Bundesjagdgesetz selbst in die Hand nehmen konnten.
Daraus folgt, dass die schleswig-holsteinische Landesregierung über ganz andere Möglichkeiten als die simple Kopie der mittlerweile überholten Bundesjagdzeiten nachdenken sollte.
Begründungen formulierbar
Zum einen sollten die bestehenden Landesjagdzeiten mit konkreten Begründungen nachgebessert werden. Das OVG hat mit seinem Hinweis auf § 1 Landesjagdgesetz selbst eine diesbezügliche Richtung vorgegebenen. Anknüpfungspunkte für derartige Begründungen, dort unter "Ziele des Gesetzes" genannt, wären die Formulierungen "freilebende Tierwelt ... in ihrem natürlichen und historisch gewachsenem Beziehungsgefüge", "landschaftsökologisch und landeskulturell angepasste Wildbestände" und "sonstige Belange des Allgemeinwohls, insbesondere des Tierschutzes, des Naturschutzes", die "größtmögliche Förderung der biologischen Vielfalt" sowie die verlangte Nutzung des erlegten Wilds (s.o.). Diese gesetzlichen Bezugspunkte belegen, dass der schleswig-holsteinische Gesetzgeber den natürlichen biozoenotischen Prozessen Vorrang vor dem mit konservativer Jagdauffassung einhergehenden `Regulationsanspruch´ einräumt, zugleich ethischen Belangen einen hohen Stellenwert einräumt sowie Naturschutzbelange gebührend berücksichtigt wissen will.
Unter Bezug auf diese ökologisch und ethisch orientierten Vorgaben des Landesjagdgesetzes lassen sich für diejenigen Schonzeitbegründungen, die nach Auffassung des OVG zu allgemein gehalten sind, die geforderten landesspezifischen und konkreten Formulierungen durchaus finden, auch für Hermelin und Blässralle. So steht die Bejagung des Mäusejägers Hermelin angesichts der Probleme der hiesigen Land-, Forst- und Gartenbauwirtschaft mit Feld- und Rötelmausgradationen in deutlichem Widerspruch zu deren ökonomischen Interessen. Bezüglich der Blässralle ist seitens des OVG nur sehr oberflächlich auf ihre Funktion für die Entwicklung der schleswig-holsteinischen Seeadlerpopulation eingegangen worden. Die leicht zu erbeutenden Blässrallen bilden insbesondere im Winter die wichtigste Nahrung; bei weitgehender Vereisung der Gewässer sind Fische nicht erreichbar. Zu beachten ist zudem, dass Schleswig-Holstein gemäß EU-Vogelschutzrichtlinie für seine Seeadlerpopulation eine besondere Verantwortung trägt. Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich die Urteile nur auf diese beiden Arten und deren Vollschonung und nur auf das Kriterium "geringe Verwertung" bezogen haben.
Weiterhin sollte Schleswig-Holstein einen Vorstoß im Bundesrat zur Novellierung der völlig `verstaubten´ Bundesjagdzeiten-VO unternehmen, um diese zeitgemäßen ökologischen und ethischen Belangen anpassen zu lassen.
OVG-Entscheidung nur Vorwand
Diese Möglichkeiten scheinen die neue Landesregierung jedoch nicht zu interessieren. Sie nutzt die OVG-Entscheidungen als willkommenen Vorwand, den mit der Landesjagzeiten-VO von 2002 zwischen Jagd und Naturschutz gefundenen Mittelweg zu zerschlagen und damit Schleswig-Holstein von einem der bislang jagdpolitisch fortschrittlichsten Länder quasi mit einem Federstrich zum Schlusslicht werden zu lassen.
Hey 2005
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Auch wenn sich der NABU mit vielen Aspekten kritisch auseinandersetzt, lehnt er die Jagd nicht prinzipiell ab. Der NABU fordert jedoch von Jagdvertretern wie vom zuständigen Ministerium eine stärkere Ausrichtung an Belangen des Natur-, Arten- und Tierschutzes. Mehr →