Nicht nur Gänsesäger werden von Kite-Surfern vertrieben- Foto: Frank Derer
Drachen am Himmel
Naturschutz-Probleme mit der Trendsportart 'Kite-Surfen'
Nicht ohne Grund ist selbst ein früherer Allerweltsvogel wie der Sandregenpfeifer aktuell gerade in der Roten Liste in die Kategorie „vom Aussterben bedroht“ eingestuft worden. Die verbliebenen Strandabschnitte sind einfach zu klein, um Strandbrütern noch ausreichend Platz und Schutz für die Jungenaufzucht zu geben.
Der weiterhin zunehmende Druck auf die Strände vor allem durch den Tourismus sorgt aber selbst bei diesen kläglichen Restflächen für Konfliktpotential. Neustes Beispiel ist die Trendsportart Kite-Surfen, wie nachfolgend am NSG „Sehlendorfer Binnensee“ dargestellt werden soll.
Einzigartiger Lebensraum
Das NSG „Sehlendorfer Binnensee“ an der Hohwachter Bucht im Kreis Plön liegt unmittelbar an der Ostseeküste, wurde 1980 unter Schutz gestellt, 1989 erweitert und wird durch den NABU Lütjenburg betreut. Der flache Strandsee, durch einen Strandwall von der Ostsee getrennt, steht über einen kleinen Wasserlauf, dem Broek, direkt mit der Ostsee in Verbindung. Zum Naturschutzgebiet gehört auch ein etwa 500 Meter langer Strandbereich an der Mündung des Broeks in die Ostsee, dem auch ein geschützter Flachwasser-Bereich vorgelagert ist. Hier kann die Natur ihre Wandlungskräfte frei und ungehindert entfalten und es findet sich dort eine typische Strandvegetation.
Diese Strandfläche ist mit Ausnahme eines Weges am Spülsaum von Mai bis September gesperrt. Sie dient dann nicht nur als Brutfläche für Strandbrüter wie Zwergseeschwalbe, Sandregenpfeifer und Austernfischer, sondern ist auch notwendige Rastfläche, unter anderem für führende Gänsesäger-Weibchen zwischen den intensiv genutzten Stränden von Sehlendorf und Hohwacht. Den geschützten Flachwasserbereich vor der Brutfläche nutzen nicht nur Zwergseeschwalben, sondern auch junge Gänsesäger und viele andere Vogelarten als Nahrungsrevier.
Dramatische Verschlechterung
Am Ostseestrand liegt unmittelbar an der Grenze zum NSG seit Jahren eine Surfschule. Als 1989 die Naturschutzverordnung formulierte wurde, duldete man die damals schon bestehende, noch relativ kleine Surfschule. Trotz Zunahme des Surfbetriebs in den Folgejahren, hielten sich die Störungen im Gebiet noch im Rahmen, solange allein das übliche Segelsurfen betrieben wurde. Der NABU stand zudem in regelmäßigem konstruktivem Kontakt mit dem Betreiber.
Mit dem Aufkommen des Kite-Surfens hat sich die Situation vor Ort allerdings extrem verschlechtert. Das Kite-Surfen ist eine dynamische Trendsportart, die vor allem bei jungen Leuten sehr beliebt ist und in der vergangenen Saison auch am Sehlendorfer Strand stark zugenommen hat. Die Kites, das sind die Drachensegel, von denen sich der auf einem Board stehenden Sportler vom Wind ziehen lässt, stehen bis zu 30 Meter hoch und bei Seewinden dicht an oder über der Brut- und Rastfläche. Wenn dann ein Kite-Surfer zudem dicht am Ufer entlang rast, werden die am Strand rastenden oder brütenden Vögel aufgescheucht.
Hinzu kommt, dass Anfänger ohne Brett den Umgang mit dem Kite im Flachwasser des NSG stehend üben und dann auch länger anhaltende Störungen verursachen. Die Kite-Surfer, meist unorganisierte Tagesgäste, die den Strand der Surfschule nur als Zielort anlaufen, nutzen verstärkt den Flachwasserbereich des NSG, unter anderem, weil der übrige Strand als Badestrand gebraucht wird und sie im Flachwasser optimale Bedingungen für ihren Sport vorfinden. Kite-Surfer erweisen sich zudem als äußerst internet-vernetzt. Angaben über Strände mit günstigen Windverhältnisse werden in „Windeseile“ weiter gegeben. Im Mai wurden an manchen Tagen bis zu einem Dutzend Kite-Surfer im Flachwasserbereich des Sehlendorfer Strandes gezählt – Tendenz steigend. Als „Sportnomaden“ nehmen sie leider meist die lokalen Rahmenbedingungen, die nicht unmittelbar mit ihrer Sportart zu tun haben, gar nicht erst zur Kenntnis und verhalten sich vielfach rücksichtslos! Der Betreiber der Surfschule hat in Zusammenarbeit mit dem NABU bereits Informationen zum benachbarten NSG ausgelegt – leider quasi ohne Erfolg.
Negative Auswirkungen
Die Brutergebnisse auf der Strandbrutfläche im vergangenen Jahr waren dementsprechend auch äußerst dürftig, und die letzte Gänsesägerfamilie des Gebietes hat schon einen Tag nach dem Schlupf der Jungen das Weite gesucht und ist hier nicht wieder aufgetaucht. Der Negativeinfluss, den Kite-Surfer auf den Strandbereich des Schutzgebietes ausüben werden, wird sich im nächsten Jahr noch erhöhen, denn der Surfschulleiter plant, aufgrund der großen Nachfrage und der idealen Bedingungen vor Ort für diese Sportart selbst Kite-Surfkurse anzubieten.
Umgehende Abhilfe notwendig
Wenn hier nicht umgehend Abhilfe geschaffen und die Entwicklung in geordnete Bahnen gelenkt wird, müssen bestimmte Artenschutzziele im Naturschutzgebiet aufgegeben werden. Dabei wurde das Problem „Drachensteigenlassen“ bereits in der Schutzgebietsverordnung ausdrücklich thematisiert. Im trockenen Verordnungstext, der 1989 für das Naturschutzgebiet Sehlendorfer Binnensee formuliert wurde, steht es ziemlich klar und unmissverständlich: §4, „Es ist verboten,….. Abs.14: Flugmodelle,…. Ballone oder Drachen aufsteigen oder landen zu lassen.“
Genau dies geschieht aber nun seit Jahren, wird auch jährlich in den Betreuungsberichten dokumentiert – und leider anschließend zu den Akten gelegt. An das Kite-Surfen hat damals noch Niemand gedacht. Hierbei handelt es sich um eine neue Form des Drachensteigens, die offenbar juristisch schwer in den Griff zu bekommen ist.
Konstruktive Wege suchen
Der NABU hat die Entwicklungen zunächst ausführlich dokumentiert und die zuständigen Behörden über die Problematik informiert. In ersten Gesprächen mit Vertretern der Gemeinde Sehlendorf und des Umweltamtes des Kreises wurden bereits konstruktiv erste Lösungsmöglichkeiten erörtert. Die Gemeinde würde sich bereit finden, im Flachwasserbereich vor der gefährdete Brutfläche eine Tonnenreihe auszulegen, wenn dafür die behördliche Genehmigung vorliegt.
Zwei Probleme stellen sich allerdings bislang einer raschen Lösung in den Weg. So gehört der Flachwasserbereich vor der Strandbrutfläche, meist nicht tiefer als 70 Zentimeter, zu den Bundeswasserstraßen – und für die Betonnung ist die Bundeswasserbehörde zuständig. Für ein Kreisumweltamt, das handeln will, ein offenbar entmutigender Tatbestand. Des weiteren werden Kite-Surfer als kleine Wasserfahrzeuge definiert, die offenbar das Recht haben, diese Bundeswasserstraße vor der Brutfläche zu befahren. Dass es einmal „Wasserfahrzeuge mit vorauseilenden Segeln“ geben würde, konnte der Gesetzgeber damals natürlich nicht ahnen, und der Naturschutz vor Ort hat zurzeit das Nachsehen.
Ähnliche Fälle melden!
Die dargestellten Probleme beim Thema Kite-Surfen betreffen nicht nur das NSG „Sehlendorfer Binnensee“ und können daher auch nicht im Kreis Plön allein gelöst werden. An und in vielen anderen Küstenschutzgebieten der Nord- und Ostsee gibt es ähnliche Probleme, auch dort stehen Naturschutz und Behörden vor den gleichen Fragen. Hier müssen das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume (MLUR) und das Landesamt für Natur und Umwelt (LANU) als oberste Fachbehörde unter anderem für Befahrensregelungen und behördliche Beschilderungen sorgen, durch die ein vertretbares Nebeneinander von Naturschutz und Sport möglich wird. Im LANU wird bereits an einer solchen Regelung gearbeitet. Der NABU Schleswig-Holstein bittet alle Referenten, deren Schutzgebiete ebenfalls durch diese Sportart beeinträchtigt werden sollten, ihre Erfahrungen über die Landesgeschäftsstelle des NABU dem LANU mitzuteilen.
Kontakt
Lothar Sielmann
Ex-Schutzgebietreferent NSG „Sehlendorfer Binnensee“
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