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Positionen und Hintergründe
Kite-Surfen im Wattenmeer – die Position des NABU
Kite-Surfer betreiben neben Surfern auf dem Wasser die derzeit schnellste, in Teilen des Wattenmeers zulässige Natursportart. Viele brütende und rastende Vogelarten wie Watvögel, Meeresenten, aber auch Schweinswale oder Seehunde werden aber über Distanzen von wenigen bis nachgewiesen mehreren hundert Metern von fremden, sich kaum berechenbar bewegenden Objekten gestört – vor allem diese Tiere stehen im Mittelpunkt der Schutzbemühungen des NABU. Wenige Arten wie manche Möwen sind allerdings geringer von Störungen betroffen und zeichnen damit bei Laien oft ein falsches Bild.
Kite-Surfen im Wattenmeer ist nicht losgelöst von anderen, auch wirtschaftlichen Nutzungen des Wattenmeers zu betrachten. Das Nationalparkgesetz schreibt im § 2 vor, den „möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge (zu) gewährleisten“. Im § 3 heißt es dazu auch: „Jegliche Nutzungsinteressen sind mit dem Schutzzweck im allgemeinen und im Einzelfall gerecht abzuwägen.“ So betrachtet sind das Kite-Surfen wie auch andere Trendsportarten eine für das Wattenmeer problematische Nutzungsart, die der Abwägung mit den berechtigten Belangen des Nationalparks unterliegen muss.
Das große Missverständnis
In der Diskussion um Störungen durch Kitesurfer werden von diesen verschiedene Gutachten als angebliche Belege für die "Naturverträglichkeit" ihrer Sportart benannt (loveitlikealocal.org). Doch bereits eine genauere, nur exemplarische Betrachtung der Untersuchungen, auf die auch in der folgenden Darstellung mit Bezug genommen wird, offenbart, dass deren gutachterliche Aussagen oftmals im Sinne einer "Unbedenklichkeitsbescheinigung" fehlinterpretiert und entscheidende Aussagen nicht berücksichtigt werden. Dazu gehört:
- Deutsche Gutachten (Gutachten (1), (2), (4) s. Quellenverzeichnis unten) zur Scheuchwirkung und zum Störpotenzial gibt es v.a. für von Kite-Surfern regelmäßig genutzte, touristisch bereits vorbelastete Gebiete im niedersächsischen, nicht jedoch für Gebiete im schleswig-holsteinischen Wattenmeer. Alle Gutachter weisen darauf hin, dass die gewonnenen Ergebnisse zur Störwirkung von Kite-Surfern keine spezielle, wissenschaftliche Betrachtung über Fluchtdistanzen von Vögeln verursacht durch Kite-Surfer darstellen (s. (1) - Seite 4; (4) - S. 4), bei einem Vergleich offensichtlich gebietsabhängig stark differieren können ( (2) - S. 3) und somit keine generalisierenden Aussagen über Störungen im Wattenmeer ermöglichen.
- Die Untersuchungen sollten dagegen v. a. Aufschluss darüber geben, ob bestehende Kite-Zonierungen verändert werden müssen ((2) - S. 3, (4) - S. 4), um benachbarte Rast- und Brutplätze außerhalb der Kite-Zonen weniger zu beeinträchtigen ((4) - S. 46)). Sie bestätigen damit v. a. die Möglichkeit, durch eine Zonierung störende Auswirkungen auf ungestörtere und naturnähere Bereiche im Umfeld zu minimieren, und weisen dementsprechend nicht auf eine generelle Unbedenklichkeit des Kite-Surfens hin. Denn "je ungestörter und naturnäher ein Gebiet ist, desto stärker wirken sich sporadische Störungen aus. Störsensible Arten treten in stark durch menschliche Einflüsse geprägten Gebieten oft kaum mehr auf, ihre Störanfälligkeit ist deshalb ... kaum oder nicht mehr messbar" (BRUDERER & KOMENDA-ZEHNDER 2005 zit. in (4) - S. 14).
- Teils ist der Kreis der Kiter im Untersuchungsgebiet zahlen- bzw. lizenzmäßig etwa auf Kite-Surf-Schulen-begrenzt, was die Beurteilung, ob bei einer unbeschränkten Freigabe für unorganisierte Kiter dieselben Ergebnisse erreicht werden können, einschränkt ((1) - S. 5)).
- In verschiedenen Gutachten werden Störwirkungen mehrfach nachgewiesen und thematisiert u.a. (3); ((4) - S. 14, 45) etc.. Im wesentlichen zeigt sich, dass – wie zu erwarten – einerseits die Distanz zwischen der Störung und den Tieren sowie andererseits die betroffene Vogelart eine große Bedeutung hat ((3) - S. 69). Meeressäugetiere werden gar nicht betrachtet.
- Aussagen, die "keine Störungen" belegen, beziehen sich diesbezüglich vor allem auf Auswirkungen des Kite-Surfens auf Küstenvogelbestände in angrenzenden, nicht in die Kitezonen integrierte Zonen (so u.a. ((1) - S. 43)). Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass "... sich Vogelarten nach ihrer Toleranz gegenüber Störungen ... aufgeteilt haben. Während die eher störungstoleranten Austernfischer ihren "Stammplatz" am dichtesten zur Erholungszone eingenommen haben, rasten die wohl empfindlicheren Brachvögel ... am weitesten entfernt..." ((1) - S. 44).
- Ob sich allerdings tatsächlich eine Scheuchwirkung von Kite-Surfern allein an deren Drachen festmachen lässt oder mehr auf den Kiter selbst zurückzuführen ist, müsste nach den dokumentierten Zufallsbeobachtungen zukünftig wissenschaftlich näher untersucht werden.
- Für ein Untersuchungsgebiet wird von einer langfristigen Abnahme der Rastbestände ausgegangen ((4) - S. 31)). Auffällig ist auch, dass in manchen Fällen größere Rastbestände von Vögeln vor allem außerhalb der Kite-Zonen zu finden sind (so Karten (4) - S. 23, 29). Aus GB liegen Vogel-Zählungen vor, die zeigen, dass sich die Wertigkeit des untersuchten Gebietes durch Kiter (aber auch andere Störquellen) langfristig negativ verändert (3). In dieser umfangreichen, statistisch abgesicherten Studie wird eine in der Zeit eines Kite-Gangs (im Mittel 1 Std. 26 Min. ((3) - S. 36)) für Vögel nicht nutzbare Fläche von bis zu 8,6 ha / Kiter errechnet ((3) - S. 81)), gegenüber nur 0,1 ha bei Strandspaziergängern. Führen letztere angeleinte oder gar freilaufende Hunde, steigt die Störwirkung aber deutlich an ((3) - S. 72)).
Zitierte Gutachten
(1) BERGMANN, M. (2010): Auswirkungen des Kite-Surfens vor Upleward auf die Brut- und Rastvögel im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. 79 Seiten.
(2) BLÜMEL, V. (2014): Auswirkungen des Kite-Surfens an den Standorten Dornumersiel auf Rastvögel im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer - Avifaunistische Begleituntersuchung 2012 - 2013 im Auftrag der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer. 46 Seiten.
(3) LILEY, D. et all (2011): Exe Disturbance Study. 98 Seiten, englisch.
(4) SCHIKORE, T. & SCHRÖDER, K. (2013): Auswirkungen des Kite- und Windsurfens auf Rastvögel an der Wurster Küste im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer an den Standorten Dorum-Neufeld und Wremen. 72 Seiten.
Im Grundsatz abzulehnen - über Ausnahmen zulässig
Wie soll das Kite-Surfen im Nationalpark geregelt werden?
Im Zuge der geplanten Neuregelung der Befahrensverordnung des Bundes für den schleswig-holsteinischen Nationalpark Wattenmeer lehnt der NABU die Nutzung des Wattenmeers für den Kite-Surf-Sport grundsätzlich ab. Der NABU teilt damit die Einschätzung der Nationalparkverwaltung Schleswig-Holstein, dass das Kite-Surfen grundsätzlich verboten, dabei aber an ausgewählten Standorten per Ausnahmegenehmigung ermöglicht werden soll. Der Kite-Sport muss damit vergleichbaren Einschränkungen wie wirtschaftliche Nutzungen unterliegen. Kite-Surfen kann aber auch nach Auffassung des NABU in Zonen gestattet werden, in denen der geringstmögliche Schaden für die Tierwelt des Wattenmeeres – und andere Freizeitnutzungen – zu erwarten ist. Geeignete Kite-Zonen sind in einem Miteinander von Naturschutz und Wassersport rechtlich gesichert festzulegen. Die „AG Naturschutz – Wassersport“ auf Sylt, an der der NABU beteiligt ist, könnte dafür im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer ein gutes Beispiel sein.
LKre, ILu akt. 15. Dezember 2015
Schleswig-holsteinischer Nationalpark Wattenmeer
Das Wattenmeer zwischen Den Helder in den Niederlanden und dem dänischen Esbjerg ist die größte zusammenhängende Wattlandschaft der Welt. Die deutschen Küstenländer erklärten dieses Gebiet zum Nationalpark: 1985 das schleswig-holsteinische Wattenmeer, 1986 das niedersächsische und 1990 das hamburgische Wattenmeer.
Das schleswig-holsteinische Wattenmeer ist mehr als ein Nationalpark
• Weltnaturerbe der UNESCO
• Biosphärenreservat der UNESCO
• Vogelschutz- und Flora-Fauna-Habitat-Gebiet der EU
• Besonders empfindliches Meeresgebiet der Internationalen Schifffahrtsorganisation (PSSA)
• Feuchtgebiet internationaler Bedeutung nach der Ramsar-Konvention
Der schleswig-holsteinische Nationalpark Wattenmeer in Zahlen
Größe: 4.400 qkm (größter Nationalpark zwischen dem Nordkap und Sizilien, einer von 16 Nationalparken in Deutschland)
Ausdehnung: Nord-Süd 127 km / Ost-West 46 km
Lebensräume: 67% Flachwasser, 30% Gezeitenzone, 2% Salzwiesen, 15 Strände, Außensände
Schutzzonen: Zone 1 (37%; besonders geschützte Bereiche; Betreten nur in Ausnahmebereichen erlaubt) und Zone 2 (63%)
Artenzahl: rd. 2.300 Pflanzen- und 4.200 Tierarten
Gäste: Jährlich rund 2 Mio. Übernachtungsgäste und 13 Mio. Tagesausflügler
(Quelle: Nationalparkverwaltung Schleswig-Holstein)
Hintergrund
Bislang gibt es in Schleswig-Holstein und Niedersachsen differierende Regelungen für das Kitesurfen. In Niedersachsen wird das Kite-Surfen durch das niedersächsische Nationalparkgesetz ausdrücklich verboten und über Ausnahmen in einigen Gebieten zugelassen. In Schleswig-Holstein ist bislang das Kitesurfen - mit Ausnahme der in der Befahrensverordnung von 1997 benannten, meist landfernen Robben- und Vogelschutzgebiete - überall erlaubt. Allerdings gilt für alle Aktivitäten: Das Stören von Tieren ist verboten! Dieses allgemeine Verbot hat sich wegen der Zunahme dieser Sportart allerdings als nicht ausreichend erwiesen.
Im marinen Teil der Nationalparke bestehen zudem bislang zwei verschiedene Schutzzonensysteme mit unterschiedlichem Zuschnitt, die beide rechtskräftig sind. So gibt es Gebiete, die nicht mit Wasserfahrzeugen befahren, bei Niedrigwasser aber begangen werden dürfen. In anderen Gebieten verhält es sich genau anders herum. Weil das Wattenmeer ein hochdynamischer Lebensraum ist, in dem sich Priele andauernd verlagern und Sandbänke neu bilden, liegen heute aber viele von Seehunden und Vögeln genutzte Bereiche außerhalb der Schutzzonen, die in den 1990er Jahren zur Darstellung der Befahrensverordnung in die Seekarten eingetragen wurden.
Weiteres Vorgehen
Wie bei anderen populären Aktivitäten wie dem Wattlaufen ist eine räumliche Ausweisung von Gebieten notwendig, in denen eine Nutzung gestattet wird. Damit der Kitesport also Nationalpark-verträglich geregelt wird, sollen gemeinsam mit den am Nationalpark gelegenen Regionen und deren Interessenvertretern Kitesurf-Gebiete für die Kitesurf-Hotspots des schleswig-holsteinischen Wattenmeeres identifiziert werden. Diese Gebiete sollen u.a. auf der Insel Sylt die Westküste und zwei Bereiche bei List und Hörnum (Ostküste), und die größten Bereiche von St. Peter-Ording umfassen.
Für das Frühjahr 2016 soll daher beim Bundesverkehrsministerium eine Aktualisierung der Befahrensverordnung des Bundes beantragt werden. Die derzeit gültige stammt noch aus dem Jahre 1997 und wurde bisher nicht an die 1999 in Schleswig-Holstein und 2001 in Niedersachsen novellierten Nationalparkgesetze angepasst. Der Antrag auf Novellierung der Befahrensverordnung wird für alle drei Wattenmeer-Nationalparke einheitliche Regelungen vorschlagen.
Die Befahrensverordnung dient dazu, das Befahren der Wasserstraßen durch Wasserfahrzeuge zu regeln. Neben motorisierten Wasserfahrzeugen erfasst die Regelung auch nicht motorisierte Fahrzeuge wie See-Kajaks. Zukünftig sollen auch von einem Drachen gezogene Fahrzeuge (Kite-Surfen, Parasailing) von der Regelung erfasst werden. Grund dafür ist die Entwicklung und zunehmende Beliebtheit des Kitesurfsports in den letzten Jahren, die eine Erfassung notwendig macht. Mit der leichter und besser werdenden Ausrüstung sind Kiter hochmobil und das ganze Jahr über unterwegs.
Seit dem Spätsommer 2015 gibt es auf Sylt, Amrum, Föhr, auf Eiderstedt und in anderen am Nationalpark gelegenen Regionen Gesprächsrunden, die auf eine bessere Regelung des Kitesurfens zielen. Daran sind Ämter, Gemeinden, Tourismuszentralen, Kite-Initiativen und Naturschutzvereine wie der NABU beteiligt, überregional zudem die Nationalparkkuratorien und der Arbeitskreis Wassersport. In diesen Gesprächen werden gemeinsam Vorschläge für Kitesurf-Gebiete erarbeitet. Aus dem Mosaik der Einzelvorschläge soll dann mit den Beteiligten ein Gesamtkonzept für Schleswig-Holstein erstellt werden.
Stellungnahme LKN (Nationalparkverwaltung), verändert; 3. Dezember 2015