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Jetzt Mitglied werden!Konfliktpotential verringern - gemeinsam Planungsgutachten beauftragen
Rechtsgutachten zur Gutachtenvergabe zeigt Lösungen auf
Neumünster, Berlin - 14. April 2021: Mit einem Rechtsgutachten der Anwaltskanzlei Mohrpartner hat der NABU heute Wege aufgezeigt, wie das juristische und fachliche Konfliktpotential bei Infrastrukturvorhaben deutlich verringert werden kann. In Genehmigungsverfahren und bei Klagen vor Gericht gegen den Bau von Autobahnen, Windparks oder anderen Infrastrukturmaßnahmen spielt die bezweifelte Objektivität der allein vom Vorhabenträger beauftragten Gutachten eine oftmals entscheidende Rolle.
Die Hamburger Rechtsanwälte Rüdiger Nebelsieck und Karen Fock haben nun in einem Gutachten für den NABU aufgezeigt, welche rechtlichen Anpassungen erforderlich sind, um die Auswahl von Gutachtern zukünftig unabhängiger zu gestalten und daran neben Fachbehörden auch anerkannte Umweltverbände zu beteiligen. Dies kann etwa über einen frühzeitigen Beteiligungstermin erfolgen, bei der die gemeinsame Auswahl der Fachgutachter im Fokus steht. Ziel ist es, die ökonomische Bindung der Gutachterbüros allein an die Vorhabenträger zu lockern und dadurch der für eine neutrale Begutachtung geforderten Objektivität bei der umweltrelevanten Beurteilung von Eingriffen in Natur und Umwelt, wie sie alle Vorhaben potentiell darstellen, mehr Gewicht zu geben. Ein Ergebnis des Gutachtens ist dabei auch, dass schon heute die Einbeziehung der Umweltverbände bei der Gutachterauswahl auf freiwilliger Basis möglich ist.
Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des NABU Schleswig-Holstein: „Aus leidvoller, langjähriger Erfahrung wissen wir, dass die Qualität und Neutralität von Gutachten in Planungsverfahren ein kritisches Schlüsselelement bei Auseinandersetzungen um Natur und Umwelt beeinträchtigende Vorhaben ist. Wenn Gutachter nun unabhängiger von wirtschaftlichen Abhängigkeiten arbeiten können und auf die berechtigten Belange aller Parteien Rücksicht zu nehmen haben, erhalten sowohl Natur und Umwelt mehr Gewicht als auch Planungsprozesse mehr Rechtssicherheit. Die Belange des Umwelt- und Naturschutzes fließen dann von vornherein stärker in die Planung ein, und die Vorhabenträger vermeiden einen unnötigen Gutachterstreit, da den vorgelegten Unterlagen gegenseitig nun mehr Glaubwürdigkeit zugesprochen werden kann.“
Daniel Rieger, Leiter Verkehrspolitik beim NABU-Bundesverband, erklärt: „Schon heute ist die Einbeziehung der Umweltverbände möglich. Große Vorhabenträger wie die DEGES und die Bahn sollten nun vorangehen und schon jetzt bei Projekten von der Möglichkeit Gebrauch machen. Die zukünftige Bundesregierung wird aufgefordert, schnellstens für die notwendigen rechtlichen Anpassungen zu sorgen, damit das Verfahren in umweltrelevanten Verfahren zum verbindlichen Standard werden kann.“
Die Anpassung der Gutachterbeauftragung zur Verbesserung von Planungen ist eine der zentralen Forderungen des NABU an die Parteien bei der kommenden Bundestagswahl. Das Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei kann beim NABU angefordert oder auf dieser Seite heruntergeladen werden.
Ansprechpartner
Ingo Ludwichowski, NABU Schleswig-Holstein, Tel. mobil 0160-96230512
Daniel Rieger, Verkehrsexperte beim NABU-Bundesverband, Tel. mobil 0174-1841313
Rüdiger Nebelsieck, Kanzlei Mohrpartner, Tel. 040-30624228
Rechtsgutachten zur Gutachtenvergabe
Vorstellung der Vorschläge
Der NABU Schleswig-Holstein hat die Hamburger Rechtsanwaltskanzlei Mohrpartner beauftragt, in einer gutachtlichen Stellungnahme zu prüfen, ob und wie die derzeitige Praxis der Beauftragung von Fachgutachten in umweltrelevanten Zulassungsverfahren so verändert werden kann, dass die Gefahren parteilicher Interessenbeeinflussung minimiert und so ein häufiger Streitpunkt in derartigen Verfahren vermieden werden kann.
In Zulassungsverfahren für umweltrelevante Infrastrukturvorhaben sind zahlreiche umweltrechtliche Vorschriften zu prüfen. Dafür werden regelhaft von den Vorhabenträgern in Auftrag gegebene umweltfachliche Gutachten eingereicht, die zumeist die wesentlichen Grundlagen für die Entscheidung der Behörden darstellen. Eine Auswertung wichtiger Planfeststellungs- und Klageverfahren unter Beteiligung des NABU Schleswig-Holstein hat ergeben, dass viele kontroverse Diskussionen in den Stellungnahmen beteiligter Behörden, Betroffener und Umweltvereine die Methoden und Bewertungen dieser Fachgutachten betreffen. Dieser oft sehr zeitaufwändige Streit setzt sich häufig auch in den Gerichtsverfahren fort und macht nach den Beobachtungen des NABU einen nennenswerten Teil der auf Verfahrensverzögerungen führenden Elemente dieser Verfahren aus, ja führt in vielen Fällen erst auf das Erfordernis von Klagen.
Die von Vorhabenträgerin beauftragten Fachgutachterbüros stehen im Wettbewerb zueinander und verstehen sich nach verschiedentlich ausdrücklich geäußerter und im Übrigen nachvollziehbarer Meinung vieler als Dienstleister, deren Aufgabe es ist, ein vom Auftraggeber gewünschtes Vorhaben zu ermöglichen. Aufgrund der faktisch sehr weitgehenden wirtschaftlichen Abhängigkeit der Gutachterbüros von den Aufträgen der Vorhabenträger besteht die Gefahr von Gefälligkeitsgutachten. Wer zu Gutachtenergebnissen gelangt, die die Realisierung eines Vorhabens gefährden, muss um zukünftige Aufträge bangen, solange Wettbewerber günstigere Ergebnisse abliefern. Für solche Wettbewerber zahlen sich Gefälligkeitsgutachten solange aus, wie sie im Verfahren und für zukünftige Beauftragungen folgenlos bleiben.
Das ist nicht selten der Fall. Denn die für die Zulassungsentscheidungen zuständigen Behörden sind personell und finanziell ganz unterschiedlich ausgestattet und nicht durchgängig in der Lage, inhaltliche Defizite der häufig auf den ersten Blick und im äußeren Umfang beeindruckend wirkenden Fachgutachten selbst zu erkennen. Eher selten erlauben es die angestrebten Verfahrensdauern und die Finanzausstattung der Behörden zudem, dass die Behörde sich auf eigene Kosten noch unabhängigen fachlichen Rat einholt. Andersherum können jene Gutachter, die auch auf Seiten der Umweltvereine oder sonstiger Kritiker der Infrastrukturvorhaben tätig sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, selten oder nie von Vorhabenträgern beauftragt zu werden.
So hat sich eine Praxis herausgebildet, nach der Gutachterbüros in der Regel entweder nur auf der Vorhabenträgerseite oder nur auf der Kritikerseite tätig sind und dadurch eine zeitnahe und sachangemessene Lösung fachlicher Fragen erschwert wird. Gutachterstreitigkeiten führen auch oft zu späteren Klagen und prägen diese wiederum noch häufiger als der Streit um Rechtsfragen. Der NABU strebt statt dessen eine Lösung an, wonach die Vergabe der Gutachtenaufträge durch die Zulassungsbehörde, aber auf Kosten des Vorhabenträgers erfolgt. Außerdem hält er es für zielführend, wenn die Auswahl der Gutachterbüros möglichst breit und unter Einbeziehung der Umweltvereine diskutiert und entschieden wird. Dabei soll den beteiligten Büros deutlich werden, dass eine hohe fachliche Akzeptanz ihrer Arbeit bei allen Beteiligten die Chancen für eine Beauftragung – anders als heute – erhöht, am besten eine solche sogar voraussetzt.
Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte des Gutachtens zusammengefasst. Eine ausführlichere Darstellung und weitere Erläuterungen zu den Sachverhalten sind dem Gutachten zu entnehmen, das auch zum download bereit steht.
I. Fragen und Hintergründe
- Die Intention des NABU könnte am effektivsten erreicht werden, wenn anerkannte Umweltvereine förmlich auf die Gutachterauswahl einwirken dürften, der interessierte Gutachter also weiß, dass er nur bei förmlicher Zustimmung einen Auftrag bekommen kann. Eine solche Lösung sieht sich aber hohen rechtlichen Hürden ausgesetzt und wurde daher im Gutachten nicht mehr vertieft untersucht.
- Unproblematisch kann auf der anderen Seite festgehalten werden, dass es im Vergleich zur aktuellen Praxis bereits eine deutliche Verbesserung im Sinne der Ziele des NABU darstellen würde, wenn es frühzeitige Abstimmungsrunden nicht nur zum Untersuchungsumfang der Umweltprüfungen, sondern auch zur möglichst konsensualen Auswahl der geeignetsten Fachgutachter unter Einbeziehung der Umweltvereine gäbe. Eine solche Abstimmung ist derzeit nicht verpflichtend vorgesehen, aber rechtlich ohne Weiteres zulässig, beispielsweise in dem sog. „Scoping-Termin“ zur Abstimmung der Umweltprüfungen.
- Der Kern der Untersuchung hat sich daher auf das „Mittelfeld“ der möglichen Lösungen bezogen, nämlich die Frage, wann es nach aktuellem Recht möglich ist, dass - entweder nicht der Vorhabenträger die Umweltgutachten beauftragt, sondern die Genehmigungsbehörde auf Kosten des Vorhabenträgers - oder aber die Behörde jedenfalls selbst noch einen „Obergutachter“ auf Kosten des Vorhabenträgers oder zumindest auf eigene Kosten beauftragen darf.
- Da das nur teilweise der Fall ist, hat das Gutachten dann weiter untersucht, ob Gesetzesänderungen mit dem Ziel einer solchen Beauftragung durch die Behörden unter Wahrung höherrangigen Unionsrechts und der Rechte der Vorhabenträger zulässig wären. Soweit sich das als möglich herausgestellt hat, haben wir konkrete Formulierungsvorschläge erarbeitet.
II. Ergebnisse der rechtlichen Prüfung
- Nach aktueller Rechtslage besteht im Grundsatz eine Verpflichtung der Vorhabenträger, die für die behördlichen Prüfung des Umweltrechts nötigen tatsächlichen Angaben zu machen. Die Behörde ist für die abschließende Prüfung zuständig. Diese Aufteilung ist für die förmliche Umweltprüfung nach dem UVPG auch gesetzlich ausdrücklich so vorgeschrieben, während die zusätzlich maßgeblichen Fachgesetze (wie das Naturschutz-, Gewässerschutz- oder Immissionsschutzrecht) etwas zurückhaltender nur vorschreiben, dass der Vorhabenträger die für die Entscheidung über seinen Antrag notwendigen Angaben zu machen hat.
- Es finden sich im aktuellen Recht keine gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für die Behörden, den Vorhabenträgern vorzuschreiben, welche Gutachterbüro im konkreten Fall auszuwählen ist. Arbeiten die vom Vorhabenträger ausgewählten Büros schlecht, kann die Behörde allerdings Nachbesserungen verlangen und ggf. bei einem Fehlschlagen dieser Bemühungen den Antrag ablehnen. Ersteres geschieht häufiger, zweiteres nie oder jedenfalls sehr selten.
- Die Behörde kann bei Zweifeln über die Ergebnisse von Parteigutachtern in vielen Fällen auf eigene Kosten „Obergutachten“ einholen. Das geschieht verschiedentlich, aber wegen der Kostenfolgen nicht sehr häufig.
- In wenigen Fällen gibt es die Pflicht der Behörde, ihre Entscheidung durch selbst eingeholte Expertise abzusichern. In diesen wenigen Fällen kann die Behörde die dadurch entstehenden Kosten als notwendige Verfahrenskosten dem Vorhabenträger in Rechnung stellen. Dazu finden sich in einigen Fachgesetzen wie dem Immissionsschutzrecht und beim Ausbau von Höchstspannungsleitungen teils komplexe Sonderregelungen, von denen nach unseren Recherchen aber praktisch selten Gebrauch gemacht wird.
- Änderungen des Umweltrechts dahingehend, dass die Behörden die zur Entscheidung nötigen Gutachten auf Kosten des Vorhabenträgers selbst beauftragt, wären nach dem nationalen Recht möglich. Vorschläge dazu haben wir im Gutachten unterbreitet.
- Eine höhere Hürde findet sich für die förmliche UVP, da die UVP-RL derzeit europaweit vorschreibt, dass der Vorhabenträger die geforderten Umweltprüfungen vorlegt. Daher bedürfte es zur vollständigen Erreichung der Zielvorstellungen des NABU auch einer Änderung der UVP-RL.
- Sollte eine Änderung der UVP-RL nicht gewünscht sein, wäre es aber jedenfalls möglich, in nicht uvp-pflichtigen Vorhaben die nötigen Fachgutachten, etwa zur Prüfung des Naturschutzrechts oder des Gewässerschutzrechts, nach nationalem Recht von der Behörde beauftragen zu lassen. Gleiches gilt in uvp-pflichtigen Vorhaben, wenn die Fachgutachten dann von den Gutachtern der Vorhabenträger in die UVS eingearbeitet werden.
ILu, 14. April 2021