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Lebensraumvernetzung in Schleswig-Holstein
Schleswig-Holstein besitzt ein Straßennetz von fast 10.000 Kilometern Länge und ist in seiner Verkehrsinfrastruktur sowohl in Nord-Süd-, als auch in Ost-West-Richtung sehr gut aufgestellt. Es ist daher nur folgerichtig, dass mobile Tierarten in einem Land mit so dichtem Verkehrsnetz in ihrer Ausbreitung an Grenzen stoßen. Das Problembewusstsein, dass auch Tiere wandern müssen und „grüne“ Wege und Brücken benötigen, ist in den letzten Jahren angestiegen. Was wurde und was wird zukünftig in Schleswig-Holstein getan, um Konfliktpunkte zu entzerren und die Landschaft für Tiere wieder durchlässiger zu gestalten?
Die Vernetzung von Lebensräumen ist ein wesentliches Ziel des Naturschutzes. So heißt es im § 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatschG): „Zur dauerhaften Sicherung der biologischen Vielfalt sind […] lebensfähige Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten zu erhalten und der Austausch zwischen den Populationen sowie Wanderungen und Wiederbesiedelungen zu ermöglichen.“
Zerschnittene Landschaften – tödliche Grenzen
Die Realität sieht anders aus. Ursächlich dafür ist die flächendeckende Zerschneidung der Landschaft vor allem durch Verkehrswege. Kanalisierte, in Spundwände gezwängte Gewässer wie der quer durch Schleswig-Holstein verlaufende Nord-Ostseekanal, aber auch Siedlungsstrukturen, ja selbst die ausgeräumte Agrarlandschaft sind für Tiere häufig eine unüberwindbare Barriere.
Viele Tierarten weisen eine ausgeprägte Mobilität auf und sind auf Wanderungen angewiesen. So können junge Rothirsche nur durch Migration neue Reviere etablieren. Ähnlich verhält es sich mit dem Wolf, der das Land bereits mehrfach auf dem Weg nach Dänemark durchwandert hat. Dieses hoch mobile Tier steht exemplarisch dafür, wie wenig durchlässig die Landschaft Schleswig-Holsteins ist – zahlreiche Totfunde belegen diese traurige Tatsache. Aber selbst die flugfähigen Fledermäuse sind, dem Laien zunächst nicht verständlich, von der Zerschneidung der Landschaft betroffen und sogar auf Querungshilfen angewiesen. Denn trotz ihrer Flugfähigkeit kommt es zu tödlichen Kollisionen mit dem Straßenverkehr, da auch Scheinwerferlicht und warmer Asphalt Insekten anziehen und damit attraktive Jagdreviere darstellen können.
Die Populationen vieler Tierarten kommen heute nur noch verinselt, ohne genetischen Austausch, vor. Dies hat langfristig Inzuchterscheinungen zur Folge - lokale Populationen sterben aus.
Von Brücken und Tunneln
Die Bundesregierung hat 2012 das „Bundesprogramm Wiedervernetzung“ gestartet und 93 prioritäre Standorte für Querungshilfen (zumeist Grünbrücken, seltener Wildtunnel) gelistet. Für Schleswig-Holstein sind fünf Standorte aufgeführt: die Bundesautobahn A1 bei Reinfeld und Bargteheide, die A 7 bei Tarp, die A 21 bei Bargteheide sowie die A 24 in Höhe des Sachsenwalds. Von diesen vordringlichen Konfliktstellen wurde in den letzten Jahren allerdings noch keine durch ein Querungsbauwerk abschließend entschärft.
Grünbrücken sind nur eine von mehreren Möglichkeiten, Verkehrswege sicher zu queren. Daneben bieten ausreichend breite Unterführungen (Wildtunnel) oder aber elektronische Wildwarnsysteme eine Alternative. Dass nicht jeder Durchlass geeignet ist, zeigt sich am Beispiel Fischotter. Röhrenartige Fließgewässerdurchlässe ohne Landpassagen (Bermen) an den Seiten werden von den Tieren gemieden, sie laufen die Böschungen hoch, direkt über die Straße – Verkehrsopfer sind vorprogrammiert! Fischotter benötigen Bermen, auf denen sie durch die Durchlässe laufen können.
Intakte Hinterlandanbindungen notwendig
Wirkungsvoll sind derartige Bauwerke also nur, wenn diese sich an die Bedürfnisse der Zielarten und auch an die lokalen Lebensraumstrukturen vor Ort anpassen, Leitstrukturen zu den Querungshilfen hinführen und eine ökologische Hinterland-Anbindung existiert. Grünbrücken müssten eine Breite von mindestens 50 Metern haben.
Zuleitende Funktionen können neben natürlichen Strukturen auch aufgeschüttete Wälle oder Wildschutzzäune besitzen, die zum Bauwerk hinführen. Notwendig sind zudem Sichtschutzwände im direkten Umfeld der Querung, die die Tiere auch vor Blendung und damit verbundener Desorientierung durch das Scheinwerferlicht schützen.
In den Diskussionen über Kosten und Nutzen von Grünbrücken wird häufig übersehen, dass diese nicht nur die Tiere schützen - sie dienen ebenfalls dem Schutz des Menschen. Bundesweit lag die Anzahl der tödlichen Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Wild bei 2.777 (in Schleswig-Holstein bei 155). Da lediglich Unfälle mit Personenschaden, schwerwiegende Unfälle mit Sachschäden und Unfälle unter Drogeneinfluss im Hinblick auf Wild als Ursache erfasst werde, liegt die Dunkelziffer bezgl. Wildunfällen allgemein sicher sehr viel höher. Bei sogenannten Bagatellfällen wird hierzu keine Statistik geführt.
Kostenfrage nur vorgeschoben
Die Kosten für Grünbrücken über Bundesautobahnen im Land belaufen sich zwischen 2,5 (bei Kiebitzholm) und 5 Mio. Euro (bei Brokenlande), aufgrund ihrer Breite und Bauweise also die vier- bis fünffache Summe einer normalen Brücke. Dies muss allerdings in Relation zu den finanziellen Aufwendungen eines Aus- oder Neubaus von Autobahnen gesehen werden - dann relativieren sich diese Kosten ganz schnell. Ein Kilometer Autobahn verschlingt aktuell – abhängig von der Komplexität des Geländes - zwischen 6 und 20 Millionen Euro. Besonders in innerstädtischen Bereichen explodieren die Kosten zusätzlich durch z.B. vorgeschriebene Lärmschutzmaßnahmen. Die teuerste Autobahn wurde aktuell in Berlin gebaut. Dort schlugen bei der A 100 für 3,2 Kilometer Strecke 470 Millionen Euro zu Buche. Es ist daher nur legitim, auch für den Schutz der Natur und der darin lebenden Arten ebenfalls Mehrkosten in Kauf zu nehmen.
Grünbrücken in Schleswig-Holstein
Aktuell bestehen drei Grünbrücken in Schleswig-Holstein. 2005 wurde die erste Grünbrücke über die A21 zwischen Kiebitzholm und Negernbötel (Kreis Segeberg) fertig gestellt. Es folgten 2007 die Grünbrücke Hainholz über die A20, zwischen Strukdorf und Langniendorf (Kreis SE), sowie 2012 eine Grünbrücke über die A24 Grünbrücke bei Gudow-Segrahn (Kreis Herzogtum Lauenburg).
Im Rahmen des sechspurigen Ausbaus der A7 befindet sich derzeit eine Querung bei Brokenlande (südlich Neumünster) im Bau, eine weitere soll bei Bad Bramstedt folgen. Im Falle des Weiterbaus der A20 westlich von Bad Segeberg sind Grünbrücken als Ausgleichsmaßnahmen bei Todesfelde und bei Mönkloh geplant.
Die A7 zerschneidet Schleswig-Holstein in Nord-Süd-Richtung in zwei Teile und stellt zudem eine der wichtigsten und damit die meistbefahrenste Verbindungsstrecke zwischen Deutschland und Skandinavien dar. Querungsmöglichkeiten sind für wandernde Tierarten entlang dieser Strecke längst überfällig und haben Populationen in SH bereits seit Jahrzehnten getrennt. In Ost-West-Richtung, quer durch das Land, wird Schleswig-Holstein überdies durch die BAB 21 getrennt. Tiere, die sich sehr mobil in der Landschaft Schleswig-Holsteins bewegen, wie Rothirsch, Damwild und Wolf, erfahren auf ihren Wanderungen daher einen „Flaschenhalseffekt“. Sie werden regelrecht in die Falle geführt.
Holsteiner Lebensraumkorridore
Punktuelle Maßnahmen wie Grünbrücken machen aber nur Sinn, wenn sie in ein (inter-)nationales und (über-)regionales Verbundkonzept mit Trittsteinen-Biotopen, grünen Verbundachsen und -korridoren sowie in grundsätzlich ausreichend großen Lebensräumen eingebettet sind – als Teil eines Gesamtkonzepts. Denn auch Brücken für den Straßenverkehr sind nutzlos, wenn es davor und danach keine Straßen für den Verkehr gäbe, die dorthin führen. Und wie im Verkehr mit seinen unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern, Fahrzeugtypen etc. gibt es auch für Grünbrücken eine Vielzahl von unterschiedlich großen, unterschiedlich mobilen und unterschiedlich aktiven Arten, für die eine Grünbrücke „funktionieren“ muss, sie muss also einem breiten Artenspektrum gerecht werden. Dafür ist im Hinterland eine vielfältige Vernetzung von Waldlebensräumen, aber auch Offenlandlebenräumen (Heiden, Mooren), sowie Auen- und Gewässerlebensräumen notwendig. Die Knicklandschaft Schleswig-Holsteins, wäre sie noch intakt, böte ideale Ausbreitungskorridore für an Gehölze gebundene Arten wie Haselmaus oder Rothirsch. Dies greift beispielsweise aktuell die „Segeberger Knickinitative“ als Teil der Hinterlandvernetzung der Grünbrücke Kiebitzholm auf.
Beispiel Grünbrücke Kiebitzholm
Die Grünbrücke Kiebitzholm wurde im Rahmen des Ausbaus der B 404 zur A 21 gebaut und ist sowohl auf Tierarten des Waldes, wie auch auf Arten des Offenlandes, ausgerichtet. Angrenzend wurde zusätzlich ein Ottertunnel mit Berme errichtet.
In einem Monitoring wurden nach Fertigstellung der Grünbrücke Kiebitzholm neben Großsäugern, die die Brücke sehr schnell angenommen hatten, auch Reptilien- und Amphibienarten erfasst. Dabei handelte es sich um Erdkröte, Grasfrosch, Waldeidechse, Teichmolch, Moorfrosch sowie Ringelnatter.
Ein besonderes Augenmerk beim Bau der Grünbrücke wurde auf die ökologische Hinterlandanbindung gelegt, eine großräumige Vernetzung wird weiter vorangetrieben. Ziel ist letztlich ein durchgängiger Verbund von unterschiedlichen Lebensräumen. Ziel des E+E-Vorhabens „Holsteiner Lebensraumkorridore“ ist es, den Raum zwischen A7 und A21 mit einer grünen Infrastruktur zu vernetzen.
Wiedervernetzung von Mooren und Heiden
Im Untersuchungsraum (südwestlicher Teilabschnitt der Gebietskulisse) liegen auch vier vom NABU Schleswig-Holstein betreute Naturschutzgebiete. In Kooperation mit der Stiftung Naturschutz hat sich daher der NABU mit einem Gutachten an diesem Projekt beteiligt. Neben Untersuchungen zu Insekten und Pflanzen, die z.B. bei der Schmetterlingsfauna bereits eine Isolation zwischen Katen- und Schindermoor aufzeigten und die geringe Flächenausdehnung der einzelnen Moore bemängelte, ist insbesondere das Vorkommen der Kreuzotter im Umkreis der A 7 spannend.
Westlich der Autobahn im NSG Schindermoor kommt die Kreuzotter relativ häufig vor und wurde in den Betreuungsberichten des NABU mehrmals aufgeführt, auf der Ostseite tritt die Art allerdings nur sporadisch auf. Es bleibt abzuwarten, ob nach Etablierung der Grünbrücke und den geplanten Maßnahmen im Hinterland eine Ausbreitung erfolgt.
Über den Tellerrand schauen
Standorte von Grünbrücken müssen also sorgfältig ausgewählt werden. Da viele Wildtiere die Nähe des Menschen meiden, sollten Siedlungsflächen daher so fern wie möglich liegen. Durch Untersuchungen mit Wildtierkamera konnte dabei festgestellt werden, dass die Brücke meist stundenlang von Wildtieren verwaist blieb, wenn sich dort vorher Menschen aufgehalten hatten. Vor und hinter einer Grünbrücke sollten Trittstein-Biotope zur und von der Brücke weg führen. Wo warten die nächsten Barrieren in Form von Verkehrswegen, Siedlungen oder Agrarsteppen und wie sind diese zu überwinden? 2016 wurde auch das Aufstellen von Ansitzen zur Ausübung der Jagd im Umkreis von 200 Metern um Querungshilfen verboten, denn auch die jagdliche Nutzung hat einen Einfluss auf die Annahme derartiger Verbundstrukturen.
Als negatives Beispiel ist die Planung im Bereich der Grünbrücke Hainholz bei Strukdorf anzusehen. Parallel zur A 20 läuft dort mit knapp 70 Metern Distanz die Kreisstraße K 115. Bei der Planung wurde eine Überspannung beider Straßen versäumt, so dass die Grünbrücke aktuell die Wildtiere direkt auf die Kreisstraße leitet. Ein ähnlicher Fall existiert seit kurzem in Form einer Unterführung im Raum Stolpe (Ausbau der B 404 zur A 21), die die Wildtiere nun direkt in ein Straßendreieck lenkt – ohne Ausweg.
18. Dezember 2016