Vereinsklagerechte für Naturschutzverbände
Die häufigsten Fragen, wenn der NABU vor Gericht zieht
Das Artensterben geht weiter, die Emissionen von Treibhausgasen steigen, wichtige Naturräume sind weit davon entfernt, das von der europäischen Staatengemeinschaft beschlossene Ziel eines „günstigen Erhaltungszustandes“ zu erreichen. Neben anderen Faktoren ein Grund: Bauvorhaben mit ihren umfangreichen Eingriffen beeinträchtigen vor allem durch ihre Lage, Auswirkungstiefe und schlichte Größe die Natur und Umwelt. Naturschutzverbände wie der NABU können gegen Planfeststellungsbeschlüsse vor Gericht ziehen, wenn zuvor aus ihrer Sicht schriftlich formulierte Anregungen und Bedenken im vorgeschalteten Beteiligungsverfahren nicht im rechtlich nötigen Umfang in die Genehmigung Eingang finden.
Wenn bei einer daraus folgenden juristischen Auseinandersetzung Verwaltungsgerichte die fachlichen Bedenken gegen ein Vorhaben als gerechtfertigt werten, werden Stimmen deutlich schriller, die sich gegen diese essenzielle rechtliche Möglichkeit von Umweltverbänden richten. Es wird behauptet, dass Umweltverbände „sinnlos gegen alles und jeden klagen“, gar aus der Demokratie eine „Vetokratie“ würde. Dieser „Missbrauch“ müsse unterbunden werden. Dabei belegt ein Urteil zugunsten der Naturschutzverbände vor allem, dass Vorhabenträger bzw. Genehmigungsbehörde gegen bestehendes Recht verstoßen haben. Im Zuge dieser maßgeblich von mühsam kaschierten Eigeninteressen gesteuerten Diskussion tauchen dabei immer wieder auch berechtigte Fragen nach der Grundlage und Handhabung dieser europaweit gegebenen Möglichkeit der Kontrolle genehmigungsrechtlicher Beschlüsse auf. Der NABU gibt im Folgenden Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was ist eine Verbandsklage?
Das Besondere an der Verbandsklage (Vereinsklage) ist, dass ein Umwelt- und Naturschutzverband wie der NABU - ohne selbst direkt 'in eigenen Rechten' verletzt zu sein - trotzdem vor Gericht ziehen kann. Normalerweise ist dies ausgeschlossen: Wenn z.B. ein Betroffener ein rechtliches Problem mit seiner Gemeinde oder Stadt hat, kann ein Dritter nicht stellvertretend für ihn klagen. Umweltverbände wie der NABU übernehmen aber stellvertretend die Klagerechte von Natur und Umwelt, die sich vor Gericht naturgemäß nicht selbst gegen ihre Beeinträchtigung wehren, d.h. ihren Rechtsschutz nicht selbst in die Hand nehmen können. Die Abschätzung, ob eine gravierende, nicht hinnehmbare Beeinträchtigung vorliegt, wird vom NABU in enger Abstimmung mit Spezialisten der beeinträchtigten Natur- und Umweltbereiche getroffen.
Warum können Naturschutzverbände klagen?
In einer komplexen Gesellschaft prallen naturgemäß immer wieder individuelle, gesellschaftliche wie wirtschaftliche Interessen aufeinander. Mit entsprechenden Regeln (Gesetzen) versucht eine Bürgergesellschaft im Rechtsstaat, allen Betroffenen die Möglichkeit zu eröffnen, in einem Konfliktfall die eigenen Belange rechtlich zu vertreten und sich so gegen vermutete oder tatsächlich falsche Entscheidungen zu wehren. Gerichte fällen dabei auf der Grundlage von Gesetzen ihr Urteil, das die rechtlichen Belange und Ansprüche gegeneinander abwägt. Personen oder Unternehmen mit ihren Eigeninteressen haben in einem Rechtsstaat einen Anspruch auf eine Genehmigung ihres Vorhabens und können dazu fast alle für sie negativen Bescheide, die das Anliegen unmittelbar berühren, juristisch angreifen. Erst mit der Einführung gesetzlicher Regelungen über die "Verbandsklage" ist dieser juristische Weg zur Vertretung der zuvor meist nachrangig behandelten Belange von Natur und Umwelt spät auch für Naturschutzvereine wie den NABU gangbar geworden. Verankert sind die Klagerechte der Naturschutzverbände in den Naturschutzgesetzen der Bundesländer und auf Bundesebene in den §§ 58 bis 61 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG), ferner im Umweltrechtsbehelfsgesetz des Bundes (UmwRG). EU-rechtlich ist die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie einschlägig, die unionsrechtlich die von allen Mitgliedsstaaten unterzeichnete Aarhus-Konvention als völkerrechtlichem Vertrag umsetzt.
Können Naturschutzverbände mit einer Klage alles verhindern?
Naturschutzverbände haben kein Vetorecht gegen Planungsvorhaben! Sie können aber - wie betroffene Personen - juristische Schritte dagegen ergreifen. Die Klage eines Naturschutzverbandes hat jedoch nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die beklagte Seite, in der Regel eine Behörde, relevante Gesetze nicht sachgerecht angewandt und damit das geltende Recht verletzt hat. Kein Gericht wird ohne diese elementare Voraussetzung ein Projekt dauerhaft stoppen! Ein für den Naturschutz erfolgreich erstrittenes Urteil setzt dabei nicht nur kleine Fehler voraus. Diese können noch im Klageverfahren „geheilt“ werden. Es bedarf vielmehr einer substantiellen Nichtbeachtung des Rechtes, um als Naturschutzverband vor Gericht erfolgreich zu sein.
Wird das Klagerecht – wie manchmal gefordert – beschnitten oder abgeschafft, bedeutet dies, Natur und Umwelt gegenüber anderen Interessen wieder deutlich abzuwerten und deren Belange dabei aufzugeben. Zu beachten ist außerdem, dass die Entscheidung zur Einführung von Verbandsklagen im Umweltrecht wie überhaupt von weitreichenden Klagemöglichkeiten für Betroffene auf einer völker- und europarechtlich abgesicherten und von allen Staaten unterzeichneten Basis steht. Wer in Deutschland – etwa anlässlich siegreicher Verbandsklagen – kurzerhand die Abschaffung der Verbandsklage fordert, missachtet diesen europaweiten und völkerrechtlichen Konsens.
Wer führt ein Klageverfahren?
Bei Verfahren auf Landesebene klagt zumeist der zuständige NABU Landesverband. Er verfügt über die rechtliche Vereinsanerkennung nach § 60 BNatSchG (früher § 29 BNatSchG a. F.) bzw. nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (§ 3 UmwRG), zudem auch über notwendige personelle wie finanzielle Kapazitäten. Im konkreten Fall entscheidet der NABU-Landesvorstand über die Erhebung einer Klage. Im positiven Fall erteilt der Landesvorstand einer Rechtsanwaltskanzlei die Prozessvollmacht. NABU-Vertreter, Rechtsanwälte und beauftragte Gutachter begleiten das Verfahren bis zum Urteil. Manche Klageverfahren werden aber schon vor der Klageerhebung oder in dessen Ver-lauf etwa im Zuge einer Mediation durch einen außergerichtlichen Vergleich abgeschlossen. Bei Konflikten von bundesweiter Bedeutung kann in der Praxis auch der NABU Bundesverband klagen.
Da in aller Regel gegen behördliche Entscheidungen geklagt wird, sind Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgericht VG, Oberverwaltungsgericht OVG, Bundesverwaltungsgericht BVerwG) für die rechtliche Entscheidung über die Klage zuständig. Bei großen Infrastrukturverfahren erfolgt die Klage oft beim OVG oder in einigen gesetzlich geregelten Fällen direkt vor dem BVerwG. Sonst durchläuft das Verfahren die Gerichtskette vom VG bis zum BVerwG. Bei Fragen, die Europarecht berühren, kann ein Gericht den Europäischen Gerichtshof in die Auslegung von europarechtlichen Bestimmungen einbeziehen und muss dieses in einigen Fällen sogar.
Blockieren Naturschutzverbände Verwaltungsverfahren?
Der Vorwurf der allgemeinen Blockadehaltung wird immer wieder von Gegnern der Verbandsklage erhoben. Die Erfahrungen in den Ländern belegen aber, dass die Umweltverbände von ihrem Klagerecht sehr sparsam Gebrauch machen. Eine Klageflut und die damit befürchtete einhergehende Verzögerung in der verwaltungsrechtlichen Praxis sind nicht eingetreten. Schon allein die Möglichkeit der Erhebung der Ver-bandsklage trägt dabei erheblich zum Abbau von Vollzugsdefiziten im Naturschutz bei und verbessert die Qualität von Planungsverfahren. Das Instrument der Verbandsklage kann so im Idealfall präventiv zur Verfahrensbeschleunigung beitragen, Kosten sparen und Planungssicherheit schaffen. In jedem Fall führt es dazu, dass die Belange des Natur- und Umweltschutzes auch ernst genommen werden.
Dass die Naturschutzverbände sehr bewusst mit der Klagemöglichkeit umgehen, zeigen die folgenden beispielhaften Zahlen: Der NABU wird in Schleswig-Holstein, dem Bundesland mit der längsten „Tradition“ bei Beteiligungs- und Klageverfahren, jährlich bei rd. 1.200 Verfahren angehört. Im Mittel werden pro Jahr hier jedoch nur ein bis zwei Verfahren juristisch vor Gericht angegriffen. Auch in Niedersachsen wird ein vorsichtiger Umgang mit Klagen beobachtet. In 10 Jahren wurden nur 10 Klagen erhoben. Eine im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz im September 2011 vorgelegte Untersuchung zeigt bundesweit: Die Verbände setzen das Instrument der Verbandsklage wirksam und maßvoll zum Abbau von Vollzugsdefiziten ein. Nach einheitlicher Regelung der Verbandsklage im Bundesrecht wurde in den Jahren 2007 bis 2010 sogar noch weniger geklagt (25 Klagen pro Jahr) als im Zeitraum von 2002 bis 2006 (etwa 27 Klagen pro Jahr).
Insgesamt betrachtet sind die Umwelt- und Naturschutzverbände in den Jahren 2007 bis 2010 mit ihren Klagen in 42,5% der Fälle ganz oder teilweise erfolgreich gewesen. Das entspricht in etwa der Erfolgsquote von ca. 40% im Zeitraum von 2002 bis 2006. Damit sind die Verbandsklagen nach wie vor wesentlich erfolgreicher als die insgesamt von den Verwaltungsgerichten in Deutschland entschiedenen Hauptsacheverfahren ohne Verbandsbeteiligung (Erfolgsquote 10 bis 12 %). Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (RSU) hat in einer Stellungnahme bereits 2005 festgestellt: „Die Verbandsklage stellt keine Privilegierung von Umweltinteressen dar. Vielmehr gleicht sie Ungleichgewichte im gegenwärtigen System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes aus, die Umweltnutzungs- auf Kosten von Umweltschutzinteressen gegünstigen. Gerade im Bereich des Umweltrechts sind Vollzugsdefizite in maßgeblichem Umfang festzustellen. Eine wesentliche Ursache für diese Defizite liegt in der mangelnden Vollzugskontrolle im Umweltrecht begründet. Blickt man genauer auf die Ursachen der Vollzugsdefizite, so offenbart sich eine Asymmetrie im Rechtsschutz. Während Umweltnutzern gegen jede auch nur mittelbar wirkende Umweltschutzmaßnahme grundsätzlich ein Abwehrrecht zur Seite steht, ist Umweltschützern in Deutschland die Berufung auf Bestimmungen des Umweltrechts vielfach verwehrt.“
Was kostet eine Verbandsklage?
Die Kosten hängen sehr von der Art der Klage und der Komplexität des Falles ab. Sie sind in jedem Falle so hoch, dass eine Klage kaum ohne Anlass nur "aus Lust am Klagen" geführt wird. Bei einem Erfolg der Klage muss der Kläger keine gerichtlichen Kosten tragen, bei einer Niederlage jedoch die gesamten Ausgaben auch der Gegenseite einschließlich Gerichtsgebühren übernehmen. Die Kosten des eigenen Rechtsanwaltes werden dem Kläger bei einem Erfolg nur in Höhe der gesetzlichen Gebühren erstattet. In der Praxis werden die Rechtsanwaltskosten nach einer Honorarvereinbarung bemessen. Häufig kommen noch Kosten für Fachgutachten hinzu. Bei einer Niederlage muss der Kläger für alle Kosten aufkommen. Dieses erheblichen finanziellen Risikos muss sich ein Naturschutzverband immer bewusst sein.
Wie lange dauert ein Klageverfahren?
Ein verwaltungsgerichtliches Verfahren in der Hauptsache dauert in der ersten Instanz (Verwaltungsgericht) in der Regel zwischen eineinhalb und fünf Jahren. Wird ein Berufungszulassungsantrag beim OVG eingelegt oder die Berufung von vornherein zugelassen, verlängert sich der Zeitraum noch einmal durchschnittlich um etwa zwei Jahre. Dieselbe Zeit vergeht oft, bis das Verfahren im weiteren Streitverlauf ggf. vor dem BVerwG entschieden wird. Große Infrastrukturprojekte sind zur Verfahrensbeschleunigung nur in einer Instanz beim BVerwG beklagbar. Naturschutzverbände haben dabei ein Interesse an einer schnellen Entscheidung, da mit der Dauer des Verfahrens auch die Kosten steigen. Das Eilverfahren, das nach der Plangenehmigung einen Baustopp bewirkt, wird normalerweise innerhalb von 3 bis 12 Monaten beschieden. Nur bei „Gefahr im Verzug“ und zugleich mangelndem Willen der Genehmigungsbehörde zum „Stillhalten“ erfolgt der Beschluss in wenigen Tagen. Im Eilverfahren wird vom Gericht summarisch geprüft, ob die Klage Aussicht auf Erfolg haben kann. Bei entsprechend positiver Einschätzung ruhen die Arbeiten bis zum Urteil.
Was kann der NABU mit einer Klage erreichen?
Häufigster Grund für eine Klage ist ein mangelhafter Planfeststellungsbeschluss. Dieser Genehmigungsakt ist die Bedingung für die Realisierung umweltrelevanter Projekte. Bei Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Infrastrukturvorhaben wie den Straßenbau wird das gesamte Projekt angegriffen. In der Praxis wird durch das Gericht im Erfolgsfall jedoch nur selten der geplante Bau einer Straße unwiderruflich verhindert. Dies liegt in erster Linie daran, dass im Fachplanungsrecht zahlreiche Möglichkeiten zur nachträglichen Heilung selbst größerer Rechtsfehler bestehen. Ein Urteil kann realistisch aber bewirken, dass eine alternative Trasse gewählt, eine weitergehende Minimierung der Eingriffe in Natur und Landschaft oder zumindest zusätzliche, umfassendere Ausgleichsmaßnahmen zum Schutz der Natur festgelegt werden müssen. Nur wenn die Mängel grundsätzlich nicht behebbar sind, scheitert das Vorhaben auf Dauer. Was genau mit einer Klage erreicht werden kann und welche 'Taktik' bei der Auseinandersetzung die Richtige ist, muss in jedem Einzelfall von den Naturschutzverbänden unter juristischer Beratung geprüft werden.
ILu akt. 13. Mai 2014