Der kontaminierte Bauschutt-Weg liegt direkt neben der Ackerfläche - Foto: R. Sturm
Plastikgifte in der Umwelt
Kontamination von Mensch und Natur
An Land, im Wasser und in der Luft – in den vergangenen Jahren haben sich zahlreiche Studien mit den toxikologischen Belastungen der Elemente befasst und über die massive Verseuchung von Mensch und Natur traurige Gewissheit gegeben. Die ersten Erkenntnisse über den Eintrag von Mikroplastik in Gewässer stammen aus den 1970er Jahren. Dennoch ist seither zu wenig geschehen, um der Plastikflut Einhalt zu gebieten.
Offenbar ist es ein menschlicher Wesenszug, Bedrohungen auszublenden, insbesondere, wenn diese sich schleichend vollziehen. Beispiele sind die Lagerung radioaktiv verseuchten Mülls, das Anheizen des Klimawandels oder die Produktion von Plastikverpackungen, die sich in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland noch verdoppelte. Während man beim Atommüll derzeit noch Hoffnungen hegt, diesen mittelfristig in einer adäquaten Endlagerstätte versenken zu können, so ist die Katastrophe bezüglich der weltweiten flächenhaften Kontamination mit Plastik bereits Wirklichkeit und nicht mehr rückholbar.
Plastikstrudel in den Meeren
Fernsehbilder dokumentieren seit Jahren aus den Meeren erschreckende Bilder von Plastikstrudeln und weiteren im Wasser treibendem Müll. Doch während jede Meldung über neu konstruierte Apparate, die vermeintlich Plastik aus dem Wasser filtern sollen, die Hoffnung nährt, das Problem doch noch in den Griff zu bekommen, hat dieses sich bereits verselbständigt.
Selbst in Tiefseegräben hat sich der Kunststoff abgelagert. In der Frahmstraße, einer bis zu 5.600 Meter tiefen Rinne zwischen Grönland und Spitzbergen, fand das Alfred-Wegener-Institut verschiedene Arten Mikroplastik im Sediment. Mit bis zu 13.000 Mikroplastikpartikel in einem Kilogramm Sediment ist die Belastung hier bis zu 16.000fach höher als im offenen Wasser. Australische Wissenschaftler auf der anderen Seite der Erde kamen bei Tiefseeuntersuchungen zu ähnlich erschreckenden Ergebnissen. Es ist davon auszugehen, dass sämtliche Tiefseebereiche der Erde bereits hochgradig mit Mikroplastik kontaminiert sind – bevor der Mensch diese Regionen überhaupt erforscht hat. Hinzu kommen jährlich etwa 270.000 Tonnen neuer, zunächst schwimmender Plastikmüll. Nach Prognosen der Universität Wien wird sich die Plastikverschmutzung der Meere in den kommenden zehn Jahren sogar verzehnfachen.
Gefährliche Giftstoffe in Meeressäugetieren
Diese Menge an sich zersetzenden Kunststoffen bleibt für die Umwelt nicht folgenlos. Besonders Weichmacher, sogenannte Phthalate, wirken sich schädlich auf den Organismus aus. Amerikanische Forscher vom College of Charleston stellten im Urin von Delfinen fest, dass sich in über 70 Prozent der Proben Abbaustoffe dieser toxischen Substanzen befinden, die unter anderem fruchtbarkeitshemmend wirken. Damit nicht genug: Mittlerweile sind auch erhebliche, durch Plastikpartikel verursachte Wechselwirkungen bekannt. Die Universität Wien entdeckte, dass aus dem Plastik gelöstes organisches Material zunimmt und das Bakterienwachstum massiv anregt. Die Forscher folgern daraus, dass sich hierdurch der natürliche Kohlenstoffkreislauf im Meer langfristig verändert.
Das Helmholtz-Zentrum Geesthacht setzt sich mit der Problematik auseinander, dass Schwermetalle wie Cadmium, Quecksilber und Blei, die in vergleichsweise hohen Konzentrationen in den Meeresarmen der Schleswig-Holsteinischen Ostseeküste nachgewiesen wurden, an der Oberfläche der Kunststoffpartikel gebunden werden. Die Gifte können u. a. Magen-Darm-Erkrankungen, Lungenentzündungen und Krebsgeschwüre verursachen. Mikro- und Nanopartikel werden nicht nur von Meeressäugern, Fischen und Vögeln direkt aufgenommen, sondern insbesondere von Plankton. Somit gelangen die Stoffe in die Nahrungsketten. Dass ein Bewusstseinswandel nur sehr schleppend einsetzt, zeigen u. a. die Ergebnisse jährlicher Strandsäuberungsaktionen.
Plastik-Kontamination praktisch I
Liebgewonnene Rituale werden weiterhin praktiziert. So ist es üblich, Yachthäfen mit Beton-Estrich-Säcken zu sichern, die wie flexible Bausteine unter Wasser eingesetzt werden. Erst zersetzt sich die Papierhülle, anschließend zerfällt nach und nach die Plastikfolie im Wasser, wie ein Fallbeispiel aus Wackerballig/Geltinger Bucht zeigt.
Plastikschwemme auch an Land
Lange Zeit wurde das Plastikproblem an Land gar nicht als Bedrohung von Lebensräumen und menschlicher Gesundheit wahrgenommen. Nach Studienergebnissen der vergangenen Jahre kommt das volle Ausmaß nun ans Licht. Unsere Wiesen, Wälder, Äcker, Flüsse und Seen – überall befindet sich Plastik in einem gefährlichen Zersetzungsprozess. Während die Menschheit sich der neuen Gefahr erst bewusst wird, konsumiert der menschliche Körper bereits ungeheure Mengen von Plastikteilchen, die im Stoffwechsel hormonähnliche Wirkung entfalten. Erst in diesen Tagen werden nun Studien in Auftrag gegeben, um den Zusammenhängen auf den Grund zu gehen. Dabei ist bereits klar, dass abnehmende Fruchtbarkeit, Diabetes, Asthma, Allergien, Übergewicht und einiges mehr im Zusammenhang mit der Plastikkontamination stehen dürfte.
Die Äcker in Deutschland sind hochgradig belastet mit plastikdurchsetztem Klärschlamm, Folien, Düngekapseln und anderen direkt eingebrachten Quellen. Nach neuester Forschung sind auch vermeintlich unbelastete landwirtschaftliche Flächen zu einem gewissen Grad kontaminiert. So landet u. a. achtlos entsorgter, fliegender Müll auch auf dem Bio-Acker. Einen weitaus größeren Anteil besitzt der Reifenabrieb, der gerade an Straßenrändern auf die angrenzenden Flächen eine verheerende Wirkung entfaltet und zu den größten Eintragsquellen von Mikroplastik überhaupt gehört.
Unsichtbare Gefahr: Nanoplastik in Obst und Gemüse
Regenwürmer wie weitere Bodenorganismen zeigen Verhaltensänderungen, werden krank und sterben an der Schadstoffkonzentration in den Böden, die selbst unfruchtbarer werden und deswegen noch mehr Düngergaben erhalten. Noch in „Betrifft Natur“ (01/2019) als Vermutung geäußert, bewiesen Forscher aus Italien, den Niederlanden und China nun: Über die Wurzeln von Obst- und Gemüsepflanzen werde toxische Abbaustoffe von Plastik als Nanopartikel aufgenommen, womit u. a. Weichmacher auch in den menschlichen Organismus gelangen. Gerade Karotten und Äpfeln, die eigentlich als gesunde Nahrungsmittel gelten, nehmen besonders viele dieser Stoffe auf.
Die medizinische Universität Wien ging einen Schritt weiter und untersuchte den Kot von Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern. Sämtliche Stuhlproben waren kontaminiert. Durchschnittlich enthielten 10 Gramm Kot rund 20 Plastikpartikel, darunter vorrangig Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET).
Damit wird klar, dass das Problem der Plastikverschmutzung beträchtlich ist und viel entschlossener angegangen werden muss, um unsere Lebensumwelt langfristig von der tödlichen Gefahr zu befreien. Doch obgleich das Fraunhofer-Institut den Reifenabrieb schon vor Jahren als Hauptquelle des Eintrags benannt hat, stehen Politik und Wirtschaft paralysiert vor dieser Problematik.
Weder bei den Landwirten noch bei den Verbrauchern ist das Problem wirklich angekommen. Bauern lagern sogar immer noch Reifen auf ihren Höfen und befestigen ihre Wirtschaftswege mit plastikdurchsetztem Bauschutt, wie letztens von Naturschützern des BUND in Reinbek dokumentiert wurde. Der Kreis Stormarn sah kein Problem, da es sich um „tolerierbare und zu tolerierende Kunststoffverunreinigungen im ‚Promillebereich‘“ handele.
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Die Säcke, die schon laut Gefahrenhinweis aufgrund des Inhaltes nicht in Gewässer gelangen dürfen, werden zur Befestigung des Yachthafens im Wasser "verbaut" - Foto: NABU / Waltraud Gerlach-Braun
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Nach einigen Wochen hat sich die Papierverpackung im Wasser aufgelöst und die Plastikhüllen kommen zum Vorschein - Foto: NABU / Dagmar Struß
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Einige Zeit später lösen sich auch die Plastikfolien auf und gelangen in den Lebensraum Ostsee - hier in die Geltinger Bucht / Flensburger Förde. - Foto: NABU / Dagmar Struß
Plastik-Kontamination praktisch II
Plastik im Wasserkreislauf
Als man unlängst in abgelegenen Bergregionen eine beachtliche Menge Mikroplastik entdeckte, ging man davon aus, dass verwehte Plastikteilchen durch Picknick oder Funktionskleidung von Wanderern und Bergsteigern eingetragen wurden. Tatsächlich machen Funktionsstoffe einen großen Problemanteil aus. Die Freie Universität Berlin stellte fest, dass bei einem einzigen Waschgang von Funktionswäsche wie Fleecejacken 700.000 Mikrofaserteile gelöst werden können, wenn kein spezieller Waschsack zum Einsatz kommt, der etwa 70 Prozent der Partikel herausfiltert. Wenn Kläranlagen bereits mit feinen Filtern ausgerüstet sind, so gelangen die Fasern möglicherweise trotzdem in den Klärschlamm und auf diesem Weg den Acker. Sonst werden sie direkt in Gewässer geleitet, wie wir am Beispiel der Schlei (vgl. Ausgabe 03/2018) beleuchteten.
Mittlerweile ist geklärt, wie Plastik in arktischen Schnee oder auf Gipfel des Himalaya gelangt. Die Partikel gelangen durch den Wasserkreislauf mit der Verdunstung in die Luft, wo sie in Wolken mitreisen und in entferntesten Winkeln der Erde abregnen.
Auf allen Ebenen handeln!
Viele Fachleute sehen in der weltweiten Plastikkontamination ein Problem ähnlichen Ausmaßes wie der menschenverursachte Klimawandel. Es darf jedoch nicht ebenso lange dauern, im Rahmen weltweiter staatenübergreifender Konferenzen Lösungen zu finden. Dabei ist es mit dem Verbot von Plastiktüten und Strohhalmen bei weitem nicht getan.
Das Problem geht alle Entscheidungsträger und die Wirtschaft an: Bund, Länder, Kreise und Gemeinden müssen bei ihren Aktivitäten eine entsprechende Sensibilität entwickeln, Handlungsmöglichkeiten generieren und diese dann auch konsequent ausschöpfen. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen durch Umweltpolitik und -bildung mehr Kompetenz erlangen, denn sie bestimmen durch tägliche Konsumentscheidungen mit, ob unsere Welt von morgen noch intakte Lebensräume für Mensch und Natur haben wird.
DS, 17. Novembver 2020