Todesgefahr für Ostsee-Schweinswale
GRD und NABU lehnen ultraschnelle Schlauchboot-Touren ab
Ein neues touristisches Angebot an der Küste Angelns und Schwansens, mit ultraschnellen Schlauchbooten (RIB) auf der Ostsee herumzurasen, wird zur Todesgefahr für Ostsee-Schweinswale. NABU und die Gesellschaft zur Rettung der Delphine GRD kritisieren, dass dieses Spaßangebot von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion ohne Einschaltung der zuständigen Umweltbehörden genehmigt wurde und fordern den sofortigen Stopp dieser unnötigen Spaß-Veranstaltungen zu Lasten der Umwelt.
„30 Minuten pures Adrenalin“ verspricht das Angebot der Firma RIB Tours (ein Unternehmen der BESO Gruppe GmbH) mit 350-PS-starken Schlauchbooten auf ihrer Webseite. Und: „300 PS kann jeder“. Hot-dog-Essen in Dänemark und Firmenevents stehen neben den regelmäßigen Touren vor dem Ostseeresort Olpenitz und Damp auf dem Programm. Das Angebot startet mitten in der Kalbungs- und Säugezeit bedrohter Ostseeschweinswale in einem Gebiet mit der höchsten Schweinswaldichte an der deutschen Ostseeküste, das zudem als FFH- und EU-Vogelschutzgebiet „Schlei inkl. Schleimünde und vorgelagerter Flachgründe“ unter Naturschutz steht. Mittlerweile wurde bekannt, dass entsprechende Angebote mit bis zu 1.000-PS-starken Motoren auch an mehreren Standorten vor der Küste Fehmarns und in der Lübecker Bucht existieren.
Spaßtouristen stellen Vergnügen vor den Schutz der Schweinswale
„Schweinswale gehören zu den streng geschützten Tierarten in Deutschland. Trotzdem nimmt eine Minderheit von Spaßtouristen keinerlei Rücksicht auf Tier und Natur, setzt ihr Vergnügen über alles“, betont der Biologe Ulrich Karlowski von der Gesellschaft zur Rettung der Delphine e. V. (GRD). Schweinswale haben vor der Küste Angelns und Schwansens ihre Kinderstube, vor Fehmarn halten sich ebenfalls Schweinswale in größerer Zahl auf. Die Tiere sind zur Fortpflanzungszeit besonders anfällig für Störungen und können schnell fahrenden Booten nicht ausweichen. Insbesondere die Kälber schwimmen langsam und verweilen lange an der Oberfläche.
Die sich überwiegend akustisch orientierenden Schweinswale leiden zudem unter dem extrem hohen Unterwasserlärm, der über mehrere Kilometer hinweg zu massiven Störungen führt. Der in Anhang IV der europäischen FFH-Richtlinie gelistete Schweinswal unterliegt laut Bundesnaturschutzgesetz u. a. einem „Störungs- und Verletzungsverbot“. Nach Auffassung der beiden Naturschutzverbände ist damit das Spaßangebot nicht mit dem geltenden Recht vereinbar.
Umweltverträglichkeit prüfen
„Eine Umweltverträglichkeitsprüfung wurde nicht durchgeführt, obwohl diese bei Gefährdung streng geschützter Arten zwingend vorgeschrieben ist. Es sind erhebliche Beeinträchtigungen geschützter Meeressäugetiere und Seevögel zu erwarten, die einer Genehmigung sicher entgegenstehen“, kritisiert Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des NABU Schleswig-Holstein. Das Kieler Umweltministerium ist von NABU und GRD über den Sachverhalt informiert und um ein Einschreiten gebeten worden, bislang jedoch ohne Resonanz.
Im Jahr 2009 gab es bereits ein ähnliches Angebot, bei dem Tauchern eine 140 km lange Schnitzeljagd mit 90 km/h schnellen Speedbooten von Eckernförde in die Kieler Innenförde angeboten wurde. Massive öffentliche Kritik führte jedoch dazu, dass Sponsoren ausstiegen und der Veran-stalter die Challenge absagte. Vergleichbare Veranstaltungen der Firma „Super-sail“ vor Sylt und ein Powerboot-Wettrennen vor Travemünde wurden deshalb ebenfalls abgesagt. Mittlerweile wird kaum noch ein Wal tot geborgen, der keinen Hörschaden aufweist und somit die Stellnetze aus dünnen Plastikfäden schon aus diesem Grund schlecht orten kann. Man bemüht sich daher darum, dass Fischer u. a. ihre Stellnetze verkürzen, damit weniger Wale vor unserer Küste darin verenden. Der NABU fordert aus gegebenem Anlass sogar, die Netze zumindest in den Sommermonaten in den schweinswalreichen Gebieten völlig zu verbieten und intensiver nach Alternativen des Fischfangs zu forschen.
Nicht einmal die vor Ort tätigen Tourismusorganisationen sehen einen Nutzen in diesem Angebot. Eine „Win-Win-Situation“ entsteht in der Region durch den Schutz der Natur auf der einen und dem sanften Tourismus auf der anderen Seite. Hier bemüht man sich um ein ständiges Auszutarieren, wieviel Naturerlebnis möglich und wieviel Schutz nötig ist. Die Ostseefjord Schlei GmbH, die sich für Tourist*innen Naturerlebnis und Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, lehnt eine Zusammenarbeit mit dem Speedboot-Betreiber ab, da sie die Touren als nicht nachhaltig ansieht. Ebenso hat sich der Touristikverein Kappeln gegen die Touren ausgesprochen, unter dessen Dach sich ein Großteil der Vermieter von Ferienunterkünften in Kappeln organisiert.
Urlauber sorgen sich um Wale
Beim NABU gehen nun seit Wochen Anrufe sowie E-Mails von Urlaubern aus dem Ostseeresort Olpenitz ein, die mit Sorge davon berichten, dass Schweinswalmütter mit ihren Kälbern täglich im Hafen und an der Küste auftauchen, die Speedboote aber offenbar immer noch nicht gestoppt wurden. Der NABU fordert daher gemeinsam mit der Gesellschaft zur Rettung der Delphine das Land auf, das Angebot nicht nur einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen, sondern bis zum Prüfungsergebnis auch per einstweiliger Verfügung dafür zu sorgen, dass möglicher Schaden abgewendet werden kann. Naturverbundener Wassersport nimmt Rücksicht auf unsere Schweinswale und bewegt sich auch auf dem Wasser naturangepasst fort – ultraschnelle Powerboottouren gehören nicht dazu!
Update17. August 2020: Das schleswig-holsteinische Umweltministerium teilt zwar bzgl. der Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) die Auffassung von GRD und NABU, macht aber die Betreiber nun erst einmal nur auf diese Notwendigkeit aufmerksam. Ohne parallele einstweilige Verfügung durch das MELUND werden die Fahrten jedoch in dieser Sommersaison rücksichtslos fortgeführt - und das, obwohl sich insbesondere bei Olpenitz und Schönhagen täglich Wale mit Kälbern aufhalten.
Kontakt
NABU Schleswig-Holstein: Ingo Ludwichowski (Tel.: 04321 – 953 073 | Presse@NABU-SH.de)
GRD: Ulrich Karlowski (Tel.: 089 – 7416 0410 | info@delphinschutz.org)
akt. 17. August 2020