Plastik in der Schlei
Klärwerk entlässt fünf Tonnen Müll in die Umwelt
Ein Umweltskandal großen Ausmaßes wurde zu Beginn diesen Jahres öffentlich. Millionen von Plastikteilchen hatten sich am Ufer der Schlei angesammelt. Bereits im März 2016 schlug eine besorgte Bürgerin Alarm: Sie entdeckte eine stattliche Anzahl dieser Plastik-Schnipsel nahe der Mündung der Füsinger Au. Die benachrichtigte Umweltpolizei tat diesen Fund jedoch als ‚singuläres Ereignis‘ ab. Auch die Naturschutzbehörde des Kreises Schleswig-Flensburg verfolgte den Vorfall nicht weiter.
Zwei Monate später legte ein Bürger erneut einen Fotobeleg mit der Plastikverunreinigung direkt am Einlauf des Schleswiger Klärwerks vor. Daraufhin wurde - nach Aussage der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) - zumindest ermittelt. Da das Klärwerk, vor dessen „Toren“ sich die verunreinigte Stelle unmittelbar befand, als direkter Verursacher jedoch kategorisch ausgeschlossen wurde, verliefen diese Untersuchungen „im Sande der Schlei“.
Auch der NABU-Schutzgebietsbetreuer der Schlei-Halbinsel Reesholm entdeckte im Spätsommer 2017 auffällig viele Plastikteilchen am Ufer des Meeresarmes. Die Schule Louisenlund registrierte die Verschmutzung ebenfalls. Über das dort initiierte Projekt und die Plastikfunde am Schleiufer berichteten 2017 sogar Presse und Fernsehen. Als weitere Meldungen aus der Bürgerschaft und vom NABU bei den Behörden eintrafen, ergaben Kontrollen, dass die Stadtwerke als Betreiber des Klärwerks tatsächlich Verursacher dieser Umweltverschmutzung im großen Ausmaß sind. Mit der schließlich folgenden Information an das Ministerium für Energie, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (MELUND) wartete der Kreis jedoch noch zwei weitere Monate. Als die Tatsache der Einleitung schließlich belegt war, beharrte man jedoch darauf, dass erst seit Januar 2018 Plastikschnipsel eingeleitet worden seien.
Mittlerweile erscheint jedoch klar, dass die Einleitungen in die Schlei über einen großen Zeitraum erfolgten. Unklar allerdings blieb zunächst, in welchem Umfang. Das MELUND geht mittlerweile von Einleitungen seit 2015 aus. Nach aktuelleren Schätzungen der UNB handelt es sich nun um bis zu fünf Tonnen der leichtgewichtigen Teilchen, die in der Natur gelandet sind. Zuvor war man von rd. 500 kg ausgegangen. Unvorstellbar große Mengen, berücksichtigt man, dass Plastik eine vergleichsweise leichte Substanz ist.
Fragliche Energiegewinnung
Ursache für diese Vorfälle ist die Nutzung unzureichend entpackter Nahrungsmittelabfälle für die Energiegewinnung in der Kläranlage der Stadtwerke Schleswig. Abgelaufene oder überzählige Nahrungsmittel wurden durch die Firma Refood vor der Weitergabe an das Klärwerk inklusive Verpackungen aus Kunststoff und Glas gewalzt und geschreddert: Offenbar wurde dann - mal mehr, mal weniger grob - gesiebt und der Rest der Biomasse an Großabnehmer geliefert, die Biogasanlagen betreiben. Hintergrund: Die Energieausbeute in Form von Strom und Fernwärme soll so in den Anlagen erheblich gesteigert werden. Zusätzlich wird diese Handhabung – eigentlich wünschenswert als Reststoffverwertung –gesetzlich gefördert. Sie macht erst diese Art der Energiegewinnung lukrativ. Der Plastikskandal an der Schlei ist also letztlich ein Kollateralschaden der Gewinnung von Biogas.
Die Schuldfrage
Die Untere Naturschutzbehörde sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, den frühzeitigen Hinweisen aus der Bevölkerung nicht rechtzeitig und intensiv genug nachgegangen zu sein. Unzureichende Wahrnehmung der Kontrollfunktionen ist allerdings ein weit verbreiteter Vorwurf gegen Schleswig-Holsteins Behörden. Allerdings verweist die Behörde ihrerseits darauf, dass sie den Zusatz von Speiseresten im Faulturm nur unter der Auflage genehmigt hatte, nicht-organische Substanze aus dem Prozess herauszuhalten. Doch warum wurde diese Handhabung dann nicht überprüft?
Über Wochen schoben sich in einem unrühmlichen Schauspiel schließlich die Stadtwerke und der Speisereste-Lieferer Refood den „Schwarzen Peter“ zu. Mit offenem Ausgang - bislang erscheint es so, als könne die Schuld nicht allein an einem Verursacher festgemacht werden. Den Stadtwerken wird nämlich vorgeworfen, die Vertragsunterlagen nicht ausreichend gelesen oder verstanden zu haben. Es sei – so der Lieferant - klar erkennbar, dass Plastikreste hätten ausgefiltert werden müssen. Die Stadtwerke hingegen interpretieren die Vertragswerke anders. Sie sind der Ansicht, Speisereste hätten in dieser Form nicht angeliefert werden dürfen. Nun scheint aber festzustehen, dass im Vertrag von anorganischen Resten die Rede war, Refood jedoch wiederum die deklarierten Mengen weit überschritten und damit ggf. die Filterkapazitäten des Klärwerks überlastet hat. Das Umweltministerium warnte weitere, ebenfalls von Refood belieferten Kläranlagenbetreiber im Land. Offenbar waren dort aber ausreichende Filter vorhanden, so dass das Problem in dieser Dimension nur in Schleswig auftrat.
Der Vorfall hätte schon früher bekannt werden können. Bei der zuständigen Überwachungsbehörde, dem Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume (LLUR) in Flintbek, waren offenbar entsprechende Daten zum Schleswiger Klärwerk aufgelaufen, die überwachenden MitarbeiterInnen hätten stutzig machen können. Ein Analyselabor untersuchte nämlich zweimal jährlich im Auftrag von Refood die Lebensmittelreste auf deren Zusammensetzung und übermittelte die Daten nach Vorschrift an die Aufsichtsbehörde. Bereits Ende 2015 wäre aus den übermittelten Datenbögen erkennbar gewesen, dass der Grenzwert an anorganischen Teilen, der sich zumindest aus der Düngemittelverordnung ergibt, um das Fünffache überschritten war. Dieser Sachverhalt wird jedoch – und darauf berufen sich die Landesbehörden nur zu gern - rechtlich erst relevant, wenn der ‚Ausschuss’ der Kläranlage als Klärschlamm auf landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht würde, was – zumindest nach Kenntnis des LLUR - nicht der Fall war. Untersucht wurde lediglich das Gemisch, welches in die Anlage eingebracht wurde: Hier aber war ein hoher Plastikanteil nicht per se verboten – eine tatsächlich existierende Regelungslücke. Daher ging man den erhöhten Kunststoffwerten nicht nach, sondern heftete die Daten einfach ab. Für den Naturschutz sind Details der Vorgänge in erster Linie Beurteilungsgrundlage für ein Urteil der Gerichte, denn nun ermitteln die Staatsanwaltschaft Flensburg und das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein.
Plastikausbringung auch im Klärschlamm
Wenn Klärschlamm auf Feldern ausgebracht werden soll, müssen dafür Gemehmigungen des Kreises und der Landwirtschaftskammer vorliegen. Dann bestimmt die Bioabfallverordnung, dass der Anteil an Glas, Kunststoff oder Metall über 2 mm Größe 0,5 Prozent der reinen Trockensubstanz betragen darf. Was aber ist mit Teilchen unter 2 mm Größe? Sie bleiben unbeachtlich: Eine erschreckende Erkenntnis in Anbetracht dessen, dass Gewässer und Böden ohnehin über Gebühr mit Mikroplastik belastet sind. Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei geht davon aus, dass dieses Problem auf dem Land sogar noch erheblich größer sein könnte als in Gewässern. Die Schätzung der Mikroplastikkonzentrationen auf dem festen Land liegen um das 4- bis 23fache höher als im Meer. Es ist daher für den NABU inakzeptabel, weiter mit Plastik kontaminierten Klärschlamm auszubringen. Dies scheint auch mit Klärschlamm aus der Schleswiger Anlage geschehen zu sein, eine weitere Dimension des Plastik-Skandals.
Immerhin hat das Umweltministerium in Schleswig-Holstein auf die aktuellen Ereignisse reagiert und über einen Runderlass Anfang Mai 2018 geregelt, dass Kläranlagenbetreiber dazu verpflichtet werden, Fremdstoffe der unteren Wasserbehörde anzuzeigen. Ungeklärt scheint nach wie vor, wie viel kontaminiertes Material nun aus dem Schleswiger Klärwerk auf die Felder der Region gelangt sind und ob dafür überhaupt Anträge gestellt wurden. Das LLUR ließ mitteilen, dass keine Ausbringung der verunreinigten Gärreste erfolgte. Die Schleswiger Nachrichten am 15. Mai 2018 berichteten jedoch, dass die Stadtwerke Gärreste aus ihrem Faulturm an Landwirte in der Region abgaben, die sie dann auf ihre Felder ausbrachten.
Auswirkungen auf das Ökosystem Schlei
Für die Tierwelt in der Schlei sind Mikroplastik-Partikel gefährdend, die im Laufe der Jahre insbesondere in Fischen zu finden sein werden. Gerade der Hering-Fischerei - ein touristisches Highlight der Schleiregion - könnte der Skandal nachhaltig schaden. Dich die Schäden greifen weiter und werden teils selbst verursacht: Die groß angelegten, intensiv auch medial begleiteten Säuberungsaktionen an und in der Schlei erlangten in der Bevölkerung große Popularität. Jeder Interessierte erhielt die Möglichkeit, selbst einen praktischen Beitrag dazu zu leisten, die Situation zu verbessern. Der Bevölkerung gebührt zunächst großes Lob für das breite Engagement und die Unterstützung, die von den Stadtwerken unter Kontrolle der Unteren Naturschutzbehörde für die einzelnen Abschnitte zu kanalisieren versucht wurden.
Artenschutzrechtlich hoch bedenklich
Natürlich erscheint es wünschenswert, Plastik zeitnah dem Naturkreislauf zu entziehen. Allerdings geht von Schnipseln zunächst keine unmittelbare Verletzungs- oder Vergiftungsgefahr aus. Der schwere Oststurm und das daraus resultierende Hochwasser haben die Plastikpartikel zu einem großen Teil an Land gespült. Von dort werden sie nur schwer in das Freiwasser gelangen, um zerrieben und dann über die Nahrungskette im Fisch und auf dem Teller zu landen.
Säuberungsmaßnahmen, wie sie in der Folge umfangreich anliefen, haben aber entgegen der lobenswerten Absicht gerade im Uferbereich drastische Auswirkungen auf die Umwelt. Der NABU sieht daher diese Aktionen und insbesondere die Art, wie sie umgesetzt wurden, kritisch. Schilfmatten und Treibselspülsäume im Schilf sind wichtige Überwinterungsplätze vieler Insekten. Schilfröhrichte selbst unterliegen gesetzlichen Schutzbestimmungen. Zum einen fanden diese in der beginnenden Brutzeit statt. In diesem Zeitraum sollten aber Ruhe und Schonung dieser sensiblen Lebensräume höchste Priorität haben. Annährend 400 Tonnen Material wurden zudem an den Ufern abgesammelt. Nach Aussage der Stadtwerke war davon der größte Teil Schilf und Algen. Aus artenschutzrechlicher Sicht ist dieses aber äußerst bedenklich: In einem üblichen Hochwassergenist aus Brackwasserröhrichten etwa vom Volumen einer Badewanne weisen an der Schlei Insektenkundler zwischen 100 und 200 teils hoch bedrohte Käferarten des Brackwassers mit mehreren Tausend Individuen nach. Der NABU geht davon aus, dass diese Tiere mit dem entnommenen Material aus dem geschützten Lebensraum entfernt und damit getötet wurden.
Ob das Vorhaben wirklich legal war, ist offen: Die Aktionen wurden zwar durch die UNB genehmigt. Artenschutzrechtliche Bedenken der Oberen Naturschutzbehörde LLUR wurden aber auf Druck des Umweltministeriums hintangestellt, um möglichst zeitnah ‚Aktivität vor Ort’ vorweisen zu können.
Einen Lichtblick gibt es aber: Auf Initiative Schleswig-Holsteins haben die Umweltminister der Länder nun angeregt, dass Lebensmittelreste, die verpackt sind, nicht mehr geschreddert und in die Verwertung eingebracht werden dürfen. Eine Entscheidung des Bundes steht dazu jedoch noch aus.
DS 25. Juni 2018