Mikroplastik in Böden
Unerkannte Gefahr für Mensch und Natur
Eines der bislang bedeutendsten Umweltthemen in Schleswig-Holstein war der Skandal um die Schleswiger Stadtwerke, der Anfang des Jahres 2018 zutage trat. Über mehrere Jahre waren insgesamt fünf Tonnen leichtgewichtigen Mikroplastiks über das Klärwerk in die Schlei gelangt. Die Stadtwerke hatten jahrelang Lebensmittel samt Plastik- Verpackungen für ihre Biogasanlage nur geschreddert, statt sie ausreichend auszusieben (s. Betrifft: Natur 03/18).
Kontaminierter Klärschlamm auf unseren Feldern
Die Aufregung um die Plastik-Partikel an den Ufern der Schlei verdeckt in der Öffentlichkeit bis heute jedoch den Skandal um das gleichzeitige Ausbringen kontaminierten Klärschlamms auf die Felder der Region: Im Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume (LLUR) war bereits seit Ende 2015 bekannt, dass der Grenzwert von 0,5 % an Fremdstoffen, wie laut Düngemittelverordnung erlaubt, um das Fünffache überschritten wurde. Da dem LLUR nicht bekannt war, dass der Klärschlamm auf landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht werden sollte, reagierte es jedoch nicht. Warum der dafür notwendige Antrag zur Ausbringung offenbar nicht vorlag, bleibt unklar. Die Untere Naturschutzbehörde (UNB) Schleswig-Flensburg bemühte sich nach Bekanntwerden, auf den Feldern zu eruieren, wie groß der Umweltschaden sei. Auf einem Acker jedoch im Nachhinein rechtssicher den Fremdstoffgehalt des zuvor ausgebrachten Klärschlamms zu ermitteln, erwies sich als kaum durchführbar.
Landwirte erhalten in Schleswig-Holstein für ausgebrachten Klärschlamm, in dem sich auch Kunststoff befinden kann, pro Hektar eine Vergütung von rund 100 Euro. Für Anlagenbetreiber sind diese Kosten geringer als der Preis, das Material – in Schleswig waren dies ca. 5.000 Tonnen – selbst entsorgen zu müssen. Der jährliche Gesamteintrag von Mikroplastik auf europäischem Ackerland wird wegen dieser Praxis auf mindestens 63.000 Tonnen geschätzt. Mit steigenden Güllemengen aus Viehbeständen und Biogasanlagen verringert sich allerdings derzeit in Deutschland die Klärschlamm-Menge. Plastik ist jedoch nicht nur ein Problem bei Anlagen, die geschredderte Nahrungsmittel in ihren Verpackungen verwerten. Tatsächlich befindet sich auch im Kompost ein erheblicher Anteil an Kunststoff aus Haushalten, Betrieben etc., der von entsprechenden Anlagen nicht zufriedenstellend aussortiert wird und so u.a. als Alternative zum Moore zerstörenden Torf als Bodenverbesserer in die Gärten kommt.
Boden bis zu 32 mal stärker belastet als das Meer
Während seit längerem das Bewusstsein für Plastik in den Meeren wächst, wird bislang völlig außer Acht gelassen, dass auch Äcker belastet sind. Mehr als 80% der Kunststoffe, die im Meer gefunden werden, wurden zuvor an Land produziert, verbraucht und entsorgt. Folglich ist der Gedanke nahe liegend, dass sich auch Mikroplastik in den Böden wiederfinden sollte. Nach Daten des Verbands der Europäischen Kunststofferzeuger wurden im Jahr 2014 in Europa rund 47,8 Mio. Tonnen verarbeitet. Im Abfallwirtschaftssystem kamen hiervon jedoch nur 25,8 Mio. Tonnen an (PlasticsEurope 2015). Tatsächlich wird die Belastung durch Plastik an Land und in den Böden als zwischen vier und 32 mal höher eingeschätzt als in den Meeren (Gionfra2018). In Anbetracht dessen, dass die weltweite Produktion von Kunststoff eine schwindelerregende Höhe von pro Jahr 322 Mio. Tonnen erreicht hat, war es grob fahrlässig, viele Jahre lang diese Auswirkungen zu ignorieren.
Biologisch? „Zerfall“ ist nicht gleich „Abbau“
Erst seit wenigen Jahren wird nun zu dem Thema geforscht – mit Ergebnissen, die wachrütteln. Zum allergrößten Teil werden in der Plastikindustrie thermoplastische Polymere hergestellt, denen Zusatzstoffe wie Antioxidationsmittel, Weichmacher, Polycarbonat auf Bisphenol-A-Basis, Farbstoffen etc. zugesetzt werden. Diese Kunststoffe werden entweder direkt als Mikroplastik in das Ökosystem eingebracht (z.B. als Duschgelkügelchen), oder als größere Teile, die sodann etwa durch physikalische und chemische Einwirkungen in kleinere Teile zerfallen. Sind diese kleiner als fünf mm, werden sie als Mikroplastik bezeichnet. Dieses zerfällt weiter in Nanoteilchen, einem Verbund von wenigen bis einigen tausend Molekülen. Auch Teilchen dieser Größe finden Anwendung etwa in Zahnpasta oder Sonnenmilch. Ab einer gewissen Größe werden die Teilchen nicht mehr kleiner, ohne jedoch zu verschwinden.
Es ist anzunehmen, dass sich viele Kunststoffe, darunter auch vermeintlich für den Komposter als „biologisch abbaubar“ geeignete Tüten, lediglich bis in das Nano-Stadium auflösen. Wenig erforscht ist, wie die so entstehenden Chemiecocktails in unserer Natur und auf den Äckern wirken. Höchst wahrscheinlich und punktuell belegt interagieren sie direkt mit Pflanzen, Tieren und Pilzen, verändern die Geochemie und die biophysikalische Umgebung und lassen neue Umweltgifte entstehen. Bei Mikroplastik handelt es sich deshalb um einen wichtigen globalen Veränderungsstressor, der dringend weiterer Erforschung bedarf.
Schädliche Auswirkungen auf Mensch, Flora und Fauna
Erste Forschungsergebnisse lassen die Dimension des Problems erahnen. So ergab eine Studie mit Regenwürmern und Springschwänzen, dass diese Tiere auf das Mikroplastik im Boden reagieren. Regenwürmer änderten ihr Verhalten beim Bau ihrer Röhren, bei Springschwänzen veränderten sich die Darmflora und in der Folge Wachstum und Reproduktion. Nanopartikel sind so klein, dass sie Zellwände durchdringen und die Blut-Hirn-Schranke passieren können. Sie entwickeln damit ihre schädliche Wirksamkeit auch in Pflanzen, Tieren und nicht zuletzt im menschlichen Körper.
Die meisten Kunststoffe (z.B. Phthalate) setzen bei Alterungsprozessen Verbindungen mit östrogener Wirkung frei. Mensch und Tier nehmen bereits heute über in der Nahrung enthaltenes Mikroplastik Stoffe auf, die in geringsten Mengen durch Veränderung des Hormonsystems die Gesundheit schädigen können. Bei Sonnenmilch erfolgt die Aufnahme über die Haut. Hormonell wirksame Substanzen wurden bereits im Honig, aber auch im Speichel von Mücken nachgewiesen. Alarmierend für den Menschen ist die kürzlich erschienene Studie der Medizinischen Universität Wien über nachgewiesenes Mikroplastik im menschlichen Stuhl.
Erste Schritte zu einer Problemlösung
Der Plastikskandal von Schleswig hatte zur Folge, dass die Praxis des Schredderns plastikumhüllter Lebensmittel verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte. Der damalige Umweltminister Dr. Robert Habeck brachte ein diesbezügliches Verbot auf den Weg. Eine Entscheidung des Bundestages zur Schließung der Regelungslücke steht derzeit noch aus. Ein guter Anfang, wenn das Verbot durchkommt, der aber nicht ausreicht.
Susanna Gionfra vom Institute for European Environmental Policy (IEEP) fasst die notwendigen Schritte in ihrer Studie „Plastic Pollution in Soil“ zusammen:
Maßnahmen zur Reduktion von Plastik
- Verbot von Mikroplastik in Kosmetika, Reinigungsmitteln etc.
- Generelles Verbot des Ausbringens von Klärschlamm
- Kontrolle von Kompost, insbesondere bei Angeboten in Supermärkten
- generelles Verbot von Plastiktüten
- EU-weite Beschränkungen für die Verwendung von schnell zerfallenden Oxo-Kunststoffen
- Steuern und Abgaben auf bestimmte Produkte und Materialien
- Aufklärung der Bevölkerung über Gesundheitsrisiken
- Verstärkte Maßnahmen zum Recycling sowie zur Wiederverwendbarkeit
- Generelles Verbot von Plastik in der Landwirtschaft auch in Folien oder Nährstoffkapseln
- Subventionen als Instrument der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ausschließlich an Landwirt/innen, die keinen Klärschlamm ausbringen
- finanzielle Anreize ausschließlich für eine Felderbewirtschaftung, die komplett auf Schadstoffbelastungen durch Kunststoffe und Schwermetalle verzichtet
Die Lösung dieser unbestritten großen Aufgabe einer Wende im Umgang mit Plastik wird nicht ohne regulierende Eingriffe auskommen. Politik, Gesellschaft und Behörden müssen in Zukunft sensibler auf Kunststoffeinträge in unsere Ökosysteme reagieren. Verbraucher/-innen sollten Plastik aus ihrer Komposttonne fernhalten und bei ihrem Einkauf Kunststoffverpackungen meiden: Schließlich hat jedes Plastikteil in der Biotonne das Potenzial, hormonverändernd oder krebserregend auf unseren Teller zurückzukehren.
DSt 18. Dezember 2018
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