‚Aalutsetten‘: Schleswig-Holsteins Beitrag zum Verschwinden des Aals
NABU fordert Einstellung des Fangs und des Aal-Aussetzens auch in Schleswig-Holstein
Der NABU Schleswig-Holstein kritisiert die Praxis des „Aalutsettens“ (Aale aussetzen) in Schleswig-Holstein: Deutliche Warnungen von Wissenschaftler*innen in Deutschland und der EU werden von der Politik in den Wind geschlagen. Der NABU wirft dem Fischereiministerium erneut vor, wider besseres Wissen weiterhin zum Aussterben des Aals beizutragen.
Neumünster, 16. August 2022 - Die Situation ist bedrohlich: Der Bestand des Europäischen Aals ist um 99 % geschrumpft. Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES), dem auch das renommierte deutsche Thünen-Institut angehört, hat im Herbst 2021 deshalb gefordert, dass in der EU jegliche Aalfischerei eingestellt werden müsse, wobei ausdrücklich auch Besatzmaßnahmen, wie es das „Aalutsetten“ darstellt, als nicht zielführend benannt wurden. Ende Mai 2022 hat ICES zusätzlich die von den Mitgliedstaaten im Jahr 2021 eingereichten Berichte ausgewertet und festgestellt, dass auf EU-Ebene durch Besatzmaßnahmen kein Fortschritt beim Schutz des Aals erzielt wurde. Die Abwanderung von Blankaalen in ihre Laichgebiete nimmt nicht zu und ist seit 2012 in mehreren Gebieten sogar rückläufig.
Aale lassen sich nicht züchten. Sie werden als junge Glasaale u.a. vor der französischen und spanischen Küste abgefangen und dann u.a. in Millionen-Anzahl nach Deutschland weiterverkauft. Es existiert jedoch ein reger illegaler Schwarzmarkt für Glasaale, der den Bestand zusätzlich schwächt, und dem nur durch einen vollständigen Fangstopp Einhalt geboten werden kann.
Das Aussetzen von Glasaalen ist ein gescheiterter Rettungsversuch der EU, zuvor geknüpft an die Bedingung, dass mind. 40 % der ausgesetzten Tiere später in das Laichgebiet in der Sargassosee vor der Küste Floridas abwandern, um so den Bestand zu stabilisieren. Die Abwanderungsquote aus der deutschen Nordsee ins Laichgebiet ist jedoch verschwindend gering und bewegt sich im einstelligen %-Bereich. Für die Ostsee konnte bei Untersuchungen gar nicht nachgewiesen werden, dass Besatzaale in nennenswerter Zahl den Weg zurück in die Sargassosee finden. Die ausgesetzten Aale sind damit für den Bestand verloren.
Während die Wissenschaft diesen Versuchsballon als gescheitert ansieht, feiert man in Schleswig-Holstein - von der Regionalpolitik bis zum Ministerpräsidenten – diesen Beitrag zum Verschwinden des Aals durch jährlich mehrfache Besatzaktionen wie ein Volksfest. Fischer rühmen sich, angeblich den Bestand stabilisiert zu haben – ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage. Der NABU fordert das Land auf, den Empfehlungen des ICES sowie dem guten Beispiel anderer EU-Staaten folgend die bestandsgefährdende Fischerei auf den aussterbenden Europäischen Aal sowie die kritischen und für den Arterhalt unnützen Besatzmaßnahmen endlich einzustellen und sich in Bund und EU für ein entsprechendes EU-weites Verbot einzusetzen.
Wissenschaftlicher Rat für Meeresforschung (ICES): „Keine Fänge von Aalen in allen Lebensräumen“
NABU fordert Einstellung des Fangs und des Aal-Aussetzens auch in Schleswig-Holstein
Neumünster, 5. November 2021 - Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) hat gestern für das Jahr 2022 seine Empfehlungen für Aal-Fangquoten in der EU veröffentlicht. Er fordert nachdrücklich einen kompletten Fangstopp sowohl für die Freizeit- wie auch die kommerzielle Fischerei. Die Empfehlung enthält auch einen deutlichen Aufruf zum Stopp der Glasaalfänge zur Wiederaufstockung, da der künstliche Aalbesatz die Sterblichkeit erhöht, ohne dass ein Nutzen für die Aalreproduktion nachgewiesen ist.
Erstmals empfiehlt ICES „null Fänge in allen Lebensräumen“, da aus wissenschaftlicher Sicht und Vorsorge keine Fänge des vom Aussterben bedrohten Aals mehr als nachhaltig angesehen werden können. Für die europäische Fischereipolitik bedeutet dies, dass die seit 2007 geltende EU-Aalverordnung hinsichtlich ihrer Ziele und Maßnahmen verschärft werden muss. ICES unterstreicht insbesondere die Notwendigkeit zur Überprüfung der Besatzmaßnahmen zur Bestandsstützung, die seit 2007 zunächst als probate Naturschutzmaßnahme galten, heute aber auch seitens Naturschutzverbänden wie dem NABU in der Kritik stehen.
„Wir fordern seit Jahren ein vollständiges Verbot des Aalfangs, um die Art zu schützen und ihre Erholung zu unterstützen. Wir begrüßen daher besonders das sehr klare Signal des ICES, dass bei Anwendung des Vorsorgeansatzes eine Aal-Fangmenge „null“ in allen Lebensräumen gelten sollte, einschließlich der Glasaale, die für die Aufstockung und Aquakultur verwendet werden,“ sagt Niki Sporrong, Managerin des Aal-Projektes im Fischereisekretariat FishSec, das sich europaweit für nachhaltige Fischerei und den Schutz mariner Biodiversität einsetzt. Das Sekretariat, mit dem der NABU beim Schutz des Aals kooperiert, ist eine politisch unabhängige Organisation mit Sitz in Stockholm, die sich europaweit dem Schutz und der Wiederherstellung mariner Ökosysteme mit einem Schwerpunkt auf der Fischerei in der Ostsee widmet.
„Es wird Zeit, dass die EU die gesamte Fischerei auf den Europäischen Aal stoppt“, erklärt Dagmar Struß, Leiterin der NABU-Landesstelle Ostseeschutz. „Das ‚Aalutsetten‘ im Namen des Aalschutzes ist nur eine Subventionsmaßnahme für die Fischerei. Nachdem das schleswig-holsteinische Fischereiministerium die vom NABU vorgetragenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Schutzforderungen in den vergangenen Jahren als weitgehend haltlos abgetan hat, muss es nun die ICES-Empfehlungen endlich umsetzen.“
Der bisherige Wortlaut des ICES-Gutachtens war seit 2003 in Kraft. Es ließ den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission zunächst einen Spielraum und ermöglichte so den meisten EU-Ländern, weiterhin Aale in begrenztem Maße zu fischen, obwohl der Aal von der International Union for the Conservation of Nature (IUCN) bereits in der Europäischen Rote Liste der Süßwasserfische als „vom Aussterben bedroht“ geführt wird. Ein Arbeitspapier der Dienststellen der Europäischen Kommission, das sich mit einer Evaluierung der Aalverordnung befasste (s.u.), stellte den Erfolg der Aufstockung der Bestände als kurzfristige Sofortmaßnahme bereits Anfang 2020 in Frage.
Dem widersprechend wurden in Schleswig-Holstein jährlich Millionen von Glasaalen ausgesetzt, obgleich nicht erwiesen ist, dass auch nur einer von ihnen aus der Ostsee die Reise zum Laichplatz in die Sargassosee bei Florida erfolgreich gemeistert hat. Um die Überlebensbedingungen des Aals in Schleswig-Holstein zu verbessern, sollte nach Ansicht des NABU noch ambitionierter am Abbau von Wanderungsbarrieren und an der Verbesserung der Wasserqualität gearbeitet werden.
DS, 5. November 2021
Weiterführende Links
10.11.2021
Meeresforscher empfehlen umfassenden Fangstopp für Europäischen Aal
Quelle: Institut für Fischereiökologie im Thünen-Institut
13.12.2021
Interview Radio Bremen mit Professor Reinhold Hanel
Quelle: Radio Bremen
EU-Projekt 'Belt-Eel' (aktuell)
Die Laichwanderung von Aalen durch die Ostsee
Quelle: Institut für Fischereiökologie im Thünen-Institut
Projekt 7.2018 - 2.2019
Der Europäische Aal im Spannungsfeld von Artenschutz und Nutzungsinteressen
Quelle: Institut für Fischereiökologie im Thünen-Institut
21.02.2022
Aalarm!
Der Aalbestand Europas droht zu verschwinden. Selten waren die Anzeichen so deutlich, nie war die Empfehlung der Wissenschaft so klar: Stoppt den Fang. Warum es trotzdem so schwierig ist, diesen gebeutelten Fisch zu retten.
Quelle: DER SPIEGEL 08/2022
Downloads
(verweisen i.d.R. auf externe Quellen!)
ICES Empfehlungspapier zum Europäischen Aal für 2022 (englisch)
EU Aal-Verordnung von 2007 (deutsch)
Arbeitspapier Aal-Evaluierung (deutsch)
Arbeitspapier Aal-Evaluierung (englisch)
Hintergrund
Europäische Aale (Anguilla anguilla) haben einen komplexen Lebenszyklus, in dem sie mehrere Lebensstadien durchlaufen. Sie werden zwischen 10 und 20 Jahre alt. Die sehr kleinen, durchscheinenden Weidenblattlarven, die jedes Jahr aus Nordamerika an den europäischen Küsten ankommen, werden vor den Küsten zu Glasaalen und wachsen schließlich zu Gelbaalen heran, die viele Jahre an unseren Küsten, in Flüssen und Seen leben. Wenn sie ausgewachsen sind, verwandeln sie sich in Silberaale, die zum Laichen die lange Rückreise in die Sargassosee vor der Küste Floridas antreten. Hier beginnt der Zyklus erneut. Dieses rd. 200 Mio. Jahre alte System ist nun innerhalb weniger Jahrzehnte weitgehend kollabiert.
Die Population des Aals befindet sich seit langem im Niedergang. Die ICES-Daten zeigen einen dramatischen Rückgang seit 1960 – und bis heute keine signifikante Erholung. Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) hat seit 2003 zunächst jährlich empfohlen, die gesamte anthropogen bedingte Sterblichkeit ‚so nahe wie möglich bei Null‘ zu halten. Neu ist nun die europaweite, konsequente Empfehlung zur kompletten Nichtnutzung.
Im Jahr 2007 trat eine Verordnung des EU-Rates (1100/2007) über Maßnahmen zur Wiederauffüllung des Bestands des Europäischen Aals in Kraft. Auch 13 Jahre nach ihrer Verabschiedung wurde aber keine nennenswerte Erholung der europäischen Aalpopulation beobachtet.
Für Besatzmaßnahmen, in Schleswig-Holstein mehrmals jährlich praktiziert, werden wilde Glasaale an der europäischen Westküste gefangen, in Aquakultur „gestreckt“ und dann andernorts in die Freiheit entlassen. Durch diese Praxis kam es oft zur Einschleppung von Viren und Krankheiten wie dem Aalherpes in den Wildbestand, wie für die Schlei nachgewiesen. Trotz Aalbesatz ist kein Nutzen für die Fortpflanzung des Aals festgestellt: Fraglich ist, ob Aale, deren Vorfahren ursprünglich an der französischen Küste in Richtung Sargasso-Meer starteten, auch aus der Ostsee zurück ins nordamerikanische Laichgebiet finden.
Im Jahr 2020 wurden über 1.100 Tonnen Gelb- und Silberaale im Ostseeraum angelandet. Diese Region entnimmt den größten Anteil dieser Aale. Deutschland liefert seit 2017 keine vollständigen Fangzahlen. In früheren Jahren entfielen größere Mengen auf die Freizeitfischerei. Da auch aktuell keine Anlandungen für 2020 gemeldet wurden, setzte ICES die Zahlen für Deutschland auf 200 Tonnen aus der kommerziellen und 270 Tonnen aus der Freizeitfischerei fest.
Institutionen
Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) ist das führende, multidisziplinäre Forum für den Austausch von Informationen und Ideen von rund 3.000 Wissenschaftler*innen aus mehr als 200 Instituten, die im Nordatlantik einschließlich Nord- und Ostsee forschen. Das Netzwerk verbindet diese durch zwischenstaatliche Abkommen.
Seit seiner Gründung vor mehr als 100 Jahren hat sich ICES zur Aufgabe gemacht, marine und ozeanographische Forschung und Datenerhebung zu koordinieren und zu fördern, Forschungsergebnisse zu publizieren oder anderweitig zu verbreiten und objektive Regierungsempfehlungen für die Mitgliedsländer und internationalen Organisationen zu erstellen. Mitgliedsländer sind Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Island, Kanada, Lettland, Litauen, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Russland, Spanien, Schweden und die USA.
Das Institut für Fischereiökologie in Bremerhaven ist das Fachinstitut im Thünen-Institut, das sich u.a. mit wandernden Arten beschäftigt. Themenschwerpunkte sind bezüglich des Aals Untersuchungen, aus denen effektivere Maßnahmen für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Aals hervorgehen sollen sowie die Erforschung der Reproduktionsbiologie des Europäischen Aals.
Das Institut entsendet Expert*innen in den Internationalen Rat für Meeresfoschung.
Das Fischereisekretariat (FishSec) ist eine politisch unabhängige Organisation mit Sitz in Stockholm, die sich europaweit dem Schutz und der Wiederherstellung mariner Ökosysteme mit einem Schwerpunkt auf die Auswirkungen der Fischerei widmet.