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Jetzt Mitglied werden!Der Aal in Schlei und Ostsee
Faktisch ausgestorben?
Während der Europäische Aal bei uns im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verschwunden ist, ist das Interesse an diesem einzigartigen Fisch ungebrochen. Millionen und Abermillionen von Glasaalen werden allein in Deutschland jedes Jahr in die Gewässer entlassen. Europaweit zweifeln NGOs wie der NABU an der Nachhaltigkeit dieser Maßnahme.
Auf der internationalen Roten Liste gilt der Europäische Aal als „vom Aussterben bedroht“. Eine Einschätzung, die HELCOM, das Helsinki-Abkommen für den Schutz der Ostsee, bestätigt. In Zahlen bedeutet das, dass der Aalbestand zwischen 1980 bis 2000 um 99 Prozent zurückgegangen ist.
Dem enormen wirtschaftlichen Interesse am Aal stehen eine ganze Reihe menschengemachter Probleme gegenüber, die dazu geführt haben, das Tier, das in seiner Urform schon vor 200 Millionen Jahren existiert hat, innerhalb kürzester Zeit an den Rand des Aussterbens zu zwingen. Um das Problem zu verstehen, muss man wissen, dass der geheimnisvolle Lebenszyklus des Aals, der einen kontinentalen Zeitraum im Süßwasser und einen ozeanischen im Salzwasser umfasst, nur teilweise erforscht ist.
Der Aal schlüpft in der Sargassosee, einem Meeresgebiet im Atlantik östlich von Florida und nahe der Bermuda-Inseln. Der genaue Ort konnte trotz größter wissenschaftlicher Anstrengungen noch nicht gefunden werden. Die Weidenblatt-Larven brauchen dann etwa drei Jahre um nach Europa vorzudringen. 100 km vor der Küste vollziehen die Tiere eine Metamorphose und werden zu etwa 7 cm langen Glasaalen, die flussaufwärts in die Binnengewässer vordringen. In diesem Lebensabschnitt heißen sie Steig- oder auch Gelbaale. Im Ziel-Binnengewässer angekommen wachsen sie im Laufe der Jahre zu voller Größe heran, um schließlich mit ca. 6 bis 9 Jahren (männlich) bzw. ca. 12 bis 15 Jahren (weiblich) Geschlechtsreife zu erlangen. Wie und wo die Paarung stattfindet ist unbekannt, denn sie wurde noch nie beobachtet.
Der Aal reist über 10.000 km weit, um in der Sargassosee zu laichen
Zum Ablaichen wandern die Tiere dann wieder dorthin zurück, wo sie geschlüpft sind. Bevor sie die Reise antreten, durchlaufen sie eine weitere Metamorphose. Der Aal ändert seine Farbe von grünbraun zu silbergrau und die Augen vergrößern sich. So wird der Aal zum Blank- oder Silberaal. Für die strapaziöse Wanderung müssen die Tiere ausreichend Fett angesetzt haben, um die Strecken von 5.000 bis 8.000 km – teils gegen den Strom – ohne Nahrungsaufnahme bewältigen zu können. Zurück in der Sargassosee laichen die Fische ab und sterben.
Die absurd erscheinende lange Reise erklärt sich aus der Geschichte des Aals sowie aus der Erdgeschichte, denn die Kontinente lagen ja nicht immer so weit auseinander, wie es heute der Fall ist. Es wird gemutmaßt, dass das Laichgebiet den Vorteil besonders weniger natürlicher Feinde bietet. Das komplizierte, jedoch über Millionen von Jahren bewährte System der Reproduktion scheitert nun am Eingreifen des Menschen in die Natur. In Deutschland befinden sich die meisten Fließgewässer in einem bedenklichen Zustand. Mit der Zivilisation erfolgten Flussbegradigungen, Flurbereinigungen, Querverbauungen etc. Teils sind die Gewässer verschlammt und die Durchgängigkeit nicht mehr gewährleistet. So sollen im Laufe der Zeit gut 50 Prozent der Habitate verschwunden sein.
Viele Tiere sterben in den Turbinen von Wasserkraftwerken, den Tieren setzt aber auch die zunehmende Umweltverschmutzung der Fließgewässer zu. Das Problem von Eutrophierung durch die Intensivlandwirtschaft schadet auch dem Aal. Hinzu kommen toxische Stoffe verschiedener Art, in den Auen oft Pestizide. Parasiten und Krankheiten sorgen ebenfalls für einen schlechten Gesamtzustand der Tiere. Die Wassererwärmung durch den Klimawandel kommt noch erschwerend hinzu.
Die Schlei ist das schleswig-holsteinische Küstengewässer mit dem vielleicht schlechtesten Umweltzustand. Ihre Hauptzuflüsse bilden zwei besonders eutrophierte Auen und an ihrem östlichen Ende ist das Wasser der Schlei derart durch die Altlast einer ehemaligen Teerpappenfabrik mit hochgradig krebsgefährdenden und genverändernden Stoffen kontaminiert, dass an einigen Orten sogar das Baden verboten ist. Für den Aal ein besonderes Problem, da er Schadstoffe aufnimmt und in seiner Fettschicht anreichert.
Das Land Schleswig-Holstein hat in den vergangenen Jahren mehr als einmal zum Thema Schlei getagt, um erste Maßnahmen zur Verbesserung des besorgniserregenden Gesamtzustands des Gewässers zu erörtern. Dass gerade dieses Gewässer für das Landesfischereiministerium als der optimale Ort gesehen wird, um importierte Glasaale in die Freiheit zu entlassen, die dann die Art erhalten sollen, verwundert daher.
Natürliche Feinde sind nicht Schuld am Aussterben des Aals
Die regionalen Fischer an der Schlei machen traditionell einen natürlichen Feind, den Kormoran, verantwortlich für den Zustand des Aals. Der Kormoran jagt unter Wasser vorrangig kleine Fische, die als Speisefische nicht taugen und verschlingt sie noch unter Wasser. Fängt er jedoch einen Aal, muss er mit diesem wegen seines muskulösen, schlangenartigen Körperbaus nur schwer zu bewältigenden Fisch an die Oberfläche auftauchen, um ihn verschlicken zu können – was dann deutlich ins Auge fällt.
Ein Forschungsprojekt des GEOMAR gemeinsam mit dem Thünen-Institut ist vor einigen Jahren dieser Problematik an der Schwentine nachgegangen. Das Ergebnis war eindeutig: Der Aal ist mit einem Anteil von weit unter 2 Prozent an der Gesamtkonsumption des Kormorans eine zu vernachlässigende Größe und somit auch in der Schlei vom Vorwurf freigesprochen, der Aalpopulation nennenswert zu schaden. An der Situation des Aals ebenso freisprechen kann man die weiteren natürlichen Fressfeinde: Fischotter, Hecht und Seeadler, wobei letzterer zugleich auch noch die Kormorankolonien dezimiert. Wenn eine Art fast ausgestorben ist, liegt es nahe, sie via Aquakultur nachzuzüchten. Bis jetzt sind allerdings alle entsprechenden Versuche fehlgeschlagen. Aale aus Aquakultur sind sämtlich Masttiere von Wildfängen. Entsprechend sind auch die Glasaale Wildfänge, die in enormer Zahl in Deutschland für den Besatz von Gewässern genutzt werden.
Lukrativer Glasaalhandel mindert die Gesamtpopulation erheblich
Alle Welt hat sich offenbar reichlich an den letzten Glasaalen der aussterbenden Art bedient. Insbesondere in Asien gilt der Aal als Delikatesse und fast wundert man sich nicht, dass neben vielen anderen weltweit gefährdeten Arten der Glasaal im fernen Osten als potenzfördernd gilt und entsprechend teuer gehandelt wird. Ein Kilo Glasaale, das etwa 3.000 Tiere beinhaltet, kostet in Deutschland ca. 400 Euro, während in Asien dafür das Zehnfache gezahlt wird. Als gegrillte Filets „Kabayaki Style“ lassen sich die Fische für bis zu 30.000 Euro verkaufen (Quelle: Sustainable Eel Group). Eine Gewinnmarge, die illegalen Export umso attraktiver macht.
Für den europäischen Aalbesatz werden jährlich ca. 30 Tonnen Glasaale benötigt, während der illegale Export nach Asien nach Schätzungen von Europol bei 100 Tonnen lebender Tiere liegt, die das Überleben der Gesamtpopulation zusätzlich gefährden. Um diesem desaströsen Export in nicht-europäische Länder einen Riegel vorzuschieben, wurde der Europäische Aal 2007 in den Anhang II des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (CITES) aufgenommen. Seitdem darf er nur noch mit Sondergenehmigung international gehandelt werden. Ebenfalls 2007 trat die EU-Aalverordnung in Kraft, die darauf abzielt, den Bestand über Besatzmaßnahmen wieder aufzufüllen.
Damit die wertvollen Glasaale am Ende nicht einzig als großangelegte Subvention für die Aalfischerei enden, wurde als Zielbedingung festgehalten, dass 40 Prozent der Blankaale wiederum Richtung Sargassosee abwandern müssen. Hierfür müssen alle Mitgliedsstaaten für die zu besetzenden Gewässer Aal-Management-Pläne (AMPs) vorlegen, in denen Ziele definiert und Maßnahmen zum Erreichen derselben festgeschrieben werden. Seitdem werden nun überall fleißig Gelder gesammelt und große Mengen von Glasaal (z. B. aus Spanien, Frankreich, Großbritannien) eingekauft und jährliche Besatzaktionen durchgeführt.
Schleswig-Holstein hat für die Flussgebiete Eider und Schlei-Trave Managementpläne erstellt und am länderübergreifenden Plan für die Elbe mitgewirkt. Seit 2010 wird das Aussetzen der Glasaale hier öffentlichkeitswirksam unter Beteiligung von Politik, Verwaltung und Fischerei in einem Boot geradezu zelebriert. Die Fischer haben seitdem den Eindruck, dass der Bestand zugenommen hat. Tatsächlich konnten Wissenschaftler aber bisher keinen faktischen Nachweis dafür erbringen, dass auch nur ein einziger Blankaal aus der schleswig-holsteinischen Ostsee den Weg via Dänemark gefunden hat, um dann Richtung Sargassosee zu wandern.
EU: Aale aussetzen nur sinnvoll als kurzfristige Notfallmaßnahme
Zudem stellte die EU in einer Evaluation des bisherigen Aalschutzes im Februar 2020 fest: „Der langfristige Einsatz von Besatzmaßnahmen als wichtige Erhaltungsmaßnahme wird infrage gestellt, [...] da die Besatzmaßnahmen mit Risiken verbunden sind (z. B. Einschleppung von Krankheiten sowie Mortalität bei schlechter Handhabung)“. Die Evaluierung der EU geht nun im Fazit davon aus, dass das Aussetzen von Aalen nur noch als kurzfristige Notfallmaßnahme zulässig sein soll – wovon in Schleswig-Holstein nach 11 Jahren nicht mehr die Rede sein kann.
Auch Wissenschaftler der Universität Hamburg hatten in der Vergangenheit festgestellt, dass in der Tat mit Herpesviren belastete Glasaale in die Schlei eingebracht wurden, die nach Beobachtung der Biologen gar nicht fit genug wirkten, die Rückreise von rund 8.000 km in die Laichgebiete in der Sargassosee zu überstehen, um die Art erhalten zu können (s. Betrifft: Natur 02/2019). Dennoch wird in Deutschland weiterhin massiv besetzt – 2021 hat in Schleswig sogar noch eine zweite Besatzaktion Ende August stattgefunden. Laut dem Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) sind diese Besatzaktionen nicht sinnvoll, da sie nicht zum gewünschten Ziel führen.
In der EU-Verordnung (2020/123) von Ende Januar 2020 heißt es: „Was den Bestand des Europäischen Aals (Anguilla anguilla) betrifft, so hat der ICES empfohlen, alle die Sterblichkeit beeinflussenden anthropogenen Faktoren, einschließlich gewerblicher Fischerei und Freizeitfischerei, auf null zu reduzieren oder möglichst nahe bei null zu halten. […] Es ist zweckmäßig, gleiche Wettbewerbsbedingungen in der ganzen Union beizubehalten und daher auch für die Unionsgewässer des ICES-Gebiets sowie für die Brackgewässer, wie Mündungsgewässer, Küstenlagunen und Übergangsgewässer, eine Schonzeit von drei aufeinanderfolgenden Monaten für alle Fischereien auf Europäischen Aal in allen Lebensstadien beizubehalten.“ Während in Mecklenburg-Vorpommern und in allen EU-Ostseeanrainerstaaten Schonzeiten für den Aal existieren, bildet Schleswig-Holstein hier eine unrühmliche Ausnahme. Zudem bleibt Freizeitfischerei und kommerzielle Fischerei auf das vom Aussterben bedrohte Tier weiterhin erlaubt.
Schleswig-Holstein einziger Ostseeanrainer ohne Schonzeit
Der NABU ist entsetzt darüber, dass sich der Ostseeanrainer Schleswig-Holstein als schwarzes Schaf beim Schutz des Europäischen Aals entpuppt. Aktuell sieht es so aus, als wolle das Land seine maximalen Besatzanstrengungen bezüglich der Blankaalabwanderung sogar noch intensivieren und den ICES-Vorgaben zum Schutz der aussterbenden Art nach wie vor nicht folgen.
Der NABU fordert, die Besatzmaßnahmen in Schleswig-Holstein einzustellen und die Glasaale dort in Europa zu belassen, wo die größten Chancen auf Reproduktion bestehen, statt in Regionen zu besetzen, wo mutmaßlich nur die Fischerei profitiert, wohingegen die Aale nach dem menschlichen Eingreifen offenbar den Rückweg in die Sargassosee gar nicht mehr finden können.
Eine dreimonatige Schonzeit in einem sinnvollen – nach der Wanderung der Ostseeaale abgestimmten – Zeitraum muss auch für dieses Bundesland eingeführt sowie die Freizeitfischerei auf den Europäischen Aal komplett eingestellt werden. Schleswig-Holstein sollte sich dem Kampf um das Überleben der Gesamtpopulation des Aals anschließen, um den hohen Ambitionen, für Biodiversität und Nachhaltigkeit zu streiten, gerecht zu werden.
DS 29. August 2021