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Jetzt Mitglied werden!Kranke Aale in der Schlei
Behörden ignorieren Gefahr
Die seit vielen Jahren zur Bestandsstützung in der Schlei ausgesetzten jungen Aale sind zu einem großen Teil mit einem gefährlichen Herpesvirus infiziert. Dies geht aus einer Ende 2017 veröffentlichten Studie von Fischforschern der Uni Hamburg hervor. Seit den Aussetzungen 2010 waren in mindestens zwei Jahren ausgesetzte Tiere nachgewiesen kontaminiert. Die Studie liegt den zuständigen Landesbehörden vor, blieb bisher aber offenbar folgenlos. Das Ausbringen infizierter Fische ist streng verboten.
Alljährlich setzen Angelvereine und Schleifischer - gefördert durch die Fischereiabgabe des Landes Schleswig-Holstein und den Fischereifonds der Europäischen Union – viele Tausend junge Aale in der Schlei aus. Die natürliche Vermehrung des Aals reicht längst nicht mehr aus, um die Reproduktion zu sichern und einen befischbaren Bestand aufzubauen. Die ausgesetzten Jungaale werden zuvor in Zuchtanlagen einige Wochen oder Monate lang gehältert. Dabei werden sie offenbar – absichtlich oder unabsichtlich – mit einem Herpesvirus infiziert. Das absichtliche Infizieren in Hältereien erfolgt, um die Tiere gegen den Virus zu "immunisieren" und zu "impfen". Es gibt jedoch derzeit keinen Impfschutz mit abgetöteten Viren, der bei Aalen eine Resistenz aufbauen könnte. Das lebende Virus kann infizierte Aale aber in Stresssituationen wie Futtermangel, Wasserverschmutzung oder Wärme sowie bei der Umwandlung vom Gelb- zum Blankaal töten. Auch ist unklar, ob die mit dem Virus infizierten Aale die 6.500 Kilometer weite Rückwanderung zu ihrem Laichgebiet im Atlantik vor der Küste Floridas noch zurücklegen können. Die EU bindet ihre Förderung jedoch an den Aufbau reproduktionsfähiger Bestände. Stattdessen wird vom MELUND nur das Abfischen für die Vermarktung gefördert.
Daher ist es nicht nur unsinnig, sondern auch gesetzlich verboten, infizierte Jungaale in die Natur auszubringen. Die Fischereiforscher der Uni Hamburg stellten jedoch fest, dass kranke Aale ausgebracht wurden und dass seit dem Beginn der Besatzmaßnahmen in der Schlei die Infektionsrate der Aale im Freiland von null auf über 60 % gestiegen ist.
Fragliche Begründung
Das MELUND behauptet, das Aussetzen von infizierten Aalen sei für den Bestand notwendig und förderlich. Es beruft sich dabei auf eine Stellungnahme des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI). Die Fischereibehörde ignoriert jedoch neben fachlich-wissenschaftlichen Aspekten auch die eigene landesrechtliche Situation, nach der das Aussetzen von kranken Fischen explizit lt. Landesfischereigesetz verboten ist:
Landesfischereigesetz Schleswig-Holstein (LFischG) (-> link zum Gesetz)
§ 38 Übertragbare Fischkrankheiten
(1) Es ist verboten,
1. Fische, die von einer übertragbaren Krankheit befallen oder krankheitsverdächtig sind, in Gewässer einzubringen,
2. Fische, die von einer übertragbaren Krankheit befallen oder krankheitsverdächtig sind, zur Zucht oder zum Besatz in den Verkehr zu bringen,
3. aus Teichen oder sonstigen zur Fischhaltung bestimmten Behältern, in denen eine übertragbare Fischkrankheit verbreitet ist oder Verdacht darauf besteht, Fische in andere Gewässer abschwimmen oder tote Fische in andere Gewässer abtreiben zu lassen.
(2) Die oberste Fischereibehörde bestimmt durch Verordnung, welche Fischkrankheiten übertragbare Krankheiten im Sinne dieses Gesetzes sind. Krankheitsverdächtig ist jeder Fisch, an dem sich Erscheinungen zeigen, die den Ausbruch einer übertragbaren Krankheit befürchten lassen. Außerdem ist krankheitsverdächtig jeder Fisch in einem Teich oder in einem sonstigen, zur Fischhaltung bestimmten Behälter, solange sich in diesen oder in anderen Teichen oder Behältern, die mit ihm eine ständige Wasserverbindung besitzen, erkrankte Fische befinden.
(...)
Generelle Gültigkeit
Die für die Schlei geltende Küstenfischereiverordnung (KüFO) benennt für Fischarten zwar keine spezifischen Krankheiten nach § 38,2 LFischG. Damit gilt jedoch das LFischG mit seinem absoluten Verbot der Ausbringung kranker Fische unmittelbar. Aale werden zudem in die Schlei eingesetzt, um auch die angrenzenden Binnengewässer zu besiedeln. So kommt die Binnenfischereiverordnung (BiFO) zum Tragen, die wegen fehlender Konkretisierung in der KüFO hilfsweise herangezogen werden muss. Schließlich ist es fachlich unsinnig, für Gewässersysteme, die unmittelbar verbunden sind und über die bei in Süß- bzw. Salzwasser auf- und absteigende Arten ein direkter Individuen-Austausch erfolgt, diesbezüglich unterschiedliche Verbotstatbestände zu definieren:
Binnenfischereiverordnung des Landes Schleswig-Holstein
§ 3 Besatz, übertragbare Fischkrankheiten
(...)
(5) Übertragbare Krankheiten nach § 38 Absatz 2 Satz 1 LFischG sind insbesondere:
1. alle in Anlage 1 der Fischseuchenverordnung vom 24. November 2008 (BGBl. I S. 2315), die durch Artikel 389 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist, aufgeführten Fischseuchen sowie
(...)
6. die Herpesvirose bei Aalen,
(...)
Umwelt- und Naturschutzrecht
Gesetze, Verordnungen und Erlasse sind die Grundlagen für das Naturschutzrecht in Schleswig-Holstein. Der NABU stellt einige der relevanten Regelwerke des gesetzlichen Naturschutzes dar. Mehr →
NABU-Geschäftsführer Ingo Ludwichowski: „Der Aal ist durch Überfischung und Gewässerzerstörung bereits europaweit bedroht. Es ist unverantwortlich, dass bei Besatzmaßnahmen gefährlich infizierte Fische in natürliche Ökosysteme gelangen, und dabei womöglich auch noch die letzten natürlich vorkommenden Aale anstecken.“ Rainer Borcherding, Biologe beim NABU Schleswig, ergänzt: „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass trotz klarer gesetzlicher Regelungen und eindeutiger wissenschaftlicher Fakten nicht sofort etwas unternommen worden ist. Es nützt doch niemandem etwas, wenn die Aale in der schon schwer geschädigten Schlei noch künstlich mit Krankheiten infiziert werden. Das muss nicht nur abgestellt, sondern auch geahndet werden.“ Der NABU fordert das Fischereiministerium in Kiel auf, das Aussetzen infizierter Fische - wie gesetzlich gefordert - zu unterbinden und zukünftig vor der Aussetzung von Aalen regelmäßig Kontrollen auf Krankheiten durchzuführen. Zudem ist von den Behörden ggf. europaweit zu prüfen, ob an weiteren Gewässern in und außerhalb von Schleswig-Holstein kranke Tiere ausgesetzt worden sind.
Der Aal ist ein zwar bekannter, aber in vielen Punkten noch mysteriöser Fisch. Alle Aale Europas und Amerikas stammen aus der über 6.000 Meter tiefen Sargassosee vor der Küste Floridas. Von dort kommen die Aallarven, die zwei Jahre lang bis an Europas Küste wandern und hier in die Flüsse aufsteigen. Der Aal kann sich bei Regen weit über Land schlängeln und abgelegene Seen und Teiche erreichen. Nach Jahren oder Jahrzehnten entscheidet er sich, zurück in die Sargassosee zu wandern, um Eier zu legen. Die Paarung und Eiablage der Aale in der Tiefsee sind noch niemals beobachtet worden.
Seit Jahrzehnten werden die vor Westeuropa eintreffenden Aallarven gefischt und teils für die Fischzucht genutzt, teils aber auch als Delikatesse nach Asien verkauft. Fischerei, Wasserverschmutzung und Kraftwerke an Flüssen töten viele Aale, sodass es unsicher ist, ob dieser faszinierende Fisch in wenigen Jahrzehnten noch existieren wird.
RB, ILu, akt. 15. März 2019