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Jetzt Mitglied werden!Abschied vom Ostseedorsch
Wissenschaft prognostiziert das Ende einer Fischart
Auf den ersten Blick schien es im vergangenen Herbst das übliche Ritual zu sein. Die EU-Kommission verkündet die Fangquoten und alle Betroffenen lamentieren darüber, dass sie gegenüber anderen Gruppen oder Staaten vermeintlich zu schlecht wegkommen. Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner hat vor dem Regierungswechsel im Ministerrat noch einmal gegen eine dringend notwendige Absenkung gestimmt, weil Naturschutz für sie stets hintenanstand. Doch etwas ist dieses Mal anders. Die Wissenschaft sagt nicht mehr, was zu tun ist, damit sich die Bestände erholen. Sie erklärt, dass mit größter Wahrscheinlichkeit der Kipp-Punkt für den Ostseedorsch erreicht ist. Das bedeutet, dass die Ostseefischer nicht wegen der strengen Fangquoten nach Hause gehen müssen, sondern weil der einstige Brotfisch der Fischerei ausstirbt.
Dorsche könnten die stattliche Gesamtlänge von bis zu zwei Metern und ein Gewicht von über 40 Kilogramm erreichen - wenn man sie denn ließe. Große, ausgewachsene Weibchen könnten bis zu neun Millionen Eier ablaichen. Allerdings erreichen die Tiere schon lange nicht mehr eine solche Größe. Das Mindestmaß für den Fang von Dorschen liegt heute bei nur 38 Zentimetern.
Überfischung das Hauptproblem
Obgleich der Dorsch über Jahrhunderte zu den wichtigsten Speisefischen Europas zählte, ist sein Bestand seit Jahrzehnten zunehmend bedroht. Doch allen Warnungen von Wissenschaftler*innen und Naturschutzverbänden zum Trotz wurde die Überfischung fortgesetzt und den Rat gebenden Institutionen nicht gefolgt, die die Fangmengen wesentlich weiter nach unten geregelt hätten, um zumindest das Schlimmste zu verhindern.
Mittlerweile sind die Bestände so klein geworden, dass eine normale Nachwuchsproduktion nicht mehr gegeben ist. Im Frühjahr 2020 untersuchte das Geomar mit Unterstützung von Kieler Fischern den Bestand. Dr. Rainer Froese, Meeresökologe und Experte für Fischereiwissenschaft am GEOMAR, konstatierte: „Beim Dorsch ist in vier der letzten fünf Jahre der Nachwuchs ganz oder fast ganz ausgeblieben. Der Bestand besteht daher fast nur noch aus jetzt vierjährigen Dorschen, die sich noch nicht erfolgreich fortgepflanzt haben und die Hauptlast der Dorschfischerei tragen. Wenn wir diesen Jahrgang ohne Ersatz verlieren, dann haben wir den Bestand verloren“.
Keine Hoffnung für den Dorsch?
Kein Jahr später erschien im Sommer 2021 die Studie unter der Leitung von Christian Möllmann vom CEN der Universität Hamburg, die belegte, dass der Kipp-Punkt für den Fisch bereits überschritten sei. Aufgrund von hohen Fangquoten und nicht beachteten Umweltfaktoren sei es sehr unwahrscheinlich, dass sich der Bestand des Dorsches an der deutschen Ostseeküste in näherer Zukunft noch erholen könnte. Möllmann beklagt dabei, dass die EU-Fangquoten sich stets nur am Bestand orientiert haben, obgleich auch der fatale Einfluss des Klimawandels schon lange bekannt war. Nun trifft die an Fahrt zunehmende Erwärmung der Ostsee mit ganzer Zerstörungskraft auf einen am Boden liegenden Dorschbestand. Weltweit ist für Meeresforschende die Ostsee der deutlichste Indikator dafür, wie sich in Zukunft der Klimawandel auf die Ozeane auswirken wird. In dem kleinen, flachen Schelfmeer, das fast vollständig von Land umgeben ist, zeigen sich die Klimawandelfolgen eher und heftiger als anderswo auf der Welt – und der Niedergang des Dorsches ist hier das Paradebeispiel.
Die Folgen des Klimawandels
Der als Klimawandelfolge bekannte Temperaturanstieg erwärmt die flache Ostsee besonders schnell. Allein durch die höhere Temperatur ist das Überleben einiger Arten fraglich. Das geografische Vorkommen einzelner Arten verschiebt sich. Nicht alle sind in der Lage, sich in einer vergleichsweise kurzen Zeit dem anzupassen. Durch die geografische Begrenzung der Ostsee können Arten auch kaum nach Norden ausweichen.
Manche Ostseebewohner werden zudem durch invasive Arten be- oder verdrängt. Die Neuankömmlinge erreichen die Ostsee zumeist mit Frachtschiffen aus der Nordsee über dänische Gewässer oder über den Nord-Ostsee-Kanal. Für den Dorsch ist dies die aus dem westlichen Atlantik eingewanderte Rippenqualle. Sie ist eine echte Gewinnerin des Klimawandels und sie fühlt sich im Ostseewasser auch dann noch wohl, wenn andere Arten schon unter der Sauerstoffarmut des Wassers leiden. Eine ausgewachsene Rippenqualle kann täglich über 11.000 Eier produzieren und befruchtet diese ohne Geschlechtspartner. Die hoffnungslos überdüngte Ostsee bietet Ihnen zudem einen reich gedeckten Tisch. Die Tiere ernähren sich von Plankton, Fischlaich und -larven und ist damit Nahrungskonkurrentin für Fische und deren Nachwuchs. Die attraktiven Laichgebiete des Dorsches hat sie längst entdeckt, wie Proben des Geomar Forschungsschiffs ALKOR vielfach belegten.
Die Dorsch-Sprott-Schaukel gerät aus dem Gleichgewicht
Zwischen Dorsch und Sprotten existiert eine komplexe Räuber-Beute-Wechselbeziehung, die ‚Dorsch-Sprott-Schaukel‘ genannt wird. Die Bestände der beiden Fischarten beeinflussen sich gegenseitig. Zum einen ist die Sprotte ist eine wichtige Beute des Dorschs und profitiert vom schlechten Zustand der Dorschbestände. Die hohen Wassertemperaturen haben die Nachwuchsproduktion der Sprotte zusätzlich gefördert. So ist der Sprottenbestand auf einem Rekordniveau und konkurriert mit den Dorschlarven um Nahrung. Außerdem fressen erwachsene Sprotten die Eier des Dorschs und beeinflussen so zusätzlich den dezimierten Dorschbestand. Da ein erneutes Ansteigen des Dorschbestandes nicht in Sicht ist, sieht es nicht so aus, als wäre die ewige Schaukel noch einmal ins Gleichgewicht zu bringen.
Versauerung unserer Meere
„Meeresversauerung“ nennt man den Prozess, wenn das Wasser aus der Atmosphäre CO2 aufnimmt. Aus CO2 wird in der Folge Kohlensäure und damit sinkt der pH-Wert des Meerwassers. Arten, die wie Schnecken und Muscheln ‚auf Kalk bauen‘, leiden zweifelsohne unter dem höheren Säuregehalt. Das GEOMAR Kiel fand aber ebenfalls heraus, dass auch Fische erheblich von der Versauerung betroffen sind. Am Beispiel des Dorsches wurde geforscht und festgestellt: Sinkt der pH-Wert in dem Maße weiter, wie es bis Ende dieses Jahrhunderts erwartet wird, werden nur halb so viele Dorschlarven überleben, wie es heute der Fall ist. Falls bis dahin überhaupt noch Dorsche in der Ostsee leben....
Unerhörte Liebeslieder
Zu den bereits genannten Problemen der Dorsche gesellen sich Lebensraumbeeinträchtigungen sowie -zerstörungen, die auch bei uns in Schleswig-Holstein stattfinden und teils billigend in Kauf genommen werden. Dorsche kommunizieren über ihre Schwimmblase, mit der sie eine Vielfalt an Geräuschen, unter anderem Knall- und Grunzlaute, hervorbringen können. Was genau kommuniziert wird, ist nicht abschließend erforscht. Klar ist jedoch, dass es sich um eine existenziell wichtige Kommunikation handelt, die eingesetzt wird, um den Schwarm vor Feinden zu warnen oder das Weibchen mit einem Liebeslied zu betören. Das zumindest stellten Steve Simpson, Professor an der Universität in Exeter, und seine Kollegen fest, indem sie mit Hydrofonen in britischen Küstenregionen unterwegs waren. Besonders diffizil ist das richtige Timing des Liebeslieds. Männchen und Weibchen schwimmen zur Wasseroberfläche und er „singt“ das Lied. Nur wenn es zur Zufriedenheit des Weibchens ausfällt, laicht sie ab, bevor sie wieder zum Meeresgrund zurückschwimmt. Keine Frage für die Wissenschaftler, dass Schallereignisse und eine ständig laute Geräuschkulisse sich entsprechend negativ auf die Kommunikation und das Laichverhalten auswirken können. Zum Laichen benötigen Dorsche einen im Klimawandel ohnehin kaum noch erfüllbaren Sauerstoffgehalt von mehr als zwei Milligramm pro Liter und einen bestimmten Salzgehalt des Ostseewassers. Nur so sind ihre Eier schwimm- und überlebensfähig. Man kann nur erahnen, was die zusätzliche Lärmbelastung für die Dorsche in der im Vergleich besonders lauten Ostsee bedeutet.
Lebensraumzerstörung wird billigend in Kauf genommen
Als ein Muschelfischer den Antrag stellte, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, um per EU-Recht geschützte Muschelbänke in der Flensburger Förde abfischen zu können, wiesen der NABU, die Universität Flensburg und andere das Fischereiministerium in Kiel darauf hin, dass Muschelbänke und andere Riffe wichtige Lebensräume für den Dorsch darstellen.
Der Dorsch hält sich ganzjährig bodennah in Küstengewässern auf und bevorzugt Muschelbänke und andere Riffstrukturen. Hier finden die Altfische ausreichend Nahrung und Jungfische zudem Schutz vor Feinden. So verwundert die Aussage der Flensburger Fischer*innen nicht, dass nach Abfischen der Muschelbänke der Fischbestand in den Folgejahren immer besonders schlecht aussieht. Gleichwohl beförderte unser Landesministerium das Ansinnen der Muschelfischerei und ließ dies auch die beteiligten Unteren Naturschutzbehörden wissen. Während der Flensburger Stadtrat seiner UNB empfahl, den Stellungnahmen von Naturschutz, Wissenschaft und Fischereischutzverband zu folgen und dem Druck aus Kiel standzuhalten („Wir lassen uns nicht unsere Förde zerstören!“), genehmigte die UNB Schleswig-Flensburg die Ausnahmegenehmigung. Glücklicherweise zog der Muschelfischer darauf hin den Antrag erst einmal zurück.
Aktuell sind es die Riffe im Fehmarnbelt, die zur Disposition stehen. Sie liegen wohl nicht zufällig mitten im Hauptlaichgebiet des Dorsches. Im Rahmen der Voruntersuchungen zum Bau des Fehmarnbelttunnels wurde zunächst behauptet, dass es hier gar keine geschützten Riffe gäbe. Als der NABU im laufenden Verfahren durch Taucher jedoch besonders gute ausgeprägte Riffe nachwies, gab das Bundesverwaltungsgericht dem Bauträger die Aufgabe mit auf den Weg, zumindest für einen entsprechenden Ausgleich auf der Sagas-Bank in der Lübecker Bucht zu sorgen. Mittlerweile sind die Riffe – und damit wichtige Laichgebiete des Dorsches – zwar weggebaggert, doch um die notwendige, noch nicht realisierte Ausgleichsmaßnahme gibt es weiterhin juristische Auseinandersetzungen.
Dass immer noch nicht verstanden wird, was der Ausverkauf der Ostsee für Mensch und Natur bedeutet, zeigte sich in der Presseerklärung des schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministers Buchholz, der im Verfahren erklärte, dass Ausgleichsgelder für die zusätzliche Riff-Zerstörung gezahlt würden. Für ihn ist die Zerstörung der Lebensräume offenbar nur eine Frage des Geldes. Deutlich wird, dass trotz aller EU-Bemühungen, jetzt auf den letzten Drücker noch etwas über eine drastische Fangbeschränkung am Niedergang des Dorsches zu drehen, dieses absehbar keinen Erfolg haben wird. Mehr noch ahnt man, dass auch Aal, Hering und weitere Arten schon bald dem Dorsch folgen könnten.
DS, 27. Januar 2022