Die mit den Augen atmen ...

Neunaugen in Schleswig-Holstein

„Es sind gruselig-gefräßige Bewohner aus den Tiefen der Meere. Mit aufgerissenem Saugmaul machen sie jetzt Jagd auf Badegäste an der Ostsee“, „Neunauge beißt Wal in der Ostsee tot“, „Fisch greift badende Urlauber an“ – so oder ähnlich lauten Überschriften in den Medien, besonders gerne im themenarmen Sommerloch, wenn es wieder zu einer der seltenen Anheftungen eines Neunauges gekommen ist. Dabei sind die harmlosen Neunaugen taxonomisch betrachtet gar keine Fische. Im Tierreich stellen sie die ursprünglichste Gruppe der Wirbeltiere dar. Damit kann man die mit den drei Arten Bach-, Fluss- und Meerneunauge in Schleswig-Holstein vorkommenden Neunaugen durchaus auch als„lebende Fossilien“ bezeichnen. Der Verband Deutscher Sportfischer e.V. hat im Jahr 2012 „die Neunaugen zum Fisch des Jahres“ gewählt.

Das entscheidende Merkmal, welches die Neunaugen von Fischen und allen anderen Wirbeltieren unterscheidet, ist das grundsätzliche Fehlen eines Unterkiefers, welcher erst später in der Evolution entstanden ist. Das Maul der schlangenförmigen, schuppenlosen und mit einem unpaaren Flossensaum versehenen Neunaugen besteht aus einer runden, artspezifisch bezahnten Saugscheibe. Die Zähne sind Hautbildungen, vergleichbar etwa mit den Schuppen der Fische. Die Neunaugen werden daher zu den so genannten Rundmäulern gezählt, traditionell aber zu den Fischen gestellt. Namen gebend sind dann die beidseitig angeordneten sieben runden Kiemenöffnungen, die mit den Augen und der unpaaren Nasenöffnung mit viel Phantasie den Eindruck von neun Augen auf jeder Seite vermitteln.

„Es sind gruselig-gefräßige Bewohner aus den Tiefen der Meere. Mit aufgerissenem Saugmaul machen sie jetzt Jagd auf Badegäste an der Ostsee“, „Neunauge beißt Wal in der Ostsee tot“, „Fisch greift badende Urlauber an“

Diverse Tageszeitungen

... So oder ähnlich lauten Überschriften in den Medien, besonders gerne im themenarmen Sommerloch, wenn es wieder zu einer der seltenen Anheftungen eines Neunauges gekommen ist. Dabei sind die harmlosen Neunaugen taxonomisch betrachtet gar keine Fische. Im Tierreich stellen sie die ursprünglichste Gruppe der Wirbeltiere dar. Damit kann man die mit den drei Arten Bach-, Fluss- und Meerneunauge in Schleswig-Holstein vorkommenden Neunaugen durchaus auch als„lebende Fossilien“ bezeichnen. Der Verband Deutscher Sportfischer e.V. hat im Jahr 2012 „die Neunaugen zum Fisch des Jahres“ gewählt.

Das entscheidende Merkmal, welches die Neunaugen von Fischen und allen anderen Wirbeltieren unterscheidet, ist das grundsätzliche Fehlen eines Unterkiefers, welcher erst später in der Evolution entstanden ist. Das Maul der schlangenförmigen, schuppenlosen und mit einem unpaaren Flossensaum versehenen Neunaugen besteht aus einer runden, artspezifisch bezahnten Saugscheibe. Die Zähne sind Hautbildungen, vergleichbar etwa mit den Schuppen der Fische. Die Neunaugen werden daher zu den so genannten Rundmäulern gezählt, traditionell aber zu den Fischen gestellt. Namen gebend sind dann die beidseitig angeordneten sieben runden Kiemenöffnungen, die mit den Augen und der unpaaren Nasenöffnung mit viel Phantasie den Eindruck von neun Augen auf jeder Seite vermitteln.

Wurmartige Larven
Auch die Lebensweise der Neunaugen weist erhebliche Unterschiede zu den Fischen auf. Besonders hervorzuheben ist dabei der aus zwei Phasen bestehende Lebenszyklus. Den größten Teil ihres Lebens verbringen Neunaugen in einem Larvenstadium, welches sich grundlegend sowohl in Anatomie und Lebensweise von den ausgewachsenen Tieren unterscheidet.

Die als Querder bezeichneten wurmartigen Larven haben keine Augen, kein Saugmaul, nur rudimentäre Flossen und unterscheiden sich auch in Struktur und Färbung der Haut. Das durch die Mundöffnung aufgenommene Wasser pumpen die Larven durch ihre Kiemenspalten, deren netzartige Struktur dabei einzellig Algen, vor allem Kieselalgen, tierische Einzeller sowie andere organische Partikel herausfiltert. Die Sauerstoffaufnahme erfolgt durch die gesamte Körperoberfläche. Ein vergleichsweise geringer Sauerstoffbedarf ermöglicht es den Querdern, auch in stärker verschlammten Bachabschnitten zu leben.

Ihr bevorzugter Aufenthaltsort sind die feinkörnigen Sedimentauflagen am Gewässerboden. Dort leben sie vergraben in Wohnröhren, die sie mit einem Sekret verfestigen. Durch Strudeln wird ein Wasserstrom erzeugt, aus dem die Querder Nahrung und Sauerstoff entnehmen. Die genaue Dauer der Larvenphase ist nicht bekannt und Inhalt wissenschaftlicher Diskussionen. In der Literatur finden sich unterschiedlichste Angaben von 3-8 Jahren Dauer, neueste Studien gehen von sogar durchschnittlich von mehr als 10 bis hin zu 20 Jahren aus.

Zweiter Lebensabschnitt
Im Laufe der Jahre entfernen sich die Querder vor allem passiv durch Drift von den Laichplätzen. In den Oberläufen und in Laichplatznähe befinden sich überwiegend kleinere, in Richtung der Unterläufe hingegen leben zunehmend die größeren Exemplare. Hier beginnt dann auch für die Neunaugen der zweite Lebensabschnitt. Die lappige Mundöffnung wandelt sich in eine Saugscheibe um, es bilden sich Flossensäume, runde Kiemenöffnungen sowie Augen aus.

Schließlich verlassen die Meer- und Flussneunaugen das Sediment, wandern die Gewässer abwärts und gelangen über die Ästuare ins offene Meer. Hier kommt es zu einem rasanten Wachstum der Tiere. Meerneunaugen können dabei über einen Meter lang und mehrere Zentimeter dick werden, Flussneunaugen bis zu 50 cm lang und daumendick. Das Bachneunauge verlässt sein Heimatgewässer nicht, wird nur 10-15 cm lang und etwa so dick wie ein Bleistift.

Bachneunauge (Lampetra planeri)

Hauptverbreitungsgebiet in Schleswig-Holstein: in den westlichen Geestabflüssen und im östlichen Hügelland

Parasitische Raspler
Die ausgewachsenen Tiere der im Meer lebenden Meer- und Flussneunaugen ernähren sich parasitisch. Zu ihren Wirten gehören Kabeljau, aber auch Lachse, Haie, sogar Wale und ganz extrem selten auch badende Menschen. Mit ihrer Mundscheibe saugen sie sich an ihren Wirten fest und raspeln mit der ebenfalls mit Zähnen besetzten Zunge Stücke aus der Haut ihrer Wirte, um sich von den Haut- und Gewebefetzen zu ernähren.

Dabei nutzen sie auch die Blutgerinnung hemmende und das Gewebe auflösende Sekrete. Flussneunaugen sind darüber hinaus in der Lage, sich räuberisch zu ernähren, indem sie durch die Körperwand in die Leibeshöhle ihrer Beutetiere eindringen und dadurch töten können.

Gegen den Strom
Nach Ablauf von einem (Flussneunauge) bis mehreren Jahren (Meerneunauge) stellen die parasitischen Neunaugen ihre Fressaktivitäten ein und steigen wieder in die Ästuare und Flüsse auf. Während des Aufstieges zum Laichen in die Fliessgewässer schrumpft der Darm, gleichzeitig reifen die Geschlechtsprodukte.

Im Süßwasser stellen die laichbereiten Neunaugen dann die Nahrungsaufnahme schließlich ganz ein. Obwohl Neunaugen sehr gute Schwimmer sind, lassen sie sich gelegentlich auch passiv an Schiffsrümpfen oder Fischen stromaufwärts tragen.

Eindrucksvolles Laichschauspiel
Dem Ablaichen gehen z.T. mehrwöchige Paarungsspiele voraus. Dabei saugen sich die Tiere an Steinen fest und bilden dicht nebeneinander liegend einen flutenden „Neunaugenzopf“. In dieser Phase sind die Neunaugen sehr unempfindlich gegenüber Störungen und können gut beobachtet werden, sind aber auch recht ungeschützt gegenüber möglichen Fressfeinden.

Meist beginnen die Männchen mit dem Ausheben einer Laichgrube, in dem sie sich an Kieselsteinen festsaugen und vorhandenen Sand wegfächeln. Steine werden dabei häufig hinter der Grube abgelegt.

Schließlich kommen die Weibchen angeschwommen und das Ablaichen beginnt. Die Männchen umschlingen die Weibchen, drücken die Eier aus den an Steinen festgesaugten Weibchen heraus und besamen diese, bevor die Eier in den sich hinter der Grube abgelegten Steinen eingespült werden. Dort bleiben die klebrigen Eier zwischen den Steinchen hängen.

Fortschreitende Nestbau- und Ablaichaktivitäten verlagern das Geschehen immer weiter stromaufwärts, die Eier bekommen auf diese Weise ein gut durchlüftetes und geschütztes Laichbett. Bei Meerneuenaugen zeigen während des Ablaichens ein starkes Revierverhalten, so das meist nur ein Männchen sich mit bis zu drei Weibchen in einer Laichgrube befindet.

Beim kleineren Flussneunauge ist dies nicht so ausgeprägt und das kleine Bachneunauge ist ein ausgesprochener Gruppenlaicher – bis zu 100 Individuen konnten schon beim gemeinsamen Laichen beobachtet werden. Nach etwa vierzehn Tagen schlüpfen die Larven und verbringen noch einige Zeit geschützt zwischen den Kieselsteinen, bevor sie das nächst gelegene Feinsediment aufsuchen und als Querder ihre Entwicklung fortsetzen. Die Elterntiere sterben schließlich nach dem Laichen.

Dieser Lebenszyklus stellt die ursprüngliche Lebensform der Neunaugen dar und gilt in Schleswig-Holstein für Meer- und Flussneunaugen. Es gibt aber unter den Neunaugen auch stationäre Arten, zu denen das Bachneunauge zählt. Diese Art überspringt im Lebenszyklus die parasitische Lebensphase im Meer und beginnt im Frühjahr gleich nach der Umwandlung mit der Fortpflanzung. Erwachsene Bachneunaugen verlassen ihre Geburtsgewässer nicht und nehmen keine Nahrung mehr auf. Eine kleine aufwärtsgerichtete Wanderung der adulten Bachneunaugen gleicht dabei die stromabwärts gerichtete Drift während ihrer Larvenzeit wieder aus. Interessanterweise wird aktuell in der Wissenschaft diskutiert, ob es sich bei Fluss- und Bachneunaugen gar nicht um zwei getrennte Arten handelt, sondern beim Bachneunauge lediglich um eine stationäre Form des Flussneunauges.

Flussneunauge (Lampetra fluviatilis)

Aktuelle Vorkommen in SH: Pinnau, Krückau, erfreulicher Ausbreitungstrend in der Elbe; ein einziger Flussneunaugennachweis an der Ostseeküste in der Loiter Au

Streng geschützt
Neunaugen genießen europaweit Schutz nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH), für die als Arten des Anhangs II besondere Schutzgebiet ausgewiesen worden sind. Zudem unterliegen sie in Deutschland dem Schutz nach der Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) und sind nach den Fischereiverordnungen der Länder ganzjährig geschont.

Neunaugen sind wichtige Bioindikatoren bei der Gewässerbewertung nach der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL), da sie aufgrund der geringen Leistungsfähigkeit bei der Überwindung von Querbauwerken in Fliessgewässern sowie ihren hohen Ansprüchen an die Qualität ihrer Laichgewässer geeignete Störanzeiger darstellen.

Neunaugenschutz ist Habitatschutz
Alle drei Neunaugenarten haben in der Vergangenheit positiv auf die Verbesserung der Wasserqualität reagiert, so dass der kurzfristige Trend für den Erhaltungszustand dieser Arten von den Experten positiv eingeschätzt wird. Unklar bleibt, warum die kleinere Ostseepopulation des Flussneunauges aber gegen den Trend auch in Gewässern ohne Wanderhindernisse und guter Gewässerstruktur nach wie vor rückläufig ist.

Mittelfristig befürchten Experten aber wieder eine Verschlechterungen des Erhaltungszustandes der Neunaugenpopulationen durch den Ausbau erneuerbaren Energien durch Wiederherstellung oder gar Neubau von Querbauwerken z.B. zur Wasserkraftnutzung. Auch durch den steigenden Energiepflanzenanbau (Maisproblematik) verschlechtert sich der Erhaltungszustand. Wesentliche Gefährdungen von Neunaugen gehen auch von vielfach unnötigen und überdimensionierten Gewässerunterhaltungsmaßnahmen aus, die - leider bis heute – den Lebensraum zerstören und auch zu erheblichen Individuenverlusten führen können. Veränderte Formen der Gewässerunterhaltung sollen im Rahmen der Umsetzung der EG-WRRL in Schleswig-Holstein diese akute Verluste bei Entkrautungen und Grundräumungen der Gewässer unbedingt vermeiden helfen.

Meerneunauge (Petromyzon marinus)

Aktuelle Vorkommen in SH beschränken sich auf in die Nordsee bzw. Elbe entwässernden größeren Flussgebiete (Eider/Treene, Stör und Zuflüsse, Pinnaus & Krückau)

Vorraussetzung für eine dauerhafte Erholung und Sicherung der Bestände ist aufgrund der langen Larvalphase zudem der Erhalt konstanter hydrologischer und wasserchemischer Verhältnisse wie z.B. die Vermeidung von Versandung und Verschlammung durch Sedimenteintrag, Abwasser- und Nährstoffeinleitungen. Aufgrund der starken Sanddriftproblematik in vielen Gewässern werden im Rahmen der Umsetzung der EG-WRRL häufig naturnahe Sandfänge angelegt, quasi Absetzbecken, in denen das Sediment sich ablagern und dann regelmäßig entnommen werden kann. Diese Sedimentfallen haben sich aber als starke frequentierte Sekundärlebensräume der Neunaugenquerder herausgestellt.

Eine vollständige Räumung dieses Sandfanges verursacht damit artenschutzrechtliche Probleme. So werden nach diesen Erfahrungen mittlerweile dreikammerige Sandfänge angelegt, aus denen dann nach Bedarf wechselnd Sediment entnommen werden kann und gleichzeitig in den anderen beiden Kammern die dort lebenden Querder überleben können.

In Öl und Aspik
Das Meerneunauge war früher in Europa als kulinarische Spezialität geschätzt, erreichte jedoch wegen seiner relativen Seltenheit nie die ökonomische Bedeutung des kleineren Flussneunauges. Eine spezielle Meerneunaugenfischerei und Nutzung in der gehobenen Gastronomie besteht aktuell noch im Golf von Biskaya. Bis zum Niedergang der Bestände im 20. Jahrhundert spielte die Flussneunaugenfischerei in den Einzugsgebieten der Nord- und Ostsee eine große Rolle. Für die Fischerei auf Flussneunaugen gab es beispielsweise an der Unterelbe spezialisierte Fischer und Betriebe, die gastronomischen Betriebe hatten Neunaugen in unterschiedlichsten Zubereitungen im Angebot.

Fangfrische Neunaugen wurden in Öl und Aspik zu Konserven verarbeitet. Beliebt waren auch geröstete, in Bieressig eingelegte Neunaugen. Noch im 19. Jahrhundert gab es im Unterelberaum viele Neunaugenröstereien. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden hier rund 5.000 kg in den Fangstatistiken ausgewiesen, Mitte der sechziger Jahre noch 2.500 kg, bis heute gibt es wohl kleine Posten als Beifänge.

Eine große Bedeutung hatte die Neunaugenfischerei ebenfalls in den Zuflüssen der Ostsee. Je weiter östlich die Gewässer lagen, umso höher die Fangerträge. Die besten Fangplätze lagen in der Newa, den Zuflüssen des Riga Meerbusens, in der Memel, historisch aber auch in der Oder und Weichsel. Auch heute wird dort noch die Neunaugenfischerei durchgeführt und der Fang zum Teil in Konserven vermarktet. Auch in Schweden und vor allem in Finnland spielt die Neunaugenfischerei eine Rolle. Der traditionelle Fang der Neunaugen erfolgte in der Phase des Laichaufstieges von Herbst bis Winter, als Fanggeräte dienen meist spezielle Reusen, Körben oder Neunaugenhamen. Bauchneunaugen unterliegen aktuell keinen Nutzungen, auch historisch ist kaum etwas bekannt. Lokal wurden Bachneunaugen aber eimerweise an Hühner verfüttert oder als Angelköder genutzt („Huchen- oder Neunaugenzopf“).

Schrecken ohne Folgen
In europäischen Gewässern ist der fischereiwirtschaftliche Schaden durch die parasitische Lebensweise der Neunaugen bedeutungslos. In Nordamerika entwickelte sich im 19. Jahrhundert das Einwandern von Meerneunaugen durch den Bau eines Kanals in die Großen Seen allerdings zu einem großen Problem und brachte dort durch erhebliche Schädigung der wirtschaftlich wichtigen Arten die Fischerei praktisch zum Erliegen. Bis heute versucht man das Problem u.a. durch den Einsatz von Sexuallockstoffen endgültig in den Griff zu bekommen.

An der Ostseeküste werden gelegentlich Anheftungen von Neunaugen an Badende registriert. Die Betroffenen kommen jedoch mit einem Schrecken und kleineren Hautabschürfungen davon.

22. März 2012