Elbvertiefung: Verliert das Schleswig-Holsteinische Wattenmeer den Welterbe-Status?
PRESSEMITTEILUNG von NABU, Schutzstation Wattenmeer, Verein Jordsand und Bündnis Naturschutz in Dithmarschen
Neumünster, Husum, 3. Juni 2019: Die im schleswig-holsteinischen Wattenmeer vertretenen Umweltverbände NABU, Schutzstation Wattenmeer, Verein Jordsand und Bündnis Naturschutz in Dithmarschen haben sich vergangene Woche mit einem Brief an das Welterbe-Komitee der UNESCO in Paris gewandt. Darin drücken sie ihre großen Sorge um die drohende Gefährdung der ‚außergewöhnlichen, universellen Werte’ des Weltnaturerbes Wattenmeer durch die neunte Elbvertiefung aus. Sie sehen im Errichten einer Unterwasserablagerungsstätte (UWA) in der Medemrinne die Gefahr, dass die Watten im südlichen schleswig-holsteinischen Wattenmeer in ihrer bedeutenden Funktion als Nahrungsgebiete für Brut- und Zugvögel direkt, folgenschwer und langfristig geschädigt werden.
Die Medemrinne, ein bis zu 10 m tiefer Wattstrom der Elbe, bildet die südliche Grenze des Nationalparks und UNESCO-Welterbegebiets Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Sie wird zurzeit durch ein starres, aufgeschüttetes Unterwasserbauwerk großteils verschlossen, in das im weiteren Verlauf der Vertiefung die ausgebaggerten Sedimente eingelagert werden. Die Planungsunterlagen zeigen, dass das Bauwerk die Tidenströmungen im UNESCO-Weltnaturerbe verändern werden. Trotz der erkennbaren Gefährdung hat es keine Umweltverträglichkeitsprüfung zur Auswirkung auf die Schutzgüter des Weltnaturerbes Wattenmeer gegeben. Dessen ungeachtet haben die Behörden – ohne das UNESCO-Welterbe-Komitee über den Eingriff vorab zu informieren - mit ihrem Planfeststellungsbeschluss ihre Zustimmung zum Bau gegeben.
Die an die Medemrinne angrenzenden Watten bieten essentielle und unersetzbare Nahrungsgebiete für (i) eine der größten Flussseeschwalbenkolonien im Wattenmeer, (ii) mehr als 50 % der nordwesteuropäischen Brandganspopulation während der Mauser, (iii) der nahezu gesamten Afro-Sibirischen Knutt-Population und (iv) einigen anderen rastenden Watvogelarten. Die Auswirkungen bedrohen das Fortbestehen dieser Nahrungsgebiete, in dem sie erheblich in die geologischen, ökologischen und biologischen Prozesse eingreifen, und dadurch die Artenvielfalt des Wattenmeers, die eine der größten weltweit ist, bedroht.
Die Bundesrepublik Deutschland ist mit der Ernennung des Wattenmeers zum Weltnaturerbe die Verpflichtung gegenüber der UNESCO eingegangen, das Wattenmeer nach bestem Wissen und Gewissen gegenüber anthropogenen Schädigungen zu schützen. Die Umweltverbände bitten nun die UNESCO um Unterstützung, indem sie ihrerseits bei den Planungsbehörden Hamburgs und des Bundes Antworten dazu erbitten:
- ... auf welcher wissenschaftlich akzeptablen Grundlage auf die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für das schleswig-holsteinische Wattenmeer verzichtet wurde und
- ... wie die Planungsbehörden sicherstellen, dass zukünftig negative Auswirkungen auf die schleswig-holsteinischen Watten vermieden werden, und anhand welcher Begleituntersuchungen dies überprüft wird.
Aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse und Expertise befürchten die Umweltverbände, dass mit der Errichtung der UWA Medemrinne genau die außergewöhnlichen universellen Werte, für die das Wattenmeer ausgezeichnet wurde, in Gefahr sind. Sie sind in großer Sorge darüber, dass die Behörden durch ihre inadäquate Bewertung möglicher Auswirkungen einen enormen Umweltschaden im Weltnaturerbe Wattenmeer riskieren. Daher bitten die Umweltverbände die UNESCO, den zukünftigen Weltnaturerbe-Status des schleswig-holsteinischen Wattenmeers zu überprüfen. In Deutschland wurde schon einmal der Welterbetitel aberkannt: Das Dresdner Elbtal verlor 2008 nach dem Bau der Waldschlösschenbrücke den Welterbe-Status, als auch hier Infrastruktur-Projekten der Vorrang vor dem Schutz der außergewöhnlich wertvollen Schutzgütern gegeben wurde.
Kontakt
Ingo Ludwichowski
Mobil 0160-96230512
Brief an das Welterbe-Komitee der UNESCO in Paris
Hintergrund
Seit über 30 Jahren ist das Wattenmeer als Nationalpark geschützt. Aufgrund seiner ‚außergewöhnlichen, universellen Werte’ (Outstanding Universal Values OUV: frei ablaufende geologische, ökologische und biologische Prozesse sowie eine der höchsten Artenvielfalten weltweit) erklärten die Vereinten Nationen vor zehn Jahren das Wattenmeer zum Weltnaturerbe der Menschheit.
Das Wattenmeer ist das weltweit größte zusammenhängende Gezeitengebiet, in dem die natürlichen Prozesse bislang weitgehend ungestört ablaufen dürfen. Dieser natürlichen Dynamik droht nun akute Gefahr durch die Bauarbeiten im Rahmen der aktuellen Elbvertiefung, hier durch das Errichten einer Unterwasserablagerungsstätte (UWA) in der Medemrinne.
Die Medemrinne bildet als wichtiger Haupt-Nebenarm der Schifffahrtsstraße im äußeren Elbästuar die südliche Grenze des Nationalparks und UNESCO-Welterbegebiets Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Sie interagiert stark mit den Prielen der angrenzenden Wattflächen und prägt und gestaltet deren einzigartigen Charakter. Die Medemrinne, ein bis zu 10 m tiefer Wattstrom, wird zurzeit durch ein starres, aus Steinen aufgeschüttetes Bauwerk nahezu verschlossen, in das im weiteren Verlauf der Vertiefung die ausgebaggerten Sedimente eingelagert werden. Die Umweltverbände gehen davon aus, dass dieser drastische Eingriff unmittelbar an der Grenze des Weltnaturerbegebiets Wattenmeer die natürlichen Dynamiken des Ästuars beinträchtigen, das gesamte Elbästuar folgenschwer und langfristig verändern und die natürlichen, dynamischen Prozesse der Watten im südlichen Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer erheblich verändern wird.
Stinte und Seeschwalben
Der Stint ist eine anadrome Küstenmeer-Fischart, die ihr Leben in weiten Teilen im Ästuar der Elbe und in der küstennahen Nordsee verbringt. Im Frühjahr beginnt die Wanderung der Stinte die Elbe flussaufwärts, wo sie entsprechend der Wassertemperaturen an verschiedenen Orten im inneren Ästuar bis aufwärts nach Hamburg laichen. Die Laichzeit kann sich über ein paar Wochen erstrecken. Mit wenigen Zentimetern Größe beginnen die jungen Stinte in der Elbe flussabwärts zu treiben und zu schwimmen und erreichen so die Außenelbe, von wo sie über die Medemrinne in sehr großen Schwärmen in das Dithmarscher Watt gelangen. Entsprechend der unterschiedlichen Laichplätze und -zeiten kommen auch zeitlich versetzt verschiedene Kohorten junger Stinte in das Neufelder Watt.
Die Wanderung der Stinte ermöglicht es einer Flussseeschwalbenkolonie von zeitweise über 2.000 Brutpaaren, im Neufelder Vorland zu brüten. Es handelt sich um die größte mitteleuropäische Seeschwalbenkolonie. Hier erreichen die fütternden Seeschwalben immer ausreichend Jungfische in den ufernahen Prielsystemen und sind – einzigartig – auch in der Lage, mehrfach erfolglose Brutversuche zu kompensieren, wenn Gelege durch Hochwasser verloren gehen. Den ganzen Sommer über sind kleine Stinte in den Prielen eine leicht verfügbare Beute.
Bestandseinbruch bei Stinten
Im letzten Jahr 2018 schlugen die Elbefischer Alarm: der Stint blieb aus. Die Wanderung der Stinte die Elbe hinauf in Richtung Hamburg ist Hochsaison für Fischer, die den in Hamburg beliebten Speisefisch fangen. Die letztjährige Stintsaison war jedoch die Schlechteste, die Fischer je erlebten. In diesem Jahr 2019 setzt sich der Bestandseinbruch der Stinte weiter fort. Schon Anfang März klagten die Fischer erneut: gleich zu Beginn der Hauptwanderzeit der Stinte blieben die Fische wieder aus und sind bis heute nicht mehr flussaufwärts gewandert. Der einst häufigste Fisch der Tideelbe ist nun nahezu verschwunden, der Bestand zusammengebrochen. Ein deutlicher Rückgang zeichnete sich schon in den letzten Jahren ab, mit gravierenden, messbaren Folgen für die Seeschwalben: deren Zahl der Brutpaare sank in dieser Zeit ab. In diesem Jahr 2019 ist es nun dramatisch: die erstmals ausgebliebene Wanderung hat zur Folge, dass keine Jungfische mehr das Wattenmeer erreichen. Die Seeschwalben verlieren damit ihre Hauptnahrungstiere. Verschwinden jedoch die Flussseeschwalben, verliert auch die letzte mitteleuropäische Brutkolonie der vom Aussterben bedrohten Lachseeschwalbe ihren Schutz, da sie inmitten der Flussseeschwalben brütet und von deren Feindabwehr profitieren.
Eine Kettenreaktion
Warum verschwinden die Stinte? Fachleute sind sich einig: die intensive Kreislaufbaggerei im Hamburger Hafen hat die Larven der Stinte und die ersten Jungfischstadien so massiv geschädigt, dass die Reproduktion weitgehend ausblieb. An den viele Millionen Stinte umfassenden Schwärmen hängt aber ein Teil der Nahrungskette im Ökosystem Tideelbe: Keine Stinte - keine Flussseeschwalben - damit droht auch das Aussterben der letzten Lachseeschwalben.
Verantwortung: Hamburger Hafen
Die negativen Auswirkungen der letzten Elbvertiefung von 1999 steigern sich nun alljährlich mit der Konsequenz, dass in den Hafenbecken immer mehr Schlick sedimentiert und in Hamburg immer stärker gebaggert werden muss. Die HPA setzt dabei oft die sogenannte Wasserinjektion ein: Der Schlick wird unter Wasser aufgewirbelt, um mit der Ebbe flussabwärts zu driften. Anderes Baggergut wird vor den Toren Hamburgs bei Neßsand wieder in die Elbe verklappt mit der Folge, dass er bei der nächsten Flut wieder flussaufwärts strömt. Die Folge dieser Hafenbeckenunterhaltung ist eine starke Trübung der Elbe, in der die pelagischen Stintlarven ihre Beute, das Zooplankton, nicht mehr finden können. Viel zu oft schnappen sie nach Nahrung - aber statt Zooplanktonkrebschen erwischen sie Schwebstoffe. Damit werden die Stinte unzureichend mit Nahrung versorgt.
In dieser Trübungszone unterhalb Hamburgs sinken die Sauerstoffwerte im Sommer zudem oft schon ab Mai gegen Null: in der ‚trüben Brühe‘ können Planktonalgen kein Sauerstoff produzieren und sterben ab. Es fehlt an Sauerstoff in dem stark vertieften Teil der Elbe. Im Sommer ersticken die Fische auf ihrem Weg durch das sauerstofffreie Tal in Richtung Nordsee.
ThB
Die Merkmale, für die das Wattenmeer nominiert wurde, sind so besonders, dass sie sowohl für die heutige, als auch für zukünftige Generationen eine hohe Bedeutung besitzen. Um diese zu schützen, haben die Vereinten Nationen das Welterbe-Programm ins Leben gerufen. Das Wattenmeer erfüllt drei der zehn Auswahlkriterien, die für die Einschreibung in die UNESCO-Welterbeliste abgefragt werden:
- Geologische Prozesse – die wie nirgendwo sonst auf der Welt einen ausgedehnten, vielfältigen und dynamischen Küstenstreifen geformt haben und die sich bis heute entfalten.
- Ökologische und biologische Prozesse – die die welthöchste Biomasseproduktion hervorbringen und somit ein reichhaltiges Nahrungsangebot für Fische, Meeressäuger und Vögel schaffen.
- Biologische Vielfalt – die sich in einer der größten Artenvielfalt weltweit zeigt, und die die Grundlage für bis zu 12 Millionen Zugvögel ist, wodurch das Wattenmeer eine bis weit über seine Grenzen hinaus nicht zu ersetzende Rolle für den Erhalt der biologischen Vielfalt spielt.
Die Planungsbehörden haben im Genehmigungsverfahren keinerlei Beweise vorlegen können, dass die Elbvertiefung mit ihren Strombauwerken wie der Medemrinne keine negativen Auswirkungen auf die Wattflächen des Welterbegebiets haben. Wissenschaftliche Studien oder andere Untersuchungen mit entsprechender Fragestellung unterblieben. Dem gegenüber weisen alle wissenschaftlichen Publikationen, verfügbaren Expertenmeinungen und Beispiele aus anderen Teilen der Welt deutlich darauf hin, dass das Strombauwerk in der Medemrinne die Dynamiken der angrenzenden Wattflächen nachhaltig und tiefgreifend verändern wird. Wenn dies geschieht, werden gesamte bio-geographische Zugvogelpopulationen, wie der Afro-Sibirischer Knutt, gefährdet.
Zugvögel verbinden Gebiete über weite geografische Entfernungen hinweg. Eine Konsequenz wird sein, dass weitere Rast- und Überwinterungsgebiete negativ beeinflusst werden könnten, so die UNESCO-Welterbegebiete Banc d’Arguin in Mauretanien, und der Djoudj im Senegal, aber auch das Coto Doñana in Spanien, und das Bijagós Archipel in Guinea-Bissau. Auswirkungen auf die arktischen Brutgebiete werden ebenfalls befürchtet.