Giftgas vor Helgoland: Kompetenzstreit zu Lasten der Sicherheit?
NABU, GSM und GRD fordern Fischereiministerium in Kiel zum Handeln auf
2. Juni 2010: Die Naturschutzverbände NABU, GSM und GRD fordern das Fischereiministerium in Kiel erneut dazu auf, umgehend ein Fischereiverbot im Giftgas-Versenkungsgebiet vor Helgoland zu erlassen. Trotz deutlicher Warnungen der Bundesregierung sowie kürzlich verkündetem Rückzug der Bundeswehr hält Kiel weiterhin an der Fischerei im Gebiet fest - und schiebt nun Zuständigkeitsfragen vor. Müssen erst Menschen schwer beeinträchtigt werden, bevor sich das Ministerium deutlich für den Schutz seiner Fischer einsetzt?
1949 wurden auf Anweisung der britischen Militär-Administration rund 90 Tonnen Tabun-Granaten etwa 4 Kilometer südlich von Helgoland in 50 m Wassertiefe versenkt. Das Gebiet ist auf amtlichen Seekarten als Gefahrengebiet für die gesamte Schifffahrt ausgewiesen. Die Bundeswehr hat vor Kurzem als Reaktion auf die gestiegene Gefährdung eine deutliche 'Fleet-Nav-Warnung' an die Flotte herausgegeben, Marine-Einheiten befahren ab sofort die Fläche nicht mehr, Torpedo-Abwürfe sind im nun dauerhaft von der Bundeswehr aufgegebenen Übungsgebiet eingestellt, die Bundesregierung empfiehlt dringend die Sperrung der Flächen auch für die Fischerei - nur das schleswig-holsteinische Fischereiministerium lehnt es trotz Aufforderung durch den Bund weiterhin ab, ein Fischereiverbot zu verhängen. Es sieht sich nach Informationen der Verbände nicht in der Zuständigkeit - lässt aber auch keinerlei Eifer darin erkennen, sich für den dringend notwendigen Schutz der Fischer einzusetzen.
Für die Naturschutzverbände ist das Verhalten inakzeptabel: der von Schleswig-Holstein initiierte Kompetenzstreit zwischen Land und Bund - das Ministerium in Kiel sieht sich zwar zuständig für die Fische, nicht jedoch für die Fischer - wird auf Kosten letzterer ausgetragen. Sollte sich Kiel weiterhin weigern, die Sperrung auszusprechen, fordern GRD, GSM und NABU die Bundesregierung auf, das Kieler Ministerium dazu anzuweisen, um einen Schaden für Leib und Leben abzuwenden.
Hintergrund
Insbesondere Fischer sind durch die Giftgas-Granaten extrem gefährdet. Durch Schleppnetze oder bei Ankermanövern können diese an die Oberfläche gelangen. Die versenkten Granaten enthalten das Kampfmittel ‚Tabun‘. Dieser Nervenkampfstoff wird über die Haut und die Atmung aufgenommen. Im Körper blockiert das Nervengift die Übertragung von Reizen an den Nervenzellen. Je nach Stärke der Vergiftung kommt es zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Krämpfen, Atemnot, Angstzuständen, Verwirrtheit, Bewusstlosigkeit und Tod durch Atemlähmung. Nervenkampfstoffe wirken bereits in kleinsten Mengen tödlich. Nur ein Ganzkörperanzug und eine Maske mit Atemfilter bieten ausreichenden Schutz vor der gefährlichen Substanz.
Der Kampfstoff tritt mittlerweile unkontrolliert aus den durchgerotteten Behältern aus. Im Meerwasser ist Tabun jedoch löslich und wird über nur wenige Schritte zu anderen organischen Verbindungen abgebaut, die in der Nordsee natürlich vorkommen. Nur an der Luft, etwa beim unbeabsichtigten Aufnehmen von Granaten in Schleppnetzen, verbreitet die Substanz ihre unheilvolle Wirkung.
Kontakt
Ingo Ludwichowski, NABU Schleswig-Holstein, Tel. 0160-96230512
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