NABU fordert: Fehler korrigieren statt ignorieren
Landesregierung verpasst Chance zur Anpassung der Landesjagdzeitenverordnung
Was haben Mauswiesel und Dachs, Nonnengans und Höckerschwan, Elster und Lachmöwe gemeinsam? Richtig: Im Jahr 2005 erließ das Landwirtschaftsministerium eine neue Landesjagdzeitenverordnung, mit der die Jagd auf diese Arten wieder zugelassen oder zeitlich stark ausgeweitet wurde. Der engagierte Protest in der Öffentlichkeit konnte das unsinnige Töten nicht stoppen.
Im Schneewinter 2010 machen sich viele Bürgerinnen und Bürger Sorgen um auf Äckern und an Gewässern hungernde Vögel - doch wurden seit 2006 mehr als 1.700 Höckerschwäne und mehr als 3.300 Blessrallen - denen vor allem die Fütterungen gelten - vollkommen sinnlos getötet. Niemand isst die Tiere, keinem fügen sie ernsthafte Schäden zu - weshalb werden sie dann überhaupt zur Jagd freigegeben?
Eine Änderung der Verordnung ist nicht in Sicht, das Umweltministerium MLUR hat sie still und heimlich verlängert. Der NABU zieht traurige Bilanz.
Heftig war im Jahr 2005 die Kritik von Naturschutzverbänden wie dem NABU am Rückfall in alte Zeiten, in denen Tierarten allein nach Nützlichkeits- und Schädlichkeitskriterien betrachtet und zum Abschuss freigegeben wurden. Bekannt war, dass vor allem Ministerpräsident Peter Harry Carstensen die maßlose Ausweitung der Jagdzeiten und die Neuaufnahme teils bedrohter Arten in die Liste der jagdbaren Tiere protegierte und seinen Jagdgenossen damit sein versprochenes Wahlgeschenk machte.
Starke politische Bedenken nicht nur der Opposition, sondern auch bis weit ins Spektrum der Regierungspartei SPD, konnten ebenfalls nicht verhindern, dass die unsinnige Verordnung Ende 2005 in Kraft gesetzt wurde. Die Behauptung, dies alles in Anpassung an die entsprechende Verordnung des Bundes vornehmen zu müssen, erwies sich als haltlos. Liegen landesspezifische Gründe vor, ist ein Abweichen - wie in anderen Bundesländern seit langem praktiziert - rechtlich möglich.
Als Folge der Verordnung, die nun bereits seit fünf Jahren die Jagd auf unsinnig viele Tierarten rechtlich möglich macht, wurden laut den Jagd- und Artenschutzberichten des MLUR beispielsweise erschreckend hohe Zahlen an Schwänen, Möwen und Wieseln getötet - und zwar ohne den tierschutzrechtlich geforderten 'vernünftigen Grund' - wie eine Auswertung des NABU zeigt. Der ökologische Nutzen der Verfolgung von Tierarten wie Mauswiesel und Dachs, Blessralle und Höckerschwan, Lachmöwe und Elster wurde bis heute vom MLUR nicht belegt. Selbst gesetzte Ziele bei Neubürgern wie das Eindämmen des Bestandanstiegs beim Marderhund oder bei der Nilgans wurden trotz stetig steigender Abschusszahlen erkennbar nicht erreicht.
Einige der betroffenen Tiere wie manche Möwenarten gehen dabei deutlich im Bestand zurück. Bedrohte Arten wie Singschwan, Zwerggans oder Schwarzkopfmöwe geraten ins Visier der Jagd, da sie von vielen Jägern nicht von zum Abschuss freigegebenen Arten unterschieden werden. Erschossene Tiere bleiben ungenutzt, werden anschließend schlicht weggeworfen oder vergraben - Jagd als reiner Schießsport auf die lebende Zielscheibe. Kaum ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen scheint aktuell, dass zwar gerade in diesem strengen Winter viele Schwäne und Bleßrallen an den Gewässern hungern, um die sich besorgte Bürger nun bemühen, jedes Jahr aber Hunderte dieser Vögel ohne einen vernünftigen Grund abgeschossen werden.
Übersicht über die Zahl der seit 2006 getöteten Tiere ('Strecke') ausgewählter Arten (Quelle: Jagd und Artenschutzberichte MLUR) | ||
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Art | Strecke ab 2006 | Bemerkungen |
Mauswiesel |
2005/06: 175 2006/07: 139 2007/08: 289 2008/09: 270 Tötungen gesamt: 873 |
Bis 2005 ganzjährig geschützt, keine Verwertung, kein vernünftiger Grund für das Töten; ebenso: Hermelin (2.715 getötete Tiere) |
Steinmarder |
2005/06: 4.647 2006/07: 4.383 2007/08: 4.450 2008/09: 4.444 Tötungen gesamt: 17.924 |
Trotz hoher Tötungszahl bleibt der Bestandsverlauf unbeeinflusst, kaum Verwertung, kein vernünftiger Grund für das Töten. Ebenso: Baummarder (1.987 getötete Tiere) |
Dachs |
2005/06: 1.829 2006/07: 2.004 2007/08: 1.866 2008/09: 1.726 Tötungen gesamt: 7.425 |
Keine Verwertung; kein vernünftiger Grund für das Töten. Ebenso: Iltis (8.961 getötete Tiere) |
Waschbär |
2005/06: 16 2006/07: 16 2007/08: 29 2008/09: 43 Tötungen gesamt: 104 |
Für den im Vergleich zum Marderhund schwachen Anstieg des Bestandes zeichnen wahrsch. ökologische Faktoren verantwortlich, nicht der Jagddruck. |
Marderhund |
2005/06: 203 2006/07: 276 2007/08: 538 2008/09: 736 Tötungen gesamt: 1.753 |
Trotz stetig steigender Tötungszahl steigt auch der Bestand des Marderhundes ständig an. Selbst gestecktes Ziel der 'Eindämmung' wird nicht erreicht. Gilt auch für Nilgans (448 getötete Tiere) |
Höckerschwan |
2005/06: 340 2006/07: 484 2007/08: 404 2008/09: 473 Tötungen gesamt: 1.701 |
Bis 2005 ganzjährig geschützt, verfolgt als 'Schädling'. Zahl der getöteten, geschützten Sing- und Zwergschwäne unbekannt. |
Lachmöwe |
2005/06: 280 2006/07: 199 2007/08: 315 2008/09: 223 Tötungen gesamt: 1.017 |
Bis 2005 ganzjährig geschützt, Brutbestände weiterhin abnehmend, kein vernünftiger Grund für das Töten. Ebenso: Herings- (145 getötete Tiere), Mantel- (195), Silber- (2.148) und Sturmmöwe (494). |
Nonnengans |
2005/06: 627 2006/07: 610 2007/08: 570 2008/09: 614 Tötungen gesamt: 2.421 |
Bis 2005 ganzjährig geschützt, unter besonderem Schutz der EU- Vogelschutzrichtlinie, SH einziges Bundesland mit regulärer Jagdzeit. Wirtschaftliche Schäden als Begründung auch für das Töten von Saat- (139), Kanada- (2.395), Bless- (1.406) und Graugans (28.075 getötete Tiere). |
Elster |
2005/06: 3.427 2006/07: 5.002 2007/08: 5.859 2008/09: 5.325 Tötungen gesamt: 19.613 |
Bestände im Siedlungsbereich trotz hoher Abschusszahl weitgehend stabil, in der Feldflur teils starke Abnahmen; kein positiver Effekt der Tötungen auf Bestände anderer Vogelarten nachweisbar. Kein vernünftiger Grund für das Töten. Ebenso Rabenkrähe (69.526 getötete Tiere). |
Ignorieren statt korrigieren
Offenbar in Kenntnis der fachlich dünnen Grundlage hat das MLUR vor kurzem still und heimlich die Landesjagdzeitenverordnung verlängert, die am 31. März 2010 ausgelaufen wäre, ohne eine einzige der dringend notwendigen und seit längerem erkennbar gebotenen Korrekturen vorzunehmen. Eine Evaluation der Auswirkungen der drastisch ausgeweiteten Jagdzeiten hat nicht stattgefunden. Der NABU hat dazu eine Übersicht erstellt, in denen das Ausmaß der Tötungen den Auswirkungen gegenübergestellt ist (s. Tabelle).
Statt 'korrigieren' steht bei der Landesregierung 'ignorieren' auf der Tagesordnung, wenn es um dringend notwendige Anpassungen der rechtlichen Grundlagen im Naturschutz geht. Dies zeigt sich nun nicht nur beim Landesnaturschutzgesetz, sondern auch in anderen Rechtsvorschriften wie der Landesjagdzeitenverordnung. Eine Evaluation der Auswirkungen des Abbaus von Naturschutzstandards findet nicht statt.
Der NABU fordert das MLUR erneut auf, die Landesjagdzeitenverordnung und weitere den Naturschutz betreffende rechtliche Regelungen zu überarbeiten und dabei wieder natur- und tierschutzgemäßen Kriterien als Maßstab für dringend notwendige Anpassungen mehr Gewicht zu geben.
ILu 17. Februar 2010
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