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Fledermäuse und A 20
Gut fünf Jahre nach dem Urteil zum A20-Abschnitt 3 bei Bad Segeberg erklärte der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) am 27. November 2018 auch den Planfeststellungsbeschluss für den Abschnitt 4 von Wittenborn bis zur A7 für „rechtswidrig und nicht vollziehbar“. Bei ihrer Urteilsverkündung rügten die obersten Verwaltungsrichter der Bundesrepublik erhebliche planerische Mängel. Als rechtswidrig wurden die ungenügende Beachtung des Wasserrechts und erhebliche Fehler beim Arten- und Biotopschutz bewertet. Trotz der Erkenntnisse aus dem ersten Segeberger Urteil ging es erneut auch um den unzureichenden Fledermausschutz. Wie konnte das passieren? Versuch einer Erklärung.
Trotz des deutlichen Urteils aus dem Jahr 2013 zu den Anforderungen beim Schutz der Fledermausarten beim Bau der A20 sind den Planern und Fachgutachtern des Landes Schleswig-Holsteins auch im Folgeabschnitt 4 wieder schwerwiegende Fehleinschätzungen und Planungsfehler unterlaufen. Vor allem die Fledermäuse des europaweit einmaligen FFH-und Fledermauslebensraums „Segeberger Kalkberghöhlen“ blieben erneut außen vor. Dabei hatten BUND und NABU im Beteiligungsverfahren genau dies bemängelt – erneut ohne Erfolg. Am Beispiel des Fledermausschutzes soll versucht werden, Fehler auch in den unzureichenden Planungshilfen des Landes darzustellen.
Falsche übergeordnete Weichenstellungen
Das A20-Planungsverfahren in Schleswig-Holstein wird bis heute unabhängig von jeweils amtierenden Ministern und Regierungen unter enormem politischem und zeitlichem Druck betrieben. Vorgabe ist es, so schnell wie möglich befahrbare Autobahn-Kilometer fertigzustellen. Daher erreichen die vorlaufenden Untersuchungen und Prüfverfahren jedoch nicht immer den erforderlichen fachlichen Standard, mit Konsequenzen: So steigen durch ständige Nachbesserungen und Berechnungen Zeitbedarf und Kosten weiter an. Dabei geht es nicht nur um Naturschutzbelange: Eine in ihrer Mächtigkeit nicht ausreichend erkannte Moorlinse zwischen Lübeck und Bad Segeberg provoziert einen teuren Rechtsstreit zwischen Baufirma und Land. Der Freiwilligen Feuerwehr der Gemeinde Kollmar mit 1.800 Einwohnern mutet man im Falle des A20-Elbtunnels zunächst die Aufgaben einer Berufsfeuerwehr plus Portalwache zu. Noch im Verfahren sagte hier das Land Verbesserungen zu, wie bereits in zahlreichen anderen Sachbelangen, die erst nach deutlichen Hinweisen der RichterInnen während der Verhandlungen vor Gericht korrigiert wurden.
In der Folge werden die Kosten für die gesamte A 20- Strecke in Schleswig-Holstein jetzt um viele Mio. Euro teurer, da zudem alle Abschnitte von der DEGES rechtssicher untersucht und alle Bauwerke neu berechnet werden müssen. Ähnliches gilt für den EU-rechtlich gesicherten Natur- und Umweltschutz. U.a. wegen mangelhaften Kartierungen naturschutzrelevanter Tier- und Pflanzenarten und daraus resultierenden Fehleinschätzungen bei der Schutzbedürftigkeit sowie fehlkalkulierten Minimierungs- und Ausgleichsmaßnahmen scheitern die Verkehrsminister des Landes Schleswig-Holstein regelmäßig und parteiübergreifend beim Weiterbau der A 20.
Schuld daran tragen jedoch in den Augen mancher Teile der Bevölkerung, einiger Politiker, mancher Journalisten und Teilen der Wirtschaft leider immer wieder die aber höchstrichterlich bestätigt zurecht klagenden Naturschutzverbände – und medienwirksam aufbereitet die jeweils betroffene Tier- oder Pflanzenart. Fledermäuse werden so für manche Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein zu „Problemtieren“, die angeblich einen zügigen Autobahnausbau verhindern. Die teils katastrophalen Planungsmängel der ausführenden Behörden und Gutachterbüros werden hingegen kaum kritisch betrachtet und hinterfragt. Dabei haben sich in beiden Gerichtsverfahren zum Abschnitt 3 und 4 der A20 vor allem diese massive Fehler zuschulden kommen lassen.
Fledermäuse und A20
Im A20 Abschnitt 3 bei Bad Segeberg, in unmittelbarer Nähe zum Fledermausmassenquartier „Segeberger Kalkberghöhlen“ mit rund 30.000 überwintern- den Fledermäusen aus sieben Arten, kam man seitens der Gutachter ursprünglich zur Einschätzung, deren Arten müssten überhaupt nicht untersucht werden. Man trage dem gesetzlichen Schutz der Tiere mit dem Konstrukt einer „Potential-Betrachtung mit Worst-Case-Ansatz“ gebührend Rechnung: Für die Fledermäuse sei der gesamte Planungsraum wichtig. Deshalb – so der fachlich zweifelhafte Ansatz – schütze man die Tiere am besten, wenn man die Autobahn mit Lärmschutzwänden umgebe und Brückenbauwerke, die ohnehin aufgrund der Gelände-Topographie oder als Fußgängertunnel und Fahrradbrücke erforderlich seien, kurzerhand zu „Fledermausquerungshilfen“ erkläre. Auch das von den RichterInnen zu Rate gezogene Bundesamt für Naturschutz (BfN) bekräftigte fachliche Bedenken des NABU gegen diese „Light“-Versionen. Mit dieser Haltung, die jahrelang vorgetragenen Bedenken zu ignorieren, scheiterte das Land dann grandios.
Obwohl bis heute Land und DEGES daran arbeiten, für den Abschnitt 3 der Autobahn eine vernünftige Lösung zu präsentieren, und dazu diverse Gespräche mit BUND und NABU führten, wurde das kurz vor der letzten Landtagswahl von der Küstenkoalition gestartete, mit ähnlichen Fehlern behaftete Planfeststellungsverfahren für den folgenden Abschnitt 4 fortgeführt – selbst gegen den Rat eigener Fachleute. Dabei hätte man das Verfah- ren auch aussetzen und die offensichtlichen Mängel beheben können – und das Land Schleswig-Holstein hätte sich eine erneute Niederlage erspart.
Unzureichende Fledermaus-Planungshilfe des Landes
Doch wie begründet sich die Kritik im Detail? Ein wichtiger Streitpunkt beim jüngsten Gerichtsverfahren war der allgemeine Artenschutz, aber auch der FFH-gebietsbezogene Schutz der durch diesen Planungsraum zum Kalkberg an- und ab- wandernden Fledermausarten. Die landeseigene „Arbeitshilfe Fledermäuse und Straßenbau – Arbeitshilfe zur Beachtung der artenschutzrechtlichen Belange bei Straßenbauvorhaben in Schleswig-Holstein“ des Landesbetriebes Verkehr aus dem Jahr 2011 war dabei maßgeblich, die Kritik daran deutlich und angebracht. Zunächst stimmig erklärt sie: „Die Bestandsdaten sind das Kernstück der artenschutzrechtlichen Prüfung. Die Daten der Bestandserfassung müssen es ermöglichen, alle artenschutzrechtlichen Konflikte zu erkennen, alle notwendigen Maßnahmen zu begründen und diese Maßnahmen abschließend zu konzipieren.“ Doch die Planungsbehörde versuchte nie, diesem durchaus richtigen Leitsatz zu folgen.
Schon im folgenden Textteil beginnen die fachlichen Defizite. „Ziel der Bestandserfassungen ist es, alle entscheidungsrelevanten Informationen zu erheben. Gleichzeitig sollen keine überflüssigen (im Sinne von „nicht entscheidungsrelevanten“) Daten erhoben werden. Die Bestanderfassungen sollten sich immer an dem Grundsatz „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“ orientieren. Dabei ist in Regionen mit umfangreichem Arteninventar und hoher Siedlungsdichte (z. B. in Ostholstein) grundsätzlich von einem höheren Erfassungsaufwand auszugehen als in gering besiedelten Gebieten (z. B. in den offenen Marschen).“ Schon hier wird der Versuch erkennbar, den Untersuchungsumfang von Fledermausgutachten möglichst gering zu halten. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, warum der Erfassungsaufwand in einigen Regionen des Landes höher sein soll als in anderen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist das Artenspektrum zwar in den offenen Marschen oder auf einer Nordseehallig deutlich kleiner als im ostholsteinischen Hügelland. Doch bedarf es auch hier für die wenigen Arten einer exakten Analyse der planungsrelevanten Untersuchungspunkte (Quartiere, Jagdreviere, Flugstrassen, Wanderkorridore etc.), welche immer denselben Basisanteil an Untersuchungen und Untersuchungstagen im Laufe eines gesamten Kalenderjahres nach sich ziehen müssen.
LBV-Arbeitshilfe Fledermaus und A20
Im Abschnitt 4 wurde trotz der hohen Wertigkeit des Gebietes kein Methodenmix angewandt, beide nach der LBV-Arbeitshilfe gewählten akustischen Erfassungsmethoden (mobile und stationäre Detektorarbeit) bevorzugen bzw. benachteiligen manche Fledermausarten. Kritik übten BUND und NABU auch an der Beschränkung auf nur vier Begehungen in der Zeit von Ende Mai bis Ende Juli, statt wie laut anderer fachlicher Erfassungsempfehlungen notwendig auf die Zeit von (März) April bis September (Oktober). Im Falle der A20 hielt sich das Land nicht einmal an die eigenen Vorgaben. Ausschließlich untersucht wurde so die Wochenstubenzeit der Fledermäuse. Frühjahrs- und Herbstwanderung blieben unbearbeitet, Teich-, Bechstein- oder Große und Kleine Bartfledermaus wurden wohl gar nicht erkannt, obwohl deren Vorkommen sehr wahrscheinlich ist. Gleichzeitig verschwanden mutmaßlich wichtige Jagdgebiete und Flugrouten aus der Betrachtung. So war auch keine begründete Aussage zu den vermuteten An- und Abwanderungskorridoren der Segeberger Kalkberghöhle möglich. Dieses hätte aber im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung erfolgen müssen, wie das Leipziger Bundesverwaltungsgericht den Naturschutzverbänden bestätigte. Diese und weitere Mängel müssen jetzt im Zuge der „Fehlerheilung“ behoben werden.
„Um die Auswirkungen eines Projektes zu beurteilen, muss die Bestandssituation der Fledermäuse vor seiner Umsetzung erfasst werden (Erfassung der „Ist-Besiedlung"). Die Ist-Besiedlung der Fledermäuse lässt sich in der Regel anhand der Parameter Artenspektrum, Häufigkeit der einzelnen Arten und Raumnutzungsmuster der lokalen Populationen beschreiben. Die Daten sind grundsätzlich auf Artniveau zu erfassen.“ Hier lässt sich zunächst zustimmen. Allerdings gibt die Arbeitshilfe dann unter Pkt. 3.2.1 eine Standardmethode vor, die aus fachlicher Sicht vom Methoden- und Zeitumfang her viel zu gering angesetzt wurde und damit von vornherein die Gefahr in sich birgt, dass die Gutachterbüros damit eine viel zu geringe Datengrundlage erheben. In der Folge ergeben sich daraus weitere Fehler in der Beurteilung der Betroffenheiten und deren Lösungen.
Die Standarduntersuchungsmethode des LBV-SH nimmt also schon im ersten Schritt viele planungsrelevante Aspekte aus einem fachlich angemessenen Untersuchungsdesign heraus. So fehlt die Erfassung der Fledermauswanderungen im Frühjahr und Spätsommer/Herbst vollständig, ebenso die für Balz- und Paarungsquartiere. Weiterhin wird die Auswahl der Erfassungsmethoden wider jeder fachlichen Erkenntnisse beschränkt und der Einsatz von üblichen Nachweismethoden wie Netzfang und Telemetrie unnötig erschwert. Damit erfolgt aus Sicht des NABU eine unzulässige Veren- gung einer fachlich nach dem besten wissenschaftlichen Stand ausgerichteten Untersuchung eines Planungsgebietes auf seinen Fledermausbesatz hin.
Laut Arbeitshilfe könnten bestimmte Fragestellungen „im Einzelfall“ durch zusätzliche Sonderuntersuchungen geklärt werden. Allerdings verbreiten die Begriffe „im Einzelfall“ und „Sonderuntersuchungen“ den unzutreffenden Eindruck, derartiges sei nur in den seltensten Fällen angebracht. Hier besteht latent die Gefahr, dass zum einen die Auftraggeber solche „Sonderuntersuchungen“ per se für nicht angemessen halten und aus Kostengründen streichen oder möglichst gering halten, und andererseits die entsprechenden Gutachterbüros aus einer ähnlichen Sicht heraus solche Positionen in ihren Angeboten gar nicht erst vorsehen. Nach Beobachtungen des NABU ist es dann sehr schwer, in einem späteren Stadium einer Planung noch Nachuntersuchungen bewilligt zu bekommen.
Wenn man als Land in einer Arbeitshilfe – grundsätzlich begrüßenswert – eine Standarduntersuchung vorschlägt, sollte sich diese an den besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren, um fachlich und rechtlich Bestand haben zu können. Keinesfalls darf diese Standardmethode aber selbst zu fachlich nicht haltbaren Einschränkungen führen. Da sich der Erkenntnisstand zu den einzelnen Fledermausarten fortlaufend erweitert und bzgl. der Erfassungstechnik, Maßnahmenpaketen etc. immer wieder neue Erkenntnisse hinzukommen, muss eine Arbeitshilfe auch beständig evaluiert und aktualisiert werden.
Welche Aspekte sind bei der Planung von großen Straßenprojekten nun zu ermitteln? Brinkmann et al. (2012) formulieren in „Planung und Gestaltung von Querungshilfen für Fledermäuse. Eine Arbeitshilfe für Straßenbauvorhaben im Freistaat Sachsen“ folgende Anforderungen: „Für die Beurteilung möglicher Auswirkungen einer Straßenneu- oder -ausbaumaßnahme auf die Fledermauspopulationen eines Raumes ist eine genaue Bestandsaufnahme der vorkommenden Arten, der von ihnen genutzten Teillebensräume sowie der funktionalen Beziehungen zwischen diesen erforderlich. Folgende Fragen müssen dazu beantwortet werden:
- Wo kommen welche Fledermausarten im potenziellen Wirkungsbereich der Straße vor?
- Wie wird die Landschaft im Untersuchungsraum von den vorkommenden Arten konkret genutzt?
- Wo befinden sich Wochenstuben, Einzelquartiere, Jagdhabitate, Winterquartiere und wo die verbindenden Flugwege?
- Welche saisonalen Aspekte wurden bei der Bestandserfassung berücksichtigt?
- In welcher (relativen) Häufigkeit kommen die einzelnen Arten vor?
- Welche Auswirkungen ergeben sich durch den Eingriff in Bezug auf Funktionszusammenhänge (Querung von Flugwegen, Zerstörung oder Beein- trächtigung von Jagdhabitaten und Quartieren z. B. in Bäumen, Gebäuden oder Brücken)?
- Welche Auswirkungen sind in Bezug auf die lokalen Populationen der einzelnen Arten zu erwarten?
Auch in der Auswahl der Untersuchungszeiten, der Untersuchungsräume usw. gehen andere Arbeitshilfen deutlich weiter als das schleswig-holsteinische Papier. Der wissenschaftliche Stand im Hinblick auf die anzuwendenden Methoden bei einer Basisuntersuchung ist der sogenannte „Methoden-Mix“. Um alle Fledermausarten, vor allem die durch den Straßenverkehr besonders betroffenen, sauber zu erfassen, müssen akustische Verfahren (Detektorkartierungen und der Einsatz von automatischen Echtzeitruferfassungseinheiten) ggf. mit Methoden wie „Netzfang“, „Telemetrie“, „Wärmebildverfahren“ usw. je nach Fragestellung kombiniert werden.
Von vielen dieser Punkte ist die LBV-SH-Arbeitshilfe weit entfernt, obwohl die Naturschutzverbände schon seit Jahren im A 20-Planungsverfahren deutliche Kritik daran übten. Da die jetzige Fassung, die seit 2011 trotz zahlreicher neuer Erkenntnisse und einiger Gerichtsurteile nicht mehr aktualisiert wurde, große Defizite aufweist und dabei in entscheidenden Punkten keinerlei wissenschaftliche Grundlage vorweisen kann, fordert der NABU nachdrücklich ihre Überarbeitung.
SLü 18. Dezember 2018