Pressemitteilung und Hintergrund zur Klage von NABU, BUND und LNV
Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht zum Planfeststellungsbeschluss für die Elbquerung der A20
Neumünster, Kiel, 28. April 2016: Die Naturschutzverbände in Schleswig-Holstein, der BUND Schleswig-Holstein, der Landesnaturschutzverband Schleswig-Holstein (LNV) und der NABU Schleswig-Holstein stellen anlässlich der heutigen Entscheidungsverkündung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Verfahren Elbquerung-A20 fest:
Die Verbände stellen mit Befriedigung fest, dass das heutige Urteil zu ihren Gunsten ausgegangen ist, obwohl das beklagte Land in der mündlichen Verhandlung zahlreiche auch gravierende Änderungen des Planfeststellungsbeschlusses vornehmen durfte, und damit im buchstäblich letzten Moment der Kritik der Kläger gefolgt ist.
Das Bundesverwaltungsgericht ist der Kritik der Verbände an der Missachtung der Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie gefolgt und hat deshalb den Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt. Die Ausführungen des Gerichts zeigen auch, wie wichtig die Öffentlichkeitsbeteiligung für solche Verfahren ist. Diese Öffentlichkeitsbeteiligung muss nun nachgeholt werden. Sie ist unabdingbar, um die Qualität solcher Verfahren zu gewährleisten. Nun muss vorher der fragliche Fachbeitrag auch erst neu erarbeitet werden.
Ähnlich wie bei der FFH-Richtlinie wird von der Landesregierung die konsequente Umsetzung der seit 2000 geltenden EU-Wasserrahmenrichtlinie missachtet. Dem für die Planfeststellung verantwortlichen Landesbetrieb für Verkehr ist dabei weniger der Vorwurf zu machen als der Landespolitik, die bis zum Urteil zur Weservertiefung im letzten Jahr die klar ausformulierten Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie einfach nicht ernst genommen hat.
Gleichwohl sind die Verbände von der Entscheidung des Gerichtes überrascht. Nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung war durchaus damit zu rechnen, dass das Bundesverwaltungsgericht noch weiter gehende Mängel der Planung aufgreifen würde. Einige dieser Fragen gerade zum wichtigen Bereich des Naturschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht zur Lösung in den Folgeabschnitt verschoben. Die Verbände warten hier mit Spannung auf die Lösungsvorschläge der Verwaltung.
Urteil
BVerwG 9 A 10.15: (Urteil vom 28. April 2018)
Pressekontakt
NABU: Ingo Ludwichowski, NABU-Landesgeschäftsführer, Mobil 0160-96230512, Ingo.Ludwichowski@NABU-SH.de
BUND: Ole Eggers, Diplom-Biologe, BUND-Landesgeschäftsführer, Tel. 0431 66060-60, Mobil 0178 6350719, ole.eggers@bund-sh.de
LNV: Michael Ott, LNV-Geschäftsführer, Tel. 0431 93027, mobil 0163-3143374, mott@lnv-sh.de
Hintergrund
Leipzig, Neumünster, Kiel 28. April 2016, 8.30 Uhr
Zum besseren Verständnis der heute (28. April 2016, 9.30 Uhr) zu erwartenden Kurzbegründung im Verkündungstermin des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Entscheidung „A20-Elbtunnel“ erläutern die klagenden Umweltverbände (BUND-SH, LNV, NABU-SH) die wichtigsten Problemkreise des Klageverfahrens. Ob sich das Gericht zu diesen Punkten umfänglich äußern wird, ist offen. Eine Kommentierung der Aussagen des Gerichts wird erst nach der Verkündung erfolgen.
Allgemeine Anmerkungen
Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in der mündlichen Verhandlung den Planfeststellungsbeschluss zur Elbquerung der A20 für rechtswidrig festgestellt, weil europäisches Wasserrecht nicht ausreichend eingehalten wurde. Das Gericht kritisierte, dass ein Bericht über die Auswirkungen des Tunnelbaus auf die Qualität des Grund- und des Oberflächenwassers in der Elbe erst während des Klageverfahrens nachgeliefert und ohne Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt ist. Die Äußerungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), wie sie während der mündlichen Verhandlung gefallen sind, sind ein wichtiger Teilerfolg.
Die Planung wirft jedoch eine Reihe weiterer für den Umwelt- und Naturschutz wichtige Fragen auf, bei denen die Verbände ebenfalls auf Klarstellungen durch das Bundesverwaltungsgericht hoffen. Aus Sicht der Verbände wäre es enttäuschend, wenn das Gericht in keinem der weiteren Punkte seiner Auffassung folgen würde. Für alle weiteren Klagestreitpunkte ist mit Ausnahme der Problemlage "Wasserrahmenrichtlinie" vor der Verkündung weitgehend offen, wie sich das Gericht entscheiden wird.
Problempunkt „Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)“
Bereits entschieden hat das Gericht, dass die Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie unzulänglich abgearbeitet wurden und hier Nachbesserungen erforderlich sind. Es ist zu erwarten, dass der Planfeststellungsbeschluss wegen dieses Punktes für rechtswidrig erklärt wird. Dies wird von den Verbänden begrüßt.
Die Verbände betonen jedoch, dass die hier gebotene Kritik an der Planung weniger gegen den Landesbetrieb für Straßenbau und Verkehr (LBV), als gegen die (Umwelt-)Politik des Landes insgesamt zu richten ist. Wichtige Schritte zur Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie sind in den 15 Jahren seit ihrem Bestehen nicht erfolgt. So hat das Land während des Prozesses erklärt, über kein geeignetes Verfahren zur Bewertung der Fischfauna in Marschgewässern zu verfügen. Die von den Verbänden kritisierte Regelung zu den Prozesswassereinleitungen in die Elbe, die vom Gericht in der vorgelegten Form nicht akzeptiert wurde, beruht ausdrücklich auf Vorgaben der Umweltbehörden.
Insgesamt wird es nicht damit getan sein, den vorhandenen Fachbeitrag zur Wasserrahmenrichtlinie öffentlich auszulegen. Vielmehr wird dieser Fachbeitrag auf der Grundlage neuer, noch anzustellender Untersuchungen (Wasserqualität, Fischfauna, sonstige biologische Faktoren), grundlegend zu überarbeiten sein.
Problempunkt „Naturschutz“
Die Verbände haben umfassend und intensiv die Umweltpolitik des Landes zum Schutz von Rastvögeln und bei den Fischarten der Marsch gerügt, die im Bereich der A20-Elbquerung einige erhebliche Mängel aufweist („Gebietsschutz“). Das Gebiet, in dem der Tunnelmund liegt, hat nach Auffassung der verbände die Qualität eines international bedeutsamen Rastplatzes für die Nonnengans. Zudem ist das Grabensystem der Kollmarer und Kremper Marsch („Wettern“) als FFH-Gebiet für die Fischarten Schlammpeitzger und Bitterling von herausragender Bedeutung im Land. Die Ausweisung dieser Gebiete wäre bereits bei der Linienfindung der A20 zwingend gewesen.
Wie das Gericht dies bewertet, wurde in der mündlichen Verhandlung nicht deutlich.
Die Verbände hoffen, dass das Gericht dem Land deutliche Hinweise zur Überarbeitung von europäischen Schutzgebieten in Schleswig-Holstein, speziell für den Planungsraum der A20, gibt. Ebenso zu hoffen ist auf eine Aussage des Gerichts, wonach der Fortgang der A20-Planung an die Überarbeitung der Ausweisungen der Gräben der Kremper Marsch gebunden wird.
Auch in diesem Verfahren, wie in allen anderen Abschnitten der A20, gibt es Fledermausprobleme.
Wie sich das Gericht zum Vortrag der Verbände betreffend die Mängel der Bearbeitung der Fledermausproblematik äußert, bleibt abzuwarten. In der Verhandlung ging es um die Grundfragen der Untersuchungsmethodik in (scheinbar) leer geräumten Landschaften und die Bewertung des Fledermauszuges an der Elbe.
Die Antwort auf diese Fragen hängt teilweise davon ab, wie weit Umweltauswirkungen im A20-Folgeabschnitt nach Norden schon jetzt im Tunnelabschnitt berücksichtigt werden müssen. Dies ist für sich eine der spannendsten Frage, deren Antwort in der vorliegenden Fallkonstellation offen ist.
Problempunkt „Klima“
Das Land hat die Auffassung vertreten, dass die Auswirkungen des Baus und des Betriebs der A20 auf den Klimawandel im Rahmen der Planfeststellung nicht zu prüfen waren. Die Frage ist nicht zuletzt deshalb bedeutsam, weil allein der Bau des Tunnels wegen seiner erheblichen Materialverbräuche einen Einfluss auf den Klimawandel hat. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 und vom Umweltbundesamt wird die A20 v.a. wegen der enormen Klimarelevanz als umweltschädlichstes Verkehrsprojekt in Deutschland eingestuft. Das Umweltbundesamt fordert inzwischen die Herausnahme der A20 zwischen Westerstede und Hohenfelde (einschließlich des Elbtunnels) aus dem Bundesverkehrswegeplan.
Die Verbände sind dem Land aus rechtlichen Gründen entgegengetreten, wobei auch eine Rolle spielt, dass die A20 Teil des transeuropäischen Netzes ist und deshalb einige besondere Umweltanforderungen der EU gelten, die das Land nicht in den Blick genommen hat.
Die Auffassung des Gerichtes hierzu ist nicht erkennbar gewesen, wenn gleich das Bundesverwaltungsgericht, allerdings der 4. Senat (vorliegend entscheidet der 9. Senat) im vorigen Jahr sich entsprechend der Meinung des Landes geäußert hat.
LNV, NABU, BUND 28. April 2016
Problempunkt „Bauphase“
Aufgrund der großen Abraummengen (etwa 5 Mio. Kubikmeter) beim Tunnelbau, die vollständig in Schleswig-Holstein entsorgt werden müssen, gibt es ein erhebliches Problem mit Umwelt-, insbesondere Lärmbelastungen, durch die Bauphase.
Anders als der Planfeststellungsbeschluss dies vorsieht, haben die Verbände ein spezifisches Bauphasen-Regelungskonzept für den Planfeststellungsbeschluss gefordert.
Nach den Äußerungen des BVerwG ist allerdings zu befürchten, dass es der Auffassung des Landes folgt, indem sich dieses ein Regelungskonzept (irgendwann vor Baubeginn) von der Planfeststellungsbehörde genehmigen lässt. Auch und gerade im Interesse der betroffenen Bevölkerung wäre dies bedauerlich.
Zwar es ist durchaus üblich, den Bauablauf nicht im Planfeststellungsbeschluss zu regeln. Für eine Baumaßnahme des vorliegenden Umfangs liegt jedoch eine Sondersituation vor. Bei anderen Tunneln, beispielsweise beim Rennsteigtunnel in Thüringen, sind zumindest einige spezifische Regelungen zum Bauablauf im Planfeststellungsbeschluss getroffen worden.
Aus diesem Grunde hat speziell der LNV im Rahmen der gerichtlichen Verhandlung noch einmal ausdrücklich den Antrag gestellt, dass die so genannten Baumassentransporte nicht über die vorhandenen Straßen, sondern entweder über die Trasse der zukünftigen A20 oder über die Elbe abtransportiert werden.
Problempunkt „zwei Tunnelhälften“
Das BVerwG hat mit den Klägern ausführlich die Frage diskutiert, ob der Tunnel in zwei Teilstücken geplant werden durfte. Die Verbände sind der Auffassung, dass für beide Tunnelhälften mindestens eine gemeinsame Umweltverträglichkeitsprüfung einschließlich einer Öffentlichkeitsbeteiligung hätte durchgeführt werden müssen. Auch sprechen gute Gründe für das Erfordernis eines gemeinsamen Planfeststellungsverfahrens und eines gemeinsamen Beschlusses. Hiermit verbunden ist, dass die europäischen Vorschriften ausdrücklich eine einheitliche Planung jedenfalls zum Teilbereich Tunnelsicherheit vorsehen. Im Weiteren stellt sich die Frage, ob die insoweit getroffenen Vereinbarungen zwischen den beiden Bundesländern nur im Wege von Staatsverträgen hätten getroffen werden dürfen, was aber nicht geschehen ist.
Den Äußerungen des Gerichts in der Verhandlung ließ sich nicht entnehmen, welcher Auffassung das Gericht zuneigt. Diese Fragen sind allesamt sehr bedeutsam. Würde das Gericht das Erfordernis einer gemeinsamen Umweltverträglichkeitsprüfung bejahen, müsste dies zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führen.
Da aus Sicht der Verbände die Teilung des Verfahrens in zwei Abschnitte dazu führt, dass Umweltaspekte durch eben diese Teilung eine zu geringe Gewichtung erfahren, würde es begrüßt, wenn das Bundesverwaltungsgericht sich für das Erfordernis einer gemeinsamen Umweltverträglichkeitsprüfung aussprechen würde.
Problempunkt „Netzverknüpfung in Niedersachsen“
Niedersachsen hat im Planfeststellungsbeschluss für seinen Tunnelabschnitt keine Anbindung an das Straßennetz vorgesehen. Dies wurde vom Gericht während der mündlichen Verhandlung als kritisch bewertet. Das Land hat daraufhin zu Gerichtsprotokoll erklärt, mit dem Bau des schleswig-holsteinischen Tunnelabschnitts solange zu warten, bis ein vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss vorliege für den Folgeabschnitt Nr. 7 Drochtersen-Elm. Hierbei handelt es sich um einen etwa 18 km langen Abschnitt mit vielfachen Bodenproblemen. Ein Planfeststellungsverfahren soll erst im kommenden Jahr eingeleitet werden.
Aus Sicht des Landesnaturschutzverbandes entsteht hiermit eine neue Verzögerung für den Bau des Elbtunnelabschnitts von mindestens 5 Jahren wegen der nötigen förmlichen Planverfahren. Außerdem begibt sich Schleswig-Holstein damit völlig in die Abhängigkeit von Niedersachsen, das mit einer Verzögerung seiner eigenen Planung verhindern kann, dass Bundesmittel für den A20 Elbtunnel (die sonst vielleicht für die A20 in Niedersachsen verwendet werden könnten) verbaut werden. Die neuen Verzögerungen machen die Realisierung des Gesamtprojektes jedenfalls immer unwahrscheinlicher. Im Übrigen ist derzeit nicht klar, ob das Gericht die Heilung der Problematik "Netzverknüpfung" durch die Protokollerklärung des Landes während der mündlichen Verhandlung für ausreichend hält.
Problempunkt „Tunnelsicherheit“
Fragen der Tunnelsicherheit wurden vom Gericht lange und intensiv erörtert. Die Verbände hatten gerügt, dass das Land effektiv ein Tunnel ohne Brandschutz plane, weil - unrichtiger Weise - unterstellt wurde, die kleine Gemeinde Kollmar könne und müsse den Brandschutz mittels ihrer Freiwilligen Feuerwehr gewährleisten. Auch wurde gefordert, für den Brandschutz wichtige Teile der technischen Innenausstattung bereits im Planfeststellungsbeschluss zu regeln. Es wurde der Einbau einer automatischen Brandbekämpfungsanlage (ABBA) gefordert.
Den Äußerungen des Gerichts zu diesem Themenkreis ist mit größter Spannung entgegen zu sehen.
Die Verbände hoffen auch im Interesse der Sicherheit etwaiger späterer Tunnelnutzer, dass das Gericht dem Land auferlegen wird, grundlegende Fragen der Tunnelsicherheit in technischer und personeller Hinsicht bereits im Planfeststellungsbeschluss zu regeln. Auch hier hat das Land seine Planung im Übrigen bereits geändert, indem, wie seit 2009 in der Planfeststellung vergeblich gefordert, nunmehr eine nach europäischem Recht notwendige (d.h. gegenüber dem Planfeststellungsbeschluss erhöhte) Anzahl von befahrbaren Querschlägen (=Querverbindungen als Rettungswege) zwischen den Tunnelröhren vorgesehen werden. Auch hier muss das Land übrigens warten, bis Niedersachsen nachzieht und diese ebenfalls in seine zu ändernde Planung übernimmt.
Ungeklärt geblieben ist die Frage der Standsicherheit des Tunnelbauwerks bei großen Bränden. Trotz der Änderungen der Planung in der gerichtlichen Verhandlung halten die Verbände es nicht für ausgeschlossen, dass das Gericht Fragen der Tunnelsicherheit dem europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Verbände würden dies begrüßen, da nur so eine Klärung vieler bedeutsamer, aber strittiger Rechtsfragen erfolgen kann, die übrigens auch eine Bedeutung für die Planung des Fehmarnbelttunnels haben werden.
Problematik Finanzierbarkeit
Das Gericht hat bereits während der Verhandlung deutlich gemacht, dass die Frage der Finanzierbarkeit auch für den "Sonderfall Elbtunnel A20" rechtlich keine Rolle spielen wird, da nur nach verfassungsrechtlichen Maßstäben (die aber nicht verletzt seien) geprüft werde. Die Verbände finden dies bedauerlich.
Für Erläuterungen nach der Verkündung stehen zur Verfügung:
Dr. Wilhelm Mecklenburg, anwaltlicher Vertreter des LNV - T. 04101-780325 / 0175-7749978
Rüdiger Nebelsieck, anwaltlicher Vertreter des BUND und NABU - T. 0172-4161842
Claudia Bielfeld, Vorsitzende BUND-SH, T. 0152 08813592
Dr. Henning Thiessen, stellvertretender Vorsitzender des LNV - T. 0431-93027
Hermann Schultz, Vorsitzender NABU-SH, T. 0177-2475220
Ole Eggers, Geschäftsführer des BUND-SH, T. 0178-6350719
Michael Ott, Geschäftsführer des LNV - T. 0163-3143374
Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des NABU-SH, T. 0160-96230512
Klage gegen A20 / Elbquerung eingereicht
Standards werden nicht eingehalten
NABU und BUND haben vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Klage gegen die Elbquerung der A20 bei Glückstadt eingereicht. Aus Sicht der beiden Naturschutzverbände erfüllt die Planung nicht die notwendigen Standards. Die seit 800 Jahren gewachsene, wertvolle Kulturlandschaft der dortigen Marsch ist ökologisch wertvoll u.a. für Wiesen- und Wasservögel, Amphibien und Fische. Deren Bedürfnisse wurden nach Ansicht der Kläger in der Planung nicht ausreichend berücksichtigt. Erneut wurden auch die Fledermäuse in diesem Abschnitt unzureichend erfasst und die Belange ihres Schutzes nicht in hinreichendem Maße gewichtet.
Darstellung des Vorhabens
Gegenstand der vorliegenden (beklagten) Planung ist der Neubau der A20 zwischen der Kreisstraße K28 (Niedersachsen, Landkreis Stade) und der Bundesstraße B431 (Schleswig-Holstein, Kreis Steinburg). Die Gesamtlänge der Baumaßnahme beträgt 12,28 km. Die Elbe soll mit einem 5,671 km (ohne Trogstrecken) langen Tunnel gequert werden. Der Tunnelvortrieb erfolgt von schleswig-holsteinischer Seite aus. Der Planfeststellungsbeschluss umfasst den schleswig-holsteinischen Teil von der Landesgrenze (Elbmitte) bis zur Anschlussstelle A20/B431, insgesamt also 3,99 km, davon 1,8 km Tunnellänge und 400 m Trogstrecke. Die Autobahn verläuft bis zur B431 in Dammlage (2m – 6m), ein 34,5m lange Brücke quert die Langenhalsener Wettern. Konfliktreich stellt sich der wenig tragfähige Untergrund und das komplizierte Be- und Entwässerungssystem der Elbmarschen dar. Eine mindestens 2-jährige Vorbelastung ist dazu geplant, um spätere Setzungserscheinungen zu vermeiden.
Die A20 ist im BVWP (Bundesverkehrswegeplan) 2003 als Nord-West-Umfahrung Hamburg mit vordringlichem Bedarf eingestuft. Damit ist der Bedarf „gesetzlich“ festgestellt. Die Nutzen-Kosten-Analyse der A20 westlich von Lübeck wird von den Klägern angezweifelt. Die geschätzten Tunnelkosten sind im Laufe der Planung bereits von 379 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro gestiegen.
Die A20 soll der Abwicklung überregionaler nordeuropäischer und nordosteuropäischer Verkehrsströme dienen, ist also überwiegend eine Transitautobahn. Sie ist Bestandteil des transeuropäischen Straßennetzes, gehört allerdings nicht mehr zum Kern-, sondern nur noch zum weiteren Netz. Sie soll den Elbtunnel im Zuge der A7 entlasten und die Westküste anbinden. Die Entlastung des Elbtunnels gilt jedoch als minimal, die Westküste ist bereits durch die A23 angebunden.
Geschichte der Planung
- 1998: Machbarkeitsanalyse (Aachener GA) – Eine hamburgnahe Umfahrung wird empfohlen.
- 2001: Uweltverträglichkeitsstudie I zur Linienbestimmung.
- 2002: Umweltverträglichkeitsstudie II zur Linienbestimmung- vertiefende Bestandserfassung und Bewertung, Auswirkungsprognose und Variantenvergleich (Kortemeier und Brokmann et al.). Die Varianten I 10, II 20 und III 34 (hamburgnah) werden untersucht.
- 2005: Die Variante I.10 (Glückstadt-Variante) wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung im Zuge des Linienbestimmungsverfahrens gemäß § 16 Fernstraßengesetz bestimmt - mit nicht tragfgähigen Begründungen wie einer angeblichen Stärkung des Achsenkonzeptes, geringer Beeinträchtigung der Agrarstruktur, unproblematische Ersatzlandbeschaffung, optimale Anbindung der Westküste etc. Bereits 1995 und 1999 gab es eine starke Präferenz des schleswig-holsteinischen Landtages für die Glückstadtvariante (Landtagsumdruck 14/3149, 3. März 1999). Ein politischer Einfluss auf das Linienbestimmungsverfahren liegt nahe.
- 2009: Erste Auslegung der Unterlagen zum Tunnelabschnitt. Erörterungstermine: 17., 19. und 26. Mai 2011.
- 2013: 1. Planänderung wegen zahlreicher Einsprüche, erneute Auslegung der überarbeiteten Planungsunterlagen. Erörterungstermin vom 29. Oktober bis 5. November 2013.
- 2014: Im November wegen notwendig gewordener weiterer Anpassungen Auslegung der 2. Planänderung, jedoch überraschend kein Erörterungstermin. Der Planfeststellungsbeschluss ergeht bereits am 30. Dezember 2014. Durch das beschleunigte Verfahren soll offensichtlich verhindert werden, dass das Vorhaben 'A20 mit Elbtunnel' erneut auf den Prüfstand kommt, wenn im Jahr 2015 der neue Bundesverkehrswegeplan (BVWP) aufgestellt wird. Da aus finanziellen Gründen die Chancen auf Realisierung des Projektes gegen Null gehen, handelt es sich jedoch rechtlich um eine unzulässige Vorratsplanung.
- 2015: NABU und BUND erheben wegen starker Bedenken Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Bedenken von NABU und BUND
Verkehr und Wirtschaftlichkeit
NABU und BUND halten den Bau der A20 durch die Kremper und Kollmarer Marsch mit Elbtunnel bei Kollmar/Glückstadt für verkehrswirtschaftlich und volkswirtschaftlich unsinnig – sonst hätte sich längst ein Investor für den Tunnelbau gefunden - und für ökologisch schädlich. Echte Alternativen wie der Ausbau der Fähre Glückstadt-Wischhafen oder die Einrichtung anderer Fährverbindungen sowie eine Ostumgehung Hamburgs wurden nicht ernsthaft geprüft. Ein stichhaltig begründeter Bedarf ist nicht erkennbar. An keiner Stelle werden 'langfristig realisierbare Wirtschaftsprojekte' bzw. ein 'realisierbares Wirtschaftswachstum' konkret beschrieben. Es werden nur vage Vermutungen formuliert. Unzureichende Verkehrsverhältnisse bzw. erhebliche Verkehrsprobleme, die durch eine AB gelöst werden könnten, gibt es in den Elbmarschen nicht.
Natur und Umwelt
Bei der Marsch handelt es sich um eine seit 800 Jahren gewachsene, wertvolle Kulturlandschaft, die auch für Wiesen- und Wasservögel, Amphibien und Fische bedeutsam ist. Ihre flache Prägung und die Weitläufigkeit sind von besonderer ökologischer, kulturhistorischer und landschaftsbildnerischer Bedeutung. Technogene Überformungen zerstören das sensible Landschaftsbild nachhaltig.
Erneut wurden wie im Verfahren A20 bei Bad Segeberg die Fledermausarten nur unzureichend erfasst und insbesondere die Überflugsituation falsch eingeschätzt. Die vorgesehenen Überquerungshilfen sind nach Ansicht des NABU nicht geeignet, das Kollisionsrisiko mit dem Straßenverkehr hinreichend zu senken. Auch auf die im Grabensystem vorkommenden, bedrohten Fischarten Bitterling und Schlammpeitzger wird zu wenig eingegangen bzw. die Existenz von Beständen, obwohl mehrfach auch in der Literatur und in Schriften von Landesbehörden selbst aufgeführt, geleugnet. Das Planungsgebiet ist zudem bis heute in hohem Maße als landesweit bedeutsame Rastfläche für bis zu 6.500 Nonnengänse, 1.800 Bleßgänse und rd. 50 Singschwäne anzusehen. Zudem brüten in der Nähe der Trasse zwei Paare Seeadler.
Besonders beeinträchtigt durch den mindestens sechs Jahre dauernden Bau des Tunnel- Abschnittes sind auch die Bewohner der Marsch und die Einwohner Glückstadts und Elmshorns, die v.a. durch den mindestens zwei Jahre dauernden Baustellenverkehr zum Abtransport des Tunnelaushubes (30 LKW/h zusätzlich) in unzumutbarer Weise durch Lärm, Erschütterungen und Schadstoffemissionen belastet werden.
Die Planer dieses Großprojektes stellen derzeit alle Eingriffe als kompensierbar dar. So sollen Kiebitze und Feldlerchen zum Borsflether und Wewelsflether Außendeich und zum Kremper Moor „umgeleitet“ werden. Der Verlust von Bodenfunktionen durch Versiegelung sowie die Fragmentierung des Landschaftbildes sollen durch einen sogenannten multifunktionalen Ausgleich ebenfalls dort ausgeglichen werden. Weitere naturschutzfachliche Kritikpunkte werden im Rahmen der Klagebegründung und im Verfahren noch detaillierter dargestellt.
SPet, ILu 30. April 2015