Der NABU ist aktiv, um unser Naturerbe zu erhalten. Damit Sie auch weiterhin heimische Tiere und Pflanzen erleben können, braucht der NABU Ihre Unterstützung - am Besten noch heute!
Jetzt Mitglied werden!Naturschutz muss noch größeres Gewicht bekommen
NABU Schleswig-Holstein vertritt differenzierte Haltung zum Entwurf der Landesregierung für den Entwicklungsplan Wind (LEP)
Am 13. Juni hat die Landesregierung ihren Entwurf für den Landesentwicklungsplan (LEP), Teilfortschreibung Windenergie, veröffentlicht.
Seitdem kursieren einige Missverständnisse und Fehlinformationen. Der NDR titelte beispielsweise, dass Windenergieanlagen (WEA) fortan auch in Naturschutzgebieten errichtet werden könnten. An anderer Stelle hieß es, dass der Schutz der Vogelzugrouten durch die Gemeindeöffnungsklausel umgangen werden könnte. Zudem würde der LEP mehr Flächen als erforderlich für die Windenergie ausweisen. Das Hamburger Abendblatt titelte, dass der NABU Schleswig-Holstein den LEP-Entwurf „begrüße“. Die SHZ gab unsere Haltung verkürzt und zusammenhangslos wieder. Wir möchten daher an dieser Stelle einige Fakten klären und unsere Haltung zu dem LEP-Entwurf darlegen.
Ein paar Fakten
Aussage 1: Windenergieanlagen könnten bald auch in Naturschutzgebieten errichtet werden.
So hatte der NDR in einer ersten Fassung seines Berichts vom 14.06.2024 getitelt.
Der LEP-Entwurf besagt jedoch ausdrücklich, dass WEA in Naturschutzgebieten ausgeschlossen bleiben (Kap. 4.5.1.3 – 2 Z, S. 52). Dass die ursprüngliche Aussage falsch war, hat der NDR in der Folge selbst erkannt und die Aussage richtiggestellt: Windenergieanlagen dürfen fortan in Landschaftsschutzgebieten errichtet werden. Damit folgt die Landesregierung der bundesgesetzlichen Vorgabe (§ 26 Abs. 3 BNatSchG), die schon seit Juli 2022 besteht.
Aussage 2: Der LEP stelle der Windenergie mehr Flächen zur Verfügung als rechtlich geboten.
Durch die Ausbauziele der Bundesregierung für Windenergie ist Schleswig-Holstein verpflichtet, bis 2027 1,3 % und bis 2032 2,0 % seiner Landesfläche für die Windenergie auszuweisen. Der LEP-Entwurf weist 7,2 % der Landesfläche als Potenzialfläche aus. Potenzialfläche ist jene Fläche, auf der WEA grundsätzlich errichtet werden können. Die Landesregierung plant – zumindest laut eigener Aussage –, aber nur 3,0 bis 3,3 % tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Ein Anwachsen auf die vollen 7,2 % wäre nur dann möglich, wenn zusätzlich die Gemeinden von der Gemeindeöffnungsklausel Gebrauch machen würden.
Nun sind 3,0 bis 3,3 % noch immer mehr als 1,3 bzw. 2,0 %. Es hat damit auf den ersten Blick den Anschein, dass die Landesregierung mehr Fläche ausweise als erforderlich. Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz.
Um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen, muss man verstehen, wo der Rotor einer WEA liegen darf. Die bundesgesetzlichen Vorgaben zu den Flächenzielen basieren auf der Rotor-Außerhalb-Regelung: Die WEA muss nur mit ihrem Mast innerhalb der ausgewiesenen Fläche liegen – der Rotor darf diese Grenzen überschreiten. Die Lan-desregierung hat sich aber für die Rotor-Innerhalb-Regelung entschieden: Auch der Rotor muss vollständig innerhalb der ausgewiesenen Fläche bleiben. Das hat zur Folge, dass die nach Landesregelung ausgewiesenen Flächen nur anteilig auf das Erreichen der Bundes-Flächenziele angerechnet werden dürfen (§ 4 Abs. 3 S. 1 WindBG). Mit der Rotor-Innerhalb-Regelung müssen also größere Flächen ausgewiesen werden; die in der Realität in der Landschaft maximal bebaubare Fläche ist aber identisch.
Die Landesregierung hätte sich alternativ auch für die Rotor-Außerhalb-Lösung des Bundes entscheiden können. Dann hätten nur 1,3 % bzw. 2,0 % ausgewiesen werden müssen. Wenn dann aber beispielsweise ein Mindestabstand zu Wäldern von nur 30 m einzuhalten ist, würde dieser Abstand faktisch durch die Länge der Rotorblätter verkürzt werden: Der Mast stünde dann auf der Grenze der ausgewiesenen Flächen in einer Entfernung von 30 m – die Rotorblätter, von denen die gefährdende Wirkung ausgeht, würden diesen Mindestabstand aber deutlich unterschreiten.
Aussage 3: Der Schutz der Vogelzugrouten könne durch die Gemeindeöffnungsklausel umgangen werden.
Diese Aussage ist nur teilweise richtig. Der LEP-Entwurf unterscheidet zwischen Hauptachsen des Vogelzuges „von besonderer Bedeutung“ und solchen des Vogelzuges „von Bedeutung“ (Kap. 4.5.1.3 – 15 Z, 15 G, S. 58). Erstgenannte sollen als Ziel der Raumordnung festgelegt werden, Zweitgenannte als Grundsatz der Raumordnung. Ziele und Grundsätze der Raumordnung unterscheiden sich, vereinfacht gesagt, durch den Grad ihrer Verbindlichkeit. Ziele der Raumordnung können durch die Gemeindeöffnungsklausel (§ 245e Abs. 5 BauGB) grundsätzlich nicht umgangen werden. So werden beispielsweise auf Eiderstedt und in der Eider-Treene-Sorge-Niederung keine weiteren WEA errichtet werden können. Die Grundsätze der Raumordnung stehen der Gemeindeöffnungsklausel nicht entgegen, schränken die Möglichkeiten zur Errichtung von WEA aber in aller Regel erheblich ein.
Die Haltung des NABU SH
Wir alle sehnen uns oftmals nach einfachen Antworten. Am liebsten mögen wir einfache Kategorien: Richtig & falsch, gut & schlecht. Der Ausbau der Windenergie führt zu Zielkonflikten zwischen Klimaschutz und Naturschutz. Wir benötigen die Windenergie, müssen aber darauf achten, dass die Natur dabei möglichst wenig zu Schaden kommt. In diesem schwierigen Spannungsfeld können ehrlicherweise keine einfachen Antworten gegeben werden. Jene, die es dennoch tun, haben die Materie – biologisch/ökologisch oder juristisch – nicht verstanden oder handeln wider besseren Wissens.
Dementsprechend sehen wir auch den LEP-Entwurf sehr differenziert. Er erhält Licht und Schatten. Wir sehen, dass er soweit wie möglich Raum zu lassen versucht, zugleich sehen wir aber bei der Berücksichtigung von Naturschutzbelangen auch noch Luft nach oben. Unsere Haltung zu dem Entwurf lässt sich daher nicht auf einen Satz runterbrechen.
Sehr positiv werten wir, dass die Hauptachsen der Vogelzugrouten von besonderer Bedeutung und Brutgebiete von Wiesenbrütern von besonderer Bedeutung als Ziele der Raumordnung von Windenergieanlagen freigehalten werden sollen. Darin sehen wir einen ganz wichtigen Teilerfolg, auf den wir mit unserer Pressemitteilung vom 14.06.2024 bereits hingewiesen haben. Ein Teilerfolg ist aber, was er ist: Der Erfolg in einem Teilbereich und eben nicht ein vollständiger Erfolg auf ganzer Linie.
Sehr kritisch sehen wir etwa, dass beispielsweise die Abstände zu Brutplätzen der besonders windkraft-sensiblen Arten Seeadler und Schwarzstorch von 3.000 m auf 2.000 m abgesenkt werden sollen - entgegen den ausdrücklichen Empfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaften der Vogelschutzwarten. Und selbst dieser zu geringe Abstand soll kein zwingender Mindeststandard werden, sondern unterlaufen werden können. Für Rotmilan und Weißstorch sind ebenfalls tödliche Abstandsverkürzungen vorgesehen. Auch der Abstand zu Wäldern – mit Ausnahme von Naturwäldern – soll von 100 m auf gerade einmal 30 m verkürzt werden. Folglich droht eine übermäßige Gefährdung verschiedener Fledermausarten. Für diese starken Einschränkungen des Artenschutzes zeichnet jedoch weniger die Landesregierung, sondern vielmehr der Bund mit seinen diesbezüglichen auch für das Land verbindlichen Rechtsvorschriften Verantwortung.
Naturschutz muss noch größeres Gewicht bekommen
Wir werden die Möglichkeit der Stellungnahme nutzen und uns dafür stark machen, dem Naturschutz in der Abwägung größeres Gewicht zu gewähren. Die Verschiebung von Kompromisslinien findet nahezu ausschließlich zulasten des Natur- und Biodiversitätsschutzes statt. Sie ist aber ebenso zulasten anderer Belange denkbar. So ist ein pauschaler Mindestabstand zu Wohnbebauungen von 800 bzw. 1.000 m sachlich in keiner Weise geboten, sondern lediglich Ausdruck politischer Anbiederung. Es ist seit Jahren und nunmehr Jahrzehnten anerkannt, dass zum Schutz vor gesundheitsschädigenden Wirkungen von WEA in aller Regel die zweifache Anlagenhöhe als Abstand genügt. Ginge man also von einer großen WEA mit einer Gesamthöhe von 250 m aus, würde ein Abstand von 500 m genügen. Der konkret erforderliche Abstand ist einzelfallbezogen zu prüfen. Das durch die o.g. Pauschalabstände verschenkte Flächenpotenzial ist immens und wird ungerechtfertigterweise der Natur abverlangt. Mit anderen Worten: Die Naturkrise wird verschärft, unsere Lebensgrundlagen werden gefährdet, damit Wahlgeschenke beibehalten werden können. Unsere Lebensgrundlagen sollen politischer Opportunität geopfert werden.
Fazit
- Unsere Haltung gegenüber dem LEP-Entwurf kann damit mitnichten als pauschaler Lobgesang gewertet werden. Wir erkennen aber an, dass die Landesregierung in diesem schwierigen Spannungsfeld zwischen Windenergieausbau und Naturschutz ernsthaft um Ausgleich bemüht ist und deshalb hier nach Freiräumen sucht, so weit wie es die sehr zu Lasten des Artenschutzes gehenden bundesrechtlichen Vorgaben zulassen.
- Wir begrüßen, dass die Landesregierung unseren wichtigsten Naturschutzforderungen entsprochen hat, namentlich dem Schutz der Hauptachsen des Vogelzugs von besonderer Bedeutung und dem Schutz von bedeutsamen Brutgebieten von Wiesenbrütern. Zudem begrüßen wir ausdrücklich den Erhalt des Seeadlerdichtezentrums im östlichen Holstein.
- Wir erachten es als sehr kritisch, dass die Vogelzugrouten v.a. auf Fehmarn und in Wagrien, aber auch an der weiteren Ostküste, weiterhin nur unzureichenden Schutz erfahren sollen, dass die Schutzabstände zu windkraft-sensiblen Großvogelarten und zu Wald ungebührlich verkürzt werden sollen und dass der Fledermausschutz zu wenig Berücksichtigung findet. Überdies halten wir es für problematisch, dass politische Opportunität auf Kosten des Naturschutzes erkauft werden soll.
- Im Zuge unserer Stellungnahme zum LEP-Entwurf als nächsten Schritt werden wir uns für einen weitergehenden Schutz der Natur einsetzen.
AS/EK 17.06.2024