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NABU: Grundlagen aktualisieren!
Dazu gehört insbesondere die Aktualisierung der vom LANU im Jahr 2008 herausgegebenen Arbeitshilfe „Empfehlungen zur Berücksichtigung tierökologischer Belange bei Windenergieplanungen in Schleswig-Holstein“, da diese bzgl. des Aspektes des Fledermausschutzes nicht mehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Auch die Kriterien des neuen Planungserlasses (Runderlass zur Teilfortschreibung des Landesentwicklungsplanes SH, 23. Juni 2015) entsprechen hinsichtlich des Fledermausschutzes nicht mehr dem aktuellen Wissensstand und sind daher ebenfalls zu überarbeiten. Der Schutz von Fledermäusen muss dabei in der Raumordnungsplanung gleichrangig mit anderen Belangen gewertet werden. Das bisher praktizierte Vorgehen, in der Raumordnungsplanung lediglich artenschutzrechtliche Vorbehalte auszusprechen, ist fachlich und juristisch nicht mehr haltbar (OVG SH Urteil Az. 1 KN 6/13).
Die Arbeitsgruppe Fledermausschutz und Fledermausforschung (AGF) im NABU Schleswig-Holstein legt hiermit die für eine fachgerechte Anpassung sowohl der Empfehlungen zur Berücksichtigung tierökologischer Belange wie auch des Runderlasses notwendigen Hinweise vor.
Notwendige Anpassungen
Grundsätzliches
In Schleswig-Holstein sind durch Windkraftanlagen insbesondere Abendsegler (Nyctalus noctula), Kleinabendsegler (Nyctalus leisleri), Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii), Zweifarbfledermaus (Vespertilio murinus), Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus), Mückenfledermaus (Pipistrellus pygmaeus), Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus) und die Teichfledermaus (Myotis dasycneme) gefährdet. Weitere in Schleswig-Holstein vorkommende Fledermausarten können durch WKA mit geringer Höhe und/oder niedrigem Abstand zwischen Boden und unterer Rotorblattspitze betroffen sein. Vor diesem Hintergrund kommt der rechtlichen Bewertung des Tötungsrisikos eine zentrale Bedeutung zu.
Um ein nach § 44 (1) BNatSchG signifikant erhöhtes Tötungsrisiko durch den Betrieb einer Windkraftanlage (WKA) ausschließen zu können, muss nach Auffassung des NABU sowohl für den Runderlass der Landesplanung, als auch bei der Überarbeitung der Empfehlungen zur Berücksichtigung tierökologischer Belange durch das LLUR der Grenzwert von einer getöteten Fledermaus pro WKA und Jahr weiterhin die fachliche Vorgabe darstellen.
Folgende Aspekte sind in diesem Zusammenhang sowohl von der Landesplanung im Runderlass wie auch vom LLUR in der Ausformulierung der ‚Tierökologischen Belange’ zu berücksichtigen:
I. Abstandsregelungen
Insbesondere im Runderlass 2015 werden Abstände von WKA-Eignungsgebieten zu potentiell von Fledermäusen stark frequentierten Lebensräumen wie Wäldern, Gebäuden und Gewässern zu gering bemessen. Das Tötungsrisiko steigt damit signifikant an.
- Es sind einheitliche Fachstandards zu formulieren, die eine landesweite Vergleichbarkeit und Bewertung der Flächen überhaupt erst zulassen. Da die Datenlage zu Fledermausvorkommen in den meisten Gebieten Schleswig-Holsteins als Grundlage für fledermausrelevante Raumplanungen noch lückenhaft ist, müssen bei allen Planungen entsprechende systematische Untersuchungen durchgeführt werden. Erst auf dieser Grundlage kann entschieden werden, ob in den entsprechenden Untersuchungsräumen eine Windenergienutzung möglich ist.
- Die im LANU-Papier (2008) auf S. 70 unter 4.2 aufgeführten Abstandsempfehlungen (auf die Rotorspitze bezogen) sind um Regelungen zu Wochenstubenquartieren zu ergänzen. Die Bewertungsgrundlagen für sehr bedeutende Jagdräume und tradierte Flugwege müssen neu beschrieben werden (s. Tab. 1).
- Alle Abstandsregelungen sind verbindlich festzuschreiben.
Tabelle 1: Ergänzung der Kriterien zur Ermittlung von Flächen, auf denen die Windenergienutzung auszuschließen ist
Gebiet mit besonderer Bedeutung für den Fledermausschutz | Mindestabstand |
---|---|
Natura-2000-Gebiete mit dem Schutzziel Fledermausschutz | 1.000 Meter | Fledermaus-Winterquartiere mit regelmäßig mehr als 1.000 überwinternden Individuen | 3.000 Meter | Fledermauswinterquartiere mit regelmäßig mehr als 20 überwinternden Individuen | 1.000 Meter | * Wochenstuben | 500 Meter | Wochenstuben vom Abendsegler | 1.000 Meter | Stehende Gewässer > 1 ha | 500 Meter | Wälder > 10 ha und Wälder < 10 ha, wenn eine hohe Bedeutung für Fledermäuse nachgewiesen wird | 500 Meter | Wälder < 10 ha | 200 Meter | Gewässer 1. Ordnung | 500 Meter | * Bedeutsame Jagdräume; Dieses sind Gebiete, in denen regelmäßig (bei >= 20 % der Gesamtbegehungstermine oder bei >= 50 % der Sommerbegehungstermine) mehr als 10 gleichzeitig jagende Fledermäuse beobachtet werden können | 200 Meter | * Bedeutsame Flugwege an linearen Landschaftsstrukturen; Flugwege, auf denen mehr als 10 gerichtet fliegende Fledermäuse in einer Stunde beobachtet werden oder mit hohen Aktivitäten bei der Registrierung mit automatischen Lauterfassungssystemen erfasst werden. Potenzielle Flugwege sind in drei Nächten zu erfassen. Die Einstufung erfolgt bei einem beobachteten Ereignis oder gemäß der höchsten jeweils registrierten Abundanzklasse | 200 Meter | * Bedeutsame, nicht strukturabhängige Flugkorridore; regelmäßig genutzte, gerichtete, strukturunabhängige Flugstrecken z.B. beim Abendsegler Ausflugstrecken aus Wäldern | 1.000 Meter | * für Arten mit erhöhtem Tötungsrisiko |
Folgende Aspekte sind vorrangig in den ‚Tierökologischen Belangen’ des LLUR zu berücksichtigen bzw. zu überarbeiten:
II. Erfassungen / Monitoring
Der jeweils aktuelle Stand der Rechtsprechung ist in der neuen Fassung der tierökologi-schen Empfehlungen zu berücksichtigen und regelmäßig fortzuschreiben (siehe OVG SH Urteil Az. 1 KN 6/13; BVerwG, Urteil vom 6.11.2013 etc.).
- Alle technischen Entwicklungen und Neuerungen bei WKA sowie deren potenzielle Auswirkungen (sowohl von Kleinwindkraftanlagen als auch großen WKA) sind in der neuen Fassung der tierökologischen Empfehlungen zu berücksichtigen.
- Die Aussagen zur Fledermaus-Erfassungstechnik in den Empfehlungen aus 2008 sind in mehreren Punkten nicht mehr aktuell und müssen auf heutige Methodenstandards fußend auf dem aktuellen Wissensstand gebracht werden. Dazu ist es notwendig, dass die Fachbehörde (LLUR) eine aktualisierte Vorgabe herausgibt, welche die Leistungsmerkmale der Methodik regelt. Da auch zukünftig von neuen Entwicklungen vor allem in der Erfassungstechnik auszugehen ist, müssen diese Vorgaben fortlaufend aktualisiert werden.
- Ein flächendeckendes Tötungs-Monitoring auf Landesebene, dessen Etablierung nach FFH-RL Artikel 12 Abs. 4 rechtlich schon seit Längerem geboten ist („Die Mitgliedstaaten führen ein System zur fortlaufenden Überwachung des unbeabsichtigten Fangs oder Tötens der in Anhang IV Buchstabe a genannten Tierarten ein. Anhand der gesammelten Informationen leiten die Mitgliedstaaten diejenigen weiteren Untersuchungs- oder Erhaltungsmaßnahmen ein, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass der unbeabsichtigte Fang oder das unbeabsichtigte Töten keine signifikanten negativen Auswirkungen auf die betreffen-den Arten haben.“), ist zwingend erforderlich.
- Die naturschutzfachliche Bewertung der mittels Echtzeitultraschallaufnahmegeräten am Boden oder beim Höhenmonitoring gemessenen Fledermausaktivitäten muss für die Erfassungsergebnisse neu entwickelt werden, da die bisher angewendete Bewertung (LANU 2008) auf dem Stand der inzwischen veralteten technischen Erfassungsmöglichkeiten beruht.
- Zur Erarbeitung von verbindlichen Vorgaben und Anleitungen, die spätestens alle 5 Jahre einer Prüfung und Aktualisierung unterzogen werden müssen, fordert der NABU Schleswig-Holstein / AGF die Einrichtung eines landesweiten Fachgremiums unter Einbindung der Naturschutzverbände.
Empfehlungen zum Untersuchungsbedarf und -methodik auf der Ebene der Regionalplanung, des Flächennutzungsplans und der BImSchG-Genehmigung
Zielsetzung für die Regionalplanung ist eine Übersichtserfassung zur generellen Beurteilung der Standorteignung und zum Vergleich verschiedener Landschaftsräume. Räume mit besonderer Bedeutung für den Fledermausschutz sind dabei zu identifizieren und generell frei von Windkraftanlagen zu halten. Auf Ebene der Bauleitplanung (F- und B-Pläne) sowie Genehmigungen nach BImSchG ist die Zielsetzung eine Erfassung zur standortspezifischen Beurteilung und zum Vergleich verschiedener Teilflächen, um die Ausweisung von WEA-Standorten bzw. das Freihalten von Teilflächen begründen zu können.
- Frühjahr: Sechs ganze Erfassungsnächte unter Berücksichtigung der Lokalpopulation und der Frühjahrsmigration zwischen Anfang März und Ende April.
- Sommer: Standortbezogene Untersuchungen der örtlichen Fledermauspopulation zwischen Juni und Juli in sieben ganzen Nächten zur Erfassungen der Funktionsbeziehungen im abgegrenzten Untersuchungsraum (Quartiere in einem Radius von 1.000 m um die geplanten WKA bzw. um die geplante Windeignungs-/Vorrangfläche, Flugkorridore, Jagdgebiete). Die Quartiersuche erfolgt während der Ausflugszeit und in der Morgendämmerung.
- Spätsommer/Herbst: Sechs ganze Erfassungsnächte unter Berücksichtigung der Lokalpopulation und der Herbstmigration zwischen Anfang August und Mitte Dezember.
- Einsatz einer ausreichenden Zahl von automatischen Lauterfassungssystemen in den Teilgebieten zur Raumbewertung. Diese Geräte müssen die Frequenzen aller schlaggefährdeten Arten abdecken und eine Bestimmung zumindest auf Gattungsniveau zulassen.
- Dauererfassung: Zusätzlich zu den oben genannten Erfassungen ist in jedem Untersuchungsraum vom 15. Februar bis 15. Dezember ein bodengebundenes Dauererfassungssystem pro vorgesehenen Windkraftanlagenstandort oder in einem Raster von 500 x 500 m im gesamten Plangebiet für 2 Jahre zu installieren.
III. Zur Abschaltregelung
Die aktuellen Abschaltregelungen in Schleswig-Holstein sind hinsichtlich der notwendigen drastischen Reduzierung des Tötungsrisikos unzureichend. Die Regelmechanismen sind dringend zu überarbeiten. Die in den BImSchG-Genehmigungen festgesetzten Abschaltregelungen können allein nicht sicher gewährleisten, dass es zu keinem signifikant erhöhten Tötungsrisiko kommt. Mit einer aktualisierten Regelung der Abschaltung von Anlagen zu Zeiten mit prognostiziert hohen Fledermausaktivitäten können artenschutzrechtliche Konflikte vermieden werden.
- Aktuelle Forschungen zeigen, dass die derzeitigen Abschaltvorgaben nicht ausreichend sind. So wird z.B. die Frühjahrswanderung nicht berücksichtigt. Dies ist bei den bedeutsamen Winterquartieren in Schleswig-Holstein sowie dem derzeitigen Wissen zur Fledermausmigration nicht zu rechtfertigen. Ausflugdaten aus den Winterquartieren zeigen, dass Arten wie die Rauhautfledermaus oder der Große Abendsegler bereits ab Februar / März die Quartiere verlassen. Die Werte zu Temperatur und Windgeschwindigkeiten entsprechen ebenfalls nicht mehr dem aktuellen Wissenstand. Untersuchungen zur Fledermauswanderung in Sachsen-Anhalt haben ergeben, dass z.B. Rauhautfledermäuse bereits bei Temperaturen um +3°C ziehen. Erhöhte Aktivitäten wurden zwischen +5°C und +8°C festgestellt (AK FLEDERMÄUSE SACHSEN-ANHALT 2015). Große Abendsegler besetzen ihre Winterquartiere bei Temperaturen um 0°C im November / Dezember. Der Zeitpunkt, wann Fledermäuse Winterquartiere besetzen bzw. wieder verlassen, hängt stark vom jeweils vorherrschenden Wetter ab. Aktuelle Lichtschrankendaten und Beobachtungen an Winterquartieren zeigen die Ein-flusswirkung unterschiedlicher Wetterlagen. Neben der aktuellen Wetterlage spielt auch der Klimawandel eine entscheidende Rolle. Am Winterquartier Segeberger Kalkberghöhle belegen die Daten der Lichtschranken, dass sich der Ausflug aus dem Winterquartier im langjährigen Trend von Anfang April auf Mitte März verschoben hat.
- Sowohl die jährlich wechselnden als auch die langfristigen Änderungen der Aktivitätsmuster sind allein über starr festgeschriebene kalendarische Regelungen nicht abzudecken. Ein Eintreten der Verbotstatbestände gem. § 44 (1) BNatSchG kann daher nicht ausgeschlossen werden. Nur durch permanent installierte Dauererfassungssysteme mit einer Echtzeitauswertung und entsprechenden Abschaltvorgaben ist dieses zu gewährleisten.
- Dauererfassungssysteme sind automatische Ultraschallaufnahmegeräte, die mit einer kalibrierten Empfindlichkeit und einer definierbaren Aufnahmeschwelle (Trigger) Rufe von Fledermäusen automatisch erkennen und speichern. Hierbei werden die Rufe der Fledermaus in Echtzeit und im gesamten Frequenzbereich (Vollspektrum) versehen mit Datum und einem genauen Zeitstempel gespeichert. Die gespeicherten Rufe können mit automatisierten Rufanalyseprogrammen und / oder manuell mit einer Rufanalysesoftware ausgewertet werden. Die Analyse der Rufe kann im Idealfall bis auf Artniveau erfolgen. Die zeitliche Registrierung der Rufe ermöglicht eine Darstellung der nächtlichen Aktivitäten, die Datumsregistrierung eine jahreszeitliche Aktivitätsverlaufsdarstellung. Einige Systeme bieten zudem die Möglichkeit der Fernüberwachung und Fernwartung. Aktuelle Gerätetypen sind z.B. Ecoobs Batcorder mit WKA-Erweiterung, Avisoft Ultrasoundgate, Elekon Batlogger C.
- Die in den BImSchG-Genehmigungen festgesetzten Abschaltregelungen kön-nen allein nicht sicher gewährleisten, dass es zu keinem signifikant erhöhten Tötungsrisiko kommt. Gefordert wird daher die Installation eines Dauerüberwachungssystems an jeder einzelnen WKA mit mindestens zwei Ultraschallmikrofonen für die Messbereiche „Höhe Gondel“ und „Höhe untere Rotorblattspitze“ mit einer Echtzeitauswertung, um die Einhaltung des Tötungsgrenzwertes zu überwachen.
- Bei Erreichen des Grenzwertes greift eine automatische Abschaltregelung nach aktuellem Stand des Wissens. Das Dauerüberwachungssystem läuft über den gesamten Nutzungszeitraum der jeweiligen WKA.
- Die Prüfung der Monitoringdaten sowie die Kontrolle der Einhaltung der Abschaltregelungen und die Funktionsüberprüfung der installierten Systeme erfordern die Einrichtung einer amtlichen Prüfinstanz auf Landesebene.
- Die Abschaltung der WKA wird ab einer Windgeschwindigkeit <= 8 m/s in Gondelhöhe ausgelöst.
- Das Zeitfenster der Abschaltung beginnt jeweils 1 Std. vor Sonnenuntergang und endet 1 Std. nach Sonnenaufgang.
- Die Regelmechanismen greifen in der Zeit vom 15. Februar bis zum 15. Dezember eines Kalenderjahres.
- Die Temperatur als Abschaltkriterium entfällt.
Autoren
Holger Siemers - Sprecher der Arbeitsgruppe Fledermausschutz und Fledermausforschung Schleswig-Holstein (AGF) im NABU Schleswig-Holstein
Matthias Göttsche - Landesvertreter des NABU Schleswig-Holstein in der Bundesarbeitsgruppe Fledermausschutz (BAG)
Stefan Lüders - Leiter der NABU-Landesstelle für Fledermausschutz und –forschung Schleswig-Holstein
AGF, Hey, ILu 25. April 2016
Das Papier zum download (25. April 2016)
Ausgewählte Positionen, Resolutionen, Stellungnahmen & Gutachten des NABU Schleswig-Holstein zu umwelt- und naturschutzfachlichen Fragestellungen in zeitlicher Reihung. Mehr →