Biotopkartierung: Natur in miserablem Zustand!
Umweltverbände mahnen: Verstöße gegen den gesetzlichen Biotopschutzauftrag konsequent ahnden!
Kiel, Neumünster, 15. Mai 2023: Mit Freude haben die schleswig-holsteinischen Naturschutzverbände die Broschüre zum Abschluss der landesweiten Biotopkartierung zur Kenntnis genommen. Allerdings war die Freude nur von kurzer Dauer.
Fritz Heydemann, stellvertretender Landesvorsitzender des Naturschutzbund Schleswig-Holstein e.V. (NABU) fasst zusammen: „Sehr irritierend fanden wir die Aussage, dass sich trotz gesetzlichen Schutzes ein erheblicher Rückgang sowohl der Fläche von „Wertbiotopen“ als auch deutliche Qualitätsverluste seit der letzten Biotopkartierung (1978 bis 1993) herausstellten. Die Fläche der „Wertbiotope“ hat sich fast halbiert! Insbesondere die Fläche wertvoller Offenlebensräume hat dramatisch abgenommen, ebenso wie die Pflanzenvielfalt. Gesetzlich geschützte Biotope wurden um bis zu 66 Prozent reduziert.“
Auch in den Mooren werden deutliche Wertverluste erkennbar. Dagegen haben gerade die Biotope stark zugenommen, die für den Erhalt von Artenvielfalt kaum von Wert sind, etwa Intensivgrünland (+176 Prozent) und Nadelforste (+343 Prozent). Allein dies verdeutlicht, dass in der Landschaft Prozesse ablaufen, die den Zielen der Biodiversitätsstrategie entgegenlaufen. Dies zeigt auch die Entwicklung der Heideflächen, die sich seit 1978 zugunsten von Forstflächen und Grünland halbiert haben. Darin zeigt sich auch die enorme Nährstoffbelastung in der Natur, durch die nährstoffarme Standorte und daran angepasste Pflanzenarten flächendeckend in der Existenz bedroht sind. Die Ergebnisse der Kartierung erklären auch die länger werdende Liste der gefährdeten oder ausgestorbenen Arten.
Bini Schlamann, Referentin für Agrar- und Biodiversitätspolitik des BUND SH, erläutert: „Der Zustand der Natur ist miserabel. Die Lebensräume in Schleswig-Holstein nehmen weiter rapide ab und die Arten verschwinden in ungebremstem, bedrohlichem Ausmaß. Es geht hier nicht um eine einzelne Libelle: Es werden ganze Lebensgemeinschaften mit einer Vielzahl von Tieren und Pflanzen ausgelöscht! Es geht um unsere Lebensgrundlagen und um die kommender Generationen, die gerade aufs Spiel gesetzt werden.“ Sie fordert: „Die Landesregierung muss die Analyse ihrer Verwaltung jetzt ernst nehmen und sofort ins Handeln kommen, um weiteren Schaden zu verhindern. Der lange versprochene Biotopverbund und ein funktionierendes Schutzsystem müssen endlich Realität werden. Der Schutz auf dem Papier ist wertlos, wenn es kein Personal gibt, das ihn draußen in der Natur sicherstellt!“
Die in der Broschüre aufgestellte Forderung, Verstöße gegen den bestehenden gesetzlichen Schutzauftrag in Zukunft konsequenter und strenger zu ahnden und die Wiederherstellung nachhaltiger zu verfolgen, kann aus Sicht des Naturschutzes nur unterstützt werden. Die genannten Zahlen zum starken Rückgang der geschützten Flächen lassen jedoch vermuten, dass die Verfolgung von Verstößen in der Vergangenheit nicht im Vordergrund stand.
Prof. Dr. Ulrich Irmler, Vorsitzender des Landesnaturschutzverbandes Schleswig-Holstein e.V. (LNV) stellt klar: „Eigentlich müssten jetzt für alle Flächen, die 1993 noch als geschützt erfasst wurden und jetzt nicht mehr die Qualitäten für einen gesetzlichen Schutz aufweisen, Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet werden, in denen überprüft wird, ob für die Beseitigung der Biotope eventuell eine Ausnahmegenehmigung vorlag. Falls nicht, müssen entsprechende Strafen ausgesprochen oder die Flächen wiederhergestellt werden. Für diese Tätigkeit fehlt in den zuständigen Behörden jedoch das Personal. Ebenso muss die Nährstoffbelastung weiter verringert werden. Dies gelingt nur über eine Extensivierung der Landwirtschaft.“
Dr. Florian Liedl vom Bundesverband Beruflicher Naturschutz e. V. (BBN), Regionalgruppe Schleswig-Holstein gibt zu bedenken: „Wenn die Gesellschaft lediglich den Rückgang der geschützten Flächen dokumentiert, ohne dass dies Folgen für die Verursachenden hat, dann könnte der gesetzliche Biotopschutz konsequenterweise auch abgeschafft werden. Einige Berufsgruppen und Politiker*innen würden das sicherlich begrüßen, aber das wäre weder verfassungskonform noch in Übereinstimmung mit nationalem wie internationalem Recht und zwischenstaatlichen Übereinkommen.“
Das Land hat mit der von allen Parteien beschlossenen Biodiversitätsstrategie einen ersten Schritt in die richtige Richtung zum Schutz der Natur unternommen. Erste Erfolge sind bereits sichtbar, aber es werden noch viele Anstrengungen erforderlich sein, bis beim Rückgang der Biotope und der Artenvielfalt eine Trendwende erreicht sein wird – nachhaltig wird dies aber nur sein, wenn das Verschwinden wertvoller Biotope gestoppt wird.
Hintergrund
In der schleswig-holsteinischen Biotopkartierung wurden insgesamt 456.000 Wertbiotope und 1,68 Millionen Pflanzendaten erfasst. Trotz dieser großen Menge an Flächen wurden weit weniger Offenland-Lebensräume, wie Heiden, Dünen, Nassgrünland oder artenreiches Grünland erfasst als bei der vorherigen Kartierung in den 1980er Jahren. Dieser Rückgang betraf auch viele gesetzlich geschützte Biotope. In der Auswertung wird deutlich, dass sich die Fläche der Wertbiotope fast halbiert und somit auch die Vielfalt der Pflanzenarten abgenommen hat.
Weitere Informationen
Kontakt für weitere Informationen:
NABU Schleswig-Holstein
Fritz Heydemann
Stellv. Landesvorsitzender
Tel: 04522-2638
Mail: Fritz.Heydemann@NABU-SH.de
Bundesverband Beruflicher Naturschutz e. V.
Regionalgruppe Schleswig-Holstein (BBN)
Dr. Florian Liedl
Tel: 04384-59740
Mail: mail@sh.bbn-online.de
Bund für Umwelt und Naturschutz Schleswig-Holstein e. V. (BUND)
Bini Schlamann
Biodiversitäts- und Agrarreferentin
Mobil: 0176 60365296
Mail: bini.schlamann@bund-sh.de
Landesnaturschutzverband Schleswig-Holstein e.V. (LNV)
Prof. Dr. Ulrich Irmler
Vorsitzender
Tel: 0431 93027
Mail: info@lnv-sh.de