Schutz von Schweinswalen vor dem Aus!
SPD und SSW gehen Stellnetzfischern in die Maschen
2. Oktober 2013: Mit Enttäuschung hat der NABU auf die Nachricht reagiert, dass der seit langem überfällige Schutz von Schweinswalen und Meeresvögeln vor den negativen Auswirkungen der Stellnetzfischerei unmittelbar vor dem Scheitern steht. Dafür verantwortlich zeichnen die Abgeordneten der regierungstragenden SPD-Fraktion und des SSW, die den von Umweltminister Habeck entwickelten Verordnungsentwurf nicht mittragen. NABU Landesvorsitzender Hermann Schultz hat in einem offenen Brief an alle Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages, die Regierungsverantwortung tragen, den Verrat am Schutz von Schweinswalen und Seevögeln scharf kritisiert.
'SPD und SSW gefährden die Unterstützung des NABU'
Offener Brief des NABU Landesvorsitzenden Hermann Schultz an die Landtagsfraktionen von SPD, Grünen und SSW
Mit großer Enttäuschung hat der NABU auf die Nachricht reagiert, dass eine Änderung der schleswig-holsteinischen Küstenfischereiordnung (KüFO) mit dem Ziel, den seit langem überfälligen, dringend gebotenem und nach europäischem Naturschutzrecht nötigen Schutz von Schweinswalen und Meeresvögeln vor den negativen Auswirkungen der Stellnetzfischerei sicherzustellen, unmittelbar vor dem Scheitern steht. Nach Informationen des NABU zeichnen dafür vor allem die Abgeordneten der regierungstragenden SPD-Fraktion und des SSW verantwortlich, die den vom zuständigen Fischereiministerium MELUR entwickelten Verordnungsentwurf nicht mittragen wollen. Grund für die Ablehnung sind vor allem von Fischern vorgetragene Vorbehalte gegen Zeit und Umfang der Sperrungen von Meeresgebieten für die Stellnetzfischerei.
Der vorliegende Entwurf der KüFO enthält dabei nach Einschätzungen des NABU wesentliche substantielle Verbesserung zum Schutz von Schweinswalen und Meeresvögeln durch die Einführung von Sperrgebieten und Sperrzeiten für eine fischereiliche Nutzung mit Stellnetzen in ausgewiesenen EU-Schutzgebieten, nimmt dabei aber auch in besonderem Maße Rücksicht auf fischereiliche Belange. Im Zuge des langen und zähen Diskussionsprozesses hat dabei der NABU Bereitschaft gezeigt, Kompromissen zuzustimmen. Aus rein naturschutzfachlicher Sicht wäre eine Ausweitung der Schutzgebiete und Schutzzeiten über den im Entwurf genannten Gebietshorizont durchaus gerechtfertigt gewesen, wie die ausführliche und begründende Stellungnahme des NABU vom 14. August 2013 zeigt. Der NABU unterstellt den Fischern dabei ausdrücklich nicht, Fänge von Schweinswalen und Meeresvögeln vorsätzlich anzustreben. Das gegenwärtige Ausmaß erfordert aber aufgrund der fachlichen Erkenntnisse rechtliche Konsequenzen.
Der NABU gründet sein Engagement für Schweinswale und Meeresvögel auf seine langjährige Aktivität in diesem wichtigen Bereich des Meeresschutzes. Er hat u.a. im Jahr 2010 zur Problematik „Beifang“ eine Studie herausgegeben, in der neben der Situationsbeschreibung auch Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden (S. KOSCHINSKI & R. STREMPEL: Strategien zur Vermeidung von Beifang von Seevögeln und Meeressäugetieren in der Ostseefischerei). Daneben begleitet er die Entwicklungen seit langem durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit.
Der NABU hat den vom Kieler Umweltministerium 2012 begonnenen Diskussionsprozess bis zuletzt aktiv mit gestaltet. Grundlage für die Mitarbeit war, dass das Problem lösungsorientiert angegangen und dann auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse gehandelt, d.h. mittelfristig ein Ausstieg aus der insgesamt naturschutzfeindlichen Stellnetzfischerei gefunden wird. Dies hat sich etwa beim Thema „Munitionsbeseitigung im Meer“ in der Zusammenarbeit mit dem Kieler Innen- und Umweltministerium bewährt. Herausgekommen ist ein Einigungsvorschlag des MELUR, bei dem alle Seiten Zugeständnisse machen müssen, der aber auch den Schutznotwendigkeiten Rechnung trägt.
Der überaus zähe Prozess war und ist jedoch bis heute von einer permanenten Ignoranz der Handlungsnotwendigkeiten im Naturschutz durch einzelne Stellnetzfischer und ihrer politischen Vertreter geprägt. Bis in diese Tage findet von dieser Seite keine substantiierte, lösungsorientierte Aufarbeitung der Problematik statt. Die Auseinandersetzung mit dem ‚Beifang‘ besteht im Wesentlichen aus der Leugnung anerkannter Daten und Fakten.
Eine ganze Reihe wissenschaftlicher Publikationen gibt jedoch sehr deutliche Hinweise auf die drastische Abnahme der Bestände von Schweinswalen wie Meeresvogelarten in der Ostsee: Die Bestände von überwinternden Eisenten haben zwischen 1994 und 2009 um mehr als 60 % abgenommen, die von Eiderenten um mehr als 50 %. Der von Wissenschaftlern geschätzte Schweinswalbeifang liegt in der Ostsee erheblich über dem Wert von 1 bzw. 1,7 % der Population, der lt. internationaler Walfangkommission und dem Kleinwalabkommen ASCOBANS nicht überschritten werden darf (SCHEIDAT ET AL. 2008). Die eigenständige Population des Schweinswals in der zentralen Ostsee steht kurz vor der Ausrottung, was drastische Maßnahmen der EU zur Rettung der Art wahrscheinlich werden lässt, die ggf. noch weit über das vom MELUR Vorgeschlagene hinausgehen werden. Zudem unterliegt die Stellnetzfischerei der Verträglichkeitsüberprüfung nach EU-Recht, über die sie bis heute nicht verfügt.
In diese Phalanx der weitgehenden Ignoranz naturschutzfachlicher Notwendigkeiten scheinen sich nach Wahrnehmung des NABU nun auch SPD und SSW-Vertreter einzureihen. Enttäuscht ist der NABU vor allem darüber, dass – trotz mehrfacher Bitte und Teilnahme an Gesprächen in entsprechenden politischen Gremien – keine substantiierte Diskussion mit Repräsentanten aus diesen Reihen der Politik möglich war. Dass sich nun SPD und SSW nicht in der Lage sehen, einem Vorschlag zu folgen, der den Belangen der Küstenfischerei wie den Belangen des Naturschutzes gleichbedeutend ihren Rang zugestehen, ist für den NABU nicht nachvollziehbar. Durch dieses Zurückweichen wird auch der notwendige Druck genommen, um ein Bewusstsein für das Problem zu entwickeln und den schrittweisen Umstieg auf naturschutzfreundlichere Fangmethoden zu bewirken, die auch in Schutzgebieten ohne Einschränkungen möglich wären.
Dieses Verhalten von SPD und SSW gefährdet die bislang weitgehende Unterstützung des größten schleswig-holsteinischen wie deutschen Naturschutzverbandes mit bundesweit über 500.000 Mitgliedern für die Umweltpolitik dieser Landesregierung! Das Verhalten wird damit zur Nagelprobe, wie ernst die beiden Parteien selbst gesteckte Umweltziele nehmen!
Schleswig-Holstein steht beim Thema Umwelt und Naturschutz immer noch vor gewaltigen Herausforderungen. Sieben Jahre destruktive, einseitig nutzerorientierte Politik hat dem Zustand unseres Naturerbes einen gewaltigen Schaden zugefügt. Die seit 2012 im Amt befindliche, bislang vom NABU naturschutzpolitisch unterstützte Koalition hatte sich vorgenommen, hier zu deutlichen Verbesserungen zu kommen. Die jetzige Entwicklung wird zwangsläufig dazu führen, dass auch mit der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und SSW heftige öffentliche Auseinandersetzungen um die Ziele des Naturschutzes notwendig werden können.
Bitte unterstützen Sie die Inhalte der Verordnung vorbehaltslos - zum Wohle unserer Meeresumwelt!
Mit freundlichen Grüßen,
Hermann Schultz
NABU Landesvorsitzender
2. Oktober 2013