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Annahmen des MLUR liefern ein verzerrtes Schadensbild
Das Landwirtschaftsministerium hat 2006 in seiner Antwort auf eine kleine Anfrage im Landtag versucht, den vom Kormoran verursachten wirtschaftlichen Schaden zu belegen - und vermochte mit seinen Berechnungen erneut nicht zu überzeugen. Zwar wird erstmals die Zahl der "Kormorantage" näherungsweise richtig beziffert und damit zumindest in diesem Punkt der früheren Kritik des NABU gefolgt, doch gehen immer noch zahlreiche falsche Annahmen in die in Form von "excel"-Tabellen erstellten sechs Schadmodelle ein.
Kurz und bündig: Kritikpunkte des NABU
Die Hauptkritikpunkte des NABU stellen sich wie folgt dar:
- Es werden in einzelnen Modellen unrealistisch hohe Fraßmengen pro Kormoran und Tag angegeben, die wohl nur unter extremsten Bedingungen zustande kommen und niemals für den Gesamtbestand charakteristisch sein können. Entsprechend nach unten abweichende Angaben werden dagegen in der Aufstellung ignoriert.
- In der Darstellung werden Fische als Beute des Kormorans eingestellt, deren kommerzielle Verwertung auf Grund der geringen, vom Kormoran bevorzugten Größen unrealistisch ist: Kein Fischer erzielt Erlöse etwa für kleine Aale weit unterhalb der Verkaufsgrößenschwelle, der jedoch von Kormoranen bevorzugt gefressenen Größenklasse.
- Nicht jeder vom Kormoran erbeutete Fisch wäre auch den Fischern ins Netz gegangen: Diese Fische können vor dem Fang selbst durch Krankheiten ausfallen, dem gegenseitigen Konkurrenzdruck zum Opfer fallen oder anderen Fischfressern als Nahrung dienen, ggf. auch abgewandert sein.
- Die In-Wert-Setzung von großen Mengen an Klein- und Weißfischen als "Satzfische", die in der Regel in den meisten Gewässern in großer Menge vorkommen, deren Besatz in andere Gewässer aber wegen der schnellen Zuwanderung nur ausnahmsweise praktiziert wird, deren Aussetzen aus fischereibiologischer Sicht daher unsinnig und zudem nur in Ausnahmesituationen wie einem massiven Fischsterben erlaubt ist, ist unseriös.
- Wer zudem Rechnungen über Schäden aufstellt, muss auch Nutzen-Rechnungen aufmachen: Der Kormoran erbeutet vielfach Fische, deren Beseitigung von der Fischereibiologie angeraten wird und arbeitsintensiv ist und für deren Entnahme den Fischern an anderen Orten vom Land sogar Prämien gezahlt wurden. Der Kormoran trägt durch die Beseitigung des von Fischern salopp als "Fischunkraut" bezeichneten Bestandes zur Verbesserung der Gewässerqualität bei.
Kritikpunkte im Detail
Gravierende Fehler und massive Fehleinschätzungen
Anlass
Als Anlage zur Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage des MdL K.-M. Hentschel (Bündnis 90 / Die Grünen), Landtagsdrucksache 16 / 488 v. 11. Januar 2006 (download s. u.), hat das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (MLUR) sechs verschiedene Modellrechnungen vorgelegt, mit denen es die postulierten Kormoran- Fraßschäden in Form von der Binnenfischerei entstandenen Umsatzverlusten in einer angeblichen Bandbreite von 16 bis 69 % zu belegen versuchte. Die Modellrechnungen basieren auf Daten zu Nahrungsspektrum (Fischarten, -anteile), Nahrungsbedarf (pro Tag) und Binnenlandbeständen (Brut- und Rastbestand, zusammengefasst in `Kormorantagen´) des Kormorans sowie auf Vermarktungspreisen für die betroffenen Fischarten und Daten zu Gesamtfang und -umsatz der Binnenfischerei. Die auf den Kormoran bezogenen Daten entstammen mehreren Publikationen, die Fischpreiskalkulation hat die Fischereiverwaltung selbst erhoben.
Die Modellrechnungen unterliegen mehreren gravierenden Fehlern, die zu einer massiven Überschätzung der den Fischereibetrieben zugeschriebenen Umsatzverlusten geführt haben.
1. Berechnungsgrundlage `Kormorantage´
Der Aufbau der Modellrechnungen auf die Summe sogenannter Kormorantage ist korrekt. Die tatsächliche, d.h. durch Zählungen an den Schlaf- und Brutplätzen des Binnenlandes ermittelte Zahl von Anwesenheitstagen der Kormorane ergibt eine brauchbare Arbeitsgrundlage.
Wenn daraus aber ausschließlich die aus Binnengewässern abgeschöpfte Nahrungsmenge errechnet werden soll, wären die Kormorantage abzuziehen, an denen die Vögel nicht Binnengewässer, sondern Küstengewässer zur Nahrungsaufnahme aufsuchen. Dies betrifft einen nicht unerheblichen Teil der am Selenter See, Passader See, Wittensee und in der Schaalseelandschaft rastenden Vögel, die von dort regelmäßig zur Ostseeküste fliegen. Sehr grob geschätzt wäre dies etwa ein Viertel der Kormoranrasttage, das von der Gesamtsumme der Kormorantage abzuziehen wäre. Die Zahl der hiervon betroffenen Kormorantage wäre sicherlich mit Hilfe der Gutachter J. Kieckbusch und B. Koop zu ermitteln gewesen.
2. Nahrungsbedarf
Der tägliche Nahrungsbedarf der bei uns vorkommenden Unterart des Kormorans Phalacrocorax carbo sinensis wird inzwischen übereinstimmend mit ca. 300 g angegeben, wie es den Modellrechnungen 1, 3 und 5 richtiger weise zugrunde gelegt wird. Die Angabe von 500 g / Tag pro Vogel innerhalb einer angenommenen Brutzeit von 3 Monaten (d.h. einschließlich der von den Altvögeln zu versorgenden Jungvögeln) beruht auf einer Schätzung, dürfte aber ungefähr richtig sein. Demzufolge ist der aus beiden Werten gebildete Mittelwert von 0,35 kg pro Kormorantag schlüssig.
Die in den Modellrechnungen 2, 4 und 6 angenommenen Durchschnittswerte von 614 g / Tag (vom MLUR aus CARSS et al. (1997) abgeleitet) sind jedoch völlig überhöht. Sie können sich allenfalls auf Fütterungsversuche unter unnatürlichen Bedingungen, herausragende Einzelproben bzw. (aber auch nicht in dieser Größenordnung!) auf die deutlich schwerere atlantische Form Phalacrocorax carbo carbo beziehen. Eine tägliche Nahrungsaufnahme von 614 g würde selbst bei dieser Unterart mehr als 20 % des Körpergewichts entsprechen; bei eiweiß- und fettreicher Nahrung wie Fisch sind aber Durchschnittswerte von deutlich über 10 % des Körpergewichts unrealistisch, wie Nahrungsmengenvergleiche mit anderen, sich von Kleinsäugern, Vögeln oder Fisch ernährenden Vogelarten zeigen. Selbst die vom MLUR für seine Berechnungen herangezogene brandenburgische Studie bezeichnet die "für Europa benannten Bandbreiten" als "nicht vergleichbar" (K 2005, S. 49). Die Daten von CARSS et al. sind zudem, wie in der zugehörigen Tabelle (K 2005, S. 48) auch zu erkennen ist, Extremwerte.
REICHHOLF (1990) nimmt aufgrund von Untersuchungen von an bayrischen Seen überwinternden Kormoranen einen täglichen Nahrungsbedarf von nur etwa 150 g an, wobei allerdings lange, Energie zehrende Flüge diesen Wert erhöhen. Wenn das MLUR jedoch Daten am oberen Ende der Skala als Berechnungsgrundlage vorsieht, hätte es ebenso diesen extrem niedrigen Wert mit einbeziehen müssen.
Der durchschnittliche Nahrungsbedarf (und damit der Energiebedarf) ist vom Energiegehalt der erbeuteten Fische abhängig. Bezogen auf den sehr fett- und energiereichen Aal, der mit Abstand für den Fischereiertrag wertvollste Fisch, ist demzufolge eine Tagesration von 140 g ausreichend. Dies deckt sich mit den Angaben von KIECKBUSCH & KOOP (1996), die durchschnittlich 180 g Aal (ohne anderen Fischanteil) in den Mägen erlegter Kormorane festgestellt haben. Da die Prozentangaben von K & K 2004 zu den Fischanteilen keine Gewichtsanteile, sondern die Stetigkeit wiedergeben, ist die bezüglich des Aals geringere Tagesfraßmenge für die Berechnung der Aalverluste von elementarer Bedeutung. Das MLUR hätte also in seinen finanziellen Berechnungen zum kormoranbedingten Ertragsausfall beim Aal nicht von 300 g (Brutzeit 500 g, gemittelt 350 g) bzw. gar von 614 g / Tag ausgehen dürfen, sondern von 180 g.
3. Methodik der Analyse der Nahrungszusammensetzung
Zur Bewertung der in 2004 durch Kormorane an schleswig-holsteinischen Binnengewässern verursachten Fischentnahme über Nahrungsanalysen sollten nur Daten verwendet werden, die sowohl dem Zeitraum als auch der geografischen Situation entsprechen und die nicht als Momentaufnahme zu verstehen sind, sondern über mehrjährige Erfassung sowie genügend große Probenmenge als fundiert betrachtet werden können. Dieser Anspruch ist an wissenschaftliches Arbeiten zu stellen. Vor diesem Hintergrund wären nur die Daten von K & K 2004 verwendbar.
Die von W & S 1987 in den Modellrechnungen 5 und 6 verwendeten Nahrungsanalysen beziehen sich zwar auf die Plöner Seenplatte, sind aber 20 Jahre alt. Sie stammen damit aus einer Zeit, als die Kormoranbestände in ihrem Verhältnis von Brut- und Rastbeständen, der Gewässerfrequentierung etc. völlig anders zusammengesetzt waren. Mitte der 1980er Jahre war die Schwarmjagd als Beutefangstrategie längst noch nicht so ausgeprägt wie heute, was sich in dem damals gegenüber heute erheblich höheren Anteil größerer Fische widerspiegelt (Von einzeln fischenden Vögeln werden eher größere Fische erbeutet, während in großen Trupps jagende Kormorane ausschließlich Schwärme von Jung- bzw. Kleinfischen verfolgen). Zudem werden W & S gravierende methodische Fehler bei der Nahrungsanalyse und deren Hochrechnung angelastet (siehe Gutachten S & N 1991).
Mit dem Phänomen der Schwarmjagd scheint sich aber auch die aktuellere brandenburgische Studie K 2005, herangezogen für die Modellrechnungen 1 und 2, nicht auseinander gesetzt zu haben. Überdies sind die Verhältnisse Brandenburgs bezüglich Gewässer, Fischbestände und fischereilicher Nutzung nicht von vornherein auf schleswig-holsteinische Verhältnisse zu übertragen. Zudem ist die in K 2005 versuchte Quantifizierung der Fischartenanteile methodisch problematisch, da der Stichprobenumfang zu gering ist, wie dort selbst erkannt worden ist (S. 55): "Eine Mittelwertbildung der Ergebnisse über die beiden Methoden Speiballen- und Magenanalyse ist nicht möglich. Insgesamt stellt der geringe Stichprobenumfang ein wesentliches Problem dar. Darüber hinaus sind an dieser Stelle zwischen den Ergebnissen extreme gewässerabhängige Unterschiede festzustellen." Leider ignoriert K 2005 jedoch diesen Grundsatz, indem selbst auf äußerst geringem Probenumfang beruhende Daten (Magenanalysen) mit anderen in gleicher Relation vermengt werden, um "Annahmen zu treffen" (S. 55).
Wie methodisch fragwürdig dieses Vorgehen ist, offenbart die Aussage zur Quantifizierung des Aalanteils (S. 55): "Für den Aal wird ein Biomasseanteil an der Beute des Kormorans von 13 % angenommen. Dieser Wert entspricht näherungsweise dem Maximum der in Brandenburg in Speiballenanalysen festgestellten Anteile." Verallgemeinert wissen will K 2005 diese Angabe jedoch nicht, in dem er feststellt, "dass der hier angenommene Anteil des Aals mit einer Ausnahme deutlich über den in anderen Regionen Deutschlands oder anderen europäischen Ländern festgestellten liegt" (S. 55). Auch bezüglich der anderen in den Modellrechnungen 1 und 2 angeführten Fischarten operiert K 2005 nach eigenem Bekenntnis sehr spekulativ, führt dafür die "geringe Anzahl untersuchter Gewässer" an und deklariert dringend weiteren Forschungsbedarf (S. 57). - Dennoch hat das MLUR die tabellarisch (S. 58) gelisteten Werte aus K 2005 in gerundeter Form übernommen.
4. Fangausfall
Ein weiterer schwerwiegender Fehler der Modellrechnungen des MLUR ist die Annahme, dass jeder vom Kormoran gefressene Fisch einem Fangverlust (und damit einem Ertragsverlust) gleichzusetzen ist. Diese Gleichung ist völlig inakzeptabel, weil sie wesentliche, auf Fangertrag und Fischereierlös einwirkende Faktoren außer acht lässt:
- Natürliche Mortalität bis zur Fangreife (hier ohne Berücksichtigung eines besonderen Fraßdrucks durch Kormorane als zusätzlicher Mortalitätsfaktor). Nach S & N 1991 (Tabelle S. 22) beträgt die natürliche Sterblichkeit des Aals bereits allein in den drei Lebensjahren zwischen der Altersklasse, die dem Durchschnittsgewicht eines vom Kormoran erbeuteten Aals von 140 g entspricht (ca. 6 Jahre) und der Altersklasse, bei der mit 300 g der Fischereifang beginnt (ca. 9 Jahre) insgesamt ungefähr 25 %. (Die in ihrem Zeitbezug nicht näher bestimmte Mortalitätsrate von nur 3 %, wie sie K 2005, S. 90, angibt, ist irreal.). Bei den anderen Fischarten (Flussbarsch, Plötze) dürfte die Mortalitätsrate mindestens ebenso hoch sein.
- Natürliche Kompensation der Fraßverluste. Fischbestandsreduktionen werden vor dem Hintergrund, dass die Nahrungsressourcen des Gewässers (und damit auch die Konkurrenz um diese) den wesentlichen Populationssteuerungsfaktor darstellen, durch verstärktes Wachstum der verbliebenen Exemplare und Reproduktion insbesondere bei raschwüchsigen und reproduktionsstarken Arten teilweise ausgeglichen.
- Fangrate der Fischerei. Die seitens des MLUR dargelegten Rechnungen suggerieren, dass - ohne Kormoraneinfluss - sämtliche fangreifen Exemplare im Netz des Fischers landen würden. Das ist falsch und gilt selbst für den intensiv befischten Aal nicht, der im Blankaalstadium aus den Binnenseen zur Reproduktion abzuwandern versucht. Eine vollständige Entnahme aller marktfähigen Aale würde bedeuten, die entsprechende Population komplett der Fortpflanzung zu entziehen. - K 2005 (S. 90) geht bei seinen Berechnungen der kormoranbedingten Aalverluste fiktiv davon aus, dass von 145 g schweren (Durchschnittsgewicht der Kormoranbeute nach K 2005) Aalen nur ca. 35 % mit ihrem späteren Stückgewicht von 300 g (untere Grenze der Fangreife nach K 2005) von den Fischern gefangen werden.
- Bei den anderen, weniger oder gar nicht marktgängigen Binnenfischarten (Barsch, Weißfische) ist die Fangintensität - und damit auch der Fang großer Exemplare in Relation zu deren Bestand - als deutlich geringer anzunehmen.
5. Monetäre Bewertung der kormoranbedingten Fischverluste
Die im Papier des MLUR erfolgte monetäre In-Wert-Setzung der von Kormoranen verursachten Fischverluste ist überhöht bis völlig unglaubwürdig.
- Aal: Der vom MLUR 2006 mit € 12,50 / kg angegebene Großhandelspreis liegt an dessen oberen Limit. K 2005 gibt € 10,- / kg an (S. 91); eigene Ermittlungen haben Preise zwischen € 9,- und € 11,50 /kg ergeben.
- Barsch: Die bei den Nahrungsanalysen als "groß" angegebenen Barsche wogen um 200 g, das größte festgestellte Exemplar 330 g. Die Bezeichnung "groß" bei K & K 2004 (u.a. J.) ist deswegen erfolgt, um diese Größenklasse von den in den Kormoranspeiballen massenhaft festgestellten kleinen Jungbarschen zu differenzieren (KOOP mündl.). In dieser Größenordnung ist der Flussbarsch jedoch keineswegs marktfähig. Nur sehr große, zur Zubereitung von Filet geeignete Flussbarsche besitzen einen realen Marktwert. Zwar setzt K 2005 für den Flussbarsch einen Großhandelswert von € 3,50 an (S. 91) und führt ihn mit 19 % als die am meisten vom Kormoran erbeutete Art auf (S. 58). Doch in seiner Gegenüberstellung der potentiellen fischereilichen Ertragssituation sowohl mit als auch ohne Kormoraneinfluss (Tabelle S. 91) werden diese Barschverluste konsequenterweise nicht monetär eingerechnet. - Die Angaben des MLUR zum Großhandelspreis von € 4,70 und Einzelhandelspreis von € 7,10 pro kg Barsch sind also in keiner Weise situationsgerecht.
- Plötze (Rotauge): In den Modellrechnungen 3 und 4 werden für "große Plötze" Preise von € 1,30 (Großhandel) und € 2,50 / kg (Einzelhandel) genannt. Das ist realitätsfern. Wie beim Barsch (s.o.) sind auch die von Kormoranen erbeuteten "großen Plötze" um die 200 g schwer. Nach K 2003 (S 43 f.) fördert die Entnahme von Massenfischen, die wie die Plötze mit dem Aal um das Zoobenthos (Bodennahrung) konkurrieren, die Aalerträge ganz erheblich. Aber selbst größere Plötze sind nur äußerst eingeschränkt vermarktungsfähig. Die Fachliteratur empfiehlt für eutrophe Gewässer, zu denen fast alle schleswig-holsteinischen Seen zählen, einhellig das Abfischen großer Mengen Plötze und anderer Weißfische, um diese aus fischereiökologischen Gründen den Gewässern zu entziehen (sogenanntes Hegefischen zur Gewässerentlastung). Dabei entsteht den Fischern jedoch das Problem der Entsorgung dieser Fischmengen. Aus einem Verkauf lassen sich allenfalls die Kosten erzielen, nicht aber ein Gewinn. - Angesichts dessen ist es mehr als befremdlich, wenn das MLUR für "19.533 kg große Plötze" sogar noch einen Absatz zum Einzelhandelspreis (€ 2,50 / kg, insgesamt € 48.833,-) kalkuliert, anstatt die Entnahme dieses `Fischunkrauts´ (Fischereijargon) durch die Kormorane als deren `Gratisleistung´ positiv zu bewerten.
- `Satzfische´: Ebenso wenig glaubhaft ist die Darstellung von jungen Barschen und Plötzen als "Satzfische" (Modellrechnungen 3 und 4) mit einem Großhandelspreis von € 1,30 / kg bzw. einem Einzelhandelspreis von € 4,20 / kg, wobei hieraus astronomische Verluste von € 63.483,- bzw. € 205.098,- vorgerechnet werden. Verschwiegen wird, dass in der Fachliteratur von einem Besatz mit eben gerade diesen beiden Fischarten abgeraten wird. So heißt es in BÖTTGER, T. (2003): Die Hege von Fischen in Schleswig-Holstein, zur Plötze: "Vom Besatz ist dringend abzuraten" (S. 94) und zum Flussbarsch: "Aufgrund der momentanen Bestandssituation und der guten Verbreitungsmöglichkeiten (Pionierart) ist Besatz mit Flussbarschen unnötig" (S. 101). - Nach § 13 Abs. 3 Landesfischereigesetz wäre ein Besatz offener Gewässer (dazu zählen alle natürlich entstandenen Seen) grundsätzlich nur in Ausnahmesituationen (z.B. Fischsterben) und für bestimmte Arten zulässig. Jungfische von Barsch und Plötze sind als Besatzmaterial also höchstens im Einzelfall für Angelteiche (`Forellenfutter´) zu veräußern.
- Weitere Arten: Die in den Modellrechnungen 5 und 6 angeführten Fische Maräne und Quappe spielen als Kormoranbeute keine Rolle (mehr), wie die Nahrungsanalysen von KIECKBUSCH & KOOP der letzten Jahre zeigen. Die hier aus W & S 1987 (Erhebungen von 1985 und 1986) entnommenen Fraßdaten sind nicht mehr aktuell. Beide Arten sowie Hecht und Zander werden nur noch selten in den Speiballen nachgewiesen und sind dabei statistisch irrelevant.
6. Erlös-Situation der Binnenfischerei
Die in den Rechenbeispielen als Grundlage für die angegeben Umsatzeinbußen dargestellte Erlös-Situation der Binnenfischerei, berechnet über deren Gesamtfang, ist anzuzweifeln, da der Gesamtfang auf nicht nachprüfbaren Angaben der Fischereibetriebe beruht. Selbst K 2003 hat in seiner Studie zur Binnenfischerei Schleswig-Holsteins Zweifel an den Angaben der Fischereibetriebe geäußert, wenn auch verhalten, was angesichts des Auftraggebers (Verband der Binnenfischer und Teichwirte) auch nicht verwunderlich ist: "Im Vergleich zur mündlichen Befragung zum Fang 2001 lagen die der Behörde durchschnittlich gemeldeten Aalfänge im Durchschnitt der 15 auswertbaren Unternehmen bei 83 % mit Schwankungen zwischen 30 und 157 %" (S. 33). Ob auch diese Angaben auf solider Basis beruhen, dürfte sehr fraglich sein: Sie erfolgten "leider meist aus dem Gedächtnis" (S. 33). Es darf angenommen werden, dass gerade Betrieb mit hohen Fangerlösen, die diese nicht vollständig in die offizielle Statistik haben einfließen lassen, auch bei einer gutachterlichen Befragung nicht die realen Mengen bzw. Verkaufserlöse angeben wollen oder auch nicht können (weil nicht vollständig aufgezeichnet). Das geflügelte Wort: `Der Aal ist so glatt, der rutscht durch jede Statistik´ existiert schließlich nicht ohne Grundlage.
Folglich sind die vom MLUR berechneten Umsatzeinbußen von 16 bis 69 % allein schon vor diesem Hintergrund in Frage zu stellen.
7. Limno-ökologische Aspekte
In der Darstellung des MLUR völlig unberücksichtigt gelassen werden die - auch ökonomisch positiv - auf das Ökosystem der Seen wirkenden Einflüsse des Kormorans. Kormorane und andere Fischfresser entziehen mit den erbeuteten Fischen den Gewässern durchaus relevante Nährstoffmengen. Weil eutrophe Gewässer wegen ihrer hohen Produktivität von Kormoranen am intensivsten frequentiert werden, tragen sie damit nicht unerheblich zu deren De-Eutrophierung bei.
Weiterhin führt die Entnahme großer Mengen an Zooplankton fressenden Jung-, Klein- und Weißfischen zu einer Verbesserung der Lichtdurchlässigkeit eutrophierter Seen, weil damit die sich von Phytoplankton (das die Gewässertrübung bewirkt) ernährenden Daphnien (Wasserflöhe) als wesentlicher Bestandteil des Zooplanktons stark gefördert, d.h. vom Wegfraß durch Fische verschont werden. Mit der Menge der Daphnien erhöht sich deren Filtrierleistung, wodurch die Sichttiefe im Gewässer steigt. Aus diesem Grund wird in der angewandten Gewässerökologie in bestimmten Fällen der Wegfang von großen Mengen planktivorer Fische als Methode der Seensanierung empfohlen. Diese Aufgabe wird hier von Kormoranen übernommen, wodurch eine künstliche Biomanipulation ersetzt wird.
Die positiven Auswirkungen der De-Eutrophierung reichen von verbesserten Wachstumsbedingungen für die Unterwasservegetation (Makrophyten) bis zu einer gesteigerten Attraktivität als Bade- und Wassersportgewässer. Hieraus ergibt sich ein bedeutender volkswirtschaftlicher Nutzen, der sich nicht nur unmittelbar auf das Staatsziel Umweltschutz, sondern auch auf regionale wirtschaftliche Aspekte positiv auswirkt und der von der Fischerei postulierten Schadwirkung des Kormorans auch in wirtschaftlich-finanziellen Berechnungen entgegen zu halten ist. Diese Sichtweise vertritt auch das OVG Schleswig (Urteil v. 22. Juli 1993).
Gegenrechnung auf Grundlage oben genannter Faktoren
Für eine möglichst realistische Abschätzung der durch Kormorane verursachten Umsatzeinbußen eignen sich als Basis nur die Nahrungsbedarfsschätzungen gemäß K 2005 (Mittelwert 0,35 kg / Tag) und die Nahrungsanalysen von K & K 2004, wie sie sich in Modellrechnung 3 wiederfinden. Die weiteren Daten auch der Modellrechnung 3 sind jedoch vor oben beschriebenem Hintergrund nicht haltbar. Um zumindest eine vage Abschätzung der Umsatzeinbußen zu ermöglichen, bedürfen diese Daten deshalb der Korrektur.
Die monetäre Schadensbemessung kann sich dabei nur auf den Aal beziehen. Bezüglich der anderen Fischarten ist ein relevanter fischereiwirtschaftlicher Schaden nicht anzunehmen (siehe Anm. 5).
Doch auch bei der in Modell 3 zugrunde gelegten Aalverlustmenge von 3.256 kg sind Abzüge vorzunehmen. Dass sich diese selbst bei zurückhaltendem Ansatz der Werte und ohne Berücksichtigung sämtlicher vermindernd wirkender Faktoren gravierend auf die Bilanz auswirken, belegt folgende Rechnung:
- Mortalität und nicht vollständiger Wiederfang (siehe Anm. 4) erfordern einen Abzug von konservativ geschätzten 20 % (= 651 kg). Es verbleiben 2.605 kg.
- Die Aaltagesfraßration ist fälschlicherweise mit der für die anderen Fischarten geltenden Gewichtsangabe gleichgesetzt worden, obwohl sie nur ungefähr die Hälfte dessen beträgt (siehe Anm. 2). Damit sind nochmals ca. 40 % abzuziehen, so dass noch 1.565 kg Aal als geschätzter Kormoranfraß pro Jahr verbleiben.
Geht man dagegen von einem Verkauf des kompletten Aalfangs über Selbstvermarktung (Einzelhandelshandelspreisangabe des MLUR: € 16,70 / kg) aus (was unrealistisch ist), würde der Umsatzverlust € 26.135 betragen. Eher tragfähig wäre es, für den Aalumsatz Großhandels- und Einzelhandelspreise jeweils hälftig anzunehmen. Daraus würde eine Umsatzeinbuße von € 21.674 resultieren.
Das MLUR hat also selbst in Modellrechnung 3 den den Kormoranen zugeschriebenen fischereilichen Gesamtschaden um mindestens (Ansatz: Mischpreis zwischen Groß- und Einzelhandelserlös von insgesamt € 21.674) das 12-fache zu hoch angesetzt. Dabei ist die aberwitzige Rechnung des MLUR, selbst für Satzfische und Plötze den Gesamtfang mit Einzelhandelspreisen zu bewerten, noch gar nicht berücksichtigt worden. - Die Umsatzeinbußen liegen folglich nicht bei 16,6 % (und schon gar nicht bei 68,7 %, wie Modellrechnung 6 weismachen will), sondern bei 1,4 %. Unbeachtet geblieben ist weiterhin, dass es sich hierbei um Umsatzeinbußen, nicht um Nettoverluste handelt. Dies ist v.a. im Hinblick auf den kostenträchtigen Einzelhandel zu beachten.
Maßnahmen zur Verfolgung des Kormorans können nur auf Basis von § 43 Abs. 8 Bundesnaturschutzgesetz erfolgen. § 43 Abs. 8 BNatSchG fordert jedoch den Nachweis, dass diese Maßnahmen "zur Abwendung erheblicher ... fischereiwirtschaftlicher ... gemeinwirtschaftlicher Schäden ... erforderlich" sind. Damit wäre nicht nur der Schaden für die Betriebe, sondern auch ein möglicher `Gewinn´ für die Allgemeinheit als volkswirtschaftliche Dimension zu bilanzieren (siehe auch OVG Schleswig v. 22. Juli 1993).
Demzufolge wäre den fischereilichen Einbußen die durch Kormorane erfolgte Entnahme von Jung-, Klein- und Weißfischen als positiver ökologischer Effekt (siehe Anm. 7) gegenüber zu stellen. Es ist zwar grundsätzlich problematisch, ökologische Leistungen anhand ihres Kostenfaktors zu bewerten. Unter diesem Vorbehalt könnte als monetärer Bemessungsansatz hierfür die in Brandenburg gezahlte staatliche Prämie von € 0,30 / kg herangezogen werden. Dieser Betrag wäre gem. Modellrechnung 3 auf die Einheiten "große Plötze" (19.533 kg) und "Satzfische" (48.833 kg) mit zu beziehen. Bei deren Gesamtgewicht von 68.366 kg ergibt sich eine Summe von € 20.509. Da die in Modellrechnung 3 angeführten "Fischanteile in der Nahrung" zusammen nur 62 % der Kormoranfraßmenge umfassen, wäre nach der Zusammensetzung der restlichen 38 % zu fragen. Dieses sind nach K & K 2004 Kaulbarsche und Binnenstinte, beides Kleinfische ohne wirtschaftliche Bedeutung, aber relevant als Zooplanktonfresser. Ihre Entnahme dürfte also ebenfalls ökologisch und volkswirtschaftlich positiv zu bilanzieren sein. Deren Fischmasse dürfte in etwa der für "Satzfische" angegebenen entsprechen (vergleichbar in Fischgröße und -massenanteil). Da für das Abfischen dieser Kleinfische in der Literatur keine finanzielle Bezugsgröße zu finden gewesen ist, wird auf eine monetäre Bewertung verzichtet, obwohl sie unter dem Aspekt des Gemeinnutzes durchaus sinnvoll wäre. Vor dem Hintergrund des Anspruchs von § 43 Abs. 8 BNatSchG wäre als gemeinwirtschaftliche Bilanzierung einer durch Aalverluste verursachten Umsatzeinbuße der schleswig-holsteinischen Binnenfischerei in Höhe von € 26.135 ein ökologischer Gewinn in Höhe von € 20.509 gegenüber zu stellen.
Fazit
Selbst im Fall der - unberechtigten - Annahme, den ökologischen Gewinn außen vor lassen zu können und sich ausschließlich auf die betrieblichen Verluste konzentrieren zu müssen, gerechtfertigt ein Umsatzverlust von ca. € 26.000 bzw. 1 - 2 % eine Verfolgung des Kormorans in keiner Weise.
Fritz Heydemann
Stellv. NABU Landesvorsitzender
Quellen
Für die Stellungnahme sind die vom MLUR zur Grundlage gewählten Gutachten sowie andere herangezogen und im Text erwähnt worden (in Klammern: Kennzeichnungskürzel):
- KIECKBUSCH, J. & B. KOOP (2004): Ornithologische Begleituntersuchungen zum Kormoran; erstellt im Auftrag des MLUR Schleswig-Holstein (K & K 2004)
- KNÖSCHE, R. (2003): Agrarstrukturelle Entwicklungsplanung "Binnenfischerei Schleswig-Holstein"; erstellt im Auftrag des Verbands der Binnenfischer und Teichwirte in Schleswig-Holstein (K 2003)
- KNÖSCHE, R. et al. (2005): Untersuchungen zur Entwicklung der Fischerei im Land Brandenburg unter Beachtung der Kormoranbestände und Entwicklung eines Monitorings; hrsg. v. Ministerium f. Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz Brandenburg (K 2005)
- SCHUBERT, C. & M. NEUMANN (1991): Schäden in der Binnenfischerei durch Kormorane - Kritische Bewertung des Gutachtens des Landesfischereiamtes (Worthmann & Spratte 1987); erstellt im Auftrag des Landesamtes f. Naturschutz u. Landschaftspflege Schleswig-Holstein (S & N 1991)
- WORTHMANN, H. & S. SPRATTE (1987): Nahrungsuntersuchungen am Kormoran - Die Auswirkungen der Kormorane auf die schleswig-holsteinische Binnenfischerei; erstellt im Auftrag des Fischereiamtes Schleswig-Holstein (W & S 1987)