Schmetterlinge
Auf zarten Flügeln durch die Luft
Welche Tag- und Nachtfalter gibt es eigentlich im Land zwischen den Meeren? Der NABU gibt Informationen über die zerbrechlich beflügelten Schmetterlinge in Schleswig-Holstein. Mehr →
Seit einigen Jahren versetzt ein Kleinschmetterling mit knapp acht Millimeter Spannweite Grünflächenämter, Biergartenbetreiber und Parkfreunde in helle Aufregung. Einschlägige Medien titelten schon mit Schlagzeilen wie „Killer-Motten bedrohen die Biergärten“. Bereits mitten im Sommer verbräunen die Blätter der Schatten spendenden Kastanien entlang von Straßen, in Parks und Gärten. Vielfach werden die Blätter bei starkem Befall sogar vorzeitig abgeworfen. Mit großem finanziellen und personellen Aufwand werden Kampagnen à la „Rettet unsere Kastanien – Motten stoppen – Blätter sammeln“ gestartet, Schulklassen zum Kastanienblättersammeln abgeordnet und Trupps von mit Laubbläsern bewaffneten Gemeindemitarbeitern pusten auch das letzte Blatt von den innerörtlichen Grünflächen. Muss das eigentlich sein?
Erst im Jahr 1984 wurde in Mazedonien am Ohridsee ein neuer Kleinschmetterling entdeckt und beschrieben, dessen Larven in den Blättern der dort kultivierten Rosskastanie miniert. Die Larve der Kastanienminiermotte (Cameraria ohridella) ernährt sich vom Blattmaterial des Baumes und frisst dabei wie ein Minenarbeiter Gänge zwischen der oberen und unteren Blatthaut ins Blattgewebe. An diesen Stellen vergilbt das dort ausgehöhlte Blatt und es entsteht das charakteristische Schadensbild.
Diese Lebensweise ist übrigens keine Seltenheit, eine Vielzahl von Insekten vor allem aus den Gruppen der Kleinschmetterlinge, Fliegen und Käfer haben diese Ernährungsweise für sich erschlossen. An praktisch allen Pflanzenarten kommen zumindest eine, häufig sogar mehrere Arten von Minierern vor. Die dabei entstehenden Fraßbilder sind arttypisch und lassen somit Rückschlüsse auf den Verursacher zu, ohne dass man diesen selbst gesehen haben muss. Für die Minierer bietet diese Lebensweise neben Nahrung einen gewissen Schutz vor Witterung, Fressfeinden und Parasiten, die Wirtspflanze kann den Verlust an Blattmaterial in der Regel problemlos verkraften.
Bis zu drei Generationen im Jahr
In Deutschland entwickelt die Rosskastanienminermotte in Abhängigkeit von der Witterung meist drei sich überlappende Generationen im Jahr. Im Frühjahr, etwa Mitte April, schlüpfen die kleinen Falter der im Falllaub überwinternden Generation. Ihre Flugzeit beträgt etwa drei Wochen. Die kleinen Falter finden sich dann häufig auf den Wind abgewandten, sonnigen Stammbereichen oder auf den besonnten Blättern der Kastanien.
Die Weibchen der Kastanienminiermotte legen durchschnittlich etwa 20–30 weiße, abgeflachte Eier einzeln auf der Blattoberseite an schwächeren Seitenadern ab. Rund zwei Wochen später schlüpfen die Junglarven aus den Eiern, bohren sich ins Blatt ein, minieren dort etwa weitere drei Wochen und verursachen das be- kannte Schadbild. In dieser Zeit werden vier Häutungen bis zum etwa fünf Millimeter großen Altlarvenstadium durchlaufen, welches sich schließlich verpuppt.
Dafür spinnt sich die Larve innerhalb der Mine in einen linsenförmigen Seidenkokon mit einem Durchmesser von 5–7 Millimetern ein, der von außen als kreisrunder Fleck am Minendach zu erkennen ist. Nach weiteren zwei Wochen Puppenruhe schlüpfen die neuen, geschlechtsreifen Falter aus den Minen. Bei den Sommergenerationen fehlt häufig der Puppenkokon, während er bei der überwinternden Herbstgeneration immer angelegt wird. Die letzte Faltergeneration überwintert im vertrockneten Blatt und verbringt dort eine mindestens sechsmonatige Puppenruhe am Boden.
Spannende Herkunftssuche
Die Herkunft des kleinen Schmetterlings war lange Zeit unklar. Bis vor kurzem vermuteten die Entomologen, dass der kleine Schmetterling ursprünglich aus Asien stammen könnte. Interessanterweise konnten aber kürzlich in alten Herbarbelegen vom natürlichen Standort der Rosskastanie in Griechenland aus dem Jahr 1879 viele Larven der Kastanienminiermotte nachgewiesen werden, die unbeabsichtigt in den Pflanzenteilen gepresst und archiviert wurden.
Damit ist das Vorkommen des Kleinschmetterlings schon 100 Jahre früher nachgewiesen, bevor die Kastanienminiermotte in Europa überhaupt bekannt und beschrieben wurde. Aktuelle Forschungen kommen nun zu dem Ergebnis, dass dieser Kleinschmetterling seinen Ursprung auf dem Balkan hat, die Belege in den Herbaren dokumentieren erste Massenvermehrungen bereits aus dem Jahr 1961. Die Kastanienminiermotte lebte lange Zeit in isolierten Populationen in sehr unzugänglichen Schluchtwäldern des Balkans und erst der relativ späte Ausbau von Fernstraßen auf dem Balkan hat dann die weitere Ausbreitung der Motte ermöglicht.
Als „blinde Passagiere“ sind die Insekten an Pkws und Lkws vom natürlichen Standort zu weiteren Standorten der Rosskastanie gelangt. Bereits seit dem 17. Jahrhundert wurde die Rosskastanie aufgrund ihrer attraktiven Belaubung und Blüten in Parkanlagen, Gärten und Straßen in ganz Europa kultiviert. Seit 1989 eroberte die Miniermotte invasionsartig fast ganz Europa, in Deutschland wurde die Art erstmals 1992 im Raum Passau nachgewiesen und kommt mittlerweile flächendeckend vor.
Ästhetisches Problem
Um es gleich zu sagen: Die Bäume der Rosskastanie sterben durch den Larvenfraß der Kastanienminiermotte nicht ab! Aus den bisherigen Erfahrungen geht hervor, dass selbst stark von der Motte befallene Bäume viele weitere Jahre den Befall problemlos überstehen. Allerdings können die auch durch weitere Faktoren (zu kleiner Standraum, unzureichende Bewässerung, Streusalzeinwirkungen, Emissionen aller Art, mechanische Schädigungen etc.) stark beeinträchtigten Bäume besonders in Städten oder entlang von Straßen weiter geschwächt werden.
Diese weisen zunehmend Stresssymptome auf und können schließlich an ungünstigen Standorten schneller absterben. Die Rolle der Kastanienminiermotte dürfte aber selbst in solchen Fällen eher gering sein. Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten zur Verwechslung mit Schadbildern anderer Verursacher wie z.B. verschiedener pilzlicher Blattfleckenerreger, der Blattbräune oder durch einen Befall mit der Kastanien-Spinnmilbe. Interessanterweise werden vor allem die weißblühenden Rosskastanien von der Kastanienminiermotte befallen. Bestimmte rotblühende Arten werden zwar angeflogen und mit Eiern belegt, jedoch sterben die meisten der schlüpfenden Junglarven ab. Letztlich ist der Befall mit der Kastanienminiermotte also vor allem ein Problem ästhetischer Art.
Bislang kaum natürliche Gegenspieler
Da die Kastanienminiermotte erst seit relativ kurzer Zeit in Mitteleuropa heimisch ist, existieren offenbar noch keine effektiven Fressfeinde, die sich auf diese Art spezialisiert haben. Miniermottenarten an anderen Pflanzen haben gewöhnlich Parasitierungsraten zwischen 60 und 80 %. Die Kastanienminiermotte macht hier eine Ausnahme: Sie wird nur zu 2 bis 3 %, meist von Erzwespen, parasitiert. Die hier vorkommenden Parasitoiden (Wespen, deren Larvenstadien zunächst parasitisch von der befallenen Wirtslarve leben, diese letztlich dann aber auch töten) haben ihr Suchverhalten offenbar noch nicht auf diesen neuen Wirte ausgerichtet.
Blau- und Kohlmeisen sowie andere Insekten fressende Vögel interessieren sich aber zunehmend für diese reichhaltige Nahrungsquelle und auch für Fledermäuse könnte die Kastanienminiermotte ein attraktives Beutetier werden.
Bekämpfung notwendig?
Eine effektive und nachhaltige Bekämpfung der Kastanienminiermotte gestaltet sich zudem schwierig: Der Einsatz chemischer Insektizide verbietet sich in Wohngebieten und öffentlichem Grün aus Umwelt- und gesundheitlichen Gründen von selbst. In Baumschulen kann vor allem an niedrigen Jungbäumen die Kastanienminiermotte mit entsprechenden Mitteln wirksam bekämpft werden. Versuche mit ökologisch weniger problematischen Entwicklungshemmern waren nur kurz von Erfolg gekrönt und haben sich als (noch) nicht effektiv erwiesen. Fallen mit Sexuallockstoffen sind zwar für ein Monitoring der Motte geeignet, nicht aber für eine großflächige Bekämpfung. Leimringe verhindern nur unvollständig das Aufwandern der Miniermotten am Stamm im Frühjahr. Die gezielte Zucht und Aussetzungen von natürlichen Feinden wie z. B. Schlupfwespen war noch nicht erfolgreich.
Blättersammeln als Sisyphusaufgabe
Damit bleiben als mögliche Gegenmaßnahmen zumindest zur Reduzierung des Falterfluges die Förderung der natürliche Gegenspieler z. B. Insekten fressender Vögel (Meisen) sowie das Absammeln des Laubes im Herbst, damit die Puppen der dritten Mottengeneration nicht überwintern können. Untersuchungen des Berliner Pflanzenschutzamtes weisen darauf hin, dass konsequentes Absammeln den Befall isolierter Standorte z.B. in einem Biergarten deutlich senken kann.
Eine einfache Kompostierung der gesammelten Blätter im Garten reicht dafür dann allerdings nicht aus. Der klassische kleine quadratmetergroße Kompostplatz erreicht in der Regel nicht die notwendigen Temperaturen, die die widerstandsfähigen Überwinterungsstadien der Kleinschmetterlinge vernichten würden. Ein geschlossener Thermoschnellkomposter würde diese Temperaturen zwar erreichen, stößt meist aber schnell an die Grenzen seines Fassungsvermögens. So bleibt als Entsorgungsmöglichkeit das gesammelte Kastanienlaub über die Biotonne oder Grünabfallsäcken in Großkompostierungsanlagen bzw. in die thermische Verwertung zu verbringen. Auch die Anlieferung der gesammelten Kastanienblätter auf den Kompostplätzen der Kreise wäre möglich, da dort ebenfalls entsprechend hohe Temperaturen erreicht werden. Wer einen entsprechend großen Garten zur Verfügung hat, kann zudem mit Erde abzudeckende Hügelmieten anlegen, die ebenfalls entsprechend hohe Temperaturen erzielen.
Ökologischer Kollateralschaden beträchtlich
Ob diese Maßnahmen letztlich sinnvoll sind, muss jedoch bezweifelt werden. Die Rosskastanienminiermotte kommt flächendeckend vor und wird aus der heimischen Fauna nicht mehr zu beseitigen sein. Das kollektive Blättersammeln reduziert an geeigneten Standorten z. B. in isoliert liegenden Parkanlagen und Biergärten oder Alleen in Großstädten vorübergehend zu Jahresbeginn den Befall, muss dann aber alljährlich andauernd konsequent durchgeführt werden, da von außen immer wieder Exemplare der Motte sich schon im Laufe des Jahres diese frei werdende Nahrungsquelle wieder erschließen werden.
In der freien Landschaft sind daher solche Laubsammelaktivitäten sowieso unsinnig. Laubsammelaktionen zur Minimierung der Kastanienminiermotte sind nur mit einem hohen zeitlichen, personellen und finanziellen Aufwand sowie einem andauerndem hohen Mobilisierungsgrad der Bevölkerung möglich. Zudem ist das übertriebene Absammeln von Blättern, häufig mit Unterstützung der motorbetriebenen, meist unsäglich lauten und zudem Emissionen ausstoßenden Laubpustern aus umwelt- und naturschutzfachlichen Gründen sehr kritisch zu betrachten. Laub hat eine enorme Bedeutung für den Schutz des Bodens im Winter, bietet vielen Tieren und überwinternden Pflanzen Schutz, Nahrung und Lebensraum und ist in aufgearbeiteter Form die Nährstoffquelle für den Baum selbst.
Bei konsequent flächendeckenden Laubsammelaktionen – und nur dann würde es ja hinsichtlich der Kastanienminiermotte Sinn machen – werden nicht nur die Blätter der Kastanie, sondern zwangsläufig die Blätter anderer Gehölzarten sowie eine Vielzahl von Organismen aus den Grünflächen entfernt. Dies bedeutet eine erhebliche Verschlechterung der ökologischen Bedingungen der sowieso schon besonders beeinträchtigen Grün- und Parkflächen unserer Städte und Gemeinden.
Und das alles wegen einiger Schönheitsflecken auf grünem Grund?
CPu 5. Oktober 2012
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