Ganz schön gespenstisch ...
Gespinstmotten in Schleswig-Holstein
Jetzt stehen sie wieder vielerorts gespenstisch an Straßen- und Waldrändern, in Auen oder in Parkanlagen: silbrig glänzende, kahl gefressene Bäume und Sträucher. Hier waren nicht der Verpackungskünstler Christo oder Freunde einer vorgezogenen Halloween-Party am Werk, noch sind hier alte Plastikplanen durch den Wind in den Busch geweht worden - verantwortlich für dieses Phänomen sind die Raupen einiger Schmetterlinge, Gespinstmottenarten der Gattung Yponomeuta. Bei einer Massenvermehrung der Motten, genauer der Raupen, werden Stämme, Äste und Zweige komplett mit einem Gespinst der gesellig lebenden Raupen überzogen. Dieses spektakuläre Naturschauspiel führt alljährlich zu Berichterstattungen in den verschiedenen Medien, selbst das Fernsehen berichtet über die „Geistergespinste“.
In Westeuropa kommen neun Gespinstmottenarten vor, die für Laien nach äußeren Merkmalen nur schwer zu unterscheiden sind. Aufgrund ihrer Vorliebe für bestimmte Nahrungspflanzen und der Ausführung der Gespinste lassen sie sich aber recht gut identifizieren. So überziehen Gespinstmottenarten jeweils Weißdorn, Pfaffenhütchen, Pappeln oder Weiden, gelegentlich sogar Obstbäume mit einem dichten Gespinst.
Bestimmung durch Wirtspflanze
Die auffälligsten Gespinste werden durch die Traubenkirschen-Gespinstmotte (Yponomeuta evonymellus (L.) ausgebildet. Diese dienen vor allem dem Schutz vor Fressfeinden sowie gegen Witterungseinflüsse wie Regen. Zudem werden die Larvengruppen durch die Gespinste zusammengehalten und dienen als Orientierungshilfe. Unter dem Gespinst fressen die Raupen bis Mitte Juni den befallenen Baum oder Busch völlig kahl. Im fünften Raupenstadium wandern diese schließlich zum Stammfuß, wo sie sich im Schutz des Gespinstes verpuppen. Anfang Juli schlüpfen nach wenigen Tagen bereits die weißen, schwarz gepunkteten Falter.
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Die Raupen der Gespinstmotten sind ohne Behaarung, gelblich bis graubraun gefärbt mit schwarzen Flecken - und völlig harmlos. - Foto: NABU / Carsten Pusch
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Wie eine weiße Schneelandschaft sieht das feste, dichte Gespinst der Gespinstmotten aus - oder wie ein Gespensterkostüm zu Halloween. - Foto: NABU / Carsten Pusch
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Trotz ihrer auffälligen weissen Färbung sind die kleinen, dämmerungsaktiven Gespinstmotten in der Vegetation versteckt kaum zu entdecken. - Foto: NABU / Carsten Pusch
Nachtaktive Falter
Anschließend suchen die Weibchen geeignete Futterpflanzen für ihre Nachkommen. Sie orientieren sich dabei an spezifischen Duftstoffen der Wirtspflanzen. Durch die Abgabe von Sexualduftstoffen, den Pheromonen, locken die Weibchen Männchen an. Weibliche Falter können übrigens bis zu 60 Tage alt werden, männliche Falter sterben hingegen nach der Paarung. Die kleinen, nachaktiven Schmetterlinge legen ihre Eier ab Mitte Juli in Häufchen von etwa 50 Stück an den Knospen der Traubenkirsche ab. Nach 3-4 Wochen schlüpfen die nur ein Millimeter langen Eiräupchen, die durch einen bräunlichen Schutzschild geschützt bis zum nächsten Frühjahr überdauern.
Vollkommen ungefährlich
Im nächsten Jahr, ab Anfang Mai, verlassen die Jungraupen diesen Schild und fressen zunächst im Innern von Knospen, um dann in den Blättern der Wirtspflanze zu minimieren und auch bereits erste Gespinste auszubilden. Schließlich wandern die dann rund 20 Millimeter großen Raupen zu den Triebenden und bauen mit zunehmendem Alter immer größere, schleierartige, seidige Gespinste, unter denen nun ein vollständiger Kahlfraß stattfindet. Fast der gesamte Blattfraß findet erst in diesem letzten Raupenstadium Ende Mai / Juni statt. Die ausgewachsenen Gespinstmottenraupen haben eine hellgelbe bis graubraune Färbung mit dunklen Punkten und schwarzem Kopf. Ganz wichtiges Merkmal: Sie tragen keine Brennhaare und sind für Menschen und andere Tiere daher völlig ungefährlich.
„Spinnweb“-Malerei in Süddeutschland
Die Raupengespinste weisen eine erstaunlich hohe Festigkeit auf und können in langen Bahnen von Baumstämmen abgezogen und von Büschen abgenommen werden. In Tirol und Süddeutschland vor allem im 18.Jahrhundert wurden dieses Material in großer Zahl für die „Spinnweb-Malerei“ genutzt. Bekanntermaßen ist ja auch die Naturseide ein Produkt einer Schmetterlingsraupe, des Seidenspinners aus Asien.
Regionale Massenvermehrungen
Gelegentlich kann es regional zu massenhaftem Auftreten der Gespinstmotten kommen. Die Ursachen dafür können vielfältig sein. Vor allem aber spielen Temperatur und Feuchtigkeit eine Rolle. So sind sowohl für das Auslösen des Paarungsverhaltens als auch des Paarungsflugs bestimmte Temperaturen notwendig. Heiße, trockene Temperaturen fördern den Falterflug, höhere Windgeschwindigkeiten oder Regen hingegen bremsen das Flugverhalten und wirken sich damit negativ auf die Populationsentwicklung der Gespinstmotten aus. Bei ungestörtem Verlauf kann eine Massenentwicklung ein bis mehrere Jahre andauern.
Vielfältige natürliche Gegenspieler
Die wachsende Raupendichte und das damit geringer werdende Nahrungsangebot führen aber bei den Raupen zunehmend zu sog. „Hungerstress“, den viele Raupen auch nicht überleben. Schlüpfen dann doch noch Motten, verschiebt sich das unter guten Bedingungen ausgeglichene Geschlechterverhältnis, es entstehen viel mehr Männchen als Weibchen.
Zusätzlich verhindern durch Viren, Fadenwürmer und Pilzen ausgelöste Krankheiten sowie eine Vielzahl von natürlichen Feinden eine ungebremste Ausbreitung und Vermehrung der Gespinstmotten. Natürliche Gegenspieler sind verschiedene Vogelarten, Spinnen und bis zu 80 weitere Insektenarten, darunter Raubwanzen, Raupenfliegen, Schlupfwespen sowie weitere Parasitoide wie Erz- und Brackwespen.
Bekämpfung völlig unnötig
Eine Bekämpfung der Gespinstmotten ist völlig überflüssig. Von den Raupen geht für Mensch und Tier überhaupt keine Gefahr aus, den Bäumen oder Sträuchern schadet der Befall ebenfalls nicht. Die erhebliche Menge an anfallenden, leicht abbaubaren Raupenkot liefert dem Baum einen Großteil der durch den Blattfraß verlorenen gegangenen Mineral- und Nährstoffe zurück. Trotz Kahlfraß schlagen die Wirtspflanzen meist sogar noch im gleichen Jahr mit dem sogenannten Johannistrieb um den 26. Juni herum wieder aus und lassen den Kahlfraß nur wenige Wochen danach überhaupt nicht mehr erkennen.
Vorsicht vor Verwechslungen
Neben den Gespinstmotten gibt es noch ein Anzahl weiterer Schmetterlingsarten, aber auch beispielsweise die Gespinstblattwespen, die in Büschen und Bäumen in selbst in Küstenlebensräumen, vor allem aber in Hecken, Parks und Waldrändern Gespinste bauen. Während einige Arten sehr unscheinbare, leicht zu übersehende Gespinste bauen, können andere Arten sehr auffällig und weithin sichtbar angelegt werden.
Dabei sollten besonders die Arten mit behaarten Raupen, die häufig Brennhaare tragen, tunlichst in Ruhe gelassen werden. Hier kann es zu allergischen und anderen negativen gesundheitlichen Reaktionen kommen. Alle diese Arten haben aber ihre wichtige Bedeutung im Naturhaushalt. Ihre Gespinste stellen spektakuläre, gespenstisch schöne Naturschauspiele dar, an denen Naturfreunde sich erfreuen sollten.
CPu, 7. Juni 2018