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Jetzt Mitglied werden!Ein Weichtier macht sich breit
Quagga-Muschel - Invasive Art auf dem Vormarsch
Bereits im August 2017 wurden von Mitarbeitern der NABU Landesstelle Wasser am Plöner Ufer des Kleinen Plöner Sees einige Schalen einer hier bislang noch nicht bekannten Süßwassermuschel gefunden. Die Überprüfung der Funde durch weitere Mollusken-Spezialisten brachte dann schnell Gewissheit: es handelt sich um Schalen der Quagga-Muschel Dreissena bugensis. Stichprobenartige Überprüfung weiterer Uferbereiche der Plöner Seenkette, aber auch anderer Gewässer in Schleswig-Holstein lieferten dann etliche neue Fundplätze. Ganz still und leise, dafür aber mit einer enormen Ausbreitungsdynamik, ist ein hartschaliges Weichtier in den heimischen Seen und Fließgewässern - bislang unbemerkt - dabei, sich flächendeckend breit zu machen. Die neu eingewanderte Art ist nicht ganz so leicht von einer bereits hier vorkommenden Art zu unterscheiden, der Wander-, Dreikant - oder auch Zebramuschel genannten Dreissena polymorpha.
Unterscheidung nicht ganz einfach
Die verschiedenen Namen beschreiben eigentlich schon das Äußere der hier schon lange heimischen Muschel: Die Dreikant-, Wander- oder Zebramuschel hat eine dreieckige Schalenform, die Schalenseiten sind deutlich kantig. Von der Bauchansicht her sind die beiden Schalen symmetrisch zueinander, der Schalenrand ist gradlinig. Die Schalen sind gelblich gefärbt mit besonders bei jungen Tieren braunen, oft gezackten Linien. Die 26- 40 mm langen und 17 - 20 mm hohen Schalen sind recht dickwandig, der Wirbel liegt am spitzen vorderen Ende.
Die neu nachgewiesene Art hingegen, die Quagga-Muschel, besitzt deutlich abgerundete Schalenseiten, die Schalenhälften sind von der Bauchseite her betrachtet asymmetrisch zueinander, der Schalenrand wellenförmig. Die milchig beige bis dunkelbraune Färbung der Schale ist sehr variabel und weist häufig eine deutliche Längsstreifung auf. Beide Muscheln besitzen eine Byssusdrüse, mit der sie ein Faserbündel, die Byssusfäden, zum Anhaften auf festem Untergrund produzieren können.
Zebramuschel Dreissena polymorpha
Die Zebramuschel stammt aus der Region des Kaspischen und Schwarzen Meeres, allerdings war sie wohl bereits im Tertiär überall in Mitteleuropa verbreitet und wurde durch die Eiszeiten später wieder verdrängt. Vielleicht haben an einigen Orten sogar kleine Populationen in nördlicheren Regionen überleben können. Die Art wäre dann kein Neozon im engeren Sinne. Allerdings wurde D. polymorpha nachweislich auch wieder eingeführt. Bereits Anfang des 19. Jahrhundert erreichte die Art vom Schwarzen Meer ausgehend über verschiedene Flüsse schließlich die Ostsee. Die Zebramuschel breitete sich in den folgenden Jahrzehnten in fast allen Flussgebieten Norddeutschlands aus. Die Muschel tauchte zunächst vor allem in Gegenden mit starkem Schiffsverkehr auf, dorthin wurden die im freien Wasser schwimmenden Larven wohl vor allem im Ballastwasser von Schiffen verschleppt. Die Zebramuschel hat sich seit langem fest in Deutschland etabliert und wird häufig in Kanälen, Brackwassergräben und Seen gefunden.
Quagga-Muschel Dreissena bugensis
Die neue Quagga-Muschel stammt ebenfalls aus Zuflüssen des Schwarzen Meeres. In Deutschland wurde die Art um 2005 zum ersten Mal nachgewiesen und hat sich anschließend extrem schnell über die großen und kleinen Gewässer der Bundesrepublik ausgebreitet. Auch für Schleswig-Holstein lagen bereits vor ein paar Jahren einzelne Schalenfunde aus dem Elbegebiet vor. Die aktuelle, erst 2016 veröffentlichte Rote Liste der Land- und Süsswassermollusken in Schleswig-Holstein stuft die Art sogar noch als „extrem selten“ ein.
Die Quagga-Muschel verdrängt offenbar die bereits vor über 100 Jahren eingeschleppte und fast flächendeckend in den heimischen Binnengewässern vorkommende D. polymorpha. So finden sich beispielsweise in den Seen rund um Plön fast nur noch Schalen der neuen Schwesternart, Schalen der früher sehr häufigen Zebramuschel finden sich hingegen deutlich seltener bzw. fehlen bereits an etlichen Orten. Eine Besiedlung Schleswig-Holsteins war allerdings von den Fachleuten schon erwartet worden, und hatte wohl nach aktuellen Erkenntnissen auch bereits unbemerkt stattgefunden, da sich die Art beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern bereits Jahre zuvor längst etabliert hatte.
Die Entwicklung der Zebramuschel
Das Wachstum der Muscheln erfolgt im Winterhalbjahr. Erreichen die Wassertemperaturen 16-18°C, wird die Fortpflanzung eingeleitet. Die Muscheln sind getrenntgeschlechtlich. Das Weibchen kann pro Jahr eine Mio. Eier entlassen, was einem Drittel seines Körpergewichts entspricht. Die Befruchtung findet im freien Wasser statt. Ein paar Tage können sich die Larven von ihrem Dottervorrat ernähren. Später ernähren sie sich von Plankton. Ende Mai bis September kann man die freischwimmende Larve im Plankton finden. Nach etwa acht Tagen setzen sich die Larven fest und spinnen Byssusfäden, mit denen die Tiere sich festheften. Nach einem Jahr tritt bereits die Geschlechtsreife ein. Wandermuscheln haben eine Lebenserwartung von rd. 10 Jahren.
Ökologische Auswirkungen
Zebramuscheln sind intensive Filtrierer und leisten zunächst einmal einen wichtigen Beitrag zur Reinhaltung der Gewässer, durch die Entnahme erheblicher Mengen organischer Partikel aus dem Wasser. Gerade in ihrer Menge stellen sie damit einen bedeutenden Faktor dar. Die Filtrierrate von D. polymorpha hängt dabei von verschiedenen Faktoren wie z. B. Muschelgröße, Wassertemperatur, Strömung, Sedimentbeschaffenheit, etc. ab und variiert zwischen 2 bis 287 ml / Muschel / Std.
Grundsätzlich bilden die Muschelbänke der Dreissena-Arten eine wichtige Nahrungsquelle für Enten, Blässrallen, andere Wasservögel sowie Fischarten wie Rotfedern, Karpfen oder Felchen. Am Bodensee stiegen die Bestände der überwinternden Tauchenten und Blässhühner nach der Etablierung der Zebramuschel zeitweise auf das Mehrfache der bis dahin beobachteten Vögel an.
Ob die Ausbreitung der Schwesterart für die Lebewelt der Gewässer Auswirkungen hat, z.B. auf die Nahrungssituation von Muschel fressenden Wasservögeln, ist unklar. Im Moment scheint es hierfür keine Hinweise für zu geben. Zu dichte Besiedlungen von Großmuscheln oder Krebsen - beispielsweise beim Fehlen von Hartsubstrat im sandigen Gewässergrund - können allerdings deren Mobilität und Ernährungsmöglichkeiten und damit das Wachstum einschränken.
„Die waren doch vorher nicht da?“
Die beiden nah verwandten Dreissena-Arten besiedeln jegliche Form von Hartsubstraten wie Steine, Holzstücke, anderen am Gewässergrund lebende Großmuscheln, selbst ins Wasser ragende Äste und heften sich dort mit den Byssus-Fäden fest. Dabei können flächendeckende Muschelteppiche entstehen, die alles überziehen. So ist in den letzten Jahren etlichen Anwohnern der Plöner Gewässer aufgefallen, dass ihre Stege und davon ins Wasser führende Leitern auf einmal mit einem Muschelteppich überzogen wurden – „Die waren doch vorher nicht da?“ Offenbar steigt der Bestand der neu eingewanderten Art geradezu drastisch an. Auch die Funktionalität der Borstenelemente z.B. im Borstenfischpass Spitzenort zwischen dem Kleinen und dem Großen Plöner See im Verlauf der Schwentine wird durch die Massenbesiedlung der Muscheln auffällig beeinträchtigt. Die Zwischenräume der biegsamen Borstenelemente setzen sich z.B. im Jahr 2018 derartig zu, so dass sich hier massive Bänke entwickelten und diese damit ihrer eigentlichen Funktion beraubt wurden.
Weltweit sind Probleme mit Dreissena bei Massenentwicklungen durch das Zuwachsen der Kühlleitungen von Kraftwerken und anderen Rohrleitungen bekannt geworden. So soll es bereits in Berlin und Hamburg zu Problemen bei der Wasserversorgung von Binnenschiffen gekommen sein, da sich die Muscheln auf den Rümpfen anhefteten und dadurch auch die Rohrleitungen verstopften. Kraftwerke müssen die Muschelverstopfungen in ihren Abwasseranlagen bekämpfen. Reinigungen durch Chemikalien, Elektroschocks oder mechanisches Abkratzen sind mit erheblichem Arbeits- und Kostenaufwand verbunden. Die USA schätzen die verursachten Schäden der Zebramuschel auf mehrere Milliarden Dollar (Global Invasive Species Programm 2001).
Augen auf beim nächsten Strandspaziergang!
Der aktuelle Verdrängungsprozess und die Einwanderung der Quagga-Muschel als neue Muschelart in den heimischen Gewässern ist nicht mehr aufzuhalten. Vor den Augen vieler Natur- und Wasserfreunde spielt sich unter der Wasseroberfläche ein dramatischer Vorgang ab, der die Dynamik und auch die Faszination ökologischer Prozesse widerspiegelt. Also - Augen auf beim nächsten Gewässerbesuch!
CPu, 15. März 2019, korr. 18. November 2020