Der NABU ist aktiv, um unser Naturerbe zu erhalten. Damit Sie auch weiterhin heimische Tiere und Pflanzen erleben können, braucht der NABU Ihre Unterstützung - am Besten noch heute!
Jetzt Mitglied werden!Positionen des NABU
10 Fragen und Antworten zum Verhältnis Wolf und Weidetierhaltung
Der NABU Schleswig-Holstein nimmt Stellung zu wesentlichen Aspekten und Fragestellungen in der Diskussionen um den Wolf und die Schafhaltung. Im Kreis Pinneberg ergaben genetische Untersuchungen nach Auskunft des MELUND, dass Schafe vermutlich von ein und demselben Wolf gerissen wurden.
Wo liegt das wesentliche Konfliktfeld unter dem Gesichtspunkt der Landnutzung?
Der mit Abstand größte Konflikt zwischen Wolfsvorkommen und Landnutzung betrifft die Schafhaltung, da 1. Schafe unter den verbreiteten, im Freiland gehaltenen Nutztieren dem Beuteschema des Wolfs am meisten entsprechen, 2. sehr leicht zu erbeuten sind und 3. die Schafhaltung (mit regionalen Schwerpunkten) weit verbreitet ist. Wolfsangriffe auf Rinder (Kälber) kommen vor, sind aber im Vergleich zur Gefährdung von Schafen statistisch zu vernachlässigen. Gleiches gilt für Pferde.
Mögliche Auswirkungen auf den Schalenwildbestand und dessen jagdliche Nutzung, wie sie von Teilen der Jägerschaft problematisiert werden, sind nach Ansicht des NABU dagegen hinzunehmen, vor allem da der Schalenwildbestand in Schleswig-Holstein überaus hoch ist (und deswegen zu Konflikten mit der Forst- und Landwirtschaft führt).
Sind Wolfsvorkommen mit der Schafhaltung vereinbar?
Wenn die Herdenschutzempfehlungen des Landes (siehe Internetseiten der Landesregierung) beachtet werden, lassen sich Wolfsangriffe auf Schafe zwar nicht mit absoluter Sicherheit, aber doch mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ausschließen. Wichtigstes Instrument sind dabei wolfsabweisende Zaunkonstruktionen. Aufgrund solcher Präventionsmaßnahmen sind beispielsweise im Kreis Hzgt. Lauenburg auch seitens der dortigen Berufsschäfer seit Jahren keine Schafsrisse mehr zu verzeichnen gewesen, obgleich sich dort vermutlich ständig verschiedene Wölfe aufhalten. Auch in den Wolfsgebieten Ostdeutschlands überwinden Wölfe gemäß den Empfehlungen aufgebaute Schutzzäune (trotz gegenteiliger Behauptungen) nur in absoluten Ausnahmefällen (siehe auch Nr. 6).
Sind die getroffenen Herdenschutzmaßnahmen ausreichend?
Bei allen in Schleswig-Holstein zu verzeichnenden Schafsrissen fehlten Präventionsmaßnahmen i.S.d. Empfehlungen des Landes. Die in Schleswig-Holstein weit verbreitete Abzäunung mit nur einer oder zwei E-Litzen schützt die Schafe weder vor Wolf noch Hund. Ihr Zweck ist lediglich, die Schafe auf der Koppel zu halten. Selbst in zeitweiligen Wolfsvorkommensgebieten weigern sich einige Schafhalter, die empfohlenen und bewährten Zaunschutzmaßnahmen zu ergreifen. Dieses uneinsichtige Verhalten zeigen sogar unlängst von Wolfsangriffen betroffene Schäfer. Dadurch werden weitere Risse mit hoher Wahrscheinlichkeit riskiert und letztlich Wölfe an das Töten von Schafen als weitaus einfachste Form des Beutemachens gewöhnt.
Besteht eine grundsätzliche Verpflichtung der Tierhalters zum Schutz ihrer Weidetiere?
§ 3 Abs. 2 Nr. 2 der Tierschutznutztierhaltungsverordnung des Bundes (2001) schreibt vor, dass "Haltungseinrichtungen ... so ausgestattet sein (müssen), dass ... die Tiere, soweit möglich, vor Beutegreifern geschützt werden." Dieses verpflichtet nach aktueller Rechtsprechung (OVG Lüneburg, Beschluss v. 17.1.2018) auch für den Schutz von Schafen gegen Wölfe, allerdings nur bei konkret vorliegender Gefahr. Im Fall Eiderstedt, aber auch bei Fällen in Mittelholstein, wo Schafhalter bereits zuvor Verluste zu verzeichnen hatten und von Wolfsvorkommen in unmittelbarer Nähe wussten, also eine konkrete Gefahr bestand, hätte diese rechtliche Vorgabe nach Ansicht des NABU befolgt werden müssen. Es wäre Aufgabe der Amtstierärzte gewesen, diesbezüglich auf uneinsichtige Schafhalter einzuwirken und ggf. Anordnungen zu treffen (siehe Hintergrund des Beschluss des OVG Lüneburg vom 17.1.2018). Von Strafanzeigen in dieser Sache, wie sie kürzlich von unbekannt gestellt worden sind, hält der NABU nichts.
Sind die seitens des Landes möglichen Fördermaßnahmen und Entschädigungen als Instrumente der Konfliktminderung ausreichend?
Grundsätzlich ja. Nach Ansicht des NABU wäre jedoch eine schnellere Ausweisung sogenannter Wolfsgebiete notwendig, in denen Präventionsmaßnahmen (v.a. Zäune) zur Zeit mit 80 % der Investitionskosten gefördert werden können und, wenn die Förderangebote von Tierhaltern nicht angenommen werden, diese im Falle von wolfsverursachten Schafsrissen keinen Schadensausgleich erhalten. Die Präventionsstrategie des Landes mit ihrem Förderrahmen sollte stärker auf die Situation ausgerichtet werden, dass sich (Jung-)Wölfe längere Zeit in einem Gebiet aufhalten und sich dort schnell an das Erbeuten ungenügend geschützter Schafe gewöhnen können, was die Problematik verschärft. Eine stärker auf Prävention (Zaunmaterial) als auf Schadensausgleich abzielende Förderung dürfte sich mittelfristig auch deswegen lohnen, weil solche Gebiete oft wiederholt von Wölfen aufgesucht werden. Dafür wären einerseits die Fördermittel seitens des Landes erheblich zu erhöhen, andererseits aber auch die Schafhalter stärker in die Verantwortung zu nehmen.
Sind die Forderungen nach Abschuss einzelner Schafe reißender oder habituierter Wölfe angebracht?
Aus erheblich dichter mit Wölfen besiedelten Regionen liegen Berichte vor, nach denen einzelne Wölfe das Überwinden korrekt installierter Zäune gelernt haben und dies auch immer wieder tun. Allerdings hat sich bei Prüfung derartiger Vorkommnisse herausgestellt, dass es sich dabei um sehr wenige Einzelfälle gehandelt hat; in den meisten Fällen haben kleine, aber folgenschwere Versäumnisse bei der Prävention den Wölfen das Überwinden der Zäune ermöglicht. Für solche 'Problemwölfe', d.h. bestimmte Tiere, die sich selbst durch sorgfältigen Herdenschutz nicht von Schafsrissen abhalten lassen, sollten die Behörden jeweils einzelfallbezogene Abschussgenehmigungen erteilen können, sofern ersichtlich ist, dass nachweislich weder eine praktikable Optimierung der Zäune (gemäß den Empfehlungen der Landesregierung) das betreffende Tier abhält noch eine Vergrämung machbar ist und das betreffende Exemplar die Zäune regelmäßig überwindet.
Ähnliches sollte für habituierte Exemplare gelten, also für Wölfe, die z.B. aufgrund von Futtergaben dauerhaft jegliche Scheu vor dem Menschen verloren haben und so für diesen zu einer tatsächlichen Gefahr werden können ('verhaltensauffällige Wölfe', z.B. Wolf 'Kurti', Niedersachsen). Allerdings ist auch hier eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalls vorzunehmen, zumal junge Wölfe (wie viele Jungtiere anderer Arten auch) nicht selten deutlich weniger Scheu als Neugierde gegenüber Menschen zeigen, was aber nicht als potenziell aggressives Verhalten zu werten ist. In diesem Zusammenhang möchte der NABU darauf hinweisen, dass selbst in Ländern wie Polen oder Italien, in denen Wölfe seit geraumer Zeit nicht bejagt werden und deutlich größere Populationen leben, keine Angriffe auf Menschen zu verzeichnen gewesen sind.
Sollen Wölfe regulär bejagt werden können?
Auch unabhängig von den derzeitigen europarechtlichen Vorgaben zum Schutz des Wolfs spricht sich der NABU gegen eine Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht bzw. gegen eine reguläre Bejagung aus. Der Vorbehalt für aus Gründen der 'Gefahrenabwehr' (siehe Nr. 6) notwendige Einzelabschüsse muss gewährt bleiben; sie lassen sich aber auch ohne eine Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht realisieren. Da es sich dabei um den Abschuss ganz bestimmter Individuen handeln muss, wäre z.B. die Abschussfreigabe eines zahlenmäßig festgesetzten Quantums (schwedisches Modell der 'Schutzjagd') diesem Zweck in keiner Weise förderlich. Im übrigen ist die Forderung nach Bejagung des Wolfs angesichts der wenigen sich in Schleswig-Holstein aufhaltenden Tiere und der fehlenden Aussicht auf einen etablierten Bestand in einer Stärke, die eine Bejagung populationsbiologisch vertragen könnte, vollkommen irreal.
'Wolfsfreie Zonen' in Schleswig-Holstein?
Die Forderung nach 'wolfsfreien Zonen' ist weder realistisch noch angebracht. Ebenso wenig wie andere Wildtiere lassen sich Wölfe davon abhalten, bestimmte Regionen aufzusuchen, solange diese gute Nahrungsbedingen (wozu für den Wolf gerade unachtsam eingezäunte Schafherden zählen) und Deckungsmöglichkeiten zeigen. Ein Abschuss von in als 'wolfsfrei' deklarierten Zonen eingedrungenen Wölfen ist rechtlich nicht möglich. - Der NABU möchte in diesem Zusammenhang nochmals darauf hinweisen, dass der Schlüssel zur Konfliktentschärfung bei der Verwendung von Schutzzäunen und deren Förderung liegt.
Inwieweit ist Schleswig-Holstein als Wolfslebensraum geeignet und wie wird die weitere Bestandsentwicklung aussehen?
Hierüber ist in den vergangenen Jahren sowohl auf fachlicher als auch auf wenig sachkundiger Ebene viel und oft falsch spekuliert worden. Eine sichere Prognose ist nicht abzugeben. Festzuhalten ist jedoch, dass sich Wölfe grundsätzlich an die Verhältnisse einer weitgehend agrarisch geformten Kulturlandschaft mit relativ hoher menschlicher Besiedlung anpassen können. Weitläufige 'Wildnisse' benötigen sie nicht. Als Tagesverstecke genügen hoch gewachsene Getreide- und Maisfelder, ruhige Feldgehölze etc.. Rehe als in Deutschland bevorzugte Beutetiere sind zahlreich vorhanden, dazu gebietsweise viel Damwild und andere Arten. Der Begegnung mit Menschen können sich Wölfe wie andere Wildtiere auch selbst in einem verhältnismäßig dicht besiedelten Land geschickt entziehen.
Für die sehr mobilen Tiere dürfte aber die hohe Verkehrsdichte problematisch, d.h. bestandslimitierend sein, der regelmäßig Wölfe, v.a. unerfahrene Jungtiere, zum Opfer fallen. Bislang sind in Schleswig-Holstein nur Jungtiere, weit überwiegend junge Rüden, nachgewiesen worden, nicht jedoch eindeutig adulte, territoriale Tiere. Im Verhältnis zur Reproduktions- und Abwanderungsrate der benachbart zu Schleswig-Holstein in Westmecklenburg und Nordostniedersachsen lebenden Rudel sind in Schleswig-Holstein bisher verhältnismäßig wenig Exemplare festgestellt worden. Dagegen sind von einem dänischen Rudel in 2018 mehrere Jungtiere nach Schleswig-Holstein gewandert. Für eine erfolgreiche Welpenaufzucht und damit Rudelbildung scheint unsere Agrarlandschaft jedoch nicht geeignet zu sein. Die Fortpflanzung fixiert sich auf (mehrere Tausend Hektar) große ungestörte Bereiche wie Truppenübungsplätze, aufgelassene Tagebaue oder ausgedehnte ruhige Wälder, wie bei allen in Deutschland lebenden Familienverbänden zu erkennen ist. Möglicherweise geeignete Gebiete sind allenfalls im Kreis Hzgt. Lauenburg oder um den Segeberger Forst zu finden, wobei stark befahrene Straßen auch in deren Umgebung zu hohen Jungtierverlusten führen dürften Vor diesem Hintergrund ist zwar eine verstärkte Ein- bzw. Durchwanderung junger Wölfe zu erwarten, nicht aber eine großflächige Besiedlung in Form von residenten Rudeln.
Sachdienliche Diskussion oder Stimmungsmache?
Nachdem über fast zehn Jahre das Thema Wolf in Schleswig-Holstein von allen wesentlichen Akteuren überwiegend sachlich behandelt wurde, sind 2018 in der öffentlichen Diskussion zunehmend maßgebliche Fakten missachtet worden. Schafsrisse werden medial zur Stimmungsmache gegen den Wolf und darüber hinaus gegen Naturschützer genutzt, obwohl ein Teil dieser Tierverluste auf höchst fahrlässiger, wenn nicht bewusster Verweigerung von Präventionsmaßnahmen beruht. Wenn Landespolitiker auf diesen Zug aufspringen und publikumswirksam Wolfsabschüsse fordern, dabei aber mit keinem Wort auf den völlig unzulänglichen Zaunschutz und die in einigen Fällen gegebene Beratungsresistenz des betroffenen Tierhalters eingehen, ist das nach Auffassung des NABU unseriös. Aber auch die Medienberichte sparen mittlerweile häufig eine objektive Betrachtung der Umstände zugunsten der Schlagzeilen aus. Damit werden die bisher in diesem Land gewohnte Diskussionskultur einem reinen populistischen Auftreten geopfert, die Unwilligen unter den Schäfern zu ihrem problematischen Verhalten ermuntert und die Arbeit des Umweltministeriums sowie der vielen ehrenamtlich tätigen Wolfsbetreuer konterkariert.