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Jetzt Mitglied werden!Wölfe und Schafhaltung in Schleswig-Holstein
Offener Brief an Landtagsabgeordnete
Im Folgenden dokumentiert der NABU seinen Brief vom 6. August 2018 an die umweltpolitischen SprecherInnen im Kieler Landtag zum Thema "Wolf und Schafhaltung":
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
das Thema 'Umgang mit Wölfen' ist in Schleswig-Holstein bislang sowohl politisch als auch journalistisch überwiegend sachlich behandelt worden, wodurch sich unser Land wohltuend von manch anderen Bundesländern unterscheidet. Das gut organisierte, in der Praxis bisher erfolgreiche Wolfsmanagement der Landesregierung, vertreten durch das Umweltministerium, hat dazu entscheidend beigetragen. Überdies bietet der Runde Tisch 'Wolf' allen Seiten eine geeignete Plattform zum Austausch von Argumenten.
Als Naturschutzverband haben wir dieses Wolfsmanagement von Anfang an begleitet und unterstützt. Deswegen wäre Ihnen der NABU außerordentlich dankbar, wenn Sie sich in Ihrer politischen Verantwortung nach Kräften für die Beibehaltung der bisherigen konstruktiven Linie einsetzen könnten.
Denn diese sachorientierte Ebene droht mittlerweile verlassen zu werden. Ein Beispiel lieferte kürzlich der Präsident der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, Breido Graf zu Rantzau, mit seinem Interview in den Kieler Nachrichten vom 26.7.2018, indem er - ganz im Stil eines Donald Trump - ungeniert gleich reihenweise 'alternative Fakten' präsentierte und gezielt die emotionale Ebene mit Ammenmärchen vom 'bösen Wolf' bediente. Dies entspricht auffällig der Vorgehensweise der organisierten Wolfsgegner beispielsweise aus Brandenburg oder Sachsen im Verbund mit der AfD. Wobei auffällt, dass eine Pressemitteilung der schleswig-holsteinischen AfD-Landtagsfraktion mit der zentralen Forderung auch des Grafen Rantzau, die Einwanderung von Wölfen nach Schleswig-Holstein zu unterbinden, zeitgleich erschien. Dass sich eine Vielzahl der beklagten Schafsrisse mit machbaren und zudem durch das Land Schleswig-Holstein sowohl finanziell als auch mittels praktischer Hilfe unterstützten Präventionsmaßnahmen hätte verhindern lassen, wird dagegen mit keinem Wort erwähnt. Eine bewusste Irreführung ist auch der Bericht in den Kieler Nachrichten vom 3. August 2018: "Angst vorm Wolf: Ein Schafhalter gibt auf". Wer den besagten Betrieb kennt, dürfte sich mit Recht fragen, ob nicht ganz andere Gründe den Nebenerwerbslandwirt zur Aufgabe der Schafhaltung bewogen haben.
Stark populistisch getönte Debattenbeiträge sind aus den seriösen Fraktionen unseres Landtags allenfalls ausnahmsweise zu vernehmen gewesen. Das sollte - auch bei Umweltthemen - auch so bleiben. Deswegen bittet der NABU Sie als Abgeordnete, sich von der Stimmungsmache à la AfD-Politik nicht beeindrucken zu lassen, sondern am sachlichen Umgang mit dem Thema festzuhalten.
Dem NABU ist das Konfliktfeld Wolf ./. Schafhaltung durchaus bewusst. So ist er dem Land Schleswig-Holstein zur Seite gesprungen, solange die De-minimis-Regelung der EU einen vollständigen Schadensausgleich für betroffene Schäfer verhinderte und hat diesbezüglich der Schäferei Siebels (Blumenthal, Kreis Rendsburg-Eckernförde) zusammen mit anderen Umweltorganisationen den dadurch ausstehenden Restbetrag von 3.800 Euro zukommen lassen.
Ein Schadensausgleich und die finanzielle Förderung von Präventionsmaßnahmen reichen jedoch nicht aus, die Schafsrisse deutlich zu verringern. Denn auch die Schäfer müssen beim Herdenschutz mitwirken. Und hier liegt oft das Problem, auf das wir Sie gerne aufmerksam machen möchten. Die mittlerweile häufigen Attacken eines jungen Wolfes auf Schafe Eiderstedts erklären sich weitgehend mit dem Fehlen wolfssicherer Einzäunungen. Oft unterbleibt dort sogar jegliche Abzäunung; die Eiderstedter Gräben halten zwar die Schafe auf der Fläche, gewähren aber keinerlei Schutz vor dem Wolf. So gesehen lädt die dortige Schafhaltung den Wolf geradezu ein, sich an den Schafen zu bedienen. Leichter kann er an Beute gar nicht kommen, zumal auf Eiderstedt kaum Rehe oder andere wildlebende Beutetiere vorkommen.
So stellt sich die Frage: Ist ein Tier, dem Schafe regelrecht auf dem Präsentierteller gereicht werden, wirklich als "auffällig" zu bezeichnen? Soll ein Wolf, der durch Fahrlässigkeit der Tierhalter auf Schaffleisch konditioniert worden ist, abgeschossen werden, wie einzelne Stimmen inzwischen auch aus der Politik dies fordern?
Diese Situation betrifft allerdings nicht nur Eiderstedt. Auch im übrigen Land sind Schafherden allzu häufig völlig unzureichend abgezäunt. Dabei schreibt die Tierschutznutztierhaltungsverordnung des Bundes in § 3 Abs. 2 schon lange vor, dass "Haltungseinrichtungen so ausgestattet sein müssen, ... dass die Tiere, soweit möglich, vor Beutegreifern geschützt werden". Mit "Beutegreifern" sind im Hinblick auf die Schafhaltung keineswegs nur Wölfe gemeint. Der größte 'Feind' der Schafe in Schleswig-Holstein ist vielmehr der Haushund. Nach wie vor kommen durch Hunde weitaus mehr Schafe zu Tode als durch Wölfe. Bei den bislang als vermutete Wolfsrisse gemeldeten Schafen sind in etwa zwei Drittel der Fälle Hunde die Verursacher gewesen (von den Eiderstedter Fällen der letzten Wochen abgesehen), wie die genetischen Untersuchungen ergeben haben. Hinzu kommen zahlreiche Fälle, bei denen Hunde als Übeltäter von vornherein feststehen, und die deshalb den Rissbegutachtern gar nicht erst gemeldet werden.
Das ist den Schafhaltern durchaus bekannt. Aus ökonomischen Gründen nehmen viele von ihnen dennoch lieber das Risiko von Tierverlusten in Kauf, als den Anforderungen der Tierschutznutztierhaltungsverordnung nachzukommen. Kniehohe E-Zäune mit zwei, manchmal auch nur einer Litze haben lediglich den Zweck, die Schafe auf der Koppel zu halten, können aber von jedem Hund oder Wolf mühelos überwunden werden. Öffentlich über auf diese Weise verursachte Tierverluste geklagt wird aber nur bei Wolfsrissen - denn dann gibt es Schadensausgleich sowie die gewünschte wolfsfeindliche Resonanz in der Öffentlichkeit.
Nach Ansicht des NABU ist dieser Zustand, d.h. die Fahrlässigkeit etlicher Schafhalter, nicht länger hinnehmbar. Obgleich mit Aufwand verbunden, sollten sie ihre Herden besser schützen - vor Hund und Wolf. Gerade in Bezug auf die Situation auf Eiderstedt sollten auch die Landwirtschafts- und Agrarpolitiker genauer auf die Umstände der Wolfsrisse schauen. Zudem muss das Umweltministerium hier Klartext reden, statt deutliche Worte zu scheuen.
Dass Schafhalter der Wolfsproblematik auch anders begegnen können, beweist beispielsweise die Berufsschäferin Heike Griem. Ihre Herden weiden dort, wo sich fast permanent mindestens ein Wolf aufhält, nämlich im östlichen Kreis Herzogtum Lauenburg und im westlichen Mecklenburg. Dank effektiver Schutzmaßnahmen hat sie seit langer Zeit kein Tier mehr an Wölfe verloren. Auch andere Schafhalter aus dem Lauenburgischen hatten aufgrund effektiver Zäune so gut wie keine Wolfsrisse zu beklagen gehabt.
Schwieriger ist ein wirkungsvoller Schutz bei der Deichbeweidung. Doch auch dieser Umstand ist kein Grund, über 'Obergrenzen' des schleswig-holsteinischen Wolfsbestandes zu schwadronieren. Diese Diskussion ist allein schon deswegen entbehrlich, weil wir einen Bestand im eigentlichen Sinne, nämlich als Fortpflanzungsgemeinschaft, gar nicht haben. Bei den eingewanderten Tieren hat es sich immer um Einzeltiere gehandelt, von denen fast alle nur kurzzeitig in Schleswig-Holstein registriert werden konnten. Mehrere sind nach Dänemark weitergezogen, die meisten verschollen. Für die Etablierung von Rudeln, d.h. territorialen Familienverbände mit Jungtieren, ist unser Land dagegen weitgehend ungeeignet, weil die zur Welpenaufzucht notwendigen, ausreichend großen Ruheräume fehlen und die hohe Verkehrsdichte das Überleben zusätzlich erschwert.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, vielleicht werden Sie solche Informationen von Seiten eines Naturschutzverbandes, der der Wiedereinwanderung des Wolfes in Deutschland sachlich positiv gegenüber steht, als subjektiv und deshalb mit Skepsis betrachten. Da Schleswig-Holstein jedoch über versierte Fachleute im MELUND und LLUR verfügt, die auch die praktischen Seiten des Wolfsmanagements kennen, sollten Sie diese durchaus mal um ein informelles Gespräch bitten, aus dem Fachpolitik und Fachverwaltung sicherlich gleichermaßen lernen können.
Mit freundlichen Grüßen
Fritz Heydemann
Stellv. NABU-Landesvorsitzender
Verteiler
MdL Umwelt- und Agrarpolitik
CDU (Hauke Göttsch, Heiner Rickers, Klaus Jensen)
SPD (Sandra Redmann, Kirsten Eickhoff-Weber)
B'90 / Grüne (Marlies Fritzen, Bernd Voss)
FDP (Oliver Kumbartzky, Dennys Bornhöft)
SSW (Flemming Meyer)
Nachrichtlich
MELUND (Minister Dr. Robert Habeck, Staatssekretärin Anke Erdmann)
Landesnaturschutzbeauftragter (Prof. Holger Gerth)