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Offener Brief des NABU gegen unangemessene Polemik
Offener Brief an Ex-Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen und Hauke Göttsch, Vorsitzender des Umwelt- und Agrarausschusses des Kieler Landtags vom 28. April 2015
Sehr geehrter Herr Göttsch,
sehr geehrter Herr Carstensen,
vermutlich hat die am 14. April 2015 erfolgte massive Attacke auf die Schafherde bei Blumenthal niemanden unberührt gelassen; für den Tierhalter war dies zweifelsohne ein schwerer Schlag. Dass die Diskussion um den nach Schleswig-Holstein wieder einwandernden Wolf dadurch neuen Auftrieb bekommt und dabei auch emotionale Akzente enthält, ist verständlich, auch wenn noch keine abschließende Gewissheit über den Verursacher - Wolf oder Hund? - dieses schlimmen Geschehens besteht.
Doch rechtfertigt das, selbst unter der Annahme, ein Wolf habe die Schafe gerissen, diesen Vorfall derartig polemisch und politisch einseitig auszuschlachten, wie Sie es über die Medien in den letzten Tagen versucht haben?
Ein Beispiel dafür ist Ihr Beitrag, sehr geehrter Herr Carstensen, mit dem Sie darüber fabulieren, "ob der Wolf nicht aktiv hierher gebracht wurde" (Zitat gemäß KN v. 17.4.2015). Auf dem Landesjägertag verdächtigen Sie sogar das Umweltministerium der Mitwisserschaft bei "geheimen Aktivitäten ..., den Wolf in Schleswig-Holstein bewusst anzusiedeln" (KN v. 20.4.2015). Der Versuch, damit Naturschützern die Schuld an den Schafsrissen zuschieben zu wollen, berührt zwar wenig, weil allzu billig und leicht durchschaubar. Oder glauben Sie allen Ernstes selbst an diese dermaßen an den Haaren herbeigezogene Legende, mit der man sich nur lächerlich machen kann? Ein Hinweis zur Sache: Wölfe müssen zur Querung des Landes nicht "über mehrere Autobahnzäune steigen", wie Sie Ihre Zweifel an einer Wiederbesiedlung auf natürlichem Wege begründen. Das haben sie gar nicht nötig.
Denn die Autobahnen sind längst nicht durchgehend mit Wildschutzzäunen gesäumt. Und falls doch ein solch hoher Zaun überwunden werden muss, versucht sich ein Wolf darunter durchzugraben.
In jeder Hinsicht unseriös ist zudem die Art und Weise, mit der Sie beide die Angst vor dem Wolf schüren, indem Sie als "oberstes Gebot" vor dem Verlassen der Wege warnen und damit die alte Mär vom 'Rotkäppchenfresser' wiederzubeleben versuchen, und das ohne jeden Realitätsbezug. So strömen alljährlich tausende Menschen in die Wälder und Feldmark Brandenburgs und Sachsens zum Beeren sammeln, Pilze suchen, Tiere beobachten oder einfach zur Erholung - obgleich sich dort Wölfe mit inzwischen über 20 Rudeln etabliert haben. Ebenso im Baltikum, weiten Teilen Polens, Italiens usw., ohne dass es zu einer schwer wiegenden Attacke eines Wolfes auf einen Menschen gekommen wäre. Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass sich nach anfänglich heftigen Schauergeschichten zur angeblichen Gefährlichkeit der Wölfe die Situation in der Lausitz inzwischen beruhigt hat - weil sich all die wüsten Prophezeiungen nicht bewahrheitet haben? - Zu Problemen kann es nur kommen, wenn Wölfe durch unbedachte Anfütterung an den Menschen gewöhnt und dann aufdringlich werden, wie es beim Jungtiertrupp vom Truppenübungsplatz Munster zu beobachten ist. Ein derartiges Verhalten darf jedoch nicht verallgemeinert werden!
Schon allein vor dem Hintergrund der auch von Jägern beklagten zunehmenden Naturentfremdung vieler Menschen, die sich unter anderem in diffusen Ängsten vor 'bissigem oder infektiösem Getier' äußert, ist eine solche Angstmacherei völlig inakzeptabel. Aber Sie, Herr Göttsch, haben dann ja dankenswerterweise die Katze aus dem Sack gelassen, indem Sie sogleich die Verknüpfung zum Betretungsrecht hergestellt und dessen Verschärfung gefordert haben. Aufs Konkrete heruntergebrochen, soll man Ihr Anliegen wohl so verstehen, dass Sie damit nicht nur die Pilzsucher im Wald, sondern auch die Kinder beim Drachensteigen auf den Maisstoppeln vor dem Wolf bewahren wollen... Müssen Sie bei Ihrem offenkundigen jagdlichen Interesse, andere Menschen aus der Fläche von Wald und Flur möglichst herauszuhalten, zu derart kruden Gedankenkonstruktionen greifen?
Sehr geehrte Herren, nicht zuletzt im Hinblick auf Ihre bedeutenden politischen Funktionen in Gegenwart bzw. Vergangenheit und dem damit verbundenen Status in der öffentlichen Wahrnehmung, wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie sich dem Thema Wolf zukünftig mit mehr Reflektion und Verantwortungsbewusstsein nähern könnten. Das Wolfsmanagement ist unter der engagierten Federführung der Naturschutzabteilung des Umweltministeriums, übrigens unter CDU-Ministern, entwickelt worden. Alle Beteiligten des dazu einberufenen Runden Tisches vom Schafzüchterverband über die Jägerschaft bis zum NABU und WWF haben einvernehmlich bekundet, das spannungsgeladene Thema mit der gebotenen Sachlichkeit und lösungsorientiert zu bearbeiten. Bislang bestand bei allen einflussreichen Vertreter aus Landwirtschaft, Naturschutz und Politik Konsens, kein Öl ins Feuer zu gießen, um damit die pragmatische Arbeit nicht zu erschweren. Wir würden uns freuen, wenn dies auch für die Zukunft gelänge.
Mit freundlichen Grüßen
Fritz Heydemann
Stellv. NABU-Landesvorsitzender