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Jetzt Mitglied werden!Verfahrensbeschleunigung nicht auf Kosten des Natur- und Artenschutzes
Die Landesregierung von Schleswig-Holstein plant, verschiedene Landesgesetze zu ändern, um Planungs- und Genehmigungsverfahren im Infrastrukturbereich zu beschleunigen. Dazu gehören das Straßen- und Wegegesetz, das Landesverwaltungsgesetz, das Landesnaturschutzgesetz und das Landes-UVP-Gesetz. Ziel ist es, schneller auf die wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen zu reagieren, insbesondere im Hinblick auf die Energiewende und die Wirtschaftsförderung.
Der NABU Schleswig-Holstein erkennt das Anliegen der Landesregierung grundsätzlich an, solange dabei die Standards des Umwelt- und Naturschutzes nicht gefährdet werden. Der vorliegende Gesetzesentwurf scheint diese Balance im Großen und Ganzen zu wahren und zeigt sich ausgewogen und annehmbar.
Kritikpunkte und Anmerkungen zum Gesetzesentwurf
Straßenbau (§ 40g WStrG SH)
Der NABU sieht kritisch, dass die Anfechtungsklagen gegen den Bau oder die Änderung von Landesstraßen keine aufschiebende Wirkung mehr haben sollen. Diese Regelung bewirkt, dass der*die Vorhabenträger*in mit dem Bau beginnen kann, auch wenn gegen den Planfeststellungsbeschluss bzw. gegen die Genehmigung geklagt wird und das Gericht noch nicht entschieden hat. Eine aufschiebende Wirkung muss nun gesondert von potenziellen Kläger*innen im Eilverfahren beantragt werden. Dies erhöht das Prozess- und Kostenrisiko für Bürger*innen und Umweltverbände, die gegen die behördlichen Entscheidungen vorgehen möchten. Positiv nimmt der NABU zur Kenntnis, dass aber die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bestehen bleiben soll. Bevor die aufschiebende Wirkung entfällt, müssen die umweltrechtlichen Vorschriften also zweimal geprüft worden sein – von der Genehmigungsbehörde und von der Widerspruchsbehörde. Vor diesem Hintergrund hält der NABU SH die beabsichtigte Neuregelung für zumindest vertretbar, auch wenn er sie nicht gutheißt.
Einschränkung der UVP-Pflicht
Der NABU begrüßt, dass die Landesregierung auch den Geh- und Radverkehr beschleunigt ausbauen möchte. Zu diesem Zweck soll die Pflicht zur Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) beschränkt werden: Der Gesetzesentwurf beabsichtigt, unter bestimmten Voraussetzungen die Pflicht zur UVP-Vorprüfung entfallen zu lassen, wenn Geh- und Radwege entlang von Landes-, Kreis-, Gemeinde- und sonstigen Straßen geplant werden. Grundsätzlich beobachtet der NABU den aktuellen Trend, die UVP-Pflicht gesetzlich immer weiter auszuhöhlen, sehr kritisch. Denn diese Prüfungen sind ein zentraler Bestandteil des Umweltschutzes. Der Ausbau von Geh- und Radwegen fördert aber klimafreundliche Mobilität und dient dem Schutz besonders gefährdeter Verkehrsteilnehmer*innen. Zudem enthält die Neuregelung Ausnahmen zum Schutz besonders schützenswerter Gebiete. Infolgedessen hält der NABU diese Regelung für richtig.
Ohne Personalausstattung keine Beschleunigung
Der NABU betont, dass eine bessere Personalausstattung der Behörden Voraussetzung sein wird, um Planungsverfahren wirklich zu beschleunigen. Häufig wird die Genehmigung aufgrund fehlender Ressourcen voreilig erteilt, was später zu langwierigen Widerspruchsverfahren führt. Mehr Personal könnte hier Abhilfe schaffen und sowohl Naturschutz als auch Projektträger*innen entlasten.
Anträge von FDP und SSW überwiegend einseitig und teils eklatant rechtswidrig
FDP-Antrag stellt erwartbar Wirtschaftförderung über alles andere
Die FDP fordert in ihrem Antrag eine umfassende Planungsbeschleunigung auf allen staatlichen Ebenen. Der Antrag zielt ausdrücklich allein auf die Stärkung der Infrastruktur zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Konkret fordert die FDP, dass das Land Schleswig-Holstein über die geplanten Änderungen hinaus weitere Maßnahmen zur Beschleunigung von Infrastrukturprojekten ergreift. Dazu gehören unter anderem, den Ausbau von Landesstraßen als im „überragenden öffentlichen Interesse“ stehend festzulegen und Fristverkürzungen sowie Stichtagsregelungen einzuführen.
Der NABU lehnt den höchst unkonkreten Antrag ab, Umwelt- und Klimaschutz einer größtmöglichen Wirtschaftsförderung preiszugeben.
Besonders kritisch sieht der NABU die Forderung, den Ausbau von Landesstraßen ins „überragende öffentliche Interesse“ stellen zu wollen, was zu massiven Umweltbeeinträchtigungen führen würde. Im überragenden öffentlichen Interesse stehen ansonsten nur Belange von überragender Bedeutung, deren Umsetzung dringlich ist und keinen weiteren Aufschub duldet: Maßnahmen der Energiewende sowie Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit (wie z.B. nach dem russischen Angriff auf die Ukraine).
Die angestrebte Gleichsetzung durch die FDP verkennt entweder die Bedeutung dieser Regelung oder ist als höchst zynisch zu werten.
Auch die vorgeschlagenen Fristverkürzungen lehnt der NABU ab, da sie die Verwaltung zusatzlich belasten und zu unzureichend geprüften Genehmigungen führen können.
Antrag des SSW sehnt vermeintlich dänisches Recht herbei
Der SSW fordert in seinem Antrag eine Legalplanung nach dänischem Vorbild. Diese soll eine schnellere Umsetzung von Infrastrukturprojekten ermöglichen, indem Bürger- und Verbändebeteiligung vorgeschaltet wird und nach Beschluss des Bundestags Klagemöglichkeiten weitgehend ausgeschlossen werden. Der Antrag kritisiert langwierige Planungsprozesse in Deutschland und fordert, dass Schleswig-Holstein sich für eine solche Legalplanung auf Bundes- und Landesebene einsetzt.
Der NABU lehnt ein solches Ansinnen entschieden ab. Die beabsichtigte Einschränkung der Klagemöglichkeiten "unterhalb" der Verfassungsbeschwerde verstößt gegen Völkerrecht, Unionsrecht und deutsches Verfassungsrecht. Solche Eingriffe in die Rechtsstaatlichkeit und den Naturschutz sind für den NABU untragbar.
Überdies zeugt der Antrag von Unkenntnis des dänischen Rechts. Die Fraktion möchte auch nicht das dänische Rechtssystem übernehmen, sondern sich einzelne Elemente herausgreifen. Dieses Rosinen-Picken führt zu system- und rechtswidrigen Ergebnissen. Im Übrigen gelingt die schnellere Planung in Dänemark deshalb, weil die umweltbezogenen Prüfungen deutlich oberflächlicher durchgeführt werden können. Dies kann zu erheblichen
Umweltschäden führen. Eine solche Vorgehensweise hat das Potenzial, die Biodiversitätskrise massiv zu verschärfen.
Der NABU betont, dass jegliche Planungsbeschleunigung zwingend im Einklang mit rechtsstaatlichen und naturschutzrechtlichen Standards erfolgen muss.
Stand: 23.08.2024, ASch / DSt