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Natur und Landschaft geschädigt – Geld vergeudet
Beim Klimaschutzabkommen in Paris wurden vor einem Jahr ehrgeizige Ziele gesetzt, die aber nur zu erreichen sind, wenn auch der heimische Verkehrssektor zu den nationalen Reduktionszielen stark beiträgt. Ein allgemeiner Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik ist daher nötig, der sich nicht nur auf E-Mobilität als tragende Säule begrenzen lässt. Zwei zentrale Weichenstellungen stehen ab 2017 in Schleswig – Holstein bevor: In welchem Umfang werden die Maßnahmen aus dem Bundesverkehrswegeplan (BVWP 2030) umgesetzt und welche Konsequenzen werden aus dem von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten zur künftigen Mobilität im Land von der nächsten Landesregierung gezogen? Aus Umweltsicht ergeben sich zwei konkrete Fragen: Wird das Ziel „Erhalt und Sanierung vor Neubau“ bei Realisierung der Planungen erfüllt? Kann das Land mit den jetzt vertretenen verkehrspolitischen Konzepten „zum Vorreiter neuer Mobilität“ werden?
Wo sehen die Gutachter besonderen Handlungsbedarf?
Da die weitaus meisten Fahrten sehr kurz sind und der Pkw – Verkehr am stärksten im Hamburger Umland wächst, kommt es hier darauf an, umweltfreundliche Verkehrsträger zu fördern, Verkehr gezielt zu steuern und nutzerfreundliche Angebote zu entwickeln. Ganz ähnlich sieht es in den Oberzentren und größeren Städten aus. Weil hier die Belastungen durch Lärm und Emissionen weiter zu wachsen drohen, muss konzeptionell und massiv gegengesteuert werden. Naturgemäß verfügen öffentlicher Verkehr und die Nutzung des Fahrrads fahren dort über reichlich Potential.
Der Tourismus spielt als Ursache von Verkehr bei uns ebenfalls eine wichtige Rolle und soll künftig strategisch gefördert werden. Soll diese Entwicklung nachhaltig gestaltet werden, müssen Anreise und Wege vor Ort künftig so weit wie möglich ohne eigenen PKW durchgeführt werden.
Am anspruchsvollsten wird es werden, geeignete Konzepte für den ländlichen Raum zu entwickeln. Obwohl der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) hier weniger rentabel ist, muss dem Ausbildungsverkehr von Schülern, Auszubildenden und Studenten und den Bedürfnissen der älteren Generation, sicher und komfortabel am sozialen Leben teilzunehmen, besser gedient werden.
Was sind die Ziele der Verkehrswegeplanung?
Für den Zeitraum bis 2030 konnten die Bundesländer Verkehrsprojekte beim Bundesverkehrsministerium anmelden. In der „Grundkonzeption“ des Bundes sind sechs Oberziele vorgegeben worden, die Schleswig-Holstein allen seinen Anmeldungen zugrunde legen sollte. Kurz gefasst soll im Zieljahr 2030 erreicht werden: Erhalt der Mobilität im Personenverkehr, Sicherstellen der Güterversorgung, höhere Verkehrssicherheit, Reduktion der Emissionen, geringer Landschaftsverbrauch und Verbesserung der Lebensqualität in Städten. Inwieweit die Ziele erreichbar sind, wurde projektbezogen und im Umweltbericht geprüft. Das Umweltbundesamt bilanziert jedoch: „Der Entwurf des Bundesverkehrswegeplanes verfehlt elf der zwölf im eigenen Umweltbericht gesetzten Ziele.“ Zu den nicht erreichten Zielen im Umweltbericht gehören u.a. Belastung durch Luftschadstoffe, Zerschneidung von Lebensräumen, Lärm außerorts, Flächeninanspruchnahme und Emission von Treibhausgasen.
Im Zuge seiner Energiewende und Klimastrategie muss Schleswig-Holstein auch den Verkehr einbeziehen, weil dieser Sektor mit einem Anteil von 27,4 % (2014) am CO2-Ausstoß der größte Emittent von CO2 geworden ist. Der Ausbau von öffentlichem Verkehr, mehr Fahrradverkehr sowie stärkere Förderung von E-Mobilität soll erhebliche Einsparungen bringen. Dagegen steht jedoch die Vielzahl von Vorhaben, die zusätzlichen Verkehr erzeugen und von der Landesregierung vorangetrieben werden.
Wie verteilen sich die Projekte, für die durch die Ausbaugesetze ein „Bedarf“ festgesetzt wurde?
Anfang Dezember 2016 hat der Bundestag 25 Straßenprojekte, 3 Schienen- und 3 Wasserstraßenprojekte verabschiedet, die Schleswig-Holstein betreffen. Dabei handelt es sich ausschließlich um Neu- oder Ausbauvorhaben! Möglich ist, dass die Bahn aus dem „potentiellen Bedarf“ noch etwas nachmelden wird. Der Straßenbau dominiert nicht nur kolossal, sondern fokussiert auch zu sehr auf den Fernverkehr. Durch 12 Autobahnprojekte mit 25 umfänglichen Bauabschnitten wird diese Diskrepanz nachdrücklich belegt. Das Größte der übrigen Projekte ist außerdem die autobahngleiche, 4-streifige „Erweiterung“ der B 207 auf Fehmarn als Teil der Fehmarnbeltquerung. 9 Ortsumgehungen (davon 4 im Lauenburgischen) stehen dem im regionalen Kontext gegenüber.
Wissenschaftlich erwiesen ist, dass gerade Autobahnen die Länge der zurückgelegten Wege deutlich verlängern. Dadurch steigen sowohl der durchschnittliche Verbrauch pro Fahrt als auch der absolute Energieumsatz. Ein paradoxer Anreiz angesichts der propagierten Klima- und Energieziele. Jeder Verkehrsverlagerung von der Straße auf den Umweltverbund von ÖPNV, Fahrradverkehr und Fußwegen wird so erheblich entgegengewirkt. Ziel der dominanten „Vorzeigeprojekte“ Fehmarnbelt- und Elbquerung ist es sogar, die heute noch auf dörflichem Niveau stagnierenden Verkehrszahlen zu vervielfachen! Bedarf muss erst erzeugt werden, damit der Neubau sich rechnet! Engpässe werden nicht beseitigt, sondern erst auf anderen Abschnitten geschaffen, so z. B. am Fehmarnsund oder im Hamburger Rand.
Wie ist die Planung im Blick auf das Oberziel „Erhalt vor Neubau“ zu charakterisieren?
Schleswig-Holstein hat in den letzten Jahren (Basis: 2014) ca. 83 Mio. € für Straßenerhalt und ca. 42 € pro Jahr für Bedarfsplanmaßnahmen (vor allem: Neu- und Ausbau) vom Bund erhalten. Zu berücksichtigen ist, dass seit 2014 zusätzliche Mittel schon einen sog. „Investitionshochlauf“ ausgelöst haben, der 40 % über dem früheren Niveau liegt. Dieser soll bis zum Ablauf des BVWP 2030 gehalten werden, wobei die Ausgaben für Sanierung sogar um 70 % steigen sollen. Die Ausgaben für den Erhalt vorhandener Straßen sollen also sehr viel stärker ansteigen als alle anderen, insbesondere als die Mittel für Neu- oder Ausbau.
Wenn tatsächlich 145 Mio. € in jedem Jahr adäquat verbaut werden, ergibt das während der Laufzeit ca. 2,2 Mrd. €. Die Bauvorhaben im Straßenbereich kosten aber mind. gut 3 Mrd. € (Preisstand 2014)! Die Praxis hat gezeigt, dass die in diesem Stadium kalkulierten Kosten selten eingehalten wurden, sondern nachträglich erheblich angestiegen sind. Dabei ist die Preissteigerung für die Masse der Projekte, die erst nach 2020 baureif sein wird, gar nicht berücksichtigt. Der Bundeshaushalt 2017 weist im Straßenbauplan dem Land wie in den Vorjahren gut 40 Mio. € zu. Bei Annahme eines um 40 % höheren Budgets in den Folgejahren stehen ca. 60 Mio. € pro Jahr zur Verfügung. Dadurch würde sich die Dauer der Bauzeit unter realistischen Erstellungskosten auf mehr als 60 Jahre verlängern! Dazwischen lassen sich viele Annahmen treffen. Ein Beispiel: Um bis 2030 die in den BVWP eingestellten Projekte zu realisieren, wären mehr als 250 Mio. Euro jedes Jahr für Neubauten aufzubringen. Der heutige Mittelansatz für die Sanierung von Straßen würde dreifach übertroffen, was die totale Umkehr der propagierten Prioritäten bedeutet! Die beiden Thesen vom „Vorrang für Erhalt“ und der „zeitgerechten Realisierung“ des BVWP in Schleswig – Holstein passen also unter keiner plausiblen Kombination zusammen.
Wie sind Empfehlungen für eine „Mobilität der Zukunft“ im Land ausgerichtet?
Die von der Landesregierung beauftragten Gutachter haben 15 Ansätze im Rahmen von drei Handlungsfeldern formuliert. Lösungen sollten vernetzt, umweltfreundlich, innovativ, integriert, bedarfsgerecht und wirtschaftsfördernd angelegt werden. Vordringlich wäre demnach ein ‚Kompetenzzentrum Mobilität’ mit zugehörigem Netzwerk. Im Rahmen regionaler Verkehrspläne könnte das drängendste Problem der Stadt – Umland – Verkehre detailliert analysiert und gelöst werden.
Umweltfreundliche Verkehrsträger wären danach mit dem PKW und untereinander zu vernetzen, um das Ein- und Umsteigen zu vereinfachen und zeitlich aufeinander abzustimmen. Dringlich anzupacken wäre, wie der Nah- und Regionalverkehr beschleunigt und besser organisiert werden kann. Das gilt besonders für verschiedene Ost – West Verbindungen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der passgenauen Verzahnung von Verkehrs- und Schulplanung im ländlichen Raum. Nicht zuletzt sind die spezifischen Bedingungen im Tourismusverkehr und die steigenden Mobilitätserwartungen der Urlauber zu ermitteln und zu bedienen.
Welche Bewertung ergibt sich aus Sicht des Naturschutzes und Steuerzahlers?
Im Ergebnis wird klar, wie wenig die enormen Investitionen in den Straßenfernverkehr dem erkannten Verkehrsträger übergreifenden Handlungsbedarf in den einzelnen Regionen und Zentren entsprechen. In Teilen wirken sie sogar ausgesprochen kontraproduktiv auf die Entwicklungsmöglichkeiten von öffentlichem Verkehr. Damit einher geht, dass insbesondere der Straßenverkehr die verbindlichen Klimaziele deutlich verfehlt.
Diese Fehlentwicklung zeigt sich nicht nur auf der Ebene der Bedarfsplanung. Linienbestimmungen gerade für Streckenführungen prominenter Neubauprojekte fanden statt, als das europäische Verbundsystem NATURA 2000 noch unterentwickelt war. Die Folge ist, dass bis heute einschlägige Pläne aus Rechts- und Sachgründen aufwändig zu ändern sind. Die planerischen Rahmenbedingungen führten regelmäßig zu neuen Zerschneidungen statt zu Bündelungen. Bis auf ein Kriterium werden damit alle Ziele der Grundkonzeption zum BVWP 2030 nicht erfüllt. Die A 20 kann sogar nach letztem Planungsstand den höchsten Umweltschaden aller Bundesprojekte verursachen. Dennoch hält die Landesregierung, die sich de facto unberechtigt als Vorreiter neuer Mobilität fühlt, unbeirrt am Bau fest!
Ein weiteres signifikantes Beispiel ist die Verlegung der Bahntrasse Lübeck-Puttgarden im Zuge der Hinterlandanbindung zur Fehmarn-Beltquerung: Heraus aus den Ortslagen und heran an Schutzgebiete und Wälder! Weil deutsche Planungsgrundsätze auf den Fernverkehr abgestimmt werden, muss nachfolgend für ungelöste regionale Probleme und um die neu entstehenden CO2 - Emissionen zu kompensieren enormer Zusatzaufwand getrieben werden.
Viel Geld vergeudet
Der im Rahmen des BVWP 2030 gesetzlich festgelegte Bedarf überschneidet sich insgesamt nur in begrenzten Fällen und für wenige Städte mit dem realen Handlungsbedarf. Viel Geld, das an anderer Stelle in der Bundeskasse fehlt, wird in Zukunft in Schleswig – Holstein vergeudet werden. Beide eingangs gestellten Fragen müssen leider klar mit „nein“ beantwortet werden. Die Umweltverbände bleiben also bis auf Weiteres gefordert, für den Klima- und Naturschutz engagiert einzutreten.
Rolf Jünemann
BUND Schleswig-Holstein
Bundesarbeitskreis Verkehr
rolf_juenemann@gmx.de
18. Dezember 2016